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Erster Hauptteil

Der Tod in der Welt der Religion

I. Der Tod als rituelles Phänomen

1.

Wie viele Mythen zu berichten wissen, gehört der Tod nicht wesenhaft zur Natur, vor allem des Menschen, und zur Schöpfung.

Gott hatte nämlich den ersten Menschen an einem Strick einen Stein und eine Banane vom Himmel herabgelassen. Anstelle des Steins, der ihnen Unvergänglichkeit gebracht hätte, griffen sie die Banane, womit ihr Schicksal, wie diese zu entstehen, zu reifen und zu vergehen, besiegelt war.

Oder: Anfangs starben die Menschen nicht. Gott hatte den Tod nämlich in einen Topf eingeschlossen und der trägen Kröte zur Verwahrung gegeben. Doch dann begegnete die Kröte einem munter hüpfenden Frosch, der sich anerbot, ihr den Topf abzunehmen. Leichtfüßig und -sinnig sprang er mit seiner Last davon; der Topf zerbrach – und so kam der Tod in die Welt.1

Oder (Indien; siehe Kapitel V. D. a. 2., Abs. 1): Die ersten Menschen waren ein Zwillingspaar und unsterblich. Der Bruder, des ewigen Lebens überdrüssig, zog aus nach Süden und entdeckte als Erster das Totenreich, starb und wurde zum ersten Sterblichen. Seine Zwillingsschwester überredete ihn zum Inzest, damit das Leben auf Erden weitergehe. Daraus entstand das Geschlecht der Sterblichen, die auf Erden leben und alle ihrem Urahn ins Totenreich, wo er als König und Totengott regiert, nachfolgen müssen.

Oder (Iran; siehe III. B. 4.): Der gute Gott hatte die Schöpfung ursprünglich immateriell geschaffen. Damit war sie zwar unsterblich, aber unvollkommen, ihr fehlte die Körperlichkeit. Also verlieh er ihr zusätzlich körperliche Beschaffenheit. Damit war sie zwar vollkommen, aber störanfällig geworden; denn nun konnte sie vom Widersacher des guten Gottes, dem bösen Gott, angefallen und verdorben werden. Seitdem ist sie der Schwäche, der Krankheit, dem Tod unterworfen.

Oder: Das erste Menschenpaar, unsterblich von Gott geplant, übertrat ein göttliches Gebot. Dafür büßt es zur Strafe das ewige Leben ein (Adam und Eva).

Oder: Der gute Vater des Lichts war – zufällig – vom Fürsten der Finsternis erblickt worden. Der wollte sich das Licht aneignen, was ihm teilweise gelang. Aus diesem Grund schuf der Vater des Lichts den Menschen, um in dessen sterblichem Leib die verlorenen Lichtteile einzuschließen und zurückzuerobern. Wenn sich das eingeschlossene Licht seines Ursprungs bewusst wird (Gnosis!), kann es sich vom sterblichen Körper nach dessen Tod lösen und ins Reich des Lichts aufsteigen, um so der göttlichen Lichtfülle wieder zugeführt zu werden.

2.

Ist schon der Tod als kollektives Geschick aller Menschen vom Schöpfer eigentlich nicht gewollt, nicht ‘natürlich’, so steht erst recht jeder individuelle Todesfall unter dem Generalverdacht, ‘nicht natürlich’ zu sein: Hexerei konnte die Ursache sein, heimliche Feindschaft, Missgunst, Neid; aber auch verborgene Übertretungen des Verstorbenen selbst, Meineid, gebrochenes Versprechen, Inzest, rituelle Vergehen (Fällen heiliger Bäume, Trinken aus einem heiligen See). Manche Gemeinschaften unterzogen den Toten einem Befragungsritual, um hierüber Klarheit zu erlangen.2 Und selbst wo diese Klarheit ausblieb (wie meistens) und der Tod in unserem Sinne ein ‘natürlicher’ war, ist es nicht der biologische Tatbestand, der den Tod qualifiziert und markiert, sondern die gesellschaftliche Norm und ihr Ritual. Es konnte jemand, dessen Todesart gesellschaftskonform war (Tod im Schoße und Frieden mit der Gemeinschaft), rituell zum seligen Toten avancieren, jemand durch eine bestimmte Todesart, die nicht der gesellschaftlichen Norm entsprach (Tod in der Fremde, gewaltsamer, unzeitiger Tod), rituell zum unseligen Toten ‘mutieren’. Ja, es konnte sich jemand (durch ein Verbrechen) außerhalb der gesellschaftlichen Norm positionieren und deshalb bei Leibes Leben rituell für tot erklärt werden (sozialer Tod). Es konnte sogar ein Lebender sterben und neu geboren werden (als Myste, als Getaufter: Röm 6,3 ff.); ein (biologisch) Toter ein zweites Mal sterben, wenn er im göttlichen Gericht nicht bestand (‘zweiter Tod’ im Alten Ägypten, in der Apokalyptik: Apk 20,14). In allen Fällen konstituiert das entsprechende Ritual als Ausdruck der gesellschaftlichen (religiösen) Norm den Tod und den Totenstatus, nicht die Biologie an sich. So jedenfalls in vormodernen Gesellschaften.

Der Tod in der Welt der Religionen

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