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Die Gotthardbahn und Eschers Machtzerfall

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Mit der Übernahme der Zürich—Zug—Luzern-Bahn aus der Konkursmasse der OWB ändert Alfred Escher seine Alpenbahnstrategie: der Gotthard und nicht mehr der Lukmanier ist nun sein Ziel. Auch international hat sich die Situation verändert. Im Süden ist 1859–1861 das Königreich Italien entstanden, im Norden mit dem Sieg über Frankreich 1871 das deutsche Kaiserreich. Alfred Escher bemüht sich erfolgreich, die Schweiz aus diesen Konflikten herauszuhalten. Er nutzt die neue Konstellation und beruft bereits 1869 die internationale Gotthardkonferenz ein. Ende 1871 entsteht als fünfter schweizerischer Bahnkonzern die Gesellschaft der «Gotthardbahn» GB. Doch die Baukosten werden unrealistisch tief eingeschätzt. Die Überschreitungen können auch nach zwei exorbitanten Rücktrittsentschädigungen für die Oberingenieure Robert Gerwig und Wilhelm Hellwag nicht eingedämmt werden. Die Umprojektierung – steilere Rampenstrecken, engere Kurven und nur einspuriger Ausbau – bedarf dennoch einer Zusatzfinanzierung. Zahlen sollen das Private, Deutschland, Italien und die Schweiz – und dies mitten in der 1877 ausgebrochenen Eisenbahnkrise. Die Zürcher Stimmbürger lehnen die Nachfinanzierung ihres Anteils aus Steuergeldern ab. Ausschlaggebend sind dieses Mal nicht Auseinandersetzungen zwischen Demokraten und Freisinnigen, sondern solche innerhalb des freisinnigen Lagers, vor allem zwischen den zwei einstigen Busenfreunden: Bundesrat Emil Welti und Alfred Escher. Der Eisenbahnkrach beendet Eschers Glanzjahre; er tritt in den 1870er-Jahren aus der operativen Leitung der drei wichtigsten von ihm aufgebauten Firmen zurück: aus der GB, aus der NOB und aus deren Hausbank, der Schweizerischen Kreditanstalt. Dennoch zieht der nimmermüde, aber oft kranke Macher und Machthaber die Fäden weiterhin. Kein anderer Schweizer hat die Machtfülle von Alfred Escher je wieder erreicht. Sein nach Ernst Gagliardi19 wichtigster Biograph, Joseph Jung, fasst sein Leben in drei Worten zusammen: Aufstieg, Macht und Tragik.20 1882 stirbt Alfred Escher mit rund verfünffachtem Vermögen, jedoch aufgebraucht und ausgebrannt, unter anderem an Furunkeln – wie ein Jahr später in London der verarmte Karl Marx. Einen Heldentod bei einer Baustellenbesichtigung im Gotthardtunnel hingegen findet Louis Favre, der 1872 in der Ausschreibungskonkurrenz einen zeitlich nicht erfüllbaren Vertrag mit ruinösen Konventionalstrafen für den Fall von Bauverzögerungen unterschrieben hatte. Der Rückstand kann auch durch Einsatz neuester Sprengtechnik mittels Dynamit und trotz miserabler Arbeitsbedingungen nicht wettgemacht werden. Am Gotthard sprengt sich Helvetia mit verbundenen Augen 15 Kilometer lang durch Granit, Gneis, und Sedimente, der deutsche Kaiser hält ihre Hand. Die zehn statt der versprochenen acht Jahre Bauzeit entwickeln sich zur finanziellen, politischen und menschlichen Katastrophe.


Der Bund delegiert die Konzessionsbefugnis auf die Kantone, es entstehen fünf regionale Monopole, u. a. die Centralbahn.

Foto H. P. Bärtschi Sissach 1979.

Die Gotthardbahn gerät 1877 mit allen anderen schweizerischen Privatbahnen in die Krise. Der Aktienkurs stürzt bei der Gotthardbahn von maximal 652 auf 104 Franken ab. Der Bau allein des Gotthardtunnels fordert 319 Menschleben, nicht eingerechnet die ungezählten nach Hause geschickten und dort an Tuberkulose und Hakenwürmern verstorbenen Kranken.21

1882 wird der durchgehende Verkehr auf der Gotthardbahn aufgenommen.22 Der private, stark von Deutschland und Italien finanzierte Gotthardbahnkonzern betreibt schliesslich ein Netz von 273 Kilometern Länge. Die Gesamtkosten betragen – ohne Zufahrtslinien – 230 Millionen Franken, was in dieser Zeit mehr als dem 15-fachen der jährlichen Einnahmen des Bundes entspricht.

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