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Ānnys erstes Theater

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Annys Vater wurde, wie es bei aktiven Offizieren üblich ist, von einer Garnison in die andere versetzt, von Tarnow in Westgalizien, wo Anny geboren wurde, nach Pola, von Pola nach Theresienstadt, von Theresienstadt nach Prag.

Zwischen der Adria und der Nordsee erstreckte sich einst das alte deutsche Kaiserreich. Es gab einen alten deutschen Kaisertraum, Adria und Nordsee durch ein phantastisches Kanalsystem über Donau, Moldau und Elbe miteinander zu verbinden. Derselbe Kaiser gründete die erste deutsche Universität, nämlich die zu Prag. Prag liegt auf halbem Wege zwischen Süden und Norden. Manche sagen, es sei auf halbem Wege liegen geblieben und halten es, wie weiland der Triester Theodor Däubler, deshalb für eine zwiespältige, aber reizvolle Stadt. Und heute ist nicht Triest, heute ist Hamburg der Seehafen Prags.

Bei allen Übersiedlungen war Annys grösste Sorge, ihre umfangreiche Puppenfamilie auch ja vollzählig mitzubekommen. Ihre Lieblingspuppe hiess Leni, und die konnte die Augen auf- und zumachen und sagte, wenn man sie entsprechend bewegte, deutlich „Mama“. Im Wettbewerb mit dieser Süssen siegte aber eines Tages der Dackel „Satan“, ein schwarzes, wildes, unfolgsames und schlaues Rabenvieh, das sich von niemandem etwas sagen liess, ausser der kleinen Anny. Von Anny liess er sich sogar geduldig ankleiden, von Kopf bis Fuss, mit Lenis Kleid, Höschen, Strümpfen, Hut und Schuhen, und Leni sass nackt und starren Auges dabei. Diesen „Satan“ liebte Anny sehr, und wenn er Haue kriegte, weinte sie mit.

Er war die lebendige Auferstehung eines Stoffhündchens, das sie besessen hatte, als sie noch kleiner war. Das war ein Wunder von Hündchen gewesen: wenn man seinen Schweif drehte, ertönte eine kurze lustige Melodie.

Eines Tages war man zu Besuch bei Bekannten. Da lagen gerade ein paar ganz junge Hündchen im Korb. Sofort nahm Anny das nächste beste heraus und drehte es am Schweif, gerad als sei es ein Leierkasten. Leider musste sie mit Bedauern feststellen: es spielte nicht.

Einer von Annys Onkeln hatte die freundliche Gewohnheit, Klein Anny zur Begrüssung auf die Wange zu küssen. Wenn sie diesen netten Herrn beim Spaziergang von weitem kommen sah, sagte sie zu dem Kindermädchen: Minka, wisch mir rasch die Nase ab, Onkel kommt! — Denn sie wusste schon damals, was sie ihrem Äusseren schuldig sei.

In Prag war Anny schon so gross, dass sie zur Schule musste, und es wurde für sie die Klosterschule gewählt. Denn sie war ein kleiner Unband, der Tag für Tag Theater spielte und Tänzerin zu werden gedachte. Ergatterte sie ein weisses Stück Papier, so bemalte sie es mit zierlichen Tänzerinnen oder schnitt Tänzerinnen daraus, und schliesslich bewegte sie ihren älteren Bruder, ein Puppentheater für sie zu bauen.

Angeregt war solche frühe Neigung durch den verschiedentlichen Besuch des Nationaltheaters in Prag, wo es Sonntags nachmittags schöne Ballette und Märchen für Kinder gab. Kinos mit Kindervorstellungen kannte man damals noch nicht in Prag.

Annys älterer Bruder war technisch hochbegabt und ist jetzt Ingenieur der Eisenwerke zu Kladno. Es braucht kaum gesagt zu werden, dass es damals eine ausserordentlich prächtige Puppenbühne für seine kleine Schwester wurde. Die Puppen dazu machte Klein Anny selber, und zwar aus Kartoffeln. Sie bemalte sie süss und zog sie phantastisch an. Auch Tiere durften nicht fehlen; denn der Grossvater mütterlicherseits war Oberförster in den grossen Wäldern der Hanakei in Mähren. Obwohl die Beine des Bühnengetiers nur Streichhölzer waren, erschien Anny doch alles zauberhaft lebendig.

Hauptsächlich wurden Märchen gespielt. Es befand sich ein grosses altes Märchenbuch im Haus, in dem, wenigstens in der Erinnerung, alle Märchen gestanden haben müssen, die es in der Welt gibt. Aber das schönste darin war das Märchen vom Fliedermütterchen. Es hat kaum eine Handlung und ist ungemein schwer zu spielen, aber vielleicht gerade darum, weil es von allen Tollheiten frei ist, die so oft im Film verlangt werden, ist Andersens Fliedermütterchen bis heute Anny Ondras liebstes Märchen geblieben. Es kam soviel von Abschied und Wiedersehen darin vor, von der Fahrt des Liebsten übers Meer und von treuer Liebe.

Bald schrieb sie auch selber Stücke und erkor die Stube zur Bühne und stellte befreundete Kinder in den Nebenrollen an. Die Kostüme waren aus Seidenpapier, aber heimlich wurde manchmal der Kleiderschrank der Eltern ausgeräumt, und die würdigen Uniformen der einstigen k. u. k. Armee und die Ballkleider der Mama dienten dann dem Hofstaat der Könige und Königinnen in Annys Kindertheater.

An der Moldau, in den ausgedehnten Grünanlagen, befindet sich auch ein Planschbecken für Kinder, so schön, wie es Mackie zu Hamburg im Stadtpark nicht mehr geniessen konnte, da er schon zu gross war, als man hier solcherlei eröffnete. Längst badete er schon lieber in der Elbe. Er war ein kräftiger Schwimmer. Aber wenn man dem romantischen Gedanken folgen will, der sich aus der unaufhaltsamen Verbindung von Moldau und Elbe ergibt, so mag es sein, dass Mackies Schicksal schon sehr früh auf dem Wasserwege einen unbewussten zarten Strömungshauch verspürte von einem blonden hübschen kleinen Prager Mädchen, das auch das Wasser liebte.

Dort in den Moldauanlagen durfte Anny eigentlich nicht spielen. Alle Mütter pflegen dem Sprichwort „Stille Wasser sind tief“ unbedingt zu trauen, aber dass ein von vielen Patschbeinen unruhiges Planschbeckenwasser nicht tief sei, wagen manche Mütter nicht zu glauben. Anny aber zog es dorthin. Erstens stand dort ein grosser, alter Holunderbusch, der just aus Andersens Fliederteemärchen zu stammen schien. Und zweitens hatte sie ein nettes kleines Mädchen kennengelernt, das zu diesem Märchen passte und zudem entfernt etwas vom Theater geäussert hatte, sich auch überdies ungewöhnlich zierlich zu bewegen wusste. Es tanzte sozusagen Ballett mitten in dem kleinen himmlisch flachen Anlagensee, vermochte auch wie eine zarte Marmorstatue unbeweglich eine Nixe oder einen Schwan darzustellen. Anny blieb der Atem weg vor Entzücken. Sie wartete Tag für Tag auf nähere Offenbarungen. Nein, sie mochte nicht fragen, um nicht die leise Ahnung, die sie hegte, vielleicht zu bald zerstört zu sehen.

Eines Sonntags nun in der Aufführung der „Puppenfee“ sah Anny zu ihrem Erstaunen und unbeschreiblichen Jubel, dass die Planschbeckenfreundin einer der kleinen Stars auf der Bühne sei. Da hatte ihr Herz keine Ruhe mehr, heimlich musste Lusette ihr alle Übungen und Schritte zeigen, und es dauerte nicht lange, da konnte auch Anny Spitze tanzen und allerhand akrobatische Tanzkunststücke. Ihre Eltern konnten sich gar nicht erklären, woher sie solches habe.

Max und Anny

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