Читать книгу Das Kanaltal - Hans Messner - Страница 6

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Grenzüberschreitende Gipfelziele in den westlichen Julischen Alpen

Wo Mitteleuropa gelebt wird

Das enge Tal der Slizza ist für Reisende so etwas wie das Tor zum Süden. Egal, ob man sich diesem Süden auf der Autobahn oder auf der Bundesstraße nähert. Dabei befindet man sich auf altem Kärntner Boden. Mit dem verlorenen Ersten Weltkrieg, dem Untergang der Monarchie und den Verträgen von Saint-Germain wurde das Kanaltal schließlich Italien zugesprochen. Das gilt für den gesamten Verlauf von der Grenze bis nach Pontebba. Das Kanaltal mit seinen weiteren offiziellen Namen Val Canale/​Val Cjânal/​Kanalska dolina ist ein Tal mit zwei Flüssen, die allerdings in unterschiedliche Richtungen fließen. Die Fella mündet in den Tagliamento und dann in die Adria, während die Slizza/​Gailitz/​Ziljica über Gail, Drau und Donau ihre lange Reise ins Schwarze Meer antritt.

Einen interessanten Aspekt brachte bei einem Gespräch der Obmann des Kanaltaler Kulturvereines, Alfredo Sandrini, ein. Er erklärte uns, dass das Kanaltal geografisch von der Mündung der Gailitz in die Gail bis hinunter nach Pontebba reicht. Die Gailitz mündet bei Arnoldstein in Kärnten in die Gail. Und Orte wie Dogna, Chiusaforte oder Carnia liegen nicht im Kanaltal. Denn in Pontebba beginnt Richtung Süden hin das Eisen- oder Fellatal (Canal del Ferro).

Wir befinden uns hier am Schnittpunkt dreier Kulturen. Germanen, Slawen und Romanen trafen bzw. treffen im Dreiländereck aufeinander. Und diese drei Kulturkreise begegnen uns in den Orten rund um Tarvis und natürlich im Kanaltal selbst.

Doch hier begegnen sich nicht nur drei Kulturkreise, es werden auch vier Sprachen gesprochen. Italienisch, Furlanisch, Deutsch und Slowenisch sind üblich, wobei mehrere meiner Gesprächspartner, eher ältere Jahrgänge, darauf pochten, Windische zu sein. Es ist überwiegend ein slowenischer Dialekt, der hier gesprochen wird, und er ist dem im Kärntner Gailtal gesprochenen sehr ähnlich. Korrekt ist, so betonen die Slowenen, die Bezeichnung „slowenischer Dialekt“. Wobei sich sprachlich von Ort zu Ort Unterschiede ergeben und vieles ineinanderfließt. Gerade deshalb funktioniert dieses Zusammenleben wohl so gut.

Wie auch immer! Ich würde es so formulieren: Im Kanaltal findet täglich „Mitteleuropa“ statt, hier wird der mitteleuropäische Gedanke tatsächlich gelebt. Und dies nicht erst seit Erfindung der Europäischen Union. Italiener, Friulaner, Slowenen und Kärntner Kanaltaler leben in diesem Tal. Kroaten, Ungarn, Slowaken, Tschechen, Österreicher und Deutsche kommen zum Einkaufen oder kehren kurz ein.

Doch damit nicht genug. Regelmäßig empfängt zum Beispiel der Tarviser Gastronom und Top-Sommelier Gianni Macoratti Gäste aus den USA zu Weinverkostungen in seinem Haus. Persönlich hatte ich die Freude an einer solchen Degustation beim „Kirchenwirt“ teilzunehmen. Die Zusammensetzung war wie folgt: der Hausherr als Italiener und Friauler Weinfachmann, ein mehrsprachiger Guide aus Slowenien mit etwa 25 US-Amerikanern, dazu gesellte sich der ehemalige Chefredakteur der Tageszeitung „Messaggero Veneto“ mit seiner Frau – und ich durfte gewissermaßen Österreich repräsentieren. Spontan stellte Macoratti nicht nur die Friauler Weine vor, sondern auch mein zuletzt erschienenes Buch „Weinführer Friaul“. Die amerikanischen Gäste staunten nicht schlecht, dass hier die drei Nationen, eben aus dem Dreiländereck, einander beim Wein gegenübersaßen. Den Radlern war die oftmals gemeinsame, allerdings kriegerische Geschichte durchaus bewusst und sie bestaunten die Italiener, den Slowenen und den Österreicher wie Zirkuspferde.

Die Gäste aus dem Land der angeblich unbegrenzten Möglichkeiten lernen hier eine für sie völlig neue Welt kennen. Sie entdecken die Täler auf Tagesetappen per Fahrrad. Auf relativ kurzen Touren können sie drei Länder, vier Sprachen, drei Kulturkreise und deren Küche kennenlernen. Das ist daheim in den USA so nicht möglich, geben sie sich bei Gianni immer wieder verwundert – auch über das friedliche Zusammenleben. Für uns „Nachbarn“ ist dieses Glück der Vielfalt schon selbstverständlich. Nur Dummköpfe wissen das nicht zu schätzen und bauen noch immer Grenzen in ihren Köpfen auf.

Ein anderer wiederum war fasziniert von der Küche. Dieser köstliche Reichtum, dem er hier begegnet, bestehend aus italienischer, slowenischer, friulanischer, österreichischer und altösterreichischer Küche, hatte es ihm angetan. Dabei waren da auch noch die Einflüsse der Küche des benachbarten Berglandes der Carnia …

Den Status als Tor zum Süden hat sich dieses Tal und sein Hauptort Tarvisio/​Tarvis/​Trbiž schon in den Fünfzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts „erarbeitet“. Der Markt in Tarvis war ein Treffpunkt für Kauflustige. Dort fand man preiswerte Waren, erlebte bei Kaufleuten und Wirten einen Hauch von Italianità und genoss Lebensmittel, wie sie sie ansonsten nur Wohlhabendere während ihrer Adria-Urlaube serviert bekamen.

Ein Durchzugstal war dieses Tal schon immer. Bereits die Römer wussten den niedrigsten Alpenübergang an der Wasserscheide bei Camporosso/​Saifnitz zu nützen. Heute nennt man so ein Tal bekanntlich „Transittal“. Das ist das Kanaltal jedoch nur für gestresst nach Süden oder Norden Reisende. In den einzelnen Orten findet der gemütlich Reisende zahlreiche Punkte zum Innehalten. Beschauliche Gassen und Dörfer gilt es zu erwandern und entdecken.

Wichtige Besuchspunkte auf unserer Reise durch das Kanaltal werden die Orte Coccau/​Goggau/​Kokovo, Tarvisio/​Tarvis/​Trbiž, Camporosso/​Saifnitz/​Žabnice, Monte Lussari/​Luschariberg/​Svete Višarje, Valbruna/​Wolfsbach/​Ovčja vas, Ugovizza/​Uggowitz/​Ukve, Malborghetto/​Malborgeth/​Naborjet, Bagni di Lusnizza/​Lussnitz/​Lužice, San Leopoldo/​Leopoldskirchen/​Dipalja vas und Pontebba/​Pontafel/​Dipalja vas sein.

Für die Reisenden war bis 1918 Pontebba und das folgende Canal del Ferro das Tor zum Süden und nach Italien. In der Ortsmitte stehen noch heute am linken Ufer des Bachs Pontebbana, nahe der Brücke, ganz markant, zwei alte Postmeilensteine. Sie weisen nach Udine zum einen, nach Klagenfurt zum anderen.

Doch wir bleiben nicht nur im Tal der Fella. Die Slizza und ihren wild-romantischen Wanderweg, den „Sentiero Orrido dello Slizza“ wollen wir besuchen. Kleine Seitentäler und lohnende Ziele auf Almen werden wir kennenlernen. Ob mit dem Auto, zu Fuß, mit Skiern oder per Bike – der Möglichkeiten gibt es viele. Noch ein Wort zu den Flüssen: hinsichtlich des grammatischen Geschlechts haben wir uns aufgrund der Gebräuchlichkeit vor Ort auf das weibliche geeinigt, auch wenn im Italienischen Slizza und Fella „männlich“ sind.

Dem alten Bergwerksort Cave del Predil/​Raibl/​Rabelj statten wir nicht zuletzt wegen seiner Kärntner Vergangenheit, aber auch wegen der beiden Museen einen Besuch ab. Der nahe Lago del Predil/​Raiblsee gehört ohnehin zum Pflichtprogramm in der Region.

Ein beliebtes Ausflugsziel bei Heimischen wie Gästen sind die Laghi di Fusine/​Weißenfelser Seen/​Pri Jalnu. Die beiden Seen liegen in Wälder eingebettet nur wenige Kilometer vor der Grenze zu Slowenien.

Und weil wir am Schnittpunkt dreier Kulturen unterwegs sind, wenden wir uns auch der slowenischen Grenze zu, folgen dem Radweg (Ciclovia) auf der alten Eisenbahnstrecke bis zur Passhöhe auf 845 Meter Seehöhe nahe Rateče. Diese Ciclovia führt übrigens bis Jesenice. Schön zu befahren ist sie bis Mojstrana.

Bezüglich Sport und Freizeit finden sich im entsprechenden Kapitel zahlreiche Tipps.


Blick von der Sonnenseite auf Malborghetto

Das Kanaltal

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