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Körper und Leib

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Den terminologischen Unterschied zwischen Leib und Körper kennen weder die englische noch die romanischen Sprachen. Es ist zwar auch in diesen Sprachen immer wieder versucht worden, die Differenz nachzuvollziehen – das bekannteste Beispiel dafür ist vermutlich Sartres Unterscheidung zwischen corps-pour-soi (Leib als lebendige Einheit) und corps-pour-autrui (Körper als physikalisch-chemischer Organkomplex)27 – doch kommen diese Sprachen mit dem Einheitsbegriff des Körpers recht gut aus, ohne dass dieser auf physikalische Kategorien allein beschränkt wäre. Der Leibbegriff, das zeigt Sartres Beispiel, hat vor allen Dingen in der philosophischen Phänomenologie und der philosophischen Anthropologie seinen Ort und ist dort auch entwickelt worden (Husserl, Scheler, Gehlen). Doch schon für Merleau-Ponty, einen der wichtigsten Wahrnehmungstheoretiker, existiert nur der Begriff corps, der damit auch alles, was ‚Leib‘ im Deutschen meint, umfasst.28 Insofern ist nicht einzusehen, warum im Deutschen außerhalb phänomenologischer Studien – wo er genau umrissene Funktionen hat29– der Leibbegriff verwendet werden soll.

Dennoch ist es erhellend, die Begriffsdichotomie Körper/Leib im Deutschen näher zu betrachten, damit möglichst viele Perspektiven auf den Körper und seine Funktionen zur Sprache kommen, die für die hier verfolgte Fragestellung weiterführend sind. Gernot Böhme macht in seinen Vorlesungen zur Anthropologie folgende Unterscheidung: „Leib beschreibt gegenüber dem Körper ein Surplus, das sich durch Selbstwahrnehmungserlebnisse auszeichnet. Körper, das ist auch der Körper des anderen, hingegen ist Leib primär mein eigener.“30 Böhme schließt an die Tradition der Phänomenologie an, wo „Leib“ immer zuerst auf den eigenen Leib bezogen ist, während mit Körper der „andere Körper“ als Bezugszentrum einer Situation,31 als Körper der Fremderfahrung gemeint ist. Die Wahrnehmung des „anderen Körpers“ jedoch erwächst nicht nur aus der Situation, in der sich die Körper befinden: Diese sind bereits in einem „Horizont“ von Erinnertem zu verorten.32 Sie ist demnach keine objektiv-photographische Aufnahme eines Gegebenen, sondern vollzieht sich bereits in einem Bedeutungs-Kontext.33

Beide, Leib und Körper, sind nach Edmund Husserl durch eine Ähnlichkeitsrelation verbunden, die eine „apperzeptive Übertragung“ zur Folge hat: „Grundlegend ist hier die Ähnlichkeit, die ein wahrgenommener äußerer Körper mit meinem Leib aufweist. Motiviert durch diese Ähnlichkeit vollziehe ich eine apperzeptive Übertragung, in der ich den äußeren Körper in Analogie zum eigenen Leib als Leib, d.h. als empfindenden und wahrnehmenden Körper auffasse.“34

Wahrnehmungstheoretisch gesprochen ist somit der empfindende und erlebende eigene Leib eine Apperzeption, eine bewusste Verarbeitung der Wahrnehmung des fremden Körpers.35 Husserl beschreibt diesen Vorgang folgendermaßen: Wir sehen bei der Wahrnehmung des Anderen zunächst seinen Körper, denn seinen Leib (als beseelten Körper) können wir nicht unmittelbar wahrnehmen. Unmittelbar präsent ist nicht der Leib, sondern der Körper, dessen Ausdruck bloßes Indiz für Subjektivität ist, das Subjekt nur andeutet, aber selbst nicht mit ihm identisch ist. Erst durch Analogiebildung, sozusagen in einer sekundären Verweisung, erkenne ich den Anderen als Leib. Diese sekundäre Verweisung ist nicht nur ein Akt der Sinnlichkeit, der sinnlichen Wahrnehmung, wie das bei der primären Verweisung des Körpers der Fall ist, sondern ein Akt der Vermittlung, der Übertragung des Beseeltseins von meiner auf die andere Person.36

Aus dieser Differenzierung Husserls ergibt sich, dass ‚Leib‘ immer auf Subjektivität hinter dem Körper verweist. Dies ist für die Theorie des Lachens ein eher sekundärer und vermutlich sogar hinderlicher Aspekt. Denn wenn der komische Körper auf die Subjektivität seiner Person hinweisen würde, könnte er kaum zum Lachen sein, da er seine ganze Emotionalität und Beseeltheit des Körper-Ichs zu erkennen geben würde, was dem Aufbau einer für das Lachen notwendigen, distanzierten Haltung zuwiderläuft. Der komische Körper, der Körper, über den wir lachen, ist jedoch immer der Körper eines anderen, und fällt daher eindeutig unter Husserls Körperbergriff. ‚Mein Leib‘ kann nicht komisch sein für mich, sondern nur als Körper für die anderen, er kann schmerzen, sich freuen, doch kann er nicht komisch sein.

Trotz alledem hat die Leibdimension wichtige Aspekte für das Problem der Übertragung von Körperwahrnehmung auf den eigenen Körper, bzw. das eigene Ich, welches im Rahmen der psychologischen Innervationsleistungen angesprochen worden war. Husserl greift in seiner Analyse der Fremderfahrung auf die Assoziationstheorie zurück, indem er darauf verweist, dass die körperlichen Gebärden des Anderen an die eigenen erinnern und so die Existenz eines anderen, fremden Ich erfahrbar machen. Die Wahrnehmung des Anderen ist eine Analogieapperzeption, die Fremderfahrung am eigenen Leib vermittelt. Ich übertrage meine Körperwahrnehmung aufgrund der Ähnlichkeit auf meinen Leib und ‚verleibe‘ mir so den Körper des Anderen ein. Das Lachen über Körperliches würde, wenn wir diese Überlegungen Husserls zugrunde legen, durch eine spezifische Analogieleistung, eine Übertragung auf und Rück-Erinnerung an den eigenen Leib voraussetzen, die diesem nicht nur Aufwand erspart (Freud), sondern auch den ‚anderen Körper‘ in den eigenen hineinholt, sodass das Lachen als Körperreaktion dessen Komik nicht nur beantwortet, sondern gewissermaßen nachahmt.

Der Vorgang der Apperzeption führt somit zu einer engen körperlich-kommunikativen Relation von fremdem Körper und eigenem Leib, so dass es zu einem Schwellenbereich kommt, in welchem beide sich berühren und sogar vermischen. Dieser Gedanke ist im Begriff des ‚Leibkörpers‘ sowohl bei Phänomenologen wie Merleau-Ponty und Waldenfels als auch bei Anthropologen wie Plessner und Scheler ausgearbeitet worden. Der ‚Leibkörper‘ bezeichnet zunächst ganz allgemein die eigentümliche Doppelgestalt des Körpers, wie sie etwa Plessner in seiner Dichotomie des Leib-Seins und Körper-Habens beschreibt: Plessner geht von der Doppeldeutigkeit der menschlichen Existenz aus, in welcher der Körper gleichzeitig präsent und distanziert ist („exzentrische Position“). Das körperleibliche Dasein ist für den Menschen ein nicht eindeutiges Verhältnis zwischen „ihm“ und „sich“,37 zwischen subjektiv erlebbarem Leib und distanziert zu beschreibendem Körper.

Während Plessner es bei der Koppelung von zwei unterschiedlichen heuristischen Konzepten belässt – gewissermaßen ist das noch halb cartesianisch gedacht – sind Leib und Körper bei Merleau-Ponty und Waldenfels stärker verflochten. Hier ist der Körper als Leibkörper eine Zwiegestalt, eine Art „Umschlagstelle zwischen dem Selbst und dem Anderen“ (Waldenfels), zwischen außen und innen, Subjekt und Objekt, dem Heteronomen und dem Autonomen, ein Ort, an dem sich diese Kategorien durchdringen und vermischen. Aufgrund dieser Vermischung ist der Leibkörper immer gleichzeitig Eigenes und Anderes, er ist gleichzeitig aktiv und seiner Umwelt gegenüber responsiv, er handelt und erleidet, ist unverfügbar.38 Als solcher zeigt er eine eigene Sprache, ein „enaisthetisches Sprechen“, wie Waldenfels sagt,39 das sich von der uns verfügbaren Sprache unterscheidet und auf fremde Dimensionen der Sinnproduktion verweist. So erscheint der Leibkörper beispielsweise in seiner stimmlichen Prosodie, Intonation und klanglicher Färbung, aber auch etwa in redebegleitenden Bewegungen und Gesten, niemals als ganz eigener, sondern als ein der autonomen Verfügbarkeit entzogenes ‚interkorporelles‘ Zwischen, in dem sich eine mimetische Anverwandlung mit dem Körper des anderen Gegenübers vollzieht.

Waldenfels macht dies am Beispiel der ersten Lebensjahre deutlich: Von Kind auf ist der Andere in uns implantiert; wir sind bei und nach der Geburt noch eins mit der Mutter, wir lernen vom Hörensagen die Sprache sprechen, die nicht unsere eigene, sondern die unserer Mutter ist, wir hören auf Namen, die wir uns nicht selbst gegeben haben usw. Deshalb ist der Andere immer zuerst da, wir können den Anderen nicht erreichen, ohne von ihm auszugehen:

Intercorporeity implies that the own and the alien are entangled, that everybody is inserted into an interlacing, into a Geflecht or entrelacs as Norbert Elias, Merleau-Ponty and sometimes even Husserl put it. (...) What we feel, perceive, do or say is interwoven with what others feel, perceive, do or say.40

Waldenfels macht diese Verwobenheit von (Fremd-)Körper und (Eigen-)Leib anhand des Beispiels eines Orchesters deutlich:

Every player of a musical instrument knows that his or her fingers are quicker and more sensitive than any rational control could be. We are carried away (mitgerissen, emportés) by our own words and actions as well as by those of others, so that we are neither reduced to merely moved objects nor to simple active subjects.41

Wir intervenieren in eine bereits laufende Bewegung, die unserer Initiative vorangeht. Diese Bewegung ist das leibliche Zusammenspiel gegenseitiger Leib-Wahrnehmung – was mit Metaphern wie Stimmung, Atmosphäre, Raumgefühl usw. beschreibbar ist –, die dem Verstehen vorausgeht.42

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