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b. Der unzeitige Tod

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1.

„Die Seele, der im Leben ihr göttlich Recht

Nicht ward, sie ruht auch drunten im Orkus nicht;

Doch ist mir einst das Heil’ge, das am

Herzen mir liegt, das Gedicht, gelungen:

Willkommen dann, o Stille der Schattenwelt!

Zufrieden bin ich, wenn auch mein Saitenspiel

Mich nicht hinabgeleitet; einmal

Lebt’ ich wie Götter, und mehr bedarf’s nicht.“

So singt Hölderlin in seinem Parzenlied; und Recht hat er. Der ‘normale’ Tod hat nicht nur seinen richtigen Ort (auf heimischem Boden, im Schoße der Gemeinschaft), sondern seine richtige Zeit („alt und lebenssatt“). Unzeitiger Tod hat immer etwas Beschwerendes. In den Betroffenen hinterlässt er Neid gegenüber den Lebenden, die ihr ‘Lebenssoll’ erfüllen dürfen, aber auch Schuldgefühle, die eigenen ‘Lebensaufgaben’ nicht erfüllt haben zu können – Gefühle, die in Lebensgier und Hass umschlagen und auf perverse, d. h. für die Lebenden verderbliche, Weise ‘nachzuholen’ zwingen, was das normale Leben vorenthielt. Das erträglichste postmortale Los für unzeitig Verstorbene ist noch dies, dass sie mit dem ‘Guottisheer’ (der gespenstischen Nachtschar der Toten) so lange umzufahren hätten, bis ihr ‘natürliches’ Sterbealter erreicht wäre. Der Luzerner Stadtschreiber Renward Cysat (gest. 1614) gibt diesen Volksglauben seiner Zeit so wieder, dass die Seelen der Menschen, die „vor der rechten zyt vnd stund“ verscheiden, so viel Zeit nach ihrem Tod auf Erden „also“ (mit der gespenstischen Nachtschar) wandeln müssten, „bis sy dieselbige stund nachmalen erreichtend“.

2.

Bräute, die vor der Hochzeit gestorben sind, pervertieren (wenn man sie nicht ‘ersatzbefriedigt’: A., Abs. 1) zu gespenstischen, unersättlichen Ungeheuern. Einem slawischen volkstümlichen Prototyp, der Willi (vgl. tschechisch víla: Fee, Nixe), hat Heinrich Heine zu künstlerischem Nachruhm verholfen. Die Willis sind vor ihrer Hochzeit verstorbene Bräute. Sie können im Grab nicht ruhig liegen; in ihrem toten Herzen, ihren toten Füßen lebt noch jene Lebens- und Tanzlust, „die sie im Leben nicht befriedigen konnten“. Um Mitternacht entsteigen sie ihren Gräbern, versammeln sich an den Heerstraßen. Und wehe dem jungen Mann, der ihnen da in die Hände fällt! Sie umschlingen ihn mit ungezügelter Gier, und er muss mit ihnen tanzen, bis er entseelt hinstürzt. Die erotische Unersättlichkeit der ‘unbefriedigten’ Bräute ist hier zu verderblicher Tanzwut ‘verschoben’. Der symbolische Zusammenhang zwischen Tanzen und Geschlechtsverkehr ist der Psychoanalyse bekannt: Das eine kann im psychischen Geschehen (etwa im Traum) für das andere stehen. Den Zusammenhang ‘ahnte’ natürlich schon vor Freud Adolphe Adam, der in seiner Giselle die tanzwütige Schicksalsgemeinschaft der Gespensterbräute als erotisierendes Corps de Ballet agieren lässt.9

3.

Zu zwei Gattungen unzeitig Verstorbener verhält sich die Gemeinschaft ambivalent: zur Wöchnerin, die an der Geburt stirbt, und zum Soldaten, der im Kampf fällt. Beide lassen ihr Leben vorzeitig (der Krieger zusätzlich noch durch Gewalteinwirkung), erleiden also einen schlimmen Tod – aber in Wahrnehmung einer für das Überleben der Gemeinschaft kardinalen Funktion: Reproduktion und Schutz. Bei den Eskimos und Azteken rangieren sie deshalb unter den vornehmsten Toten und gelangen an einen privilegierten Ort im Jenseits. Im germanischen Bereich heftete man die Leichen von Mutter und Kind in ihrem gemeinsamen Grab mit einem Pfahl an die Erde (vom sog. Deutschen Bußbuch um 1000 als teuflische Praxis mit Kirchenbuße belegter Volksbrauch). Andererseits zieht man der toten Wöchnerin solides Schuhwerk an, ansonsten müsste sie ja „barfuß zu ihrem Kindlein kommen“, um es zu „geschweigen“ (so der Glaube im luzernischen Napfgebiet). Auf ehemaligen Schlachtfeldern ist es nicht ‘geheuer’. Hier müssen die Gefallenen nächtlicherweise oder am Jahrestag der Schlacht ihren Tod zwanghaft wiederholen (‘Geisterschlacht’). Andererseits tun die Regisseure der Macht und ihre gefügigen Handlanger alles, den schlimmen Tod des Soldaten zu verklären. Davon zeugen Gefallenendenkmale und Ehrentafeln in christlichen Kirchen.10 Bei Walter Flex wird gar der ‘Opfertod’ auf dem ‘Feld der Ehre’ zum „großen Abendmahl“:

„Zum Altar ward das Feld der Völkerschlacht.

Aus deutschem Blut ist Christi Wein bereitet,

und in dem Blut der Reinsten wirkt die Macht

des Herrn, der durch die heil’ge Wandlung schreitet!“11

Und wer (außer er sei ‘Germane’) wollte schon das postmortale Dasein der kampftoten germanischen Helden teilen, die im eddischen Walhall (der ‘Halle der Gefallenen’) ihre (öden!) Jenseitstage in mythischem Wiederholungszwang mit unaufhörlichen Einzelkämpfen durchbringen und, wenn dabei gefallen, immer unversehrt wieder aufstehen!?

Der Tod in der Welt der Religionen

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