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c. Der gewaltsame Tod

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1.

Im normalen Lebensaufriss hat der Tod nicht nur seinen richtigen Ort und seine richtige Zeit („alt und lebenssatt“ im Schoße der Gemeinschaft), auch die richtige Art und Weise. Und diese schließt gewaltsamen Tod a limine aus: Tod durch Unfall, Mord, Selbstmord, Hinrichtung usw. Wer eines gewaltsamen Todes stirbt, findet (lange) keine Grabesruhe. Die Seelen gewaltsam zu Tode Gekommener spuken an den Stätten des Geschehens, indem sie es unter Zwang wiederholen, gerade so, als ob sie das ‘traumatisierende Erlebnis’ ‘abreagieren’ müssten. Persönliche, subjektive ‘Schuld’ im ‘forensischen’ Sinn spielt beim gewaltsamen Tod nicht die Rolle, die wir uns wünschten. Dieser ist ein objektives Verhängnis über den Betroffenen und seine Gemeinschaft und lässt ihn erst einmal aus dieser Gemeinschaft herausfallen, die allerdings versuchen kann, ihn durch integrative Veranstaltungen zurückzuholen, zu ‘erlösen’ (vgl. a.). Günstigenfalls (z. B. wenn sie des Mörders habhaft wird) bestraft eine Gemeinschaft die Mordtat: durch Hinrichtung oder Ausstoßung des Täters. Aber diese berühren – als unseliger oder sozialer Tod (C.) – den Delinquenten, nicht hingegen den ‘unseligen’ Tod seines Opfers!

2.

Als die ‘interessantesten’ (weil von der Gemeinschaft mit extraordinärem rituellen Aufwand umgeben) fallen unter den Arten gewaltsamen Todes Selbstmord und Tod durch Hinrichtung auf. Nicht in allen Gesellschaften und unter allen Umständen gilt Selbstmord als Mord und damit als unseliger Tod. Für die indischen Jainas, die iranischen Manichäer und die europäischen Katharer war der freiwillige Tod (durch Verhungern) das Mittel, die Seele für immer vom Körper zu befreien und aus dem Kreislauf der Wiedergeburten zu erlösen. Und die Nordgermanen hielten dafür, dass Alte, die sich selbst töteten, um der Gemeinschaft nicht zur Last zu fallen (vgl. auch C. 2.), direkt zu Odin führen. Wer sich umbrachte, um nicht in Feindeshand zu geraten, wurde ohnehin vielerorts mehr als nationaler Märtyrer denn als Selbstmörder eingestuft. Anderswo (etwa bei den Völkern Indonesiens) wertete man Suizid als puren Wahnsinn, der nicht nur das Überleben der Gruppe, sondern auch den Täter selbst gefährdet. Selbstmörder lungern als gefürchtete Quälgeister am Grab umher, gelangen sie ins Jenseits, so steht dort ‘ihr Dorf’ „voller giftiger Pflanzen“. Im christlichen Kulturkreis setzte man seit dem Mittelalter Selbstmord dem Mord gleich, bestrafte ihn peinlich, indem man am Toten die Bestrafung vollzog, die dem lebenden Mörder zugedacht war. Ein ‘ehrliches’ Begräbnis im Kirchhof blieb ihm (meistens) verweigert. Das Rügische Landrecht (des Matth. Norman, 1525 – 31) bestimmte über Selbstmörder:

„Hängt sich einer innerhalb eines Hauses selbst auf, so haut man ihn los und gräbt (zur Abschreckung Anderer) ihn unter der Schwelle oder durch die Wand durch und bringt ihn so hinaus, lässt das Gericht über ihn sitzen und ihn besichtigen, bindet den Strick an eine Kufe mit einem Querholz und lässt ihn mit einem Pferde zum nächsten Kreuzweg hinschleppen, wo sich zwei oder drei Feldmarken scheiden, und gräbt ihn in den Grund und Boden der Herrschaft ein, unter der er sich umgebracht hat; man legt ihm das Haupt dahin, wo die christlichen Toten ihre Füße liegen haben, lässt ihm aber den Strick, mit dem er sich erhängt hat, um den Hals, und ist der Strick nicht lang genug, so verlängert man ihn in der Erde, sodass ein Ende 3 Schuh lang über der Erde liegen bleiben kann zum Zeugnis des begangenen Selbstmordes und zur Abschreckung.“

Das Ausschaffen der Leiche unter der Schwelle oder durch die ausgebrochene Hauswand hindurch verbaut dem Toten die Rückkehr (als Wiedergänger), denn diese Öffnungen werden hinter ihm sofort zugeschüttet und vermacht (A.). Normale Bestattungen waren bis in die Neuzeit hinein ‘geostet’: Die Leiche lag in West-Ost-Richtung mit dem Kopf im Westen (Todesrichtung) und Blick nach Osten (Lebensrichtung), schaute also gewissermaßen aus dem Reich des Todes auf die selige Auferstehung. Vergräbt man den Selbstmörder umgekehrt mit dem Kopf nach Osten und Blickrichtung nach Westen, so raubt man ihm Ausblick und Hoffnung auf eine selige Auferstehung: Er schaut geradewegs in den ewigen Tod. Das ist totale Ausstoßung aus dem Leben der Gemeinschaft.12 An Kreuzwegen endeten früher oft die Grundstücke, da die Wege häufig längs der Grundstücksgrenzen liefen. Kreuzwege sind, so gesehen, ‘Niemandsland’; wer dahin gebracht wird, ist rituell ‘ex-terminiert’. Das Verscharren an der Grenze zum Niemandsland, aber noch auf dem Territorium der „Herrschaft“, „unter der er sich umgebracht hat“, und das mahnend dem Grab entragende Strickende treffen auch die Herrschaft selber und geben ihr wenigstens symbolisch Anteil am unseligen Geschehen, das sich auf ihrem ‘Grund und Boden’ zugetragen hat (1.).

Die archaischen Hinrichtungsarten, wie sie noch die Carolina (die Peinliche Halsgerichtsordnung Kaiser Karls V. von 1532, also aus der frühen Neuzeit!) vorschreibt, wenn auch um einige „besonders scheußliche“ durch Nichterwähnung vermindert13, bezwecken die Ausstoßung des Delinquenten aus der Rechtsgemeinschaft durch totale Annihilation. Zugleich ‘spiegelt’ die Art der Bestrafung oft die Art des Verbrechens (‘spiegelnde Strafen’): Der ‘windige’ Dieb stirbt am luftigen Galgen; der Sexualdelinquent durch den ‘phallischen Pfahl’; Ketzer und Hexen im ‘höllischen Brand’, dessen ‘Fürsten’ sie sich verschrieben; die Kindsmörderin, lebendig begraben, im ‘feuchten Schoss der Mutter Erde’; der Majestätsverbrecher mit ‘gebrochenen’ Gliedern am Rad als Sonnen- und ‘Herrschaftssymbol’. Zumindest aber verhindern sie für die Lebenden schädliche Wiedergängerei des Bestraften: getrennte Kopfbestattung (der Rumpf beim Schafott verscharrt, der Kopf noch 1846 an die Landeshauptstadt gesandt) oder ‘umgekehrtes’ Beisetzen (mit Kopf zwischen den Beinen) des Enthaupteten14. Die durch potentielle Wiedergängerei des Malefikanten (des Straftäters) am meisten Gefährdeten (Amtspersonen, Scharfrichter, Gaffer) bedürfen zusätzlichen Schutzes: die Armsünderglocke (Glockengeläut, überhaupt Lärm, verscheucht böse Geister und Tote), die Scharfrichtermaske oder das Verhüllen der Augen des Todeskandidaten (vereitelt, dass sich der Sterbende den Henker als Racheopfer ‘ersieht’ und in sein unseliges Totendasein ‘nachholt’). Bekundet der Täter auf seinem letzten Gang dem ihm beigegebenen ‘geistlichen Beistand’ Reue, so ist seine Seele gerettet, er stirbt mit der Gemeinschaft versöhnt. Sein Leib bleibt der Strafe verfallen, aber, was er hier erleidet, ist ihm im Fegefeuer erspart. Denn es gilt der Grundsatz „vel in hoc saeculo, vel in futuro in purgatorio“15: Dem reuigen Sünder sind die ewigen Höllenstrafen erlassen, zeitliche hat er ‘hier’ abzubüßen (oder abzulösen) durch die Pein der Exekution – oder ‘dort’ im Fegefeuer zu erleiden. So jedenfalls nach dem ‘alten Glauben’. Ohne Fegefeuer ‘trickste’ es der protestantische hin: Die Sünden sind zwar vergeben, aber die ‘irdische Gerechtigkeit’ muss ihren Lauf nehmen. Im Fall der Reue stand einem ehrlichen Begräbnis auf dem Kirchhof eigentlich nichts mehr im Wege. Der Volksglaube, unbeleckt von Theologie (und Juristerei), neigte dazu, in jedem Hingerichteten einen unseligen Toten und Wiedergänger zu sehen, dessen man sich besser zu erwehren hätte. Das galt auch für Selbstmörder; mochten bischöfliche Behörden eine Beisetzung in geweihter Erde auch zulassen, weil etwa der Suizidant kurz vor dem Freitod die Sakramente empfangen oder zu Lebzeiten an kirchlichen Riten teilgenommen hatte.

Der Tod in der Welt der Religionen

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