Читать книгу Scurrilitas - Hans Rudolf Velten - Страница 45
Scurrilitas, turpiloquium, stultiloquium
ОглавлениеIn Anlehnung an den Epheserbrief erscheint scurrilitas meist gemeinsam mit turpiloquium und stultiloquium.79 Mit turpiloquium, das die Stelle der biblischen turpitudo einnimmt, werden vulgäre, obszöne, laszive, schamlose, und unreine Worte bezeichnet. Dabei ist es nicht die Stimme als Träger der Worte sündhaft, sondern das, was die Worte bezeichnen. So würde etwa vom Inzest oder von Sodomie zu sprechen als turpiloquium angesehen, und diese Rede ist deshalb sündhaft, weil sie ihre Sprecher und Hörer befleckt, korrumpiert, besudelt und entehrt. Die Sündhaftigkeit beschränkt sich jedoch nicht nur auf das Wort, wie wir oben gesehen haben: sie oszilliert zwischen Geist/Denken, Sprache/Wort und Körper/Handlung. Es ist von einem fließenden Übergang vom sündhaften Gedanken auf das sündhafte Wort, und vom Wort auf die sündhafte Handlung auszugehen. Das Wort macht nicht nur die innere Schamlosigkeit (turpitudo) im Denken offenbar und verstärkt sie, sondern hat eine regelrechte Handlungsfunktion inne, indem es die Schändlichkeiten in Sprechakten benennt und sie in Realtität und somit in Handlungen verwandelt.80 Das ist grundlegend performativ gedacht: welche Zungensünden auch immer behandelt werden, das Aussprechen schließt das Denken und das tatsächliche Handeln immer mit ein, es ist wirklichkeitskonstituierend.81 Der Handlungscharakter der Sprache und der Symbolcharakter von Handlungen sind hier evident; so kann turpiloquium die Schamschwelle überschreiten und den Weg für „schmutzige“ Werke und Handlungen bereiten. Schon Isidor hatte einen starken Bezug zwischen dem libenter audire und dem facile agere hergestellt: lose und schmutzige Worte haben die Kraft, an verbotene Begierden zu erinnern bzw. sie zu evozieren und an den Wunsch, diese zu erfüllen (Ägidius Romanus). Raoul Ardent beschreibt den Prozess des Übergangs von der Lust am Wort zur Tat selbst ausführlich. Kurz, die Transformation der sündhaften Worte in sündhafte Handlungen ist im gesamten Diskurs der Zungensünden insistent.82
Bei der scurrilitas wird die Verbindung von Wort und Handlung allein schon dadurch deutlich, dass Lachen ausgelöst wird: ganz gleich, ob mit Worten oder Handlungen, der wichtigste gemeinsame Bezugspunkt der verschiedenen semantischen Bereiche der scurrilitas ist ihre Wirkung, das Lachen. Und gerade dadurch erwirbt sie auch ihre spezifische Sündhaftigkeit. Durch den Nexus zum Lachen wird die semantische Einordnung deutlicher erkennbar; alle scholastischen Definitionen der scurrilitas halten sich an den Kommentar von Petrus Lombardus zu Eph. 5, 3–4,83 der seinerseits die Auslegung des Hieronymus wieder aufnimmt, in der der Begriff scurrilitas ein Synomym für die aus dem theatralen Kontext stammende iocularitas ist: „scurrilitas, quae a stultis curialitas dicitur, id est jocularitas quae solet risum movere.“ Bei Petrus nun verweisen die iocularitas und das Lachen eindeutig auf den Kontext der professionellen Unterhalter, der Schauspieler und Spielleute (ioculatores, mimi, histriones). Interessant ist die Bemerkung „quae a stultis curialitas dicitur“. Mit dem abschätzigen Begriff curialitas ist sehr wahrscheinlich der aristokratische höfische Lebensstil gemeint, dem Attribute wie Verworfenheit, Geldgier, Ehrgeiz und Lüge zugewiesen werden,84 und die dem Bereich des Närrischen (stultis) zugehören.
Während die paulinische Triade für Hieronymus noch im Zeichen des unstatthaften Lachens stand, hat sich das sündhafte Erregen von Lachen in der Scholastik auf die scurrilitas zurückgezogen, was sie von stultiloquium und turpiloquium, das mehr eine Spott- oder Hassrede bezeichnet, unterscheidet.85 Zur Provokation von Gelächter gehören Überlegung, Mühe und Vorbereitung, wie Petrus Lombardus und Raoul Ardent betonen. Welches Lachen ist hier nun gemeint? Wohl kaum der „risus modestus“ oder „risus iocundus“, Arten des Lachens, die Petrus Lombardus nicht völlig verdammen will. Eher doch ein unstatthaftes, wie in den monastischen Regeln beschriebenes lautes, den ganzen Körper erfassendes Lachen („cachinnus“), bei dem die Zähne zu sehen sind. Die Sündhaftigkeit der scurrilitas ergibt sich demnach aus ihrer Wirkung, nämlich unstattgemäßes, körperbetontes Lachen zu provozieren.
Um den Zusammenhang mit turpiloquium deutlich zu machen, setzen die meisten scholastischen Autoren, wie Casagrande/Vecchio herausarbeiten, die verba risum moventia mit den verba turpia gleich, indem sie turpiloquium und scurrilitas gemeinsam diskutieren. Schon Chrysostomos hatte diesen paulinischen Bezug betont: „Ubi est turpitudo, illic est etiam scurrilitas, ubi est risus importunus, illic est etiam scurrilitas.“86 Danach ist jede Art des Scherzes, auch der nicht-obszöne, als sündhaft einzuschätzen und der scurrilitas zugehörig. Die Abgrenzung zum dritten Begriff, dem stultiloquium, scheint leichter zu sein:87 dieses löst ebenso wie die scurrilitas Lachen aus, doch geht dieses nicht auf verba turpia zurück, sondern auf die närrische Rede des Unwissenden.
In den scholastischen Diskussionen und Bestimmungsversuchen fällt vor allem eines auf: Je stärker die Autoren die scurrilitas ausschließlich als Wortsünde behandeln, desto mehr kommen sie in Definitions- und Abgrenzungsschwierigkeiten zu den beiden anderen paulinischen Termini. Tatsächlich entstehen so zahllose theoretische Differenzierungskriterien zwischen den Begriffen, und eine einheitliche Linie ist kaum erkennbar. So wird in dem anonymen Traktat De Lingua mit Metaphern gearbeitet, die die Begriffe erläutern; die scurrilitas wird hier mit dem Gebaren der Affen verglichen: „isti scurre videntur esse simie diaboli, simia enim est animal turpe ac deforme, a rectore suo circumducitur ad cuius nutum et imperium ludit et homines ridere facit.“88 Das Bild des Affen als Symboltier der scurrilitas ist weit verbreitet.89 Weist dies wiederum auf zugrunde liegende Körperlichkeit hin, so wird die scholastische Diskussion der paulinischen Termini auch dadurch in ihrer Bedeutung eingeschränkt, dass sie nur zwei Zielgruppen hat, die beide anfällig für Zungensünden und weniger anfällig für Handlungssünden sind: die Mönche und die Prediger. Die Kommunikationszusammenhänge sind eindeutig: Mönche warnen Mönche, Prediger warnen Prediger, und sie sind alle Feinde des Lachens und seiner Träger, der Vaganten und Spielleute, der Goliarden und Possenreißer: „Si quis clericus aut monachus verba scurrilia, jocularia, risumque moventia loquitur, accerrime corripiatur.“90
Dass das Lachen (und seine verschiedenen Anlässe) bei den Klerikern des Mittelalters vor allem als Folge falschen und sündhaften Wortgebrauchs gesehen wurde, kommt nicht von ungefähr. Stehen doch Kleriker kaum im Verdacht, ihren Körper parodistisch zur Schau zu stellen oder außer Kontrolle geraten zu lassen. Im Gegenteil: die Körperkontrolle zählt zu den wichtigsten Elementen des klerikalen Habitus, und hier lauert kaum eine Sündengefahr, wenn nicht für entlaufene Mönche und Priester (Goliarden). Jedoch sind Kleriker Meister der Rede, und sie sind es immer mehr seit dem 12. Jahrhundert mit dem Ansteigen der Predigertätigkeit und dem Heraustreten des Klerus aus den Klöstern. Waren die Existenz von sprachlichen Normen und die Diskursregulierung bereits ein oberstes Gebot für jede Klerikergemeinschaft, wo sie ethischen und sozialen Regulierung im Innern der Gemeinschaft dienten,91 so wurden sie noch bedeutender in dem Moment, als die Predigerorden entstehen, die Beichte institutionalisiert wird und immer mehr Kleriker in den demographisch stark wachsenden Städten leben. Dies machte sozusagen eine Systematisierung und doktrinäre Kasuistik der Sprachsünden (custodia linguae) schon allein als ethisch-soziales Fundament und deontologisches Modell für die Predigerausbildung notwendig. Daher sind die Kleriker, sozusagen als soziale Kategorie, mit Sprachnormen und -transgressionen bestens vertraut. Jemand, der beruflich so sehr mit Sprache und mit der Pflege der Sprache zu tun hat, für den muss die Sprache in der Frage der Sündhaftigkeit eine große Rolle spielen. Denn mit und in der Sprache kann der Kleriker sündigen, er kann dies in der Predigt tun, beim Aussprechen der Sakramentsformeln, im sozialen Umgang im Kloster, bei der Beichte usw. Die Gelegenheiten zur Wortsünde sind groß, und dies ist der wichtigste Grund für ihre starke Regulierung.
Wenn die scurrilitas in den Kommentaren und Katalogen des 12. und 13. Jahrhunderts als Zungensünde geführt wird, so ist dies nicht nur der Anknüpfung an die sprachbestimmte Auslegung von Eph. 5,4 geschuldet, sondern auch der überragenden Bedeutung der Sprache im scholastischen System. Als zentraler Begriff für die Provokation von unstatthaftem Gelächter kann scurrilitas in der Scholastik nicht anders als sprachlich gedacht werden, auch wenn ihr Ausgangsnomen, scurra, und seine Herkunft aus dem theatral-körperlichen Bereich auch hier nicht ganz verdrängt werden kann.92 Doch durch die besondere, abstrakte Auffassung der Sprache als Sprechen und als performativer Sprechakt im scholastischen Diskurssystem, sind auch Denken und Handeln im Sprechen enthalten.93
Was durchgängig auffällt, ist die bereits bei Hieronymus für das effektive Auslösen von Lachen notwendige Kombination von Wort und Haltung bei der scurrilitas. Sie ist gewissermaßen eine Redeweise, die nur in Verbindung mit körperlichen Ausdrucksmitteln, also mit Mimik, Gestik und närrischen Possen funktioniert, und diese Ausdrucksmittel sind in an ihr immer schon beteiligt, und sei es an ihrer imaginären Qualität. Ihr komisch-groteskes Körpersubstrat ist bei Gelegenheiten der Feier, der Feste und des gemeinsamen Mahls, und hier vor allem an den Tafeln der Fürsten und Adligen (vgl. curialitas) besonders spürbar. Feiern und Feste sind für die Prediger Augenblicke der Unordnung, der Unübersichtlichkeit, wo die Sprache zum Instrument der Zweideutigkeit und der Intrige, aber auch der Beleidigung, des Streits und der Prügelei wird. Wenn man Gebärde und Sprache nicht klar voneinander trennen kann, dann ist die scurrilitas genau jenes Zwischen von Sprache und Körper, das die performative Komik konstituiert. Daher wurde sie auch im 12. und 13. Jahrhundert im Sinne der iocularitas immer mit dem Gaukler- und Schauspielerwesen verbunden. So etwa bei dem Dominikaner Guillaume Perrault, der rumor und murmur den Klerikern, mendacium den Kaufleuten, und scurrilitas den Gauklern zuweist. Sie ist – zusammen mit der adulatio – die Sünde der Spielleute schlechthin.94
Die Kategorisierung der scurrilitas als Zungensünde legt eine weitere Entwicklung in der christlichen Ethik offen: die Entwicklung nämlich, dass der Bereich des Lachens und seiner Auslöser, der Scherze, Witze und Possen, immer stärker sprachlich-gesellig und immer weniger körperlich-gestisch gedacht wird. Das entscheidende Diskurssystem der Scholastik ist die Sprache, die vor dem Körper die Oberhand behält und alle Lachanlässe auf sich zieht. Die schrift- und textfixierten Kleriker verdrängten das Körperliche am Lachen und bezogen es vor allem auf Sprache: Sie diskursivierten körperliche Lachanlässe.