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Als Tausende „Deutsche“ das Tal verließen
ОглавлениеBei einem caffè macchiato im Hause Dawit kam ich mit dem Kanaltaler Gastronomie-Urgestein Edi Kranner ins Gespräch. Er erzählte von seinen Jugendjahren in Kärnten, seinem Schulbesuch in Klagenfurt und den erlebten Bombenangriffen auf die Kärntner Landeshauptstadt gegen Kriegsende. Damit waren wir dem Thema „Option“ schon auf der Spur.
Im ersten Jahr des Zweiten Weltkriegs, am 22. Mai 1939, schlossen Mussolini und Hitler, also Italien und Deutschland, den sogenannten Stahlpakt, mit dem sich die beiden Länder stabile Grenzen zusicherten. Einen Monat später wurde dieser Pakt um die Vereinbarung ergänzt, dass die der deutschen Volksgruppe zuzurechnenden italienischen Staatsbürger, vor allem in Südtirol, auf eigenen Wunsch nach Deutschland bzw. Österreich auswandern können. So wurde die sogenannte Option, die Umsiedlung, geschaffen. Und die betraf schließlich auch das Kanaltal und die dort lebenden Altösterreicher. „Manifestiert war die Option im italienischen Gesetz mit der Nummer 1241“, weiß der Historiker Raimondo Domenig.
Das Optionsprozedere wurde von Bozen aus geleitet. Dort saß die zentrale Verwaltung der Umsiedlung. Deutsche Büros für die Umsiedelung gab es aber in mehreren größeren Orten. So war eines auch im beschlagnahmten Gasthof Teppan in Tarvis, dem heutigen Hotel Ristorante Trieste, etabliert. Die Auswanderungswilligen konnten sich so schon auf italienischem Boden deutsche Pässe ausstellen lassen.
Von Regierungsseite wurde ordentlich Druck gemacht, denn die Optanten mussten sich bis 31. Dezember 1939 für die Umsiedlung entscheiden. Im Kanaltal waren davon die drei Gemeinden Tarvis, Malborghetto und teilweise Pontebba betroffen.
Die Entscheidung für oder gegen die Option trafen jeweils die Väter für die gesamte Familie. Weiße Zettel bedeuteten, dass man sich für Italien entschieden hatte. Orangefarbene hingegen belegten die Entscheidung fürs Wegziehen. Die Propaganda machte vielen die Entscheidung für „Heim ins Reich“ leicht. Sie versprachen sich davon bessere Lebensumstände.
Für den Verbleib im Tal entschieden sich überwiegend Bauern, Unternehmer und Menschen mit sicheren Anstellungen.
Natürlich stellte sich irgendwann die Frage: Was wird mit den Slowenen im Kanaltal? Also ging man von italienischer Seite einen Kompromiss ein und gab auch den Mitgliedern der slowenischen Volksgruppe die Möglichkeit, wegzuziehen. Doch nur wenige Mitglieder der slowenischen Volksgruppe, konkret 2 Prozent, gingen darauf ein.
Grenzberge zu Slowenien
Bis zum zunächst vorgegebenen Stichtag 31. 12. 1939 kam man in den drei betroffenen Gemeinden Tarvis, Malborghetto und Teilen Pontebbas zu folgendem Resultat: Von den Bewohnern der drei Gemeinden waren 5 602 berechtigt zu optieren. Stattliche 81,7 %, also 4 576 Personen, „entschieden“ sich für Deutschland bzw. Österreich. Unter den Deutschsprachigen entschieden sich eher die Führungskräfte, Fixangestellten und die Besitzenden gegen die Option. Manche hasardierten auch. Der Besitz konnte an die Behörde Ente Nazionale per le Tre Venezie verkauft werden. Doch damit waren Haus und Grundbesitz endgültig weg. „Deutsche im Dienste des italienischen Staates wurden ohnehin entlassen“, so Domenig. Die Optanten wurden schließlich mit Zügen nach Kärnten gebracht. Ziele waren Villach, Klagenfurt, St. Veit, Friesach und das steirische Knittelfeld. Doch „draußen“, wie sie sagten, und damit meinten sie Kärnten und Steiermark, herrschte noch Platzmangel. Die versprochenen Kanaltaler Siedlungen befanden sich ja erst in Bau.
Anders erging es damals dem Schüler Edi Kranner und seinen drei Geschwistern. Er landete mit seiner Familie in Zinsdorf bei St. Thomas am Zeiselsberg auf einem großen Bauernhof. Deren slowenische Besitzer waren vorher allerdings von der Deutschen Wehrmacht vertrieben worden. Wirtschaftlich ging es den Kranners dort gut. Der Vater wurde zum Bauernführer. Kriegsgefangene Polen und Russen arbeiteten auf dem Hof, und mit Lebensmitteln war man bestens versorgt. Vater Kranner lieferte die landwirtschaftlichen Produkte regelmäßig in Klagenfurt ab und Edi besuchte dort die Hauptschule. Für den gebürtigen Saifnitzer war dies eine abenteuerliche Zeit. Gegen Kriegsende erlebte er die Bombardierung der Landeshauptstadt mit. Schritt für Schritt zeichnete sich die Niederlage des Deutschen Reiches ab. Vater Kranner traf schließlich die Entscheidung, mit der gesamten Familie wieder zurück ins Kanaltal zu gehen. Denn die Verträge des Ente Nazionale per le Tre Venezie hatte er nie unterschrieben. Dort, wo heute das Hotel Bellavista in Camporosso/Saifnitz steht, befand sich einst der Bauernhof der Kranners.
Mit zwei Traktorfuhren wurde schließlich das Hab und Gut der Familien wieder zurück ins Kanaltal gebracht. „Aber mein Vater war sehr vorsichtig“, erzählt Edi. „Bei der zweiten Fahrt von Zinsdorf nach Saifnitz erfuhr er, dass inzwischen die Engländer anstelle der Deutschen die Grenze in Thörl kontrollierten. Also wählte er einen Schleichweg über den Bartolo-Sattel hinüber auf den heimatlichen Bauernhof in Saifnitz.“
Ein Optantendekret von 1948 bot den Kanaltalern die Möglichkeit, wieder heimzukehren und die italienische Staatsbürgerschaft anzunehmen. Doch nur rund zwanzig Personen kehrten zurück.
Zahlreiche dramatische Schicksale, die manchmal Familien trennten, spielten sich in dieser Zeit ab. Die einen zogen nach Norden hin weg, andere rückten vom Süden her nach.