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Eine Rahmentheorie des Komischen: der komische Modus

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Wenn Komik demnach weder ontologisch und strukturell, noch historisch und kulturell definiert werden kann, wie ist dann der Gebrauch des kategorialen Begriffs zu rechtfertigen? Kann nicht alles (jeder Satz, jede Geste) komisch werden, wenn es in einer bestimmten Situation die Logik des Sinns überschreitet und daher von Lachen quittiert bzw. begleitet wird? Aber wo liegt hier genau die Abhängigkeit der Komik vom Lachen? Ich mache den Versuch, diese Frage zu beantworten, indem ich auf einen Aspekt der Lach- und Komiktheorie zurückgreife, den ich bisher nur am Rande erwähnt habe: die Rahmentheorie. Verbunden sind damit Namen wie Gregory Bateson und Erving Goffman, bezogen auf das Lachen auch Arthur Koestler und Mary Douglas.

Koestler hatte bereits in den 1960er Jahren mit seiner (in Deutschland wenig beachteten) Bisoziationstheorie Lachen und Humor einem Wechsel zwischen zwei kommunikativen Rahmen zugeschrieben, dem „serious mode“ und dem „humorous mode“. Beides wurde im Hinblick auf die Pointenstruktur des Witzes formuliert, indem sich während des Erzählens eines Witzes eine Erwartung aufbaut, die in der Pointe dann plötzlich enttäuscht wird, indem der ernsthafte Rahmen in einen unernsten umschlägt.44 Freilich ist bei Koestler dieser Umschlag einer kognitiven Operation geschuldet, ein Ansatz, dem bis heute viele semantische Lachtheorien folgen.45 Daher betrachtet die Bisoziationstheorie und ihre Varianten Witz und Komik unabhängig von ihrem sozialen Vorgang; sie nimmt an, dass Lachen lediglich eine manifeste Antwort auf die psychologische Erfahrung von „Humor“ ist.

Erweitert man jedoch die Rahmentheorie auf menschliche Interaktion insgesamt, so wird der Rahmenwechsel – und nicht nur in Bezug auf die Untersuchung der sozialen Effekte des Lachens – wesentlich ergiebiger. Lachen wird dabei nicht mehr nur als Reaktion auf Komik und Witz angesehen, sondern als eine Markierung seiner Referenten als Spiel und Nicht-Ernst. Komik würde auf diese Weise mit Lachen nicht nur beantwortet, sondern markiert, das Lachen hätte die Funktion eines frame-markers. Es sind die Rahmentheorien von Bateson (1972) und Goffman (1974), die einer solchen Perspektive vorgearbeitet haben. Der englische Anthropologe und Biologe Bateson hatte herausgefunden, dass es für Menschen und Tiere einen „Spielrahmen“ mit speziellen Signalen (framing markers) geben müsse, die den anderen bedeuteten „das ist Spiel“. Spiel wiederum wird von Bateson als ein inhärent paradoxer Rahmen angesehen, der gleichzeitig ernsthafte und nicht-ernste Interpretation verlange.46

Wie erkennen die Teilnehmer einer Interaktion aber den Spielrahmen? Nach Bateson wird er vor allem mit Hilfe metakommunikativer Signale angezeigt: Gesten, Bewegungen, aber auch Stimmungszeichen wie Augenzwinkern, Lächeln und Lachen. Dabei können sich auch Widersprüche und Paradoxien zwischen den metakommunikativen Signalen und dem Kommunizierten selbst ergeben, die Bestandteile des Spiels, aber nur innerhalb des Spielrahmens möglich sind. Lachen als Markierung für den Spielrahmen wurde im Anschluss an Bateson in mehreren Studien belegt (Metakommunikation durch Lachen): Lachsignale können von allen Teilnehmern ausgesendet werden, müssen allerdings von den anderen akzeptiert werden: „One may laugh not only to ratify an ongoing comic frame, but also to help bring one about“.47 Das gut funktionierende Lach-Signal hat die Wirkung, dass beide Interaktionspartner bereit sind, mit Normen, Rollen und Beziehungen zu experimentieren.

Auch für Goffman sind die Batesonschen Begriffe der Metakommunikation und der Rahmung in seiner Sozialtheorie der Alltagserfahrung zentral.48 Er ist der Auffassung, dass jede Kommunikation in mehreren Existenzschichten verwirklicht wird. In Gesprächen werde grundsätzlich mitkommuniziert, welcher Status der eigenen Rede zukommt; so werde in der scherzhaften Kommunikation ein Theaterrahmen erzeugt, innerhalb dessen ein Spiel mit Inkongruenzen stattfinden kann. Alle Handlungen in diesem Spiel verweisen auf ihren Kontext, den Rahmen, aus dem sie erst verständlich werden, selbst wenn sie widersprüchlich bzw. sinnlos sein sollten: Widersprüchlichkeit und Sinnlosigkeit (der Komik etwa) werden durch den Rahmen perspektiviert und enthebbar gemacht, denn der Rahmen wertet Sinnlosigkeit als Spiel.

Der Rahmen ist in der Interaktion immer schon beigegeben, seine Leistungsfähigkeit besteht hauptsächlich in der Identifizierung, Differenzierung und Relationierung von Kontexten und Kontextebenen. Somit sind nach Goffman Rahmen als Sinnträger des Geschehens bedeutsam. Der Handelnde bedient sich des Rahmens als einer mehr oder weniger komplexen generellen (Meta)-Verstehensanweisung. Sie konstituiert einen Wirklichkeitsraum als Möglichkeitsraum, der in jeder Situation schrittweise abzuarbeiten ist.49 Die Grundidee der Rahmentheorie besteht somit darin, dass Handlungen nicht isoliert, sondern im Zusammenhang ihrer Wahrnehmungsgeschichte verstanden und bewertet werden.50

Im Falle inszenierter Körper- oder Sprachkomik würde ein Primärrahmen (Menschen verhalten sich körperlich und sprachlich situationsangemessen, d.h. Normen und Konventionen entsprechend) und seine gewöhnlichen Bedeutungen durch die Vereinbarung „das ist Spiel“ außer Kraft gesetzt, eine spielerische Rahmung tritt ein.51 Dies geschieht mit Hilfe von Rahmungssignalen, wie etwa dem offenen Spielgesicht bei Tieren (Lorenz) oder dem redebegleitenden Lachen im scherzhaften Gespräch. Aus dieser Perspektive wäre das Lachen des Sprechers ein Signal dafür, dass seine Äußerung spielerisch aufgefasst werden soll, denn ihr ernsthafter Sinn wird durch das Sprecher-Lachen unterlaufen; Sprecher-Lachen fungiert so „auch als Einladung, ins Spiel einzusteigen.“52

Noch ist die Vereinbarung des Rahmenwechsels unter der Devise „das ist Spiel“ allerdings keine zwingende Voraussetzung für die Möglichkeit von Komik. Sie muss noch spezifiziert werden, damit etwas als komisch wahrgenommen werden kann, es fehlt eine Vereinbarung: „das ist zum Lachen“. Für solche Fälle der mehrfachen Rahmentransformation führt Goffman den Begriff des Moduls (key) ein:

Darunter verstehe ich das System von Konventionen, wodurch eine bestimmte Tätigkeit, die bereits im Rahmen eines primären Rahmens sinnvoll ist, in etwas transformiert wird, das dieser Tätigkeit nachgebildet ist, von den Beteiligten aber als etwas ganz anderes gesehen wird. Den entsprechenden Vorgang nennen wir Modulation.53

Dieses rahmentheoretische Schlüsselkonzept umfasst die ganze Fülle von Möglichkeiten, primär sinnvolle Aktivitäten gemeinsam „als etwas ganz anderes“ zu betrachten und entsprechend zu handeln.

Der Rahmen und die ihm zugrunde liegenden Vereinbarungen erlauben demnach dem Komischen als etwas dem Primärrahmen Angehöriges, doch Modifiziertes aufzutreten bzw. zu emergieren. Etwas wird als komisch wahrgenommen, wenn es beiden Rahmen angehört, und somit zunächst Wiederholung und Variation, dann aber auch Devianz, Abweichung ist. Schon Plessner hatte angenommen, dass die Wahrnehmung einer Abweichung von der Regel durchaus zur Wahrnehmungsstruktur des Komischen gehöre: „Nur durch die Beziehung auf eine Regel, der es widerstreitend gegenübertritt, ergibt sich das Komische.“ Dabei übernimmt der Zuschauer die Rolle desjenigen ein, der die Norm verkörpert: „Der Zuschauer ist hier nicht nur das bloße Auge, das fertige Bilder aufnimmt, sondern das Maß und die Regel, die Vergegenwärtigung der Norm, vor der allein das Schiefe schief, das Krumme krumm erscheint.“54

Wenn Plessner in diesem Beispiel mit der Wahrnehmung von regelabweichenden Formen argumentiert, hat er einen Begriff gewählt, der sich für viele Arten der Komik anbietet, die Sprach- und Körperkomik, aber auch für die emergente Komik von Situationen und Handlungen. So versteht auch die Anthropologin Mary Douglas in ihrer Untersuchung von Scherzhandlungen (jokes) das Komische als ein Spiel mit (wahrgenommenen) Formen: „By this stage we seem to have a formula for identifying jokes. A joke is a play upon form. It brings into relation disparate elements in such a way that one accepted pattern is challenged by the appearance of another which in some way was hidden in the first.“55

Halten wir fest: Das Lachen erscheint in zwei Modulationen; als Markierung der Spiel-Rahmung und als übergeordnetes Ziel der komischen Rahmung. Es ist nicht mehr nur als Reaktion auf komische Vorgänge zu verstehen, sondern es „regiert“ einen spezifischen spielerischen Modus des Seins, den lächerlichen oder komischen Modus. Im komischen Modus ist alles aufgehoben, was auch dem Primärrahmen der Welt der Norm und des Ernstes angehört; die soziale, religiöse und verwandtschaftliche Zugehörigkeit, Verhaltens- und Bewegungsregeln, die zahlreichen Formen der Anpassung an Gegebenes oder Gebotenes einschließlich der Unterdrückung der Triebe. Der komische Modus ist ein durch Rahmentransformation etablierter Spielrahmen, in welchem Formen, die auch dem Primärrahmen angehören, durch ihre Wahrnehmung als Wiederholung, mimetische Nachahmung und Normabweichung komisch werden können. Dies wird durch die Konsequenzlosigkeit des Spielrahmens erreicht: ein „als-ob“-Tun ohne Folgen, bei dem kategoriale Festlegungen und klare Bedeutungsverhältnisse ambivalent geworden sind, weil alles in Frage steht und nichts mehr gilt.56 Deshalb sind Hyperbeln elementarer Bestandteil des Komischen: Sie entstehen aus der Lust an der Provokation als Konsequenz der garantierten Folgenlosigkeit des Spielrahmens. Ähnlich verhält es sich mit Karikaturen: Sie werden im komischen Modus wahrgenommen, und daher können sie mit den gröbsten Deformationen und Übertreibungen versehen werden; das Lachen bezieht sich dann auf diese Modulation des Primärrahmens wie auf „echte Personen“, welche von ihren diskursiven oder imaginären Wiederholungen überwuchert werden.57 Es löst dabei die Ambivalenz auf und signalisiert, dass es nicht um Angriff geht, sondern nur um Spiel.

Komik führt so gesehen eine modale Existenz, es muss keine wesenhaft oder essentiell komischen Handlungen und Äußerungen geben, Handlungen und Äußerungen sind dann komisch, wenn sie aus der Perspektive der Rahmung „zum Lachen“ wahrgenommen werden.58 Dass dies so ist, können wir daran erkennen, dass ein kulturell Außenstehender deshalb nicht über komische Vorgänge lachen kann, weil er den komischen Modus nicht wahrgenommen hat. Dadurch wird Komik nicht strukturell oder ontologisch beschreibbar, sondern modal, kontext- und situationsbezogen, aufführungsbezogen, wie eine Rahmung, eine Klammer, die sich im Alltag auftut und dann wieder schließt.

Insofern als er eine in ihrer Dauer und Zusammensetzung kontingente Spiel- und Aufführungsrahmung bezeichnet, ist der komische Modus performativ. Er setzt mit Spielsignalen (wie den von Bateson genannten) ein, die den anderen Beteiligten den Spielcharakter des Gesagten und Getanen mitteilen59 und endet erst dann, wenn diese Spielsignale ausbleiben oder konterkariert werden. Ein komischer Modus ist deshalb immer ein Spiel-Modus, bei dem allerdings die Ambivalenz zum ernsthaften Rahmen beibehalten wird. So kann es auch zu der Bergsonschen Beobachtung der „Anästhesie der Herzen“ kommen, die Stillstellung oder Ausklammerung anderer Gefühle. Der komische Modus erlaubt kein Mitleid, keine Trauer, keinen Ärger. Bergson nennt das „unser Gefühl einschläfern“, und er sieht den Grund dafür in ästhetischen Strategien, der Isolierung einer bestimmten Empfindung in einer Person und die Zuweisung einer „parasitären, selbständigen Existenz.“60 Wenn aber eine Situation im komischen Modus wahrgenommen wird, sind alle Emotionen der Wirklichkeit, wie auch die ihrer Wirkungen automatisch ausgeschlossen, ohne dass eine ästhetische Isolierung des komischen Objekts stattfinden muss.

Entscheidend für die Ausschließung von Emotionen im komischen Modus ist dessen Zentriertheit. Goffman unterscheidet zwischen unzentrierten und zentrierten Interaktionen; nur bei letzteren kämen die Teilnehmer überein, ihre Aufmerksamkeit für eine gewisse Zeit auf einen bestimmten Brennpunkt zu richten.61 Im komischen Modus ist dieser Brennpunkt das komische Ereignis oder der komische Vorgang. Dass die visuelle Wahrnehmung des Körpers und seiner Gesten leicht zu einem Anziehungspunkt der Aufmerksamkeit werden können, hatte bereits Bergson erkannt.62 Der Körper ist deshalb ein Agent des komischen Modus, weil er wegen seines ständigen Vorhandenseins nicht in einem einzigen Rahmen behandelt werden kann, deshalb immer den Primärrahmen mit sich führt und damit ein systematisches Interaktionsrisiko, einen Unsicherheitsfaktor darstellt. Als solcher zieht er sofort die Aufmerksamkeit auf sich, sobald seine Bewegungen, sein Habitus oder seine akustische Wahrnehmbarkeit vom primären Rahmen abweichen.

Häufig ist der komische Modus mit einem spontanen, vielfach überraschenden Rahmenbruch verbunden. So hatte Stierle in seiner Handlungstheorie der Komik die komische Situation als Konsequenz des Zusammenbruchs einer kommunikativen Situation interpretiert: Durch einen „komischen Umschlag“ treten zwei Aufmerksamkeitsfelder zueinander in Beziehung, die die beobachtende Person überfordern und sie vor ein Paradox stellen (Paradoxie der Aufmerksamkeit).63 Die „Enthebbarkeit“ des Komischen, also seine Schadenlosigkeit, sei ein Resultat dieses Paradoxes und somit eine „elementare Ästhetisierung“; „durch Enthebung wird das komische Faktum irrealisiert, insofern als es in die Perspektive bloßer Betrachtung gebracht wird.“64

Dieser aus der Perspektive der Komödientheorie heraus formulierte Gedanke macht den komischen Modus zu einem ästhetischen Vorgang. Dies trifft dann zu, wenn es um den Rezipienten als Zuschauer einer Bühnensituation geht, die dieser betrachten und sich von ihr distanzieren kann. Der komische Modus hingegen ist nicht auf Theatersituationen beschränkt, sondern wird ebenso in Performances und alltäglichen Kommunikations- und Handlungssituationen wirksam. Was Stierle als Ästhetisierung des Betrachters bezeichnet, ist im komischen Modus die von Aufmerksamkeit begleitete Wahrnehmung der Modulation oder des Rahmenbruchs. Der komische Modus allein kann – ganz ohne Ästhetisierung – den „Unernst des komischen Konflikts“, wie Jauß sagt, verbürgen, d.h. der Ernst all dessen, was Mitleid, Verachtung oder Ekel auslösen könnte, ist aus dem Spielraum des Lachens verbannt.65

Es ist durchaus nicht leicht, gegen die Vereinbarungen des komischen Modus zu verstoßen. Wenn die lustige Person einer Komödie auf einmal „Feuer, Feuer“ ruft, und die Zuschauer dazu anhält, das Theater zu verlassen, wird ihr niemand Glauben schenken. Sie kann die Zuschauer nicht davon überzeugen, dass sie den Rahmen gewechselt hat, und jetzt auf einmal ernsthaft spricht, denn die Signale des komischen Modus sind zu stark.66 Statt sich in Sicherheit zu bringen, werden die Zuschauer vom Lachen beherrscht: Das Lachen bestimmt die Szene, und die Warnung wird als komische Interferenz mit der Grausamkeit der Wirklichkeit aufgefasst.

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