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Semantik

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Zur Semantik im komischen Vorgang schreibt selbst Jauß (in Bezug auf die Komödie), die Semantik sei überfordert. Denn die „komische Botschaft“ sei keine Botschaft mit decodierbarem Inhalt. Was das Publikum lachend beantworte sei „die komische Kollision als solche“, womit Jauß den Zusammenbruch des normativen Weltverständnisses bei der Berührung mit der nichtigen Gegenwelt der Komödie meint. Die „lachende Antwort“ des Publikums sei auch kein eigentliches Decodieren einer Botschaft, geschweige denn deren Interpretation, sondern etwas semantisch nur sehr schwer Greifbares:

(...) wer nur mehr lachend ‚quittiert‘, erteilt dem ‚Sender‘ (wie gerade das so prägnante Bild des ‚Quittierens‘ verrät) keine eigene Antwort, unbeschadet dessen, daß er im Nachhinein darüber reflektieren kann, ob ihm der komische Anlaß seines Lachens wohl auch eine praktische Einsicht eröffnet hat. Das spezifische Vergnügen am komischen Vorgang läßt sich denn auch nicht mehr semiotisch erklären (...).35

Diese Auffassung scheint auch Wolfgang Iser zu teilen, wenn er grundsätzliche Zweifel an der gängigen Praxis anmeldet, Komik über Oppositionsverhältnisse zu erklären. Dies setze das Interesse an der Bedeutung absolut. Ganz ähnlich wie Jauß merkt er an:

Vielleicht aber ist das Komische durch semantische Bestimmungen gar nicht einzufangen; und wenn wir heute über so viele Bedeutungen des Komischen verfügen, so liegt der Verdacht nahe, dass sich in ihnen nur historisch bedingte Füllungen einer vorwiegend pragmatisch funktionierenden Struktur spiegeln.36

Als methodische Konsequenz schlägt er vor: „Daher empfiehlt es sich, Konstellationen des Komischen weniger von ihren Positionen, sondern mehr von dem Geschehenscharakter her zu denken, der sich durch die aufeinander bezogenen Positionen ergibt.“37

Mit dem Verweis auf den Geschehenscharakter des Komischen macht Iser schon in den siebziger Jahren auf die Notwendigkeit einer performativen Theorie des Komischen aufmerksam, die den Prozess der Bedeutungsübertragung zunächst unberücksichtigt lässt. Wie marginal diese Position vor dreißig Jahren war, zeigt, dass sie bis heute kaum Nachfolger gefunden hat. Noch immer gehen die meisten Analysen literarischer und theatraler Komik vom Primat der Semantik aus, wo komische Handlungen immer in ihrer kulturellen, symbolischen, religiösen, mythologischen, sozialen usw. Bedeutung untersucht werden, sich gegen andere Bedeutungen stellen, sie in sinnreichen Anspielungen, Witzen, bedeutungsvollen Gesten usw. unterlaufen.38 Im Übrigen wird häufig übersehen, dass auch ein Zeichen für unterschiedliche Benutzer unterschiedliche Bedeutung haben kann; nichts ist ein Zeichen, wenn es nicht von jemandem als solches verstanden wird. Die Bedeutung an sich, die einem Zeichen beigegeben ist, gibt es nicht; Bedeutung konstituiert sich in diesem dynamischen Prozess nur im jeweiligen Rezipienten, den das Zeichenmittel findet.

Dies gilt auch für die älteren Epochen, in denen gerade der Narrenfigur immer wieder die Gegenläufigkeit und Gegensinnigkeit von Bedeutungen attestiert wurden.39 Viel mehr als Widerspruch und Opposition verkörpert der Narr den närrischen, d.h. sinnzerstörerischen Umgang mit Bedeutungen, er ist derjenige, der das Komische als Geschehen inszeniert und es dabei ambiguisiert und dekonstruiert. Gegen Sinn und Bedeutung wird nicht angegangen, sie werden spielerisch zersetzt und entwertet, Sinnangebote werden im Spiel unterlaufen.40 Dies alles geschieht in komischen Vorgängen, bei denen Körper und Sprache in der Leiblichkeit des Sprechens eine eigentümliche, enge Beziehung eingehen.

Es scheint deshalb so, dass sich das Semantische bei der Komik nicht nur nicht vom Performativen separieren lässt, mehr noch, es geht vollkommen im Performativen auf. Die Mehrdeutigkeit des Komischen ist eine Rezeptionsleistung der Anwesenden, sie entsteht im Geschehen, im Vorgang, in der Situation selbst, an der diese teilhaben, und ist somit niemals strukturell greifbar. Greifbar ist nur der vom Körper ausgehende spielerische Umgang mit Sinn und Bedeutung in der Komik, bei der auf sprachliche Signifikanz verzichtet wird, wie Jacques Derrida es formuliert:

Le rire seul (…) n’éclate que depuis le renoncement absolu au sens, depuis le risque absolu de la mort, depuis ce que Hegel appelle négativité abstraite. Négativité qui n’a jamais lieu, qui ne se présente jamais puisqu’à le faire elle réamorcerait le travail. Rire qui à la lettre n’apparaît jamais puisqu’il excède la phénoménalité en général, la possibilité absolue du sens.41

Das Lachen ist aus postmoderner Perspektive nicht mit der Negativität gleichzusetzen, die ihm Hegel noch zugeschrieben hat, aber auch nicht mit dessen Variation, dem Nichtigen, dem „der Lebensordnung schlechthin Entgegenstehenden“, als das es Ritter identifiziert hat. Das Lachen ist vielmehr gar kein Teil diskursiver Ordnungen, es erscheint dort nicht, es steht außerhalb von Zeichen- und Diskurssystemen als Reaktion des Körpers auf deren Verwirrungen, Verknotungen und Unzulänglichkeiten im komischen Vorgang, aber auch den Sieg des Körpers über die Sprache, das Wort, die Bedeutung, den Sinn.

Konstitutiv für das Lachen sind die Triebe und Begierden des Körpers, deren Artikulation es beantwortet und vor denen der Körper des Lachenden kapituliert, weil er sich selbst darin erkennt. Denn der Körper hat sich im Komischen mit den Zeichenprozessen des Diskurses verbunden, ohne jedoch Bedeutung zu erzeugen wie die Sprache, die den Körper im Augenblick der Bedeutungserzeugung abgeschüttelt hat und deren Botschaften körperlos sind. Der Körper spricht im Komischen ohne Bedeutung, er ist die Botschaft selbst. Mary Douglas hat das anhand der skatologischen Komik gezeigt: Sie erreicht ihre Wirkung dadurch, dass der Bezug eines Ereignisses zu einem körperlichen Muster die Würde seines moralischen Musters zerstört, und somit Bedeutung zunichte gemacht wird, damit der Körper im Vordergrund stehen kann.42

Was resultiert daraus für die Bestimmung von Sprachkomik? Prinzipiell lässt sich sagen, dass das Ambivalente, Widersprüchliche und Absurde im Sprachspiel letztlich auf den Körper und seine Widerständigkeit verweisen. De- und Rekomposition von Worten, ihre Mischung und Verrätselung, die syntagmatischen Deformationen, asyndetischen Phonemfragmente und ihre lautlichen Dissonanzen in der komischen Rede tendieren zur Streichung sprachlicher Signifikanz und verweisen auf den Ort ihrer Artikulation, den menschlichen Körper. Sie sind insofern Indikatoren für sprachliche scurrilitas. Dass die körperliche scurrilitas ebenso bedeutungszersetzend ist, hat am eindrücklichsten Alfred Polgar angesichts der körperlichen Komik Charlie Chaplins beschrieben:

Und hier steckt der eigentlichste Kern von Chaplins sieghafter Komik. Seine Schlapfen, sein Watschelgang, sein viel zu kleiner Hut, sein Schnurrbart, der nur die Oberlippe deckt … welche Bedeutung haben sie? – Meiner bescheidenen Meinung nach: gar keine. Das ist ihre tiefe Bedeutung. In ihrer Sinnlosigkeit ruht ihr Sinn.43

Scurrilitas

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