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Besuch in Glückstadt
ОглавлениеFortuna auf dem güldnen Ball,
wann bläst der Wind von überall?
Wann bläst der Wind raum Ost und Nord?
Fahr wohl, dann müssen wir fort.
Die Flotte des Regiments Löwenstein vereinigte sich mit der zu Stade und segelte weiter. Da aber das Versprechen besserer Raumverteilung nicht eingehalten wurde, auch nicht eingehalten werden konnte, weil zu wenig Schiffe zur Verfügung standen in jenen Tagen großartiger Handelsgelegenheiten, so wurden die Kapitäne schon vor Glückstadt gezwungen, beizudrehen. Obwohl einige englische Fregatten ab Stade eine offene Meuterei zu unterdrücken vermochten, dauerte es doch geschlagene neun Wochen, ehe alle Schwierigkeiten als beseitigt gelten konnten und der Transport endgültig über Cuxhaven in See stach. In derselben Zeit hätte er in Westindien sein können.
Fregattenkapitän Popham ließ dem Handelhause Parish die magere Meldung zugehen, es handle sich um konträren Wind. Der Proviant müsse ergänzt werden. Woche um Woche verging. Zwei Monate vergingen. Popham war in London.
Parish nahm voller Sorge eines Tages die sieben Meilen Landweg über Elmshorn nach Glückstadt. Sein Sohn David begleitete ihn mit dem neidvollen Auftrag seiner Brüder, sich durch den Matrosen Jacky Hont die Geschichte vom Untergang der alten Juno vollständig erzählen zu lassen.
In Glückstadt waren die Wirtshäuser voll lärmender Seeleute. Das kleine, verschlafene Nest schien auf den Kopf gestellt. Gelage und Jahrmarkt Tag für Tag. Parish wagte sich kaum dazwischen, hörte aber schon genug von Aufruhr, Kriegsgericht und gefährlicher Laune. Soldaten sah er keine. Sie durften wegen Fluchtgefahr und wegen des dänischen Gebietes nicht von Bord. An Bord aber wollte er sich nicht sehen lassen. Er hatte sein Äußerstes geleistet. Was nun nicht stimmte, war Sache der britischen Krone. Er fragte den Wirt der »Stadt Hamburg«, ob er ihm eine stille, unauffällige Ecke anweisen könne. Das Ohr seines Sohnes sei noch zu zart für die groben Reden ringsum. In Wahrheit fürchtete er, erkannt und belästigt zu werden. Der Wirt führte ihn in ein Hinterzimmer mit der Bemerkung, es seien zwar schon zwei Herren da, aber Schiffsoffiziere und solide.
Herr Parish erkannte in dem niedrigen, verqualmten Raum sogleich den Freiherrn von Platow, obwohl der nun in der blauen Uniform eines Offiziers der englischen Handelsmarine stak. Neben ihm saß ein Mann in gleicher Aufmachung mit dem Unterschied, daß er als Seemann und Engländer echter wirkte. Es war Mackay, Erster Steuermann auf der Juno, wie sich gleich herausstellte, als Parish mit mehr Höflichkeit denn kürzlich bei Jakob sich den Herren zuwandte und bat, an ihrem Tisch Platz nehmen zu dürfen, da keine weitere Gelegenheit in der Stube sei und auch, weil er sich freue, den Quartiermeister des Regiments Löwenstein so unvermutet wiederzusehen.
Die beiden hatten gerade ein vernünftiges Frühstück bestellt. Herr Parish schloß sich mit seinem Sohn an. O ja, es war Zeit, sich zu stärken, und er lud sie ein, sich als seine Gäste zu betrachten. Über dem Essen war die Unterhaltung noch recht abwartend und einsilbig. Der Hannoveraner hielt mit ein paar scharfen Anklagen nicht zurück. Sie wurden gedämpft durch die fremde Sprache, die er sich seines Begleiters wegen auferlegte. Herr Parish gab zu und strich ab, verteidigte sich, versprach und schob letzten Endes alles auf die Misere der Zeit. Herr Mackay fügte eine weise Bemerkung über die notwendige Anpassungsfähigkeit bei Seereisen hinzu. Der von Platow ließ die Hand resigniert durch die Luft fallen. Er habe es an Bord nicht mehr aushalten können. Mackay habe ihm kameradschaftlich genug einen Anzug geliehen. Es sei ein Hundeleben; er sterbe vor Langeweile.
Steuermann Mackay lächelte spöttisch, ohne damit eine unbillgebeizte Gutherzigkeit zu verdecken. Dieser nette, hübsche, vornehme Landsoldat, sagte er, als der Nachtisch abgeräumt wurde und er eine Kalkpfeife entzündete, habe noch nichts Böses kennengelernt, habe immer zu essen gehabt und immer eine einigermaßen vernünftige Unterlage zum Schlafen. Was wisse er, wie es zugehen könne!
Herr Parish ließ einen guten Rheinwein auffahren und zog ein Ledertäschchen hervor, aus dem er Zigarren anbot, damals eine noch kostspielige Sache. Der Sohn David durfte allerdings noch keine rauchen, so gewichtig bescheiden er sich auch auf seine siebzehn Jahre berief; dafür durfte er ein wenig von dem Aßmannshäuser nippen und Wewelsflether Aniskringel und Honigzwieback dazu knabbern. Er seufzte, ob nicht auch Jack Hont komme.
»Der hat Wache«, antwortete Mackay. »Außerdem gehören junge Leute nur ausnahmsweise an einen Tisch mit den Großen. Rangunterschiede müssen sein, selbst bei der Handelsmarine.« Und was er dem Leichtmatrosen bestellen solle?
»Ach, es handelt sich um die Geschichte von der Juno, die ich hören wollte. Meine Brüder haben mich nur unter dieser Bedingung weggelassen.« Er sprach englisch. Sein Vater hatte früh darauf gedrungen, seine Kinder zweisprachig zu erziehen.
»Ich fühle«, lächelte Mackay schwerfällig, »wie der Wein meine Zunge geläufiger macht. Aber ich mag nicht an die Angelegenheit denken.«
Er sah den jungen Menschen in den feinen Kleidern an und spürte, wie diese wohlerzogene Seele gierig an seinen im Innersten gespeicherten Erlebnissen zu saugen begann. Nun fing auch der von Platow gemütlich an zu drängeln, was es denn so Fürchterliches gewesen sei, mit dem er sich habe. Er für sein Teil könne sich nicht vorstellen, daß es Scheußlicheres gebe, als hier in diesem spießigen Hafenloch zu versauern, obwohl er damit nicht die Annehmlichkeit der heutigen Gesellschaft verkleinern wolle. Herr Parish sei, er habe es überall bestätigen hören, ein sehr bedeutender Mann, außerdem sei er, der Sprecher, nur verkappt vorhanden und dürfe sich gar nicht an Vergangenes, auch nicht an das unschöne Gespräch bei Jakob erinnern. Er sei schon fast Seemann geworden und wisse sich notgedrungen in jede Lage zu finden. Und die Abenteuer sollten nur kommen, er sei geradezu heißhungrig darauf.
»Ich würde Ihnen nicht gönnen, sich in manches zu finden, was ich erlebt habe!« entgegnete, schon gesprächiger, Mackay und fuhr über sein dichtes braunes Haar, das an den Schläfen, seiner Jugend zum Hohn, ergraut war. »Abenteuer, die goldene Welt und See! Jeden Tag Roastbeef und Rosinenpudding ... Sie haben es an ihrer Spindtür gelesen, ich habe es zur Erinnerung da aufbewahrt. Denn eines Tages hatte es auch mich gelockt, ich lief in eines der Kontore dieser smarten Gesellschaft, es war bei Crutched Friars. Da sieht man am Eingang in den Hof schon die dicken eisernen Gitter, mit denen er nachts wie ein Raubtierkäfig abgeschlossen wird, und so ist es auch: wenn man da hineingerät, man kommt schwer wieder heraus. Ringsherum standen Gebäude aus blutrotem Ziegel, an fünf und mehr Stock hoch, alle Winden waren in Betrieb, Kräne reichten nach oben und unten, von den Speicherböden bis zu den enormen Lastkarren mit Pferden, wie hollandsche Kuffs so dick. Ich seh’ es noch heute, hielt Ausschau nach den Schreiberseelen, die wie die Hühner in Reihen beieinander hockten hinter vergittertem Glas, damit niemand ihre Tinte stehle.
Kurz und gut, ich gerate Kurs geradeaus hart Nordwest in ein ungeheures Gewölbe, da stehen lauter offene Teekisten und verstopfen das ganze Fahrwasser, und ein Rudel junger Schnösel mit Zetteln und Stiften schnüffelt und klimmt da herum und schnobert von einer Kiste zur andern. Und jemand sagt mir, das sind die Teerriecher, die müssen die Unterschiede feststellen; denn Tee ist nicht gleich Tee.
Ich halte mich backbords, fädle mich eine Treppe hinab – denn ich sehe keinen anderen Durchlaß – und gerate zwischen die schönsten Düfte, die ich je gerochen. Ein feiner Mann stand da und erklärte es einem anderen feinen Mann, und ich nahm ein rasches Ohr voll mit: Es war die Rede von Millionenwerten, von Indien, China und Kotschinchina und von sämtlichen Inseln der tropischen Welt, von Spezereien, Drogen, Parfüms, Farben, Seiden, Porzellan, Elfenbein, Ebenholz, Muscheln, Schildkrötenschalen, Paradiesvogelfedern und was man will. Und viele Leute waren da, in weißen und blauen Schurzfellen und Kitteln ohne Taschen (damit sie nichts einstecken konnten), verpackten, stapelten auf und so weiter.
Man sah mich mißliebig an, ich ging über Stag und erwischte eine andere Treppe, kam wieder nach oben in eine große Halle; da flogen die Flocken von Baumwolle, als ob es schneite, denn die Kleinhändler waren gerade gekommen, um Proben zu nehmen, und ich verzog mich rasch, um nicht wie eine Schneegans herumzulaufen, und kam in die Abteilung, wo die Zuckersäcke wie Gebirge lagen, und man wies mich hinaus und zu den Schreibern nach oben, die jagten mich mit den zerkauten Federkielen wieder hinab; schon wollte ich aufatmend davon, da ergriff mich der Türhüter, dem ich vorhin ohne Wissen entschlüpft war, schleppte mich in seine kleine Bude am Eingang, drückte mir einen Gänsekiel in die Hand und ließ mich unterschreiben.
Nun, nach Hause kam ich gar nicht erst wieder. Meine fünfzehn Pfund Handgeld wurden gleich in netten Sachen angelegt, als da waren eine geräumige Seekiste und alles, was für einen Ostindienfahrer an Stiefeln, Ölzeug, leichter und schwerer Wäsche, Rasiermesser und dergleichen hineingehört. Mäßige Ware alles, wohl in der Voraussicht des oft nur kurzen Daseins eines Janmaten.
Danach brachte man mich gleich an Bord, es war die Juno nicht, es war ein elender Kasten namens Seepferd, und wahrhaftig, er hatte eine verteufelte Neigung, lieber gänzlich unter Wasser zu leben. Und nirgends hatte ich Abschied genommen. Aber eines ist wahr, ich habe gut darauf gelernt. Wenn mein Rücken auch zerbeult war, meine Augen von der Faust des Bootsmannes geschwollen waren und meine Hände blutig vom Tauwerk, das ich nicht kannte, die fürchterlich harte Schule hat mich nicht geknickt wie manchen anderen, und als ich eine Reise gemacht hatte, ein halbes Jahr hin, ein halbes Jahr her, da ging es schon milder, weil ich nun wußte, wie alles gehörig anzufassen sei; da fand ich Gefallen daran, wie oft auch ich vorher in der Koje geflennt und die Seefahrt verflucht hatte.
Ich war neunzehn, als ich begann, also kein Kind mehr, aber ich hatte die Büffelbänke und Bücher satt und auch das Drängen, daß ich studieren sollte, darunter den, an den mich, Herr Oberstleutnant, Ihr Name erinnern mußte, den gewaltigen Griechen und Meister der Ideenwelt, Platon. Was bei mir lockende Idee gewesen, hatte sich nun in krasse Wirklichkeit verwandelt. Ich hatte die See kennengelernt oder glaubte es wenigstens. Aber selbst, als die See mich in ihrer nackten Unbarmherzigkeit fast zur Strecke gebracht hatte, blieb doch etwas Unerlebbares, etwas, das kein Genügen und keine irdische Erfüllung zu kennen scheint und trotz aller Schrecken als ein verhexter Schimmer über den Wassern schwebt, gleichsam als die Idee der See; je länger ich jeweils an Land zu sein verurteilt war, desto strahlender und aller Erfahrung und vernünftigen Abschätzung entgegen ging mir das auf.«
Mackay schwieg plötzlich. Er war benommen, daß er so viel auf einmal geredet hatte. Aber er empfand zugleich, wie es ihm wohltat, manches zu sagen, was verborgen und verklemmt in ihm gewurmt und gewühlt hatte. Und zudem hatte er gemerkt, wie seine Tischgenossen zuhörten. Herr Parish selbst, der verwöhnte Handelsmogul. Der hob nun das Glas, trank ihm zu, er solle doch fortfahren. Von Platow murrte sinnend: »Mein Gott, die See! Mein Vater konnte es auch nicht abwarten, das tolle Blut. Er kam um an der Küste von Arrakan.«
»An der Küste von Arrakan?« brach es Mackay angefeuert von den Lippen. »Ich kam da nicht um, aber ich weiß, was es heißt, dort umzukommen.« Seine seegrauen Augen blitzten, er schlug mit der Faust auf den Tisch, daß David Parish nach der Hand seines Vaters griff.
»Nein! Ich kam nicht um!« wiederholte Mackay, als müsse er es sich noch einmal bestätigen. Lächelnd wandte er sich dann dem jungen Menschen zu. »Auch Jacky Hont nicht und das Fräulein, und einige andere auch nicht.« Er versank in Nachdenken und sog an der Zigarre, die ihm eine so fremde Einrichtung nicht zu sein schien. Er kenne solche von Havanna, antwortete er dem Regimentsquartiermeister zerstreut. Und auch von den Nabobs in Bengalen und so!