Читать книгу Scurrilitas - Hans Rudolf Velten - Страница 26

Herstellung von Gemeinschaft im Lachen

Оглавление

Noch vom heutigen Standpunkt betrachtet ist das Lachen weit mehr als ein subjektiver Gefühlsausdruck bzw. ein individuelles Verhalten. Es ist ebenso sehr eine Form der (sozialen) Kommunikation. Deshalb erscheinen mir, wie oben (1.2.) ausgeführt, ontologische und essentialistische Versuche, das Lachen vornehmlich als eine Funktion komischer Vorgänge zu beschreiben (wie sie vor allem in der Philosophie und der Psychologie, aber auch der Linguistik anzutreffen sind), als unzureichend, um die komplexen sozialen Funktions- und Wirkungsweisen des Phänomens zu erfassen. Voraussetzung für die Annahme von „Lachgemeinschaften“67 ist die Auffassung, dass fast alles Lachen gemeinsames Lachen – oder, um mit Douglas zu sprechen, „social response“ ist, während „private laughing“ den Status eines Sonderfalls haben dürfte.68

Wenn das Lachen weniger eine individuelle Ausdrucksreaktion bzw. das Resultat einer rein subjektiven Wahrnehmung komischer Sachverhalte, sondern ein „sozialer Vorgang“ (Freud), ein Gruppenphänomen ist (Bergson),69 das ursächlich der Gegenwart des Anderen bedarf (niemand kann sich selbst zum Lachen bringen),70 dann muss es auch im Hinblick auf Fragen untersucht werden, die weniger seine symbolischen und kognitiven Dynamiken betreffen, sondern vor allem die Kontexte und interaktionalen Prozesse (Situationen, Orte, Okkasionen), in welche es eingebettet ist. „Das freieste Lachen“, schrieb Bergson, „setzt immer ein Gefühl der Gemeinsamkeit, fast möchte ich sagen, der Hehlerschaft mit anderen Lachern, wirklichen oder auch nur vorgestellten, voraus.“71 Der Sozialpsychologe Phillip Glenn nimmt diese von Bergson hervorgehobene gemeinschaftsbildende Funktion des Lachens zum Anlass für weitere Forschungen:

Laughter proves important socially as a means to show affiliation with others. (...) One of laughter’s most important features lies in its shared nature: that it is produced primarily in the presence of and for the benefit of other persons. (...) Shared laughter serves some important functions: it provides, at least temporarily, a group unity or awareness, a psychic connection of all the laughers. It can be induced as a means of displaying this group togetherness. It allows for the expression and maintenance of group values and standards, via the subjects and situations to which it refers. It can boost morale and ease internal hostilities and differences. Laughing at people or things external to the group can strengthen boundaries, solidifying members in their group identity against outsiders.72

Durch gemeinsames Lachen entsteht für Glenn eine gemeinsame, ähnliche Wahrnehmung der komischen Situation. „Shared laughter can display co-orientation or alignment of laughers, remedy interactional offenses, and provide a sequential basis for displays of conversational intimacy. Extended shared laughter marks an episode of celebration in talk.“73 Dabei ist es wichtig zu betonen, dass das gemeinsame Lachen nicht immer auf einen komischen Stimulus folgt; schon Jefferson hatte darauf hingewiesen, dass Lachen mitunter selbst als Stimulus für Gelächter fungiert.74 Initiallachen evoziert dann in der Regel Reaktionslachen. Lachpartikel in Äußerungen sind oft Lachsignale, die das Folgende in einen lächerlichen bzw. komischen Modus setzen.75

Daher auch die ansteckende Wirkung des Lachens, die gerade für die Funktionsweisen des gemeinsamen Lachens bedeutungsvoll ist. Dass Lachen ansteckend ist, bedeutet, dass es uns in seinen Bann zieht. Plessner: „Wir können echtem Lachen und Weinen gegenüber nur mit Überwindung unbeteiligte Zuschauer bleiben. Stärker als jedes andere mimische Ausdrucksbild ergreifen uns Lachen und Weinen der Mitmenschen und machen uns zu Partnern ihrer Erregung, ohne dass wir wissen, warum.“76 Deshalb muss die psychophysische Übertragbarkeit des Lachens, seine Ansteckungskraft, als einer der wichtigsten Aspekte des gemeinschaftlichen und somit auch des rituellen Lachens angesehen werden. Das Lachen als Antwort, so Plessner, löst sich in gewisser Weise vom Menschen als Person. Es ist dann nicht mehr „mein Lachen“, vielleicht ausgenommen die Klangfarbe, die zu mir als Person, aber auch zu meinem Geschlecht, zu meinem Alter, zu meiner Stimmung passen kann, sondern es löst sich von mir, um sich mit dem Lachen der anderen zu vereinigen, es wird zu einem anonymen Lachen, was ein Grund für seine Ansteckung ist:

Im Lachen wird er (der Mensch) gewissermaßen anonym – ein Grund für die ansteckende Kraft, die ihm innewohnt. (...) Im Lachen quittiert der Mensch eine Situation. Er beantwortet sie mit ihm direkt und unpersönlich. Er gerät in einen anonymen Automatismus. Er selbst lacht eigentlich nicht, es lacht in ihm, und er ist gewissermaßen nur Schauplatz und Gefäß für diesen Vorgang.77

Plessner formuliert hier Mechanismen des gemeinsamen Lachens, die tief im kulturellen Gedächtnis des Menschen verwurzelt sind. Denn die Teilhabe des Individuums an der im Lachen erzeugten Gemeinschaft schafft ein akustisch und körperlich erfahrenes, psychophysisches Gemeinschaftsgefühl, in dem bleibende Überzeugungen verortet, Gegner und normferne Verhaltensweisen ausgegrenzt und soziale Positionen bestimmt werden können.78

Scurrilitas

Подняться наверх