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a. Der Tod in der Ferne

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1.

Kosmos ist bei vormodernen Gesellschaften immer der von ihnen bewohnte und genutzte Raun. Altindisch loka meint ursprünglich die vom Menschen in den Wald geschlagene ‘Licht’-ung, dann ‘Welt’. Russisch mir bedeutet noch heute ‘Frieden’ und ‘Welt’, was ursprünglich die Welt auf den Bereich reduziert, in dem Frieden herrscht: die vormoderne Lager- und Dorfgemeinschaft. Außerhalb dräut in konzentrischen Kreisen von zunehmender Dichte Fremde, tödliche Un-Welt (sog. ‘duales Zwei-Sphären-System’ traditioneller Gesellschaften). In ihr hausen wilde Tiere (‘Wald’!), dämonische Wesen – und wenn Menschen, dann Barbaren mit verdrehten Sitten und unverständlicher Sprache, eigentlich gar keine ‘Menschen’, denn die ‘leben’ nur in der eigenen Binnensphäre, in der Mitte (althochdeutsch mitti-gart: Welt8). Nur wer der Binnenwelt angehört, ‘lebt’, sei er physisch lebendig oder ein seliger Toter. In der Exosphäre, draußen, ‘lebt’ man nicht, sei man physisch lebendig oder tot: In beiden Fällen ist man – immer aus binnensphärischer Perspektive – ‘tot’, ein a-kosmischer, unseliger Toter (I. 2.). Jedenfalls ist man aus dem Lebensbereich der eigenen Gemeinschaft gefallen und hat an ihr auch als Toter keinen Anteil mehr. Wird bei den sibirischen Tschuktschen (einem der sog. kleinen Völker des Nordens, wie die Ethnologen sagen) ein Jäger auf einer Eisscholle abgetrieben und kehrt bis zur Ankunft des Packeises mit Winterbeginn nicht zurück, so müssen für ihn Begräbniszeremonien abgehalten werden, seine Frau wird Witwe und wieder verheiratet. Überlebt der Verschollene und findet hernach wider Erwarten zur Siedlung zurück, dann hat ihn sein nächster Verwandter umzubringen, ihn und jede und jeden, die mit ihm freundschaftlich umgehen sollten (etwa seine ‘Witwe’, die ihn wiedererkannt hat). Denn für seine Gemeinschaft gilt er (I.) als wiederkehrender Toter: als fellbewachsenes, unmenschliches Ungeheuer, als ein Teryky – so die gleichnamige Erzählung von Juri Rytchëu, selber ein Tschuktsche. Nicht nur ist der in der Fremde Umgekommene mit dem Miasma der Un-Welt infiziert, meist fehlt ihm – zumal, wenn er sich in der ‘Wildnis’ verirrte – ein Grab. Unbegrabene, das ist universell verbreitete Überzeugung, können nicht (oder nur unter erschwerten Umständen) in die jenseitige Anderwelt eingehen. Und selbst wenn der in der Ferne Umgekommene mitleidige (oder vorsichtige!) Barbaren fand, die seinen Leichnam beisetzten, so ist die Art, wie Barbaren mit ihren verdrehten Sitten ihre Toten behandeln, nicht die heimische, und diese allein, weil einzig korrekt, hätte den Zutritt in die heimische Totenwelt und damit in die heimische Gemeinschaft der Lebenden und der Toten eröffnet. Gelegentlich machen sich einem Reisenden in der Fremde tote Landsleute bemerkbar. So passierte es (laut Bericht seines antiken Biographen Philostrat) dem neupythagoreischen Guru und Zeitgenossen Jesu, Apollonios v. Tyana, auf seinem ‘Indientrip’. Beim Durchzug durch parthisches Gebiet erreichte den hochsensitiven Weisen ein Traumbild: Von den Persern nach Medien deportierte und dort begrabene ‘Volksgenossen’ flehen ihn an, sich ihrer Grabstätten anzunehmen. Der Weise ändert daraufhin seine Route, findet die Gräber, stellt sie wieder her, fasst sie neu ein, gießt Trankopfer aus und legt Grabspenden nieder, wie es der ‘einheimische’, griechische Brauch vorsah (hopósa nómima). Dann zieht er fürbass. Wo es die Umstände erlauben, ist eine Gemeinschaft darauf bedacht, in der Fremde Verstorbene in den heimischen Sippenfriedhof zu überführen. Ist das unmöglich, errichtet sie ein Leergrab (Kenotaph) mit seinem Namen. So lebt er, unvergessen, in der Gemeinschaft weiter (A., Abs. 1).

2.

Dem Tod in der Fremde kommt der Tod im fremden Element gleich. Denn falls das Element die Leiche nicht ländet, bedeutet Ertrinken Umkommen ohne ordentliche Bestattung. Und das führt zu bösartiger Wiedergängerei; die unbestatteten Ertrunkenen gehen um und drangsalieren ihre Hinterbliebenen. An der Goldküste glaubt man, die Seelen von Ertrunkenen würden im Seelenland ‘Sramanadzi’ trauern und sich an den Angehörigen für ihr fehlendes Begräbnis rächen. Es sei denn, man verfertigt für den in den Wellen Umgekommenen einen kleinen Sarg, gefüllt mit persönlichem Besitztum des Betroffenen (also ‘Kontaktgegenständen’, die ihn selbst vertreten), den man mit den gewöhnlichen Bestattungsriten beerdigt. Damit ist dem Toten, dessen Leichnam unauffindbar blieb, ein Ruheplatz im Schoße der Gemeinschaft garantiert, an dem seine Seele (wenn schon nicht der Körper) jederzeit einkehren kann. In Ägypten gilt Ertrinken, gegen die allgemeine ‘Regel’, als ein seliges Todeslos. Der Ertrunkene heißt von den Göttern ‘gepriesen’, bezeichnet mit einem altägyptischen Wort (hsy), das die Griechen in Grabschrift und Papyrus mit hesies transkribierten. Der Grund für diese ägyptische ‘Spezialität’ ist der, dass Ertrunkene mit dem Erdgott Osiris identifiziert wurden, der ertrinken muss (Nilschwemme), um zu neuem Leben (wachsende Saat) wiederaufzuerstehen.

Der Tod in der Welt der Religionen

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