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Die Abhängigkeit von importierten Energieressourcen

Ausgehend von England verbreitet sich für das Erschmelzen von Metallen die Nutzung von bergmännisch abgebauter Kohle.41 Zur Zeit der ersten Hochkonjunktur der Kohlewirtschaft in England und ihrer ab 1850 beginnenden Blütezeit in Deutschland und Frankreich basiert jedoch die schweizerische Energiewirtschaft zu 87 Prozent auf Holzenergie. Wichtig sind auch Torf und schliesslich die Wasserkraft.

König Kohle


Begünstigt durch billige Importmöglichkeiten mit der Eisenbahn stellen die Industriebetriebe, die Haushalte und die Transportunternehmen ihren Energiebedarf auf Kohle um: Industriequartier Zürich 1898.

H. P. Bärtschi 1973.

Die Anbindung an das internationale Eisenbahnnetz hat dann, spät genug, die völlige Umstellung der Energiewirtschaft des Landes zur Folge. Importkohle wird zum wichtigsten Transportgut. Bis zum Ersten Weltkrieg verfünffacht sich der Energiekonsum. Kohle liefert nun 78 Prozent der Primärenergie, Holz 16 Prozent. Dank ersten leistungsfähigen Elektrizitätswerken folgt die Wasserkraftnutzung mit nunmehr 5 Prozent. Torf spielt keine Rolle mehr, dafür bereits Erdöl – mit einem Prozent.42 Die Abhängigkeit der Gesellschaft von fossilen Energiequellen wird bleiben, nur verlagert sie sich auf Erdöl und Erdgas.


Die kohletransportierende Bahn ist selbst ein grosser Kohlekonsument: Dampflokdepot Delémont von 1889.

Foto H. P. Bärtschi 1997.

Das Bild der Schwerindustrie mit Wäldern von rauchenden Kaminen prägt ab den 1870er-Jahren auch in der Schweiz immer mehr Industrielandschaften. Kohle macht Fabrikgründungen unabhängig von nahen Wasserkraftstandorten. Wärmekraftmaschinen lassen sich überall einsetzen, wo in der Nähe ein Gleisanschluss besteht. Dampf, in kohlegefeuerten Kesseln erzeugt, bildet die neue, ungebundene Kraft für den Antrieb von Arbeitsund Transportmaschinen. Die Winterthurer Maschinenfabrik Sulzer wird international führend im Bau von Dampfkesseln und stationären Dampfmaschinen. Andere schweizerische Firmen forcieren die Kohlewirtschaft mit dem Bau von Dampfschiffen und Dampflokomotiven.43 Alles setzt auf Kohle. Die vom Bund koordinierte Tarifordnung begünstigt mit der niedrigen Tarifierung von Kohletransporten den Kohleverbrauch von Haushalten, von Industrie- und Bahnbetrieben und – über den Transit – von Nachbarländern mit geringen Kohlevorkommen. Allein die grossen Privatbahnkonzerne verbrauchen vor der Verstaatlichung jährlich gegen 700000 Tonnen Kohle für ihre Dampflokomotiven. Als bedeutende Kohleverwerter funktionierten während 150 Jahren auch die Gaswerke. Als erste führen die Spinnereibesitzer die Gasbeleuchtung ein, um die Arbeitszeit in die Nacht verlängern zu können. In der Schweiz entstehen ab 1823 eine nicht bekannte, grosse Zahl von werkseigenen Kleingaswerken. Öffentliche «Illumination» bleibt vorerst die Ausnahme: die Nacht soll dem Ausruhen dienen, die Beleuchtung von Strassen und Plätzen hingegen droht das Nachtleben zu fördern und somit die Sittlichkeit bei Betrunkenen und Verliebten zu beeinträchtigen.44 Pioniere der Gasbeleuchtung sind nebst den Fabriken auch die Hotels. 1841 lässt Bern das erste öffentliche Gaswerk der Schweiz errichten – mit Kohle aus kantonalen Bergwerken am Niederhorn! Es folgen Genf, Basel, Lausanne und 1856 Zürich. Dort entsteht sechs Kilometer limmatabwärts vom Stadtzentrum 1896 das grösste Gaswerk der Schweiz mit Gleisanschluss und Arbeitersiedlungen. Mit 13 Rangier- und Abstellgleisen betreibt das Gaswerk Schlieren die umfangreichste konzentrierte Werkbahnanlage des Landes. Erzeugt wird nicht nur Stadtgas, sondern auch Koks für die Industrie. Zum witterungsgeschützten Lagern von Koks übernimmt die Stadt Zürich die «Halle des machines» von der zweiten Schweizer Landesausstellung in Genf.45


Die Bahn von Chavornay nach Orbe ist 1894 die erste elektrifizierte Normalspurbahn der Schweiz.

Foto H. P. Bärtschi 1967.

In der Privatbahnzeit bleibt importierte Kohle die dominierende Energiequelle. Kohle aus Deutschland und Frankreich ist für die Bahnen das wichtigste Transportgut. Entsprechend wichtig sind Kohle- und Brikettlager zur Überbrückung von Lieferungsengpässen. Bei den Dampflokomotiven verbessern die Hersteller die Energieeffizienz durch Dampf-Überhitzung und doppelte Dampfentspannung. Bis in die 1910er-Jahre führt die Abhängigkeit von ausländischer Kohle zu keinen gravierenden wirtschaftspolitischen Problemen. Dann allerdings hat die Versechsfachung des Preises von Importkohle im Ersten Weltkrieg schwerwiegende Folgen für die ganze Wirtschaft.

Frühe Elektrifizierung

In den Abschnitten über Bergbahnen und Tramstädte ist bereits darauf hingewiesen worden, dass Berg- und Strassenbahnen zu den frühen Anwendern von elektrischer Energie gehören. Die elektrische Energieversorgung benötigt Kraftwerke, Werke für die Stromübertragung, Kraftübertragungsleitungen und Anwendungseinrichtungen. Die Schweiz wird in diesem neuen Investitionsfeld eine Pioniernation. 1884 lieferte ein erstes Kraftwerk in der Schweiz Strom über grössere Distanzen: das Werk Biel-Bözingen. In Meiringen und Luzern gehen frühe Elektrizitätswerke ab 1889 ans Netz. 1896 können gleich drei Kraftwerke mit neuen Leistungsdimensionen eingeweiht werden: An der Aare die Laufkraftwerke Wynau und Ruppoldingen46 und an der Rhone bei Genf das Werk Chèvres.47 1897 ist das bisher grösste Wasserkraftwerk, Rheinfelden, mit deutscher und schweizerischer Konzession vollendet.48 Zu den frühesten Grossanlagen gehören auch diejenigen der «Bernischen Kraftwerke» BKW, die während der Aarekorrektion zum Schutz vor Überschwemmungen geplant werden: 1899 und 1900 gehen die Kraftwerke Spiez und Hagneck ans Netz.49 Das für die Zeit seiner Entstehung grosse Kraftwerk Beznau kommt zustande, weil die 1891 gegründete BBC den Absatz für ihre Maschinen vergrössern will. Sie gründet zu diesem Zweck 1895 in Baden die AG Motor, die spätere Motor-Columbus. Die AG Motor realisiert bis 1902 das erste grosse Verbundnetz der Schweiz. Die Inselnetze der zahlreichen kleineren Kraftwerke müssen verbunden werden, damit entfernte Abnehmer mit Strom beliefert werden können. Strom muss bekanntlich im Augenblick seiner Erzeugung verbraucht werden, da seine Speicherung in Batterien und anderen Energieträgern nicht wirtschaftlich ist. Die AG Motor stellt sich der Herausforderung und baut gleichzeitig das Flusslaufkraftwerk Beznau und das Speicherkraftwerk Löntsch mit dem höher gestauten Klöntalersee in den Glarner Alpen. Zwischen den Kraftwerken spannt die AG Motor Hochspannungsleitungen. In Hauptabnahmeorten wie Winterthur transformieren Umformerwerke und Trafohäuschen den Strom auf Mittel- und Industriespannung hinunter. Die AG Motor verbindet und verteilt so die Dauerleistung von 8000 PS aus Beznau mit der Spitzendeckungsleistung von 24 000 PS aus dem Kraftwerk Löntsch.


Für grosse Leistungen im Zugsbetrieb mit Steigungen genügen die 600 Volt Spannung des Gleichstromsystems nicht. Die Brown Boveri Company in Baden fördert 1899 das Drehstromsystem mit Grossmotor-Lokomotiven für die Burgdorf—Thun-Bahn.

H. P. Bärtschi im Verkehrshaus Luzern 1997.

Bereits in der Belle Epoque um 1900 ist absehbar, dass sich die Elektrizität zur «allmächtigen Zauberin unserer Zeit» entwickeln würde, dass alles von ihr abhängig werden würde.50 Ebenso bekannt ist, dass nichts – weder Kohle noch Öl oder Gas – so plötzlich versiegen kann wie Strom. So baut das Elektrizitätswerk der Stadt Zürich eine erste bedeutende eigene Stromversorgung auf, mit Flusskraftwerken an der Limmat und Speicherkraftwerken im Bündnerland. Dort fördert auch die Elektromaschinenfabrik Alioth mit Basler Kapital den Kraftwerkbau. Ein weiteres Absatzgebiet für die junge Elektroindustrie ist der Bau von Lokomotiven und Triebwagen, an dem sich auch die Maschinenfabrik Oerlikon und die Pionierfirma Sécheron aus Genf beteiligen.51 Bis zum Ersten Weltkrieg erstellen zehn Nebenbahnen eigene Wasserkraftwerke, 55 Betriebe speisen ihre Triebfahrzeuge mit Gleichstrom direkt oder durch Umformung von den im Aufbau begriffenen Elektrizitätswerken.

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