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Frachtraum und Soldatenehre

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Dreimal hipp das schöne Landserleben

und die königliche Compagnie,

die vor keinem Freund und Feind erbeben

tut, drum aufgespielt, ihr Musici!

Draußen krachte ein Böllerschuß, gefolgt von vier anderen. Die Transportschiffe begrüßten ihre nahende Fracht. Man sprang ans Fenster. »Sie kommen! Sie kommen!« Man hob die Gläser in die Weite, die nach herbstlich lauen Wiesen roch. Dort in der glitzernden Elbbreite hinter den Fetzen des Pulverdampfes und den erschreckten Möwen, drüben unter den bräunlichen Strichen der Inseln und Vorländer, unter den dünnblauen Zügen der Heidehügel, dort tauchten sie fern auf wie ein Schub Stockenten.

Prosit! Prosit allzumal! Auf ein glückliches Indien!

Dünn erschollen von weit her die Hörner. Nicht lauter als der Klang der Wirtshausgläser.

Der Transportagent, ein kleiner, lebhafter Makler, mit dem Hause befreundet, tupfte sich den Rotspon von den Lippen, seine Hand zitterte. Er drückte sich hinaus, ahnte Unheil von dem kriegerischen, langen und hübschen hannöverschen Offizier. Und der war auch schon hinter ihm her, tippte ihm energisch auf den Kragen seines mausgrauen Fracks.

»Wo bleiben die anderen Schiffe, Herr Agent?« schrie er ihn an. »Diese fünf reichen für die Katz!«

»Wir haben nicht mehr!« wand sich der Makler mit aufgehobenen Handflächen. »Däs Regiment Löwenstein is mech lieb wie ä eigenes Kind! Esu, es gibt kein Schiff in der ganzen graußen Welt nich’ aufzutreiben, glauben Herr Oberstleutnant mech, ich schwöre!«

Herr Parish, geborener Schotte, vormals Schiffsjunge, nun längst Großkaufmann und Schiffsreeder zu Hamburg, trat dazwischen, ruhig, elegant, in der würdigen Fülle seines Alters und des in seinem Leben Erreichten. Er lächelte dem Offizier in die Augen und sagte dabei: »Wir sind den netten und ordentlichen militärischen Ton gar nicht gewohnt in Hamburg, wie Herr Baron belieben tun! Unser Agent hat ja so recht, Schiffsraum ist knapper als bar Geld heutzutage. Und irgendwo müssen wir ja auch die vielen teuren Lebensmittel hinstauen, die Sie mitkriegen. Denn: Was wird bewilligt, was gebilligt, was ist die Möglichkeit? Nehmen Sie, mein Herr von Platow, doch meinswegen die ganze Juno für Ihren geliebten Stab. Denn müssen die anderen eben ein büschen zusammenrücken.«

Das Gesicht des Offiziers lief fast so scharlachrot an wie sein Waffenrock. Doch beherrschte er sich und sagte gedämpft: »Zusammenrücken? Zwölfhundert Mann? Ich bitte zu erinnern, daß – es ist hier doch von Geschäft die Rede – anno einundachtzig die Kosten gerade durch schlechte Unterbringung sich unmaßlich erhöhten.«

»Für die Regierung, nicht für den Reeder, sehr wohl!« lächelte der große Handelsherr. O ja, er vermochte sich auf deutsch auszudrücken, wenn auch nicht ohne Schnitzer, und sprach es in dem breit singenden Tonfall seiner Heimat, der dem der Hamburger Wasserkante sich zwanglos einfügte.

Die Stimme von Platows wurde nun doch erregt: »Ich stehe hier für mein Regiment! Hannöversche Soldaten wurden damals wie Heringe verfrachtet. Krankheit brach aus, schon in der Nordsee. Man müßte Portsmouth anlaufen. Dreihundert blieben im Lazarett. Ein Drittel davon starb. Ein weiteres Drittel kam auf dem Wege um, ohne einen Hauch von Indien gespürt zu haben. Ein Vetter von mir war darunter.«

»Gott hab ihn selig, oder wie sagt man auf deutsch?« lächelte Herr Parish. Ein trübes Gefühl von Mitleid dämpfend, wandte er sich den anderen Herren zu: »Es war nach Ostindien, glattes Geschäft der Compagnie selber, nicht meins. Wir gehen nur zu die West, das geht schneller und hat weniger Risiko.«

Der Agent wagte hier zu bemerken, geschützt durch den breiten Rücken des Reeders, die Soldaten kämen doch bald in ein wärmeres Klima, laut der Geographie, und dürften dann wohl froh sein, an Deck zu kampieren.

Der Offizier, ihn nicht beachtend, blitzte Herrn Parish an, als habe der die Frechheit gestottert. Parish war es selber peinlich, aber peinlicher war ihm dieses redende »Frachtstück«, so gutmütig und selbsterzogen es auch sein mochte. Rang und Anblick des Soldatischen machten wenig Eindruck auf ihn, dazu war er zu sehr Hamburger geworden. »Mein Himmel«, sagte er einlenkend munter, »Herr Oberstleutnant wollen mich doch wohl nicht fordern? Ich hab’ weder gedient noch studiert, bin auch nicht adlig, sondern bloß ein ehrbarer Kaufmann. Ich kenne meine Schiffe. Bei Stade liegen an vierzig weitere, aber alles kleines Zeugs für die anderen Regimenter, die dort einbooten. Diese Riesen hier unten, die allerbesten, die ich habe, sind extra für die Löwensteiner. Und da tut der Herr noch quesen?«

Er wandte sich zur Tür, winkte in dem lärmenden Abschiedsraum Herrn Popham zu und rief munter: »Kommen Sie doch mal, Sir, Ihre Meinung bitte!« Popham hatte sich sowieso schon erhoben und trat lässig heran.

Freiherr von Platow hatte es nun satt. Er meinte, Spott aus aller Mienen zu lesen. »Ich verbitte mir! Ich verlange –!« brauste er auf. Sein Degengehenk, seine Sporen klirrten. Puder stäubte von seiner untadeligen Perücke.

»Bitte!« sagte Herr Parish ungerührt. »Ihr direkter Vorgesetzter via King George dem Dritten ist der Herr da.«

Er wies verbindlich auf Popham, der gelangweilt wegsah, da er kein Deutsch verstand. John Parish setzte ihm nun in geläufigem Englisch die Wünsche des Hannoveraners auseinander.

Popham zuckte die Achseln. Seine betreßten Schulterstücke glichen geschüttelten Staubwedeln, als er breitkauend bemerkte, es handle sich doch nur um zusammengeklaubte, erschacherte, hergelaufene Dutzendware, aus aller Herren Deutschgauen fragwürdige Subjekte, die den Namen Soldat erst zu verdienen hätten. Und er berief sich herablassend auf das längst unterfertigte Einvernehmen zwischen London und dem hannöverschen Hauptquartier. Die Sprachkenntnis des Quartiermeisters reichte hin, den gröblichen Sinn des Gesagten zu erfassen. Seine Haltung straffte sich: »Verflucht! Das gibt Tumult, Sir!« knirschte er in bestem Schulenglisch. »Unser Hauptquartier hat Ihrer Umsicht vertraut. Es ahnte nichts von der Beschränktheit Ihres – zur Verfügung gestellten Transportraumes.«

Popham maß ihn kalt erstaunt. Er schien Widersprüche nicht gewohnt und schon gar nicht von fremden Militärs. Er grüßte kurz und wortlos und verließ das Wirtshaus, gefolgt von Parish und dem Agenten, indes schon neue Gäste ins Lokal drängten und zu den Fenstern eilten. Man hörte aufgeregte Rufe: Sie kommen! Sie sind da! Die Kapitäne stürzten ein letztes Glas hinunter, trampelten an dem finster verharrenden Offizier vorbei und hinaus.

Als Steuermann Mackay heraufkam, um den hannöverschen Quartiermeister an Bord zu holen, fand er den Freiherrn vor einem der weinbefleckten Tische heftig seinen beiden Schreibern diktierend. Er wartete respektvoll, aber von Platow faßte sich alsbald, zerknüllte den Rapport, darin er seinen Unmut gelüftet, und zerpreßte einen Seufzer ohnmächtigen Ärgers. Er blickte an dem Seemann vorbei, doch dann sagte er wie zu einem jüngeren Kameraden: »Man ist Soldat, obwohl kein Springinsfeld mehr, und muß gehorchen. Meinetwegen könnte sich jetzt schon das ganze Westindien zum Teufel scheren. Kennen Sie die Gegend?«

»Wohl!« antwortete Mackay.

»Ist die Reise hübsch?«

»Sie würden dahin bequemer reiten, wenn es ginge«, lachte Mackay, indem sein Blick das weiße Pferd auf der Kokarde des hannöverschen Hutes streifte.

»Dachte ich mir!« Der von Platow versuchte, in das leichte Lachen einzustimmen. »Bin geradezu neugierig auf Poseidons Wogenrösser. Soll übrigens dort drüben hübsche Frauen geben. Oder sind die ebenso knapp wie euer Schiffsraum?«

»Keine Ahnung, Herr General«, erwiderte Mackay etwas verlegen. »Weiß nur, daß Marinekapitän Nelson dort geheiratet hat; kenne Ostindien besser.«

»Besser, Herr Seefahrer, mir wäre besser, wenn hier alles gut wäre!«

»Gut ist letzten Endes, wenn man davonkommt«, erwiderte Mackay schlicht, »und das sei Ihnen und Ihren Leuten gewünscht!«

»Danke! Gegen die Romantik des Abenteuers sind Sie wohl längst abgebrüht oder vielmehr abgesalzen.«

»Bin ich, Sir, und es reicht auch ohne Romantik.«

»Woher können Sie so gut deutsch, Herr ...«

»Mackay. Eine deutsche Passagierin brachte mir’s bei.«

Die beiden Herren gingen den schräg sich windenden Hohlweg zum Strand hinab. Das Buschwerk an seinen Hängen glühte herbstlich. Welke Blätter raschelten unter ihren Stiefeln. Wir werden lange keine Bäume seh’n – und keine Frauen, dachte der Hannoveraner.

Brandung hinter Tahiti

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