Читать книгу Scurrilitas - Hans Rudolf Velten - Страница 49

Histrio turpis, scurra und ioculator im Zentrum christlicher Verhaltenskritik

Оглавление

Die Übernahme der spätantiken Theaterbegriffe für die mittelalterlichen Unterhaltungsberufe folgt einer Logik der kontinuierlichen und zunehmend pauschalisierenden Diffamierung,17 in der das Lachen und der Körper der performer eine zentrale Rolle spielten. Indem die Theologen weiter mit den negativen Theaterbegriffen der Kirchenväter arbeiteten, konnten sie auch die professionellen Unterhalter der Gegenwart in die Tradition heidnischer, moralisch anstößiger und unchristlicher Aufführungen stellen, obwohl die kultischen Spiele der Antike überhaupt nicht mehr existierten. Andererseits war es für jeden christlichen Schriftsteller nötig, sich den tradierten auctores anzuschließen und in ihrem Argumentationsrahmen zu bleiben. Dies führte manchmal dazu, dass ganze Passagen von den Kirchenvätern übernommen wurden, ohne Referenten zur zeitgenössischen Situation einzufügen.18 Gleichwohl benutzt der größte Teil der Kleriker die Begriffe mit Bezug auf die professionellen Unterhalter ihrer Zeit, was ohne Zweifel als polemische Manipulation zu werten ist.19 Was waren die Gründe dafür?

Zunächst ist festzuhalten, dass die Existenz von professionellen Unterhaltern im Frühmittelalter gut belegt ist.20 Schon Faral hatte eingehende Wort- und Begriffsstudien betrieben, deren Ergebnisse noch immer maßgeblich sind. Seine mit Alkuin beginnende Quellenrecherche belegt von 810 an professionelle Unterhalter. Als erster weist er die Begriffe istriones/histriones und mimos nach, und schon in karolingischer Zeit thymelici und scurrae.21 Der Begriff ioculatores („vanissimos joculatores“) erscheint zum erstenmal 836 im Liber de dispensatione rerum ecclesiasticarum des Bischofs Agobard von Lyon.22 Auf welche Tätigkeiten und welche Berufsgruppe diese Bezeichnungen im Mittelalter genau verweisen, liegt leider im Dunkeln. Die Begriffe werden oft akkumulativ verwendet, kaum je definiert, sind austauschbar und mehrdeutig.23 Der Zweck allerdings ist bei aller Verschiedenheit der Darbietung der gleiche: Unterhaltung und Zerstreuung der Zuschauer und Zuhörer. Und es waren offensichtlich bestimmte Formen dieser Unterhaltung, die die Kleriker so gegen die performer aufbrachten. Vergleiche mit dem Teufel sind gängig: So sieht Abälard in ihren Aufführungen eine diabolica praedicatio und spricht sogar von curia daemonum und vom conventis histrionum.24 Ohne ihren Beruf aufzugeben, dürfen die Spielleute nicht in die christliche Gemeinschaft zurückkehren, ansonsten bleiben sie Ausgeschlossene. Ebenso nennt Honorius Augustoduniensis die Spielleute ministri Satanae, die keine Hoffnung auf das Seelenheil haben.25

Man wird solche Härte kaum noch nachvollziehen können, es sei denn, es handelt sich um Angehörige des Klerus, um abtrünnige Priester und Mönche, die sich den Fahrenden angeschlossen haben und nun ihr rituelles und konfessionelles Wissen für die Verfertigung parodistischer und profanierender Verse oder ritualverkehrende Possen ausnutzten.26 Die entlaufenen Kleriker und fahrende Scholaren, besser unter dem Namen Goliarden bekannt, tauchen sogar manchmal in schriftlichen Quellen auf, auch wenn dieses Thema meist verschwiegen wurde. Viel häufiger wird erwähnt, dass Kirchenleute nicht nur Schauspieler und Possenreißer und ihre Sitte, niedrige und schamlose Possen vorzuführen, verachten sollten, sondern sie sollten sie auch für Laien als unangemessen ablehnen: „histrionum sive scurrarum, et turpium seu obscoenorum jocorum insolentiam, non solum [clerici] ipse respuant, verum etiam fidelibus respuenda percenseant.“27

Man hat solche Stellen bisweilen so interpretiert, dass mit „turpium seu obscoenorum jocorum insolentiam“ Theateraufführungen gemeint sind.28 Dies ist allerdings vor dem Hintergrund der Abwesenheit dramatischer Bühnenspiele im Mittelalter theatergeschichtlich hoch spekulativ.29 Wenn es hier um Theater gehen würde, dann doch um Komödien, denn das Lachen ist, wie oben gezeigt, wichtiger Eckstein und Anstoß für die kirchliche Kritik. Doch von Terenz und Plautus wissen wir mit Ausnahme von Hrotsvit von Gandersheim nichts. Es geht deshalb zwar um Aufführungen, das heisst um die Verbindung von unflätiger Sprache und körperliche Aktion, wobei letztere mehr Möglichkeiten des Obszönen und Unanständigen bereitstellt, das in den Quellen so sehr im Vordergrund steht.

Offensichtlich ist es die Wahrnehmung der transgressiven Körperbewegungen bei den Unterhaltern, die die Kleriker verunsichern. Den Körper lasziv oder obszön zur Schau zu stellen, mit ihm Lachen zu erregen, muss dem auf körperliche Repression fundierten Christentum eine ebenso körperlich negative Reaktion hervorgerufen haben. Casagrande und Vecchio vergleichen diese Reaktion mit derjenigen auf den Epileptiker, dem Besessenen par excellence im Mittelalter: „Di fronte ai movimenti inconsulti e alle grida dell’epilettico e di fonte ai gesti scenici e alle cantilene dei giullari, il chierico prova la stessa ansia e lo stesso turbamento.“30 In beiden Fällen ist die Reaktion nicht Verständnis oder Normalisierung, sondern Isolation und Ausschluss. Transgressive Körperbewegungen wurden sofort mit Sünde assoziiert und dem Teufel zugeordnet. Dies gilt besonders auch für die Darstellung von Frauen durch Männer, die Isidor von Sevilla am histrio verurteilt: in seinem Liber etymologiarum (um 630) definiert er: „Histrionen sind diejenige, welche in Frauenkleidern unzüchtige weibische Gesten vorführen, und auch jene, die tanzend Erzählungen und Heldentaten vorführen.“31 Der Satz macht deutlich, dass die Sündhaftigkeit des histrio aus einer Transgression zweier Normen hervorgeht: der effiminierten Geste, die die Norm der Heterosexualität missachtet, und der (sexuell)32 anstößigen (auf Prostitution hinweisenden) Geste, die im Tanz und den Bewegungen des histrio erkennbar ist. Obszöne Gesten und Tanz, beides Körperbewegungen und körperliche Handlungen, sind für Isidor demnach zu verurteilen.

Die Gleichsetzung des histrio turpis mit der Prostituierten ist dann im Mittelalter fast ein Topos geworden: es geht dabei um die moralische Unsittlichkeit beider Berufsgruppen, weniger um geselligen Scherz oder Witz, sondern um die Erregung unangemessenen Lachens durch die Darstellung von Themen, die den sexuellen Bereich berühren, Entblößungsgesten, Nacktheit, Tanz, effeminatio und anderes mehr, was aus geistlicher Sicht zu den impudicitia der verfemten Berufe gehört.33

Der histrio turpis erscheint so als Zerr- und Gegenbild des gottesfürchtigen Klerikers, sein Widerpart, der ihm in allem diametral entgegengesetzt ist. Und er ist dies zunächst körperlich. Das ist am Wortfeld turpis, turpitudo, turpiter, dem am häufigsten gebrauchten Begriffen für die Tätigkeit von Unterhaltern, deutlich erkennbar. Die klassische Bedeutung von turpis fokussiert leibliche Deformationen: entstellt, verzerrt, hässlich, monströs, tierisch. Semantik und Etymologie des Wortfeldes sind auf den Körper, auf Haltung, Aussehen und Gestik, auf Gesichtsfeld und Mimik bezogen (erkennbar in dem Ausdruck „histrionum obscoenas jocationes“),34 und erst in zweiter Linie auf Worte und die Handlungen, die ebenfalls damit beschrieben werden. So glossiert etwa Notker den Begriff histrio auch als uuephare (von uuephen: springen, hüpfen). Das Wortfeld wird allerdings ethisch vergößert, es beinhaltet auch Eigenschaften wie schamlos, schmählich, unehrlich, unsittlich, liederlich, obszön, weibisch etc. Mit turpis ist somit sowohl das Aussehen des Histrionen als auch seine Moral, sein Charakter negativ bezeichnet.35

Diese Deformationen sind verschiedener Art: der histrio turpis ist einerseits der physisch entstellte Mensch, der mit seinem Makel ein theatrales Aufsehen treibt (der Einäugige, der Krüppel, der Hässliche, der Bucklige, der Zwerg etc.) Er ist aber auch jemand, der seinen Körper zum Werkzeug obszöner Semantik macht. Deshalb wird er häufig zusammen mit der meretrix, der Hetäre oder Dirne, genannt, die ebenfalls schauspielerisch tätig sein kann. Bei beiden gehen Ostentation und Verkäuflichkeit des Körpers Hand in Hand, sie treten an den gleichen Orten auf, sind auf die Annahme von Geschenken für ihre Dienste angewiesen.36 So wird der histrio auch dadurch gefährlich und sündhaft, dass er sich ständig in Begleitung von Prostituierten, im Bannkreis des bösen weiblichen Universums aufhält. Wie die meretrix verkleidet und schminkt er sich, färbt sich die Haare, verändert sein Aussehen und bietet ein Schauspiel der Verführung. Der Zusammenhang von schauspierischer bzw. possenreißerischer Aktivität und Prostitution verstärkt sich, wenn man die Analogien des sündhaften Sehens betrachtet, die zwischen Schauspiel und weiblicher Schönheit bzw. Geschlechtsorgane oder Koitus bestehen. Die Adjektive obscaenus und lascivus werden gleichermaßen auf sexuelle Praktiken wie auf die Körperkünste und körperlichen Tätigkeiten der Gaukler angewandt.37

Der Begriff des scurra schließlich changiert im Mittelalter wie schon in der Spätantike zwischen einem professionellen Spaßmacher und der plautinisch-rhetorischen Tradition des homo urbanus als scharfsinnigen bzw. ehrverletzenden Spötters und Parasiten. Letztere Auffassung war noch bei Isidor von Sevilla in seiner Definition des scurra in den Etymologiae leitend: als unterhaltender Begleiter wohlhabender Herren und parasitus.38 Im 8. Jahrhundert scheint diese Bedeutung gegenüber dem scurra als Possenreißer und theatralem performer in den Hintergrund zu treten. So etwa in den Canones der Synode von Clovesho (747), oder bei Aldhelm, der um 700 unter scurra einen Spaßmacher oder Spötter verstand.39 Um 750 reiht Lullus den Begriff scurra in einem Brief an Gregor von Utrecht unter die nutzlosen Freuden dieser Welt ein, womit er auf Unterhaltungen und Beschäftigungen des Adels abzielt (Falken, Pferde Hunde, kostbare Gewänder etc.): mit „scurrarum bacchationes“, was man mit „ausgelassene Unterhaltung“ bzw. Aufführungen übersetzen kann, und was auf professionelle Unterhalter am Hof hindeutet.40 Scurra wird hier wie in vielen späteren Quellen alternativ zu ioculator gebraucht, der grobe, körperbetonte und unanständige Possen treibt.41

Im 12. Jahrhundert gibt es die ersten Differenzierungsversuche für die performer, die meist mit einer Aufwertung einer Gruppe, der ioculatores, verbunden sind. In seiner Summa de Sacramentis et animae consiliis unterscheidet Petrus Cantor (1120/30–1197) zwischen zwei Arten von Schaustellern: die ioculatores, die „alte Geschichten besingen“, seien akzeptabel, aber die Histrionen, Seiltänzer, Mimen und Zauberer sind abzulehnen.42 Ganz ähnlich ist die viel zitierte Kategorisierung von professionellen Unterhaltern des Thomas von Chobham (≈1160–1233) in seiner Summa Confessorum, im Kapitel De histriones gelaagert.43 Wie Petrus teilt auch er die Spielleute in Gruppen ein: die ioculatores werden toleriert, während die anderen, histriones, mimi und scurrae weiterhin verdammenswürdig sind:

Sed notandum quod histrionum tria sunt genera. Quidam enim transformant et transfigurant corpora sua per turpes saltus vel per turpes gestus, vel denudando corpora turpiter, vel induendo horribiles loricas vel larvas, et omnes tales damnabiles sunt nisi relinquant officia sua.44

Die zweite Gruppe betreibt Verleumdung und üble Nachrede, mischen sich in fremde Angelegenheiten ein. Sie besitzen keinen festen Wohnsitz, sondern ziehen an die Höfe der Fürsten und verbreiten Schimpf und Schande über Abwesende. Auch diese Gruppe ist der Verdammung anheimgegeben; sie werden scurrae vagi genannt, weil sie nach Thomas zu nichts taugen als zum Prassen und Schmähen. Die dritte Kategorie sind die Spielleute, die Musikinstrumente besitzen und spielen, um die Menschen zu unterhalten; Thomas teilt sie in zwei Untergruppen: die einen sind ebenso verdammenswert wie die vorigen, da sie bei öffentlichen Gelage und Festen singen und damit die Menschen zur Unkeuschheit anstiften. Nur die letzte Gruppe, die ioculatores genannt werden, singen von den Taten der Könige und vom Leben der Heiligen, und diese trösten mit ihren Liedern und Gesängen. Sie können gerettet werden.

An dieser Dreiteilung in histriones/mimi, scurrae und ioculatores wird deutlich erkennbar, dass es die Körperinszenierungen sind, die Thomas am stärksten provozieren und die er am heftigsten ablehnt und als sündhaft einstuft.45 Die herumziehenden Spielleute sind vor allem deshalb schamlos, weil sie ihren Körper histrionisch verändern und deformieren, und weil sie „schmutzige“, also zumindest normferne Gesten und Handlungen aufführen, die der Ordnung zuwiderlaufen. Erst in zweiter Linie sind sie zu verurteilen, wenn sie andere Menschen verleumden oder verspotten. Dass es bei Thomas diese Reihenfolge der Sündhaftigkeit gibt, ist wiederum in der Charakterisierung der ioculatores, die ja akzeptiert werden und deren Seelenheil gerettet werden kann, erkennbar, denn hier fallen wiederum Vergleiche zu den Histrionen: (...) et non faciunt nimias turpitudines sicut faciunt saltatores et saltatrices et alii qui ludunt in imaginibus inhonestis et faciunt videri quasi quedam phantasmata per incantationes vel altro modo.“46

Überträgt man diese Einteilung Thomas’ von Chobham auf die Rahmung und zugrunde liegenden Wirkungsabsichten der Unterhaltung, so wird schnell deutlich, dass die „zuchtlosen“ Körperkünste und vermutlich auch der Spott der scurrae eher mit einer Art erotisch, obszön oder skatologisch aufgeladenen Form der Unterhaltung zu verbinden sind, die offensichtlich Lachen hervorrufen sollte. Hingegen steht zu vermuten, dass die Aufführung von Musik und Gesang die Ernsthaftigkeit und die Bewunderung des Publikums voraussetzt. Mit seiner Unterscheidung betont Thomas allerdings weiterhin, wie wichtig das Kriterium der Unbehaustheit in der Differenzierung und Ausgrenzung der performer ist (er bestätigt damit die These, dass es zu Beginn des 13. Jahrhunderts bereits an den Höfen fest angestellte Unterhalter, meist Musiker und Sänger, gegeben hat). Mit der Aufwertung der ioculatores bei Thomas gibt es nun immer häufiger Texte, in denen einzelne Aufführungsformen von der Sünde freigesprochen werden. So nimmt Alexander von Hales (1185–1245) in seiner Summa theologica eine Unterscheidung von drei Kategorien von Sünden vor: die Sünden des Herzens (peccata cordis), die des Mundes (peccata oris), und die der Werke oder Handlungen (peccata operis). Die letzteren sind von zweierlei Art, die den ornatus (Kleidung) betreffen und die die Geste und die Zeichen des Körpers betreffen („quae pertinent ad gestum vel nubtum corporis“). Bei diesen muss zwischen Sünden, die anderen Unrecht zufügen (derisio usw.) und Sünden an sich unterschieden werden. Die Sünden an sich wiederum umfassen zwei Unterkategorien: das Lachen (risus), das als Bewegung des Mundes bestimmt ist, und die ioculatio, die eine Bewegung des ganzen Körpers bezeichnet. Alexanders Argumentation läuft auf die Rehabilitierung der ioculatio wie auch des Lachens hinaus. Nach einer Diskussion aller Meinungen spricht er das Lachen von der Sünde frei, sofern die Absicht eine gute war, also wenn die Notwendigkeit der Natur es erforderte, und wenn es der professionellen Übung diente.47 Hier wie in der oben besprochenen Summa Theologica des Thomas von Aquin geht es um eine langsame Rehabilitierung und Anerkennung der Kunst des Lustigmachens der komischen Unterhaltung. Die Spielleute sind keine ministri satanae mehr, sondern professionelle Schausteller, die für ihre Arbeit einen rechtmäßigen Lohn verdient haben, und deren Nutzen, die Freude und die Entspannung ihres Publikums, anerkannt wird. Diese Transformation im klerikalen Diskurs gegenüber den Spielleuten im 13. Jahrhundert beschreibt Schmitt wie folgt: „Die Zeit bedingungsloser Verurteilung ist vorbei, aber für die volle Anerkennung ist es noch zu früh.“48

Zusammenfassend läßt sich über das Bild, das die Kleriker bis ins Hochmittelalter von den professionellen Unterhaltern zeichnen, Folgendes sagen: es handelt sich hier weder um eine historisch genaue Bewertung zeitgenössischer Praktiken, noch um eine begriffsgeschichtliche Fortführung der theologischen Tradition, auch wenn die Autoren den Versuch machen, beides zu vereinbaren. Was daraus entsteht, ist die diskursive Konstruktion eines eigenen Anderen, eines alteritären Zerrbildes, das der Normvorstellung der eigenen Lebens- und Verhaltensweise diametral entgegensteht. Dieser Konstruktion liegt die Absicht zugrunde, die performer in ihrer unwiderruflichen Andersheit und Abnormität zu treffen und sie im dualistischen Weltbild dem Bösen und dem Teufel zuzuordnen. Im Vordergrund der diskursiven Konstruktion von eigener Alterität stehen Inszenierungen des Körpers und ihr Ziel, das laute Lachen, beides ist gleichzeitig abstoßend und falsch. Histrio, mimus und scurra stören zuallererst durch ihre physische Präsenz: dem Teufel ähnlich, werden sie in ihrer körperlichen Erscheinung verdammt, bevor sie anfangen zu sprechen. Die performer erscheinen in den Quellen der Kleriker auch nicht als Menschen (mit einem echten Bedürfnis nach Seelsorge), sondern sie befinden sich in einer Art Schwellenzustand zwischen wirklichen Personen und Symbolfiguren. Nur in diesem Schwellenzustand ist ihre völlige Negation möglich, nur hier ist eine totale Marginalisierung und Isolation erreichbar. Erst als diskursive Konstruktion können die Theologen die Unterhalter zum „Priester des Profanen“ und Negativfolie ihres idealisierten Selbstbildes machen.49 So wird auch verständlich, dass die Zielgruppe der klerikalen Schriften ja nicht die Fahrenden sind, sondern der gesamte geweihte Klerus. An ihnen sollen alle Zeichen des Lachens, der frechen Freude und der zügellosen Unterhaltung getilgt werden, ihnen soll der Umgang mit Spielleuten in seinem ganzen Ausmaß vor Augen geführt werden.

Abaelard hat dies in seiner Theologia Christiana auf den Punkt gebracht, wenn er die Inkonsequenz hoher Kleriker beschreibt, an hohen Festtagen Gaukler, Tänzer, Zauberer und „unkeusche“ Sänger einzuladen, um mit ihnen nächtelange „dämonische“ Ausschweifungen zu veranstalten. Auch geißelt Abaelard die teuflischen Verführungskünste der Schausteller, die die Gläubigen von der Messe ablenken und sie in den Kirchen selbst unterhalten. Hier werden sakrale Räume von den Spielleuten, aus der Sicht Abaelards, profaniert. Der in die sakralen Räume einbrechende Gaukler macht die Differenz Sakral – Profan zunichte und gefährdet das Heilige in seiner Existenz. Der Gaukler bringt durch seine Nicht-Anerkennung von Hierarchien und Werten die Existenz des Klerikers in Gefahr, wenn er mühelos von Heiligenlegenden zu Spottlegenden überwechselt, wenn er Märtyrer und den Wein in einem Atemzug besingt. Jede der (theatralen) Aufführung für andere nahe kommende Haltung bzw. Art sich zu bewegen oder zu sprechen soll ausgelöscht werden.

Sicherlich hat dies auch mit den rituellen Handlungen der Kleriker selbst zu tun: sie wissen um den rituellen Charakter der religiösen Zeremonien. Auch sie handeln vor einer Menge anderer Menschen, auch sie singen und sprechen, machen Gesten und Handlungen und bewegen sich im Raum. Diese rituelle Aktivität liegt oft an der Grenze zur Theatralität, auch wenn mit äußerster Disziplin, Würde und Demut aufgeführt wird, d.h. diametral entgegengesetzt zum Handeln der Spielleute. Deshalb müssen ihre Gesten unzweideutig sein, nur über die Eindeutigkeit können sie Ernsthaftigkeit herstellen und den Vergleich zu den Imitationen der Gaukler vermeiden.

Scurrilitas

Подняться наверх