Читать книгу Der Tod in der Welt der Religionen - Hans-Peter Hasenfratz - Страница 14

d. Der Vampir

Оглавление

1.

Obwohl der Vampirglaube auch in anderen Kulturen ‘floriert’, beschränkt sich unsere Darstellung auf das ‘heimische’ Territorium. Hier hat er eine steile Karriere zu verzeichnen. Räumlich-zeitlich jedenfalls, künstlerisch mit Vorbehalten: von südosteuropäischer Folklore, orthodoxer ‘Seelsorge’ und Kirchenzucht über die romantische ‘Gothic Novel’ in die neuere Literatur, in den Film und die modernen elektronischen Medien. Für den schönsten Vampir-Roman hält der Verfasser Stephen Kings Salem’s Lot, für den schönsten Vampir-Film Polanskis Fearless Vampire Killers (Tanz der Vampire). Schweigen möchte er von den epigonalen Grusel-Elaboraten, die dem Fernsehkonsumenten so manchen Samstagabend veröden. Oder die er sich mit gleichem Resultat per Klick ‘runterlädt’. Genug davon!

Der Vampir ist der unselige Tote, der Un-Tote, der Wiedergänger par excellence. Seine ‘Un-Natur’– die Art seiner Entstehung durch Tod ohne (ordentliche) Bestattung, vor der Zeit, infolge von Gewalt; seine wiedergängerischen Un-Taten; die Möglichkeiten, sich vor ihm zu schützen, ihn zu immobilisieren, zu annihilieren, von seinem akosmischen Nicht-Dasein zu ‘erlösen’– teilt er mit allen unseligen Toten. Aber dazu kommt ein ‘Surplus’, das ihn von diesen unterscheidet, weshalb er hier vorgeführt wird; auch deshalb, weil sich an ihm (abzüglich dieses Surplus) wiedergängerisches Un-Wesen ohne ermüdende Wiederholung besonders deutlich erschließt. Ein Vampir ist ein Leichnam, der die Fähigkeit besitzt, (nachts) sein Grab zu verlassen oder seine ‘Seele’ aus dem im Grab liegenden Körper ausfahren zu lassen, um Lebenden Blut (Lebens-, Seelensubstanz: III. A. 2., Abs. 2) auszusaugen, die daran sterben und ihrerseits zu Vampiren werden und nach fremdem Blut ausgehen müssen. Der Vampir, der oder dessen Seele das Grab verlässt, erscheint den Lebenden als ‘lebender Leichnam’ (III. A. 3.). Als ‘Geister’ (A., Abs. 1) vermögen Vampire jede beliebige Gestalt (z. B. Wolf, Heuschober) anzunehmen, auf paranormale Art den Ort zu verändern (plötzliches Verschwinden, Auftauchen), zeigen sie kein Spiegelbild (das Spiegelbild weist Lebenden die eigene Seele als ‘Spiegelseele’16 – nicht aber ‘entseelten’ Toten). Gräbt man sie aus, präsentiert sich ihr Körper unverwest, glatthäutig und blutstrotzend (bis aufgebläht): Das fremde Blut verleiht ihnen eine Art Un-Leben. Ihrer Un-Taten sind viele. Abgesehen vom Blutsaugen verprügeln sie Menschen, hocken ihnen auf, erschrecken sie als Poltergeister, klopfen nachts an Türen und rufen einen Bewohner mit Namen – antwortet dieser, so stirbt er ebenfalls, denn mit dem Namen haben sie ihn selbst in ihrer Gewalt (A., Abs. 1). Besonders gern holen sie Familienangehörige aus per-versem Wunsch nach ‘Schicksalsgemeinschaft’ in ihren vampirischen Un-Tod nach und beschlafen ihre (aber auch fremde) Ehefrauen (sexuelle Potenz wird den Toten in vielen Kulturen zugetraut).

Wer wird ein Vampir? Natürlich jeder Vampirisierte, also von einem Vampir Angezapfte. Dann praktisch alle Kandidaten, welche die Voraussetzungen für einen unseligen Tod erfüllen (s. o.). Dann durch vampirische ‘Ansteckung’: wer Fleisch eines Tieres isst, das ein Vampir gerissen hat. Dann durch eine Art vampirischer ‘Besitzergreifung’, über wessen Leiche eine Katze (Tier, in das ein Vampir sich verwandeln kann) springt. Dann, wer außerhalb der binnenweltlichen Normensphäre steht, nämlich jeder Ungetaufte (nicht orthodoxe Christ), jeder Türke (als ‘Erbfeind’), jeder Apostat (vom orthodoxen Glauben Abgefallene), jeder Exkommunizierte (von der orthodoxen kirchlichen Normengemeinschaft Ausgeschlossene). Damit sind wir in binnenperspektivische Endosphären-Optik (vgl. B. a. 1.) der griechisch-orthodoxen Kirche unter türkischer ‘Fremdherrschaft’ eingetreten – nur um das Folgende besser zu verstehen.

2.

Vampir wird nämlich auch, wer unter dem Fluch seiner Eltern stirbt; wer seiner ‘Gevatterin’ beiwohnt; die von zwei Unehelichen unehelich Gezeugten; Kinder, die an einem großen kirchlichen Feiertag empfangen oder geboren wurden. Das sind ‘Vergehen’ aus dem ostkirchlichen Nomokanon. Unter türkischer Obrigkeit hatten Christen zwar die Möglichkeit, ihre ‘inneren Angelegenheiten’ selbst zu regeln. Aber nicht, sie auch mit staatlicher Gewalt durchzusetzen, da türkische (muslimische) Gerichte sich dafür nicht zuständig erklärten. Hier konnte die volkstümliche Furcht, ein Vampir zu werden, in die Lücke verweigerter staatlicher Rechtshilfe einspringen; und die Kirche hat diese Furcht für ihre Disziplinargewalt instrumentalisiert. Die kirchliche Bannformel drohte dem Betroffenen an, nach seinem Tod nicht verwesen zu können – also ein Vampir zu werden: „Mögest du nach dem Tod ewig unverweslich sein wie Gestein und Eisen!“ Löste der Priester den Fluch, weil kirchenrechtliche Gründe für eine Rücknahme sprachen oder weil Angehörige ausstehende zivilrechtliche Verpflichtungen oder Auflagen, die der Verstorbene zu Lebzeiten nicht mehr erfüllen konnte, stellvertretend für ihn übernahmen oder weil sich eine Verfluchung durch die Eltern (s. o.) als zu Unrecht ausgestoßen herausstellte; dann begann der lebende Leichnam zu zerfallen und sich aufzulösen – als Zeichen der ‘Erlösung’ des Vampirs und der Wiederaufnahme in den Normenkosmos der Gemeinschaft.

Wo Vampire nicht erlöst werden konnten (weil keine kirchliche Veranlassung dazu bestand), musste man sich ihrer erwehren. Dazu diente grundsätzlich das auch bei anderen Unseligen empfohlene Instrumentarium, das, gehörig ‘verdünnt’, zugleich die Anhänglichkeit Seliger abblockt. Erwähnt wird ferner Begräbnis auf einem Eiland im Meer (Wasser und Salz sind bewährte Antidämonika: Salzwasser ist unüberwindbare Barriere für alle Dämonen). Gegen vampirische Heimsuchungen schützt Knoblauch, schon im Alten Ägypten wirksam gegen die ‘Bewohner der Unterwelt’ (ntjw jm). Oder ein magischer Schutzkreis, den man rechtswendig (Sonnen- und Lebensrichtung) um sich zieht. Wo man den Vampir als Ausgeburt der Hölle betrachtet, wirkt Weihwasser oder Kreuz (das ‘Bannkreuz’17). Ein schon Vampirisierter, aber noch Lebender kann dann gesunden, wenn er Erde vom Grab eines Vampirs isst oder Vampirblut trinkt – nach dem magischen Grundsatz, dass dieselbe Sache heilt, die verletzt (sanat, quae sauciat ipsa). Aus der Welt geschafft ist das Übel dadurch freilich nicht. Das gelingt einzig, wenn man es nicht nur immobilisiert oder bannt, sondern total annihiliert: Man sticht dem (am Tag durch Licht immobilisierten) exhumierten Ungeheuer den Kopf ab und legt ihn ihm zwischen die Beine (c. 2., Abs. 2), treibt ihm einen Pfahl durchs Herz und verbrennt ihn gänzlich zu Asche (aber erst, wenn der Herzstich wirklich vorgenommen wurde). Dass bei der Pfählung auf Draculas Antlitz ein flüchtiger ‘look of peace’ aufleuchtet, der auf Erlösung hindeuten würde, ist sicher literarische Fiktion Bram Stokers. Volksbrauch und Volksreligiosität sind hier wieder unversöhnlicher als die Hochreligion! Die prädestiniertesten und geschicktesten Vampirbekämpfer, glaubte man übrigens, seien Abkömmlinge von Kindern, die ein Vampir mit seiner lebenden Ehefrau (s. o.) gezeugt habe; schon rein ‘genetisch’ mit dem ‘Verhaltensrepertoire’ ihrer ‘Verwandtschaft’ am intimsten vertraut!

Der Tod in der Welt der Religionen

Подняться наверх