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Prag, Berlin, London

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Anny hörte, Lusette, die kleine Lusette, sei nach Amerika gefahren. Was für ein bedeutendes Mädchen doch aus einer kleinen Tänzerin werden konnte! Anny dachte daran, wie Lusette unter der Grotte beim Baumgarten getanzt hatte damals in Prag. Wie klein war alle Vergangenheit geworden.

Eine andere Erinnerung tauchte auf. Einmal hatte sie mit Lusette auf dem langen Fussgängersteg gestanden, der über die Cervotka führt, über das brühige Wasser zwischen der Kleinseite und der düsteren Insel Kampa.

Das ist die Ratteninsel! hatte Lusette gesagt, und die Leute auf Kampa hätten keine Zehen. Sie würden ihnen des Nachts von den Ratten abgenagt, wenn sie noch in der Wiege lägen.

Wie schrecklich war das. Wie freute sich Anny damals, dass sie ihre Zehen alle beisammen habe. Einmal war sie mit ihrer Mutter auf der Insel gewesen. Die Sonne hatte nicht geschienen, es war wirklich schaurig dort gewesen, aber ihre Mutter hatte einen grossen Einmachetopf kaufen müssen, und den bekam man am besten und billigsten auf dem Topfmarkt. Zwischen den Töpfen hatte ein altes Hökerweib gesessen, dick wie eine Unke, das hatte keine Töpfe verkauft, sondern Kleinfiguren, kleine Kobolde, Wenzelause, auch den Räuber Babinsky und den Flösserlümmel Pepik. Nein, Ratten hatte sie nicht gesehen.

Das ist ja viel schlimmer als Ratten, hatte Lusette geantwortet. Weisst du, wer unter den Figuren war?

Nein, und?

Ich will es dir sagen. Unter den kleinen Tonfiguren bei dem dicken Hökerweib, da steht der Golem!

Der Golem?

Der Golem! Erst ist er ganz klein und lächerlich wie die anderen Tröpfe, aber dann kommt ein Rabbi über den Markt, einer mit so schwarzen, fettigen Locken, einer mit so langem schlurfenden Kaftan, einer mit so weissen, dünnen Fingern. Moschäi, Moschäi! sagt er. Und das ist sein Zauberspruch. Der kleine Golem ist im Augenblick so gross wie ein Baby, und wenn du noch einmal hinsiehst, ist er so gross wie ein Soldat, im nächsten Augenblick schon so gross wie die Säule mit dem Löwenbändiger und schon so gross wie der Palast Liechtenstein und so gross wie der ganze Hradschin! Rumpus, so kommt er über die Brücke.

Anny hatte aufgeschrien. Wie deutlich hatte sie alles vor sich gesehen. Sie versteckte ihren blonden Schopf hinter Lusettes kecken Schultern.

Aber es war nicht mehr in Prag.

Es war zu Berlin in der Alhambra. Annys Nachbar brummte freundlich: „Wat is denn, Mächen. Halt dir man ruhig an mir fest! Den haut Maxe auch noch in Klump.“

Nein, der Golem tat ihr nichts. Paul Wegener spielte ihn. Es war ein grosser Film. Aber Maxe? Wer war das, der den Golem in Klump hauen konnte?

„Der geht doch nächste Woche an den Köllschen Jungen, den Domgörgen.“

Maxe? Domgörgen? Es schien noch andere Grössen zu geben, als die im Film.

Anny merkte bald, Prag war diesmal kein rechtes Sprungbrett für sie gewesen. „Die Achtzehnjährigen“ waren kein Schlager. Ihr Name ging darin unter. Aber sie hatte sich erholt und geprüft. Ihr Wille, unbedingt weiter zu kommen, erwies sich als echt. Er war stärker als die stille Stube der Mutter, stärker als Mohnstriezeln, Buchteln, Hirsebrei, Topfkolatschen und Sachertorte, stärker als der Holunder auf der Moldauhöhe. War der nicht viel gewaltiger gewesen damals, als sie noch klein war und das Fliedermütterchen aus seinen Zweigen gelächelt hatte?

Lamač hatte nun von seiner Prager Selbständigkeit genug. Er schrieb in tschechischer Sprache ein Buch über „Filmdramaturgie“ und dann ging er auch nach Berlin.

Anny aber hatte klar erkannt, dass ihr endlich bedeutendere Themen zufallen müssten. Sie sehnte sich nach wirklichen Aufgaben, sie fühlte ihre Fähigkeiten, ihre junge Kraft schrie nach Betätigung, ihr Ehrgeiz tat die Augen nicht mehr zu. Noch einmal sah sie die Angebote durch, verpflichtete sich von einem auf den anderen Tag bei der Hom-Filmgesellschaft und erreichte sogar, dass die alten guten Kameraden Lamač und Heller mit ihr zusammenarbeiten sollten. Für vier Filme sollte sie im Laufe eines Jahres die Hauptrollen übernehmen.

Lamač hatte die Gelegenheit erfasst, es war ihm gelungen, einen weiteren Film nach Deutschland zu verkaufen, und zwar an die Bayrische Filmgesellschaft, die schon die „Achtzehnjährigen“ herausgebracht hatte.

Allmählich hatte sich auch die Presse in die neue Erfindung eingespannt. Eigene Berichterstatter taten sich auf, die Filmkritik wurde geboren. So kann man heute noch schwarz auf weiss lesen, was über jenen Film, der sich „Evas Töchter“ betitelte, geschrieben steht. Der Berliner Kritiker des „Filmkuriers“ berichtete:

„Ein Film, der nicht vom europäischen Standpunkt aus gemacht wurde, sondern von tschechoslowakischer Heimatindustrie. Aber Carl Lamač bedeutet vielen eine Hoffnung. Man erwartete in ihm eine Regiebegabung, die sich von allzu provinziellen Schlacken frei machen würde, auch nach diesem nicht sehr einheitlichen Film und trotz einiger unglücklicher Partien darin erkennt man doch sein Bemühen um einen lockeren Schauspielerstil, und man sieht einen neuen Star: Anny Ondra.

Man hat sie bisher in kleinen Filmen bemerkt, man war stets interessiert, denn man erkannte die Möglichkeiten ihrer Jugend. Jetzt gibt man ihr endlich die grosse Chance, und siehe da: man hat einen guten Griff getan.

Ein quickes Persönchen, das den Kameramann Otto Heller keine Schwierigkeiten machte, obwohl sie in jeder Situation, in jedem anderen Hütchen und Kostümchen ein anderes Kopfbild gibt.

Sie hat eine Karriere vor sich wie jedes hübsche Mädel, dessen sich der Film annimmt. Die Ondra hat eben den Glückstreffer gezogen.

Neben ihr kann sich nur Albert Paulich behaupten ...“

Die Bemerkung ... wie jedes hübsche Mädel ... ist nicht stichhaltig. Es gehört auch Talent dazu.

In diesem Frühjahr übrigens gelang die erste Fernübertragung eines Films von Chikago nach Neuyork.

Neuyork, Amerika, welch lockender Klang, welch unerschöpfliches und zauberhaftes Land!

Schmeling ging mit seinem Manager Bülow durch die Potsdamer Strasse. Er sah gelangweilt auf den funkelnden Titel „Evas Töchter“. Das süsse Bild darunter, das sah er nicht — noch nicht.

Anny hatte ein neues Manuskript erwischt, das ihren aufgewachten Ansprüchen zusagte. Der Verfasser war zur Hauptsache der bewährte Operettenlibrettist, Hans H. Zerlett. Lamač, der ewig agierende Bühnenmann, und Zerlett, der kühle, nachdenklich aufbauende Schriftsteller, ergänzten einander aufs beste. Es sollte ein Bund auf lange Zeit werden.

Das Thema war nicht neu. Eine abenteuernde Milliardärstochter aus USA heiratet einen armen Klavierspieler. Aber die Einzelheiten, die Einfälle, die Verknüpfung der Witze (die der grosse Spielleiter Lubitsch gelehrt hatte), die Komik auf Logik und ein sauber durchdachtes und verzweigtes Drehbuch, das machte ein kleines Festessen aus dem altbekannten Braten.

Anny musste sich als Wassernixe, als Bogenschützin und Varieté-Schiessdame, in Revuekostüm und passenden und unpassenden Schlafanzügen zeigen, und sie meisterte jede Szene. Das Ganze hiess: „Der erste Kuss“.

Anny, die privat so vorsichtig ist, stets darauf bedacht, jeder Mücke auszuweichen, ohne Ehrgeiz, sich mit unnützem Wagemut in Gefahr zu bringen: Sobald sie im Atelier stand, war ihr kein Wagnis zu abenteuerlich, kein Trick zu akrobatisch, kein Salto zu schwierig, da schonte sie sich nicht, da setzte sie ohne Wimpernzucken ihr Leben aufs Spiel, wenn es sein musste. Zu Hause konnte ein Nähnadelstich sie umwerfen, im Atelier schlug sie sich einmal die Arme auf, sie lächelte; sie lächelte selbst, als Jod darauf getan wurde, lächelnd spielte sie weiter. Sie kannte keine „Star-Allüren“. Und immer liess sie ihre Mitspieler gelten. Nie drängte sie sich vor. Sie war wirklich angenehm.

Sie hatte bewiesen, dass sie im Trio die Treue zu halten gedachte. Sie fuhr nach London und unterzeichnete den Vertrag mit der „British International“, ebenfalls auf vier Filme für das gleiche Jahr, doch ohne, dass sie eine Beteiligung der beiden Prager Freunde erreicht hätte.

Max und Anny

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