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Der Bahnbau wühlt die Landschaft auf
ОглавлениеDie politische Grundlage für die gewaltige Landschaftsveränderung ist das in der Bundesverfassung und im Eisenbahngesetz 1848–1852 verankerte Enteignungsrecht. Dieses mit der Unantastbarkeit des Privateigentums eigentlich unvereinbare Gesetz rechtfertigt sich mit dem übergeordneten Landesinteresse, welches letztlich der neuen Form des Privateigentums von anonymen Aktiengesellschaften dient. Nur so kann die Linienführung von Eisenbahnen nach den notwendigen technischen Grundsätzen festgelegt werden: Die Eisenbahn ist ein starres, zusammenhängendes System von Achsgewicht, Meterlasten, Zuglänge und Zughakenkraft der Lokomotiven in Übereinstimmung mit den Kunstbauten, dem Unter- und Oberbau inklusive Schotterbett, Schwellen und Schienen. Die Verwirklichung dieses Systems beschleunigt die Vermessung der Landschaft und das Denken in Richtung einer dreidimensionalen Geometrisierung des Raumes. Die entsprechenden Techniken sind vor allem für den Bergbau entwickelt worden.
Unterschiedlich belastbare Schienenprofile, Musée du fer et du Chemin de Fer Vallorbe.
Foto H. P. Bärtschi 1996.
Der Stolz der Nation Schweiz auf ihre Eisenbahn rührt gerade auch daher, dass die Überschienung des Juras und der Alpen besonders aufwändige Bauwerke erfordert: «der längste Tunnel der Welt», die «höchste Eisenbahnbrücke», «die höchste durchgehende Bahn Europas» und die «höchste Bergbahn Europas» prägen rückblickend und teilweise bis heute den nationalen Mythos des Landes. Die Überschienung von Gebirgen erfordert aber nicht nur aufwändige Brücken- und Tunnelbauten. Je mehr der Bahnbau in die Höhen vordringt, desto wichtiger werden neben den rein topografischen Kenntnissen die Naturkenntnisse. Und diese werden im Selbstverständnis einer Pionierzeit umgesetzt, das die Natur als Hindernis betrachtet, welches es zu überwinden gilt. Kataster über Naturgefahren werden angelegt: Wo gibt es Wildbäche und Überschwemmungsgefahren, wo Rutschungen und Steinschlaggefahren, wo Lawinenzüge? Speziell für Fundations- und Tunnelbauarbeiten sind vertiefte geologische Kenntnisse unerlässlich. So beginnt der Eisenbahnbau zur linear totalen Landschaftsveränderung zu werden. Die für die neue Technik «falsche» Natur muss korrigiert werden. Für den Bau der Rheintallinie Sargans—St. Margrethen wird der Rhein 1857–1858 abschnittsweise in grösserem Umfang «korrigiert». Der Bau der Bahnlinie durch das Birstal von Basel bis Moutier erfordert 1874–1875 bedeutende Eingriffe in den Wasserlauf.28 Eine Jahrhundertüberschwemmung überschattet 1876 die Bauvollendung der Tösstalbahn, in deren Folge tätigt der Kanton Zürich über mehrere Jahre seine grösste Investition für die Tösskorrektion.