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Die scurrilitas in der christlichen Ethik: vom Epheserbrief zu den monastischen Regeln
ОглавлениеFür die christliche Ethik ist seit dem Epheserbrief das von scurra abgeleitete Substantiv scurrilitas bedeutungsvoll geworden. In der Spätantike wenig in Gebrauch, war es jedoch nicht nur auf theatrale Aufführungen begrenzt, sondern wurde auch außerhalb des Theaters schon pejorativ für Handeln und Sprechen „in der Art eines Komödianten“ verwendet, wie etwa bei Quintilian bei der Erörterung der Angemessenheit der sprachlichen Performanz: adfectata scurrilitas.45
Durch die Vulgata-Übersetzung des Epheserbriefes wurde dann scurrilitas als Begriff in die christliche Ethik eingeführt, allerdings nicht mit Bezug auf die Rhetorik, sondern auf das aristotelische eutrapelia-Konzept. Die eutrapelia46 bezeichnet gewandte Unterhaltsamkeit im geselligen Verkehr, und sie eignet dem guten Gesellschafter, der in der Lage ist, zwischen den beiden Extremen Albernheit und Possenreißerei (bômolochia) einerseits sowie bäurischer Unbeholfenheit und Grobheit (agroikia) andererseits die rechte Mitte zu halten. Für Aristoteles ist die eutrapelia eine Tugend, die dem Geist des freien Mannes angemessen ist und sich positiv von der bômolochia absetzt;47 er kennzeichnet hier die Tugend des geselligen Menschen, der es versteht, sich und andere humorvoll zu unterhalten, ohne dabei grob oder zotenhaft zu werden. Dass der Begriff für das griechische Verständnis für Komik und Lachen zentral ist, muss hier nicht eigens erwähnt werden.48
Der Autor des Briefes an die Epheser nimmt den aristotelischen eutrapelia-Begriff im Rahmen seiner Anweisungen für ein gottgefälliges christliches Leben wieder auf (5.4), doch mit gänzlich anderen Vorzeichen: sie steht hier, thematisch der Unreinheit zugeordnet, zwischen Schändlichkeit bzw. Sittenlosigkeit (aiscroths/turpitudo) und törichter, zügelloser Rede (mwrologia/stultiloquium), und wie diese beiden geziemt sie sich nicht. Im Gegenteil – ihre Sündhaftigkeit wird noch deutlicher durch den weiteren Kontext, der auf die Verführung mit Worten hinweist, in dem sich jedoch auch schwerwiegende Sünden wie geschlechtliche Unmoral und Habsucht (5.3) sowie Götzendienst (5.5) finden, die in jedem Fall zu unterlassen sind.49 Damit ist der aristotelische Begriff einer starken Transformation unterzogen worden: aus dem geistreichen, gemäßigten und somit erlaubten Scherzen ist ein offenkundiges Fehlverhalten geworden, das auf einer Stufe mit obszönen, schamlosen Handlungen und Gemeinheiten sowie närrischem, losem Sprechen steht.
Was bedeutet aber diese eutrapelia im neutestamentarischen Kontext? Die Auslegung der Stelle hat den Kommentatoren einige Schwierigkeiten bereitet, vor allem deswegen, als es sich hier um Begriffe handelt, die nur an dieser Stelle im NT vorkommen.50 So gibt Hübner im Handbuch zum Neuen Testament eutrapelia (im Rückgriff auf Hoppe, K70) mit „leichtfertiges, vielleicht auch schlüpfriges, vor der geschlechtlichen Würde des Menschen achtungsloses Gerede“ wieder. Die Etymologie des Begriffes und seine Verwendung bei Aristoteles will er in der Auslegung nicht gelten lassen: „Der Hinweis auf den Profangebrauch des Begriffes ergibt aber keine neue Bedeutung für das, was der AuctEph mit eutrapelia hatte sagen wollen.“51 Der katholische Theologe Joachim Gnilka verweist jedoch auf das theatrale Substrat des Terms: „Eutrapelos aber kann auch einer genannt werden, der es aus Liebe zum Scherz nicht so genau nimmt, der Possenreißer, der auf seinen Gewinn bedachte Schmeichler. In diesem abwertenden Sinn hat der Verf. die eutrapelia aufgefasst.“52 Hier werden Differenzen darüber deutlich, inwieweit profane Bedeutungen des Begriffes für den Verfasser des Epheserbriefes überhaupt eine Rolle gespielt haben, und wenn ja, welche. Sicher scheint zumindest, dass damit ein heidnisches Verhalten ausgedrückt werden soll, das sich für die christliche Frühkirche nicht ziemte.53
Die Lage wird aber noch komplizierter, wenn für diese negativ gewendete neutestamentliche eutrapelia in der Vulgata-Übersetzung die scurrilitas gewählt wird: „aut turpitudo aut stultiloquium aut scurrilitas quae ad rem non pertinent (sed magis gratiarum actio)“. Denn auch dieser Begriff ist nicht eindeutig: ist hiermit eine besondere Form der abschätzigen Rede gemeint, und wenn ja, welche, ist ein gesamtes Verhalten intendiert,54 wie nah steht das Ausgangsnomen scurra und welche seiner verschiedenen Bedeutungsvarianten liegt hier zu Grunde?
Dass scurrilitas die Negativität von eutrapelia übernimmt, ergibt sich aus dem semantischen Umfeld von Eph. 5. Blickt man auf die weitere Begriffsgeschichte über das frühe ins hohe Mittelalter, setzt sich die Zuordnung zum sündhaften Sprechen deutlich durch: ausgehend von stultiloquium wird auch der nachfolgende Begriff den Wortsünden zugeordnet. Diese Interpretation geht so weit, auch den Leitbegriff der Triade, turpitudo, in diesem Sinne (als unanständige Rede) zu fassen, obwohl er normalerweise für schamloses, sexuell unanständiges Handeln und Denken gebraucht wird.55 So verstehen die meisten Kommentatoren bis zu Luther unter eutrapelia/scurrilitas Zungensünden („schandbare, närrische und lose Reden“), mit jeweils stärkerer Betonung auf dem sexuellen bzw. dem witzig-ambivalenten Konnotat.
Zu konstatieren ist hier eine Vereindeutigung der Begrifflichkeit, bei der die rezidiven Bedeutungskomponenten sukzessive unterschlagen werden. Denn von Beginn an überlagern sich mehrere semantische Ebenen, wie ich im Folgenden an zwei prägnanten Beispielen zeigen möchte (dass sich diese Ebenen auch in den Übersetzungen in die Volkssprachen überlagern, sei nur nebenbei vermerkt).56 Beide Beispiele stammen aus dem 4. Jahrhundert, einer für das Verhältnis von griechischer und lateinischer Begrifflichkeit entscheidende Periode. Im 4. Jahrhundert kam es zur Rezeption und Modifikation griechischer Begriffe in der lateinischen Theologie und Philosophie, in welcher der römische Rhetor und Neuplatoniker Marius Victorinus Afer eine zentrale Figur darstellte, weil er der erste Pauluskommentator im lateinischen Bereich war, Schriften Plotins übersetzt und in seinen trinitätstheologischen Schriften die griechische Theologie seiner Zeit rezipiert hat.57
In seinem Kommentar In epistolam Pauli ad Ephesios gibt Victorinus folgende Erläuterung für scurrilitas: „item scurrilitas iocosa oratio, et alterum laedens ioci causa ac propterea contumeliosa. quae ad rem non pertinet. potest enim et scurrilitas increpationis poni modo ex stultiloquio.“58 Wenn die scurrilitas hier als „scherzhafte Rede“ bezeichnet wird, die „schmähend und verletzend ist“, und wenn sie weiterhin in Abhängigkeit von stultiloquium gebracht wird, dann ist der Grundstein für das rein sprachliche Verständnis der Epheser-Stelle gelegt, das sich dann, wie sich zeigen wird, im Mittelalter durchsetzen wird. Anders dagegen der Schöpfer der lateinischen Bibel, Hieronymus Stridonensis (ca. 347–419). Er gibt in seinem Epheserkommentar eine ganze Reihe von Bezügen von scurrilitas auf der Grundlage ihrer profanen Bedeutungsvarianten an:
Inter stultiloquium autem et scurrilitatem hoc interest, quod stultiloquium nihil in se sapiens et corde hominis dignum habet. Scurrilitas vero de prudenti mente descendit, et consulto appetit quaedam vel urbana verba, vel rustica, vel turpia vel faceta, quam nos jocularitatem alio verbo possumus appellare, ut risum moveat audientibus“. 59
Hier werden mehrere Dinge deutlich: zunächst wird eine klare Zurücknahme der Abwertung der scurrilitas formuliert („de prudenti mente descendit“), vor allem im Gegensatz zu ihrem deutlich negativeren Gegenstück, dem stultiloquium. Zweitens läßt Hieronymus auch die Qualität der Kommunikationsform offen: sie kann entweder geistreich-affektiert („urbana“), grobdrastisch („rustica“) oder zotig-obszön („turpia“) sein.
Am bedeutungsvollsten erscheint jedoch die Tatsache, dass mit diesen unterschiedlichen Kommunikationsformen Lachen erregt wird, das Lachen der Zuhörer, der Anwesenden, die mit scurrilitas konfroniert werden („ut risum moveat audientibus“). Das Erregen von Lachen, das Lächerlich-Machen ist somit das Verbindende an der scurrilitas, wobei es wohl unerheblich ist, ob es sich um Lachen über Witzeleien, über Zoten oder ungebührliche Gesten und Handlungen handelt. Hieronymus arbeitet somit in seinem Kommentar etwas an dem Epheserbrief heraus, was die Exegeten bis heute übersehen haben: dass nämlich die Klammer für die so unterschiedlichen Begriffe turpitudo, stultiloquium und scurrilitas in den Vorbehalten der Christen dem Lachen, und vor allem dem Lächerlich-Machen gegenüber zu sehen ist. Nicht das törichte Wort oder die Obszönität, sondern beides und noch mehr können Lachen erregen, was dem Verfasser des Epheserbriefes für die frühchristliche Gemeinde unangemessen scheint. Dies wird auch von Chrysostomos in seinem Kommentar zum Epheserbrief bestätigt, wenn er sagt: „Ubi est turpitudo, illic est etiam scurrilitas, ubi est risus importunus, illic est etiam scurrilitas.“60
Auch am weiteren Fortgang des Kommentars ist die Bedeutung des Lachens zu erkennen: Hieronymus gemahnt nämlich an das Gebot der Heiligen, dass es sich geziemt zu weinen und zu trauern („magis convenit flere atque lugere“), und nicht leichtfertig fröhlich zu sein. Dies schließt dann an die Aufforderung, Dankbarkeit zu zeigen, in Eph. 5.5 an. Dass Hieronymus den Begriff der scurrilitas stärker als seine Nachfolger an Figur und Beruf des scurra bindet, zeigt sich im Kommentar zum Epheserbrief ebenfalls: weiter unten heißt es: „stultiloquium enim et scurram non decet esse Christianum. Decet autem sermones ejus sale esse conditum, ut gratiam apud audientes habeat“.61
Angesichts des Hieronymus-Kommentars muss man von verschiedenen Auslegungstraditionen der Epheser-Stelle sprechen, und die ausschließliche Zuordnung der scurrilitas zu den Zungensünden, wie sie zuerst bei Marius erscheint, in Frage stellen. Gestützt auf Hieronymus soll im Folgenden der Versuch gemacht werden, den bisher der schlechten Rede zugeordneten Begriff auf seine im Epheserkommentar genannte Zielrichtung, dem unangemessenen Erregen von Lachen, zurückzuführen, und damit die Semantik der scurrilitas nicht nur sprachlich, sondern auch – bezogen auf das Lachen – gestisch-körperlich und in Handlungen zu lesen. Scurrilitas weist etymologisch auf ein körperlich-szenisches Substrat hin, das auch bei der sprachlichen Semantik des Begriffes noch immer mitschwingt. Was der Verfasser des Epheserbriefes ursprünglich mit eutrapelia intendiert hatte, ist nicht mehr nachzuweisen; vermutlich wollte er eine Verbindung zur professionellen Unterhaltung der (heidnischen) Antike herstellen, denn nur hier kommen (obszöne) Gesten, Körper- und Sprachwitze sowie närrische Reden und Handlungen zueinander. Eindeutig ist zumindest, dass die lateinische Übersetzung scurrilitas in Abhängigkeit von scurra gebraucht wird und somit dessen negative semantische Entwicklung nachvollzieht.
Über das gesamte Mittelalter hinweg bleibt die enge Auslegung der scurrilitas als ‚schlechte Rede‘ dominant, bis Thomas von Aquin sie wieder auf die aristotelische eutrapelia zurückführen, dem maßvollen Scherzen in Gesellschaft zuschreiben und das antike Tugendideal für die christliche Moralethik wiedergewinnen wird. Bis dahin gibt es allerdings noch andere Lesarten der scurrilitas, die hier nicht unterschlagen werden sollen, und die die These von ihrer Funktion als Lachanlass unterstützen.
Sehr früh wird scurrilitas im frühmittelalterlichen Mönchstum übernommen und als Leitbegriff für falsche Verhaltensformen herausgestellt. In der Formula vitae honestae des Martin von Braga (ca. 515–579), einer der wichtigsten Gestalten für die Entwicklung des Mönchstums auf der iberischen Halbinsel, wird in einem Passus zum Reglement des Lachens die scurrilitas der ciceronischen urbanitas als Gegenbegriff gegenübergestellt: „Non erat tibi scurrilitas sed grata urbanitas. Sales tui sine dente sint, ioci sine vilitate, risus sine cachinno, vox sine clamore, incessus sine tumultu.“62 Während das Scherzen ohne Schadenfreude, das Lächeln und maßvolle (leise) Lachen ohne Zähnezeigen sowie eine disziplinierte Körperhaltung erlaubt sind, erscheint scurrilitas als Leitbegriff für Spott und böse Witze, lautes Lachen, bei dem die Zähne zu sehen sind, sowie undiszipliniertes, vermutlich Gelächter provozierendes Auftreten. Martin folgt hier demnach der von Hieronymus geprägten Bedeutung von scurrilitas als übergeordnetem Begriff für falsches Scherzen und Lachen, die sich, und das ist interessant, beide durch körperliche Merkmale von der erlaubten Scherzkommunikation unterscheiden: durch Mimik, Stimme, Lautstärke des Lachens und Körperhaltung.
Ähnlich liegt der Fall in der Benediktusregel, die direkt an die Paulus-Stelle anschließt, um leichtfertiges Scherzen bzw. obszönes Gebaren zu reglementieren: „Scurrilitates vero vel verba otiosa et risum moventia aeterna clausura in omnibus locis damnamus“.63 Darüberhinaus wird scurrilitas in der Benediktusregel auch im Rahmen desselben Verhaltensdispositivs wie bei Martin benutzt: im Kapitel über den richtigen Gang zum Gottesdienst bezeichnet es die falsche Haltung, nämlich unnötige Eile, während gravitas die richtige ist („ad horam divini officii (...) summa cum festinatione curratur cum gravitate tamen, ut non scurrilitas inveniat fomitem“).64 Die Regel verwendet scurrilitas hier anstelle der in der Magisterregel erscheinende lascivia: es darf zum Gottesdienst nur so geeilt werden, dass scurrilitas vermieden wird. Wenn nun statt der lascivia, was man mit Zügellosigkeit oder gar Wollust übersetzen mag, die scurrilitas vermieden werden soll, dann kann dies nur auf die unangemessene, Gelächter hervorrufende körperliche Bewegung bezogen sein. Der Ausgangspunkt ist, wie Gindele vermutet, in beiden Regeln offenbar der gleiche: „ungehemmter Lauf mit Hochnehmen der Tunika.“65 Das Hochziehen der Tunika zum Springen und Hüpfen war der vorgeschriebenen gravitas des Mönches nicht angemessen: es ist lächerlich und hat gleichzeitig laszive Wirkungen. Wichtig für unseren Zusammenhang ist hierbei vor allem, dass diese Bedeutung der scurrilitas wenig mit Witzen und Scherzen zu tun hat, sondern eindeutig auf mangelnde Körperbeherrschung hindeutet, die den Körper des Mönchs lächerlich macht.
Dass im monastischen Bereich unter scurrilitas das gesamte äußere Verhalten, und nicht nur gemeines Geschwätz und Spott verstanden wurde, zeigt die Verurteilung des Lachens in Bernhards von Clairvaux Traktat De gradibus humilitatis et superbiae: Der Mönch, der von der laetitia saecularis erfüllt ist, trauert nicht mehr und gibt sich weltlichen Freuden hin: „In signis scurrilitas, in fronte hilaritas, vanitas apparet in incessu.“ Hinter den äußeren Zeichen, dem Geschehenlassen der Possenreißerei taucht die vanitas auf. Bernhards Vorwurf bezieht sich deutlich auf das Vermeiden von zügellosem Lachen und Scherzen in einer monastischen Gemeinschaft, er erkennt vor allem im körperlichen Lachen („risus corporis“, „risus integer“) einen Verstoß gegen die Regel aus Mangel an christlicher Demut.66