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Im Namen des Königs

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Ein Name tut’s an sich noch nicht,

es muß auch was dahinterstecken.

Drum gib uns, Herr, das rechte Licht,

daß wir vor Namen nicht erschrecken!

Popham hatte seine kurze Tobakspfeife angezündet und war in der allgemeinen Aufregung ruhig zum Strand hinabgestiegen. Er winkte den vier Kapitänen, die, gerade anlandend, in mißmutiger Debatte beschlossen hatten, hinaufzugehen und bei Herrn Parish abzuheuern. Zu ihrem eigenen Erstaunen gehorchten sie der entschiedenen Geste des vierschrötigen Engländers und folgten ihm allesamt in eins der Boote, und auch der triefende Transportagent, giftgeschwollen, schrill anklagend, wollte mit, wurde aber mit einem beredten Zucken von Pophams Daumen abgewiesen, und auch bei den Steuerleuten in den anderen Booten hatte er kein Glück.

»Zur Juno!« sagte Popham kurz, ohne den Brösel aus dem Mund zu nehmen. Und nach einer kurzen, wortlosen, in sich verbissenen Rangelei der vier Kapitäne um das Ruder, in welcher einer der Dänen, ein sechs Fuß hoher Bulle, Sieger blieb, wriggten sie los. Sir Popham stand aufrecht und gleichmütig paffend im Stern des Bootes. Es war sonderbar genug, daß, während sie sich der Juno näherten, das Gejohle auf den Schiffen immer mehr verstummte. Eine plötzliche, ängstliche Spannung trat ein, und ehe es ganz still wurde – und es wurde ganz still –, hörte man bis an den Strand hin den weinerlichen Tonfall eines Rekruten, der sagte: »Twee Johr? Un ick dach, ick wer Wihnachten wedder bi Muddern!«

Ein vielstimmig meckerndes Gelächter folgte darauf, das aber jäh vor sich selber erschrak. Man hörte auf einmal nichts mehr als das knarrende Janken des wriggenden Riemenschaftes in der Heckkimme von Pophams Boot.

Popham stieg an Deck der Juno. Die Kapitäne blieben erwartungsvoll unten.

Die Offiziere des Regimentes Löwenstein waren im Halbkreis um die Schanzluke angetreten. Es herrschte ein tödliches Schweigen, von dem schwer zu sagen war: barg es Verlegenheit oder Aufruhr?

Popham nahm ruhig die Pfeife aus den dünnen Lippen, legte die Rechte nicht zu schnell, nicht zu langsam an seinen schmalen Admiralitätshut und sagte mit einer leisen, aber messerscharfen Stimme: »Im Namen des Königs, ich begrüße Sie, meine Herren!«

Oberst Löwenstein trat ein paar Schritte vor, die Handspitze am Hut. Man merkte ihm ein geheimes Widerstreben an. Seine Gurgel schnarrte belegt: »Ich habe die Ehre mit ...«

»Popham, Kapitän in Auftrag und mit Befugnis der britischen Admiralität. Ihre Herren möchten Sie die Güte haben, mir später vorzustellen. Ich bitte, jetzt die Offiziere sofort auf die Schiffe zu verteilen, auch die vom Stab. Untersuchung der Unordnung vierundzwanzig Stunden verschieben. Sofort Proviant ausgeben: Grütze, Speck, Sauerkraut, Brot, Butter, Kaltfleisch, Kaffee, ein Achtel Rum. Die augenblickliche Unterkunft auf den Schiffen ist vorläufig. Ab Stade steht mehr Raum zur Verfügung. Die Feldzulagen rechnen ab Elbmündung, nicht, wie ursprünglich vorgesehen, ab Landung Westindien. Ich bitte jetzt den Herren Quartiermeister, die Übersetzung des Gesagten wegen der Herrn, die kein Englisch können, sofort zu übernehmen und sodann die Verteilung vorzunehmen. Der Kapitän der Juno wird alle Boote dafür klarmachen. Den Herrn Oberst bitte ich, mir auf die anderen Schiffe zu folgen.«

Es regte sich kein Widerstand. Auf zureichende Weise war das Gemüt der Einfachen über den seit altersher gangbaren Weg des Magens und der Besitzgier besänftigt worden. Ohne Zögern wurde das Befohlene ausgeführt.

Im Boot, unter den Augen des Regimentskommandeurs, sagte Popham den vier geflüchteten Kapitänen ein paar knappe englische Worte, die einen liebenswürdigen Hinweis auf eine mögliche Verbindung zwischen der Großrah und dem menschlichen Halse enthielten.

Auf den Schiffen waren die Mannschaften, Soldaten wie Matrosen, angetreten, und es gelang jetzt im Handumdrehen was vorhin unmöglich schien. Eine geheime Macht strahlte von dem Manne aus, dem das Schweigen voraufging. Man fühlte, daß ihm Gewalt gegeben war, die zumal bei nicht ganz reinem Kragen in ungewissem Ausmaß verderblich wirken konnte.

Popham hielt sich bei jedem der Schiffe nur kurz auf, ließ den Obersten von Löwenstein das verkünden, was er auf der Juno gesagt hatte, und hinzufügen, daß die Flotte des Regiments samt und sonders von Stund an unter englischem Seekriegsrecht stehe, als dessen Vertreter die Kapitäne der Schiffe zusammen mit den für jedes Schiff vorgesehenen Offizieren des Regiments zu betrachten seien. Am Besanmast sei die britische Flagge zu hissen.

Und er fügte gleich als Sermon über den mißhandelten Sauerkohl hinzu, Sauerkraut sei nach Ansicht der englischen Marineärzte das beste Mittel gegen Skorbut. Cooks berühmte Weltreisen hätten es letzthin bewiesen; kein Mann, obwohl Jahre unterwegs, sei an Krankheit gestorben.

Die Kapitäne nahmen ihren Posten wieder ein. Von Strafen war vorerst nicht die Rede; es wurde Essen gefaßt, die Kaffeeholer walteten ihres Amtes, es wurde Rum verteilt, was dazu beitrug, aller Herzen vertrauensvoll der Himmelsrichtung zuzuwenden, in der die Kleinen und Großen Antillen liegen mußten.

Die Sonne machte sich bereit, genau im Westen und mitten über der Strombreite in eine flanellrote Wolkenbank zu sinken. Die Damen oben in den Parks erschauerten. Es wehte eine abendliche Kühle von Süden her und roch nach Heidekraut und Einsamkeit. Die Pfiffe der Bootsleute schrillten über die Decks. Das Klickklack der Gangspills begann und das Aufsingen des Ankers mit Vorsänger und Chor.

Vull un bei,

de Reis de geiht nu los,

de ganze Kumpanei

seilt na Barbados.

Bully-bully-bully,

von achtern un von vörn,

rut mit dat Isen!

Ahu! Un noch’n Törn!

Rut mit dat Isen,

den Anker ut de Mutt!

Dar ward sick jem noch wiesen,

de See is keen Pissputt.

Bully-bully-bully,

Westindies vull un bei,

hüt seilt wi los na Barbados,

de ganze Kumpanei ...

Die Landser sahen betreten zu, wie die Matrosen die merkwürdigen Strickleitern hinaufkletterten, an den Rahen entlangglitten und die Segel losbändselten. Donner, ging das lustig zu in der schwindelnden Höhe! Also denn ade! Ade, ehe die Flut sich verlief und die Blankeneser Sandbarre unpassierbar wurde. Es zeigte sich aber, daß sich die Lotsenboote, die sowohl von oberhalb wie von unterhalb des Ufers dagewesen waren, wieder verzogen hatten. Da nützte kein Signal. Die Oberlotsen hatten sich nicht einigen können, ob die Blankeneser oder die Oevelgönner am Törn waren. Der Tumult hatte überdies beiden Brüderschaften den Appetit verdorben, da sie fürchten mußten, unversehens außerhalb der Reling zu landen. Ohne Lotsen aber zwischen den Sandbänken der Elbe umherzugondeln, hatte für die großen Schiffe keinen Sinn. Zudem war der Wind flau wie eine Tasse Kindertee. Somit ließ man die Anker wieder fallen und geite die Segel wieder auf.

Herr Parish war nicht guter Laune. Seine lange, türkische Pfeife hüllte ihn in Gewitterwolken. Er versorgte zwar den Transportagenten mit trockenen Kleidern, warf ihn dann aber hinaus und ließ anspannen, fuhr mit dem Hamburger Kapitän, der ihm die Klemme gemeldet, bis zum Oevelgönner Mühlenweg, kletterte die Elbschlucht hinunter in das am Stromufer lang hingefädelte Dorf und sprach selber mit den Lotsen, die im Fährhaus saßen und den Fall beklönten. Gegen Sonderpreis wurde die nächste Tide verabredet.

Seufzend fuhr Herr Parish zurück. Als sein Wagen bei Rittschers Gastwirtschaft vorbeiknirschte, saßen da französische Emigranten in hellen Haufen, einstige Kammerherrn und Kardinäle, die jetzt mit Möbeln und Mehl handelten, Generäle, die Klavierunterricht gaben, Prinzessinnen, die Kattunmuster entwarfen, um zu leben. Sie tranken auf die Niederlage der Republik in Westindien, abwechselnd aber ebenso auf die der Engländer. Der große Monsieur, der König im Exil, er solle daherfegen und beide verschlingen. Ein paar Heißsporne riefen hinter Parish her: »Verräter! Neutralitätsbrecher!«

John Parish knurrte verächtlich: »Windbeutel! Altes Suppenzeug! Macht eure Franken stabil wie die Pfunde, dann werde ich Hoheit zu euch sagen, Exzellenz, admirable Majestät, ihr galligen Piephähne!«

Er fühlte die Höhe seines Aufstiegs, gemessen an dem Fall der Flüchtlinge und Vertriebenen. Seine gesunde Anmaßung sah sich Arm in Arm mit einem fortunatischen Schicksal, doch indes sein Blick einer herbstglühenden Buchenkrone an der Biegung des Wegs eine Weile starr verhaftet blieb; stieg ihm zum ersten Mal die Beschwernis des Alters an, die Last des Betriebes drückte körperlich auf seinen Nacken; die Lust zu schaffen und zu raffen, auch was seine Lebhaftigkeit dem Handel abgewonnen, schien heftige, geheime Zehrgelder gefordert zu haben. Auf einmal beneidete er die Hoffnungslosen an den Gasthaustischen, die er eben noch verhöhnt, beneidete sie um ihr Nichts und ihre bequeme Verantwortungslosigkeit. Der Wagen federte unter den breiten Baumwipfeln dahin. Die Stromweite tat sich auf, die Ahnung endlos reicher Horizonte. Der schwere Mann atmete gierig, lächelte unbeherrscht, als sei er noch ein Schiffsjunge, und die Möglichkeiten des Lebens seien noch unausgeschöpft, Verantwortung und Ärger nichts als lästige Mücken, die man mit der Hand wegscheuchte.

Das anberaumte Liebesmahl für die scheidenden Offiziere hatte Herr Popham unterbunden: Die unruhige Truppe dürfe nicht ohne Aufsicht bleiben. Alas, und die Damen hatten sich schon auf Abschiedstanz, Zartheiten und Heldenverehrung gefreut. Manche vorgekühlte oder vorgewärmte Flasche würde ungetrunken in den Keller zurückwandern und manche Delikatesse den Eigenbedarf überfordern. Man mußte wie eh und je für alle Unvorhersehbarkeiten gewappnet bleiben.

Brandung hinter Tahiti

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