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2.1. Literaturwissenschaftliche Positionen: Komik

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Auch wenn sich insgesamt in den historischen Wissenschaften eine Verschiebung des Schwerpunktes der Forschung von der Komik zum Lachen andeutet,1 bleibt erstere doch in der Literaturwissenschaft wichtiger methodischer Fokus. Dort wird das Lachen meist im Rahmen von ästhetischen Fragestellungen zur Komik behandelt, wo der Körper in Unterkategorien wie Handlungs- oder Situationskomik aufgeht (s.o.). Früh hatte man sich Stil- und Gattungsfragen der Komik im Mittelalter gewidmet und vor allem ihr Verhältnis zum Ernst, zur religiösen Literatur herausgearbeitet.2 Ein für leibliche Vorgänge zentrales Motiv ist für die lateinische Literatur der so genannte Küchenhumor, auf dessen häufige Vermischung mit ernsten bzw. religiösen Themen bereits Curtius aufmerksam machte.3 Im Spannungsfeld von Sakralität und Profanität kommt es immer wieder zu Komik als Schwellenphänomen, wie in Legende, Predigtexempel und geistlichem Spiel, wo durchaus auch körperliche Motive zur Sprache kommen, die mit der Heiligkeit von Personen kontrastieren.4 Sie sind nicht selten an Figuren niederen Standes gebunden (Knechte, Küchenjungen, Bauern, Tagelöhner), deren Körperlichkeit meist als zeichenhaft und sozial determiniert interpretiert wird.

Die Einmischung komischer Züge in das ernste lateinische Epos wurde durch die spätantike Literaturtheorie bereits gerechtfertigt. Curtius bringt mehrere Beispiele für das Früh- und Hochmittelalter, wo nach dem Grundsatz „ludicra seriis miscere“ verfahren wurde.5 Dieses Prinzip wird in den altfranzösischen Chansons de geste durchaus übernommen, wie Ménard ausführlich gezeigt hat. Da erscheinen Kleriker als Krieger, im Rolandslied etwa Turpin, um dessen Figur zahlreiche ludicra eingemischt sind, wie überhaupt die Karlsepik und das Herrscherlob Karls die meisten komischen Einwürfe haben.6 Hier ist auch Curtius’ Formulierung: „ein komischer Einschlag (hat) von jeher zum Bestande des mittelalterlichen Epos gehört“ einzuordnen.7

Neben der komischen (Stil-)Mischung sind Parodien und Travestien für die lateinische Dichtung des Mittelalters charakteristisch: Zu nennen sind hier die ioca monachorum, die lateinische Vagantenlyrik, Säufer- und Trinkermessen, in welcher liturgische Formeln und Abläufe parodiert und verspottet werden.8 Dass die parodistische Sprachkomik in ihrer Subversion nicht nur provoziert hat, sondern einen gewissen Unterhaltungswert auch für den hohen Klerus besaß, beweist die Cena Cypriani, eine Bibelparodie aus der Spätantike, die im 9. Jh. (855) von Rhabanus Maurus für den Karolinger Lothar II. wieder aufgenommen, von einem römischen Diakon namens Johannes Immonidis (877) umgedichtet und mit einer Widmung an Papst Johannes VIII. versehen worden war.9 Auch in den Parodien ist Körperliches tendenziell vorhanden (Festmahlmotive, Beginn der Sauf- und Fressdichtung), und sie kommen insbesondere bei der Aufführung solcher Texte im Rahmen von Spottpraktiken zur Geltung, was bislang aber nur vereinzelt untersucht wurde. Ein bedeutendes Körpersubstrat haben sicherlich auch die (vornehmlich französischen) Klerikerfeste des Jahreswechsels und die in ihnen eingebetteten Lieder, Tropen und Formeln, bei denen die rituelle und die Aufführungsdimension bislang weniger Beachtung fanden als die sprachlich-symbolische Ebene.10

Die Komik von literarischen Werken insgesamt ist für die Forschung somit fast immer sprachliche Komik, was einerseits bei der Analyse von Sprachkunstwerken auch nicht überrascht. Die sprachliche Komik kann mit dem traditionellen Instrumentarium der Rhetorik sehr gut erklärt und ausgelegt werden, was zahlreiche Studien zu diesem Thema bezeugen: Komik ergibt sich hier aus einer kontrollierten aptum-Verletzung, wie Ueding betont.11 So kann die Horazsche Dichotomie von delectatio und utilitas als rhetorisch-theologische Handlungsanleitung für die Komik im Mittelalter und ihre Funktion gelesen werden. Die Belehrung durch komische Literatur erfolgt in dieser Perspektive mittels negativer Didaxe, doch allzu oft hat die Aufmerksamkeit auf die moralischen Aspekte der Komik den Blick für ihre subversive Kraft verstellt. Bis heute werden Hinweise auf diese Funktion der Komik (wie in Prologen, Vorreden und Epimythien) bis ins 16. Jh. allzu wörtlich genommen, ohne ihre topische Qualität zu berücksichtigen.12 Die Komik, die gleichzeitig unterhalten und belehren soll, hat ein gedämpftes, moderates Lachen zum Ziel, ein Rahmen, in welchen die grellen Inszenierungen des Körpers beispielsweise in Wittenwilers Ring oder in den Neidhart- und Fastnachstpielen des 15. Jahrhunderts nicht so recht zu passen scheinen. So wird die delectatio-utilitas-Dichotomie immer dort bestätigt, wo es um sprachliche Komik geht, wenn man annimmt, dass nur von ihr eine „kognitive Ebene“ abgeleitet werden kann, die charakteristisch für die Komik insgesamt sei: „Das Wesen der Komik (ist)… im Bereich der Semantik zu suchen“, so noch unlängst das Urteil von Johannes Klaus Kipf zur Mären-, Schwank- und Fazetiendichtung.13 Untersuchungsgegenstände sind hier vor allem Wort- und Sprachspiele, Verhüllungsmetaphern, Überlagerungen von Bedeutungen usw., oder verkürzte komische Situationen.

Der „semantische Kontrast“, die Inkongruenz und die „Logik des Widerspruchs“ dienen so als probate Schlüsselkonzepte nicht nur für die Rezeption von komischer Literatur, sondern auch für ihre Produktion, wobei das Lachen immer mitgedacht, als Phänomen jedoch ausgeblendet wird. Dass Komik erst in der Wahrnehmung entsteht, dass sie stark kontextdeterminiert ist und vom Lachen abhängt, kommt dabei nur selten in den Blick. Der Körper, sei es der lebensweltliche oder der imaginäre, spielt hier schließlich fast gar keine Rolle, die wichtige Spannung zwischen Wortsemantik und Körperlichem wird nicht gesehen.14 Am ehesten noch wird ein solches einseitiges Komikverständnis Witzen und ihrer Frühform, den Fazetien gerecht, da Erzähl- und Schriftform des Witzes tatsächlich auf kognitiven Operationen und semantischen Bisoziationen beruhen. Sie hat man auch schon gewinnbringend mit semantischen Humortheorien untersuchen können.15

Weniger effektiv sind semantische Theorien bereits im Bereich der von der älteren Forschung so genannten ‚niederen Komik‘: Derbe Schwänke, zotige Witze und grobe Mären thematisieren den Körper in seiner elementaren Leiblichkeit, seiner Sexualität und Triebhaftigkeit, mit seinen Ausscheidungen und Bedürfnissen. Diese Komik ist in der älteren Forschung als ‚niedere‘ und ‚schwankhafte‘ Komik oder auch als ‚volkstümliche Komik‘ bezeichnet worden, ihr wurde mangelnde Tiefe bescheinigt und der literarische Status oft abgesprochen. Hier hat der Körper – ex negativo – das bisher stärkste Interesse von Seiten der Forschung gefunden, wenn er als Material von obszönen Handlungen und profanierenden Verkehrungen zum Lachanlass für ‚das Volk‘ und für seine Belustigungen wie in fastnächtlichen Aufführungen und Schwankerzählungen gesehen wurde.16 Auch wenn die jüngere Forschung moralische Verurteilungen hinter sich gelassen hat, hat sie bislang kein schlüssiges Konzept gefunden, um die Zusammenhänge von Körperlichkeit und sprachlicher Derbheit – etwa im Rahmen des Obszönen – zu greifen; hier liegen lediglich erste Versuch dazu vor.17

Gerade der Begriff des Obszönen bindet die literarische Repräsentation von Sexuellem und Skatologischem immer wieder an die Lebenswelt und ihre Normativität zurück; das hat bereits die Debatte über seinen Status und seine Möglichkeiten zur ästhetischen Darstellung gezeigt.18 Schon allein deshalb erscheint Komik als Leitbegriff nicht geeignet, um obszöne Phänomene in Texten des Mittelalters, vor allem in ihrer Wirkungsdimension zu untersuchen. Denn für die Aufführungsgattungen (und dazu zählen nicht nur Spiele, sondern auch Epenvortrag, Dichtung und mündliche Erzählungen), in denen mit der öffentlichen Wirkung von Sprache und Stimme gerechnet werden muss, ist das Lachen als rahmender Erwartungshorizont und Rezeptionssignal entscheidend: Nur im Rahmen des Lachens kann sich Komisches manifestieren. Das Lachen ist auch als kommunikatives Signal intratextuell identifizierbar, und hat für den Entwurf literarischer Spielwelten ganz spezifische Funktionen, die weit über jene der Komik hinausgehen.

Dies wird besonders an den theatralen Textgattungen deutlich, vor allem am Geistlichen Spiel. Während hier vormals von ‚komischen Szenen‘ gesprochen wurde, hat sich spätestens seit Rainer Warnings grundlegender Studie Funktion und Struktur eingebürgert, statt von Komik vom Lachen und seinen Aufführungen zu sprechen, ganz unabhängig davon, ob man nun dieses Lachen als rituelles (Warning) oder als inszeniertes ansehen möchte.19 In dem Moment, wo geistliche Spiele konsequent als Aufführungen angesehen werden, deren Überlieferungsmedium der Text ist,20 kann eine literaturästhetische Kategorie wie die Komik nicht ausreichen, um das Lachen und seine ambivalenten Funktionen in Ritualen und Aufführungen methodisch in den Griff zu bekommen.21 Aus diesen und anderen Gründen hat sich das Interesse für strukturell-ästhetische Fragestellungen im Rahmen der Komik in Mittelalter und früher Neuzeit insgesamt zugunsten eines erhöhten Aufmerksamkeit für die Zusammenhänge von literarischem Text und Lachen hin verschoben, um den formalistischen, ontologischen Blickwinkel der Komik zu überwinden und zu neuen Ergebnissen zu kommen.

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