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2.2. Literaturwissenschaftliche Positionen: Lachen

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ouch mohte si ein lachen vil lihte an in gemachen.

Hartmann von Aue: Iwein, Vv. 6459–60

Das Phänomen des Lachens in der mittelalterlichen Literatur tritt zumindest seit dem 12. Jahrhundert in zahlreichen Gattungen und Schreibweisen auf, von der klerikalen und antiklerikalen Dichtung an über die spielmännische, die Heldenepik und klassische höfische Epik, über Minnesang und Spruchdichtung bis zur städtisch-bürgerlichen Kurzerzählung und dem weltlichen und geistlichen Spiel. Gleichzeitig gibt es in der deutschen Literatur eigene Gattungsformen und Schreibweisen, die dem Lachen in besonderer Weise verpflichtet sind. Dazu gehören kurze Zwischenspiele, Fastnachts- und Neidhartspiele, Fazetien und Mären, Schwänke und Schwankromane, in der europäischen Literatur etwa die Ritterepik der Spätzeit, Fabliaux und die Novellistik, Sottie und Farce, Posse, Bauernspiel und Klucht.

In allen diesen literarischen Formen und Schreibweisen wird das Lachen der Lebenswelten literarisch codiert und durch seine Fiktionalisierung auch teilweise verschärft; diese Codierungen des Lachens sind mannigfaltig und heterofunktional, sie stellen aber, allgemein gesprochen, rituelle und symbolische Ordnungen der mittelalterlichen Gesellschaft zur Disposition, und bestätigen oder subvertieren sie. Dass die Komik oder überhaupt unterhaltende Anlässe nur einen Teil des Lachens in der Literatur erklären können, hatte bereits Sargent betont: Auch schon im Mittelalter umfasste das Lachen ein umfangreiches semantisches Feld, das vom äußeren Zeichen für eine innere Emotion (Freude, Schadenfreude, Genugtuung) bis zum Signal für Überlegenheit und Sieg reicht (Sieger- und Hohnlachen) reicht, darüber hinaus aber auch für Überraschung, Verlegenheit, Aggressivität und Feindschaft, Spott- und Neckabsichten stehen kann.1

Neben den symbolischen Codierungen2 zeigt das Lachen aber auch emotionale Stimmungen und Atmosphären an, wie etwa am Beispiel des erotischen Lachens und Lächelns zwischen Liebespaaren oder an der höfischen vreude zu erkennen, die es in der Erzählung auslösen und bewirken kann. Lachen erscheint in den unterschiedlichsten Ausprägungen, als Lachen Einzelner, als Gemeinschafts- oder Gruppenlachen, als geschlechtsspezifisches Lachen, als sozial oder konfessionell bestimmtes Lachen, als Lachen der Wissenden und der Narren, der Heiligen und Teufel, als Lachen des Hofes und der Bauern.3 Diese Aufzählung ist nicht vollständig, doch gibt sie bereits Einblick in die unterschiedlichen Textfunktionen des Lachens, die von Aspekten der Gruppendynamik und des Außenseitertums (freudiges Lachen als Bestätigung einer gemeinschaftlichen Identität, Verlachen als Ehrverlust und Exklusion), über das Verhältnis von Geschlechtern (geschlechtsspezifisches Lachen, verlachte Weiblichkeit und verlachte Männlichkeit in Mären und Schwänken) bis zu Text- und Aufführungsstrategien (Poetik des Lachens) und zum Selbstverständnis von Autor und Publikum reichen (Lachen als Rollen- und Selbstdistanz).4 So wird Lachen sowohl im höfischen Roman als auch in anderen Erzählformen gern als „Joker im Kartenspiel“ (Huber) gesehen, der die Handlung in- und subvertieren kann, die Spielwelt auf den Kopf zu stellen vermag oder auf die Selbstreferentialität dieser Welt verweist.5

Lachen als innertextuelles Motiv ist allerdings auch gattungsspezifisch codiert. So erscheint es in der höfischen Literatur häufig als schwer deutbares, polyvalentes Zeichen, das verbirgt und enthüllt bzw. auf Künftiges vorausweist (etwa das Lachen der Cunnewâre in Wolframs Parzival oder Kudruns kryptisches Lachen).6 Lachen steht – wie übrigens auch das Schweigen – häufig als symbolische Leerstelle im Text (es ermöglicht zuweilen Kommunikation, wo Sprache versagt), die eine noch nicht bekannte Bedeutung für die Interaktion zwischen Erzählfiguren besitzt.7 Es treibt den Erzählfortgang voran, verbindet und trennt, steigert die Spannung und die Bereitschaft für Ungewöhnliches und Bedrohliches.8 Es sind immer wieder fünf Themenkomplexe, mit denen sich das Lachen in der höfischen Literatur verbindet: (1) Freude, (2) Unvernunft, (3) Sexualität, (4) Überraschung, (5) Gewalt und Bedrohung.

(1) Die höfische Freude und Hochgestimmtheit wird häufig durch ein gemeinschaftliches, affirmatives Gelächter ausgedrückt, das die harmonische Stimmung anzeigt und sich an scherzhaften Anlässen, Neckereien oder inszenierten Normüberschreitungen manifestiert (etwa in den Rollenbrüchen des Frauendienst Ulrichs von Liechtenstein). Selbst das hart an der Grenze des Peinlichen ertönende schadenfrohe Lachen über die Tugendproben in der Crône Heinrichs von dem Türlin gehört in diesen Zusammenhang. Zwar müssen gewisse Spielregeln eingehalten werden, wenn etwa das laute, lärmende Lachen auch bei Hofe nur in Ausnahmefällen (etwa der Wolfseisenepisode in Eilharts von Oberg Tristrant) erlaubt ist, gemäß den rhetorischen und christlichen Limitierungen des cachinnus. Sicherlich sollte auch der ideale Ritter schon vor Castiglione lachen können, aber auch genau wissen, wann und in welchem Maß gelacht werden darf.

(2) Über Unvernunft und unangemessene Anmaßungen lachen sowohl Gruppen wie auch Einzelne (die Ritter über Parzivals tumpheit oder Keies Stürze, die Teilnehmer an Ulrichs Turnierfahrt als Frau Venus über den podestà von Treviso). Über Torheit und Nichtwissen wird schon in den Spielmannsepen ausgiebig gelacht,9 unangemessene Prahlereien findet man nicht nur bei der Keie-Figur, sondern auch in der Karlsepik und der Heldenepik.10 Eine wichtige Rolle spielen auch die spielerischen Selbstanklagen (etwa Gaweins), wenn eigenes Fehlverhalten in Selbstdistanz thematisiert wird, damit darüber gelacht werden kann (was auch schon in den Liedern Neidharts anklingt).

(3) Ähnlich verbreitet ist die erotisch-sexuelle Konnotation des Lachens; hier ist vor allem seine Anbahnungsfunktion im Flirt, im Kuss (symbolisch auch der geöffnete Mund) oder in der gegenseitigen Verfallenheit wie im Tristanstoff und in der Artusepik zu sehen.11 Lachen zirkuliert zwischen Erzähler und Rezipienten bei der ambivalenten, meist verhüllenden Rede über Sexualität und Erotik, bei der es häufig zu anzüglichen Anspielungen kommt (wie bei Wolfram von Eschenbach und Heinrich von dem Türlin).12

(4) Anders gelagert ist das Lachen aus Überraschung, wenn bestimmte Figuren bislang verborgene Handlungen entdecken oder mit unvorhergesehenen Wendungen konfrontiert werden; auch listenreiches Verhalten oder durchschautes Doppelspiel sind häufig mit Überraschung verbunden und können (im Text) mit Lachen – jeweils aus Verlegenheit oder Überlegenheit – quittiert werden. Ein Beispiel ist das mehrdeutige Lachen der Königstochter bei ihrer Befreiung durch Rother im König Rother. Davon abzugrenzen ist das Lachen der Rezipienten aus Überraschung über den Verlauf der Erzählung – ich komme später darauf zurück.

(5) Lachen kann auch Verunsicherung, Angst vor der Gefährdung von Normen des gesellschaftlichen Umgangs oder der geschlechtlichen Identität signalisieren: Merlin und Cunneware lachen als wissende Außenseiter, und deshalb ist ihr Lachen bedrohlich. Beide verweigern die im gemeinsamen Lachen angelegten Integrationsmöglichkeiten und gefährden so die höfische Ordnung. Geschlechterspezifisch gesehen erkennen Männer Lachen eher als Spott und somit aggressiven Akt der Degradierung und Gefahr für ihre Ehre, während Frauen Lachen als Beweis für den pris auffassen und somit als freundlichen Akt der Hochschätzung und Affirmation.13 In beiden Fällen ist das Lachen nicht selten mit verbaler und körperlicher Aggressivität verbunden, wie etwa an den Handlungen des Seneschalls Keie in der Artusepik zu erkennen: Er übt Gewalt in vielfacher Weise, als Spott und Hohn, Zurechtweisung und körperliche Züchtigung gegen jeden aus, der ihm dazu Anlass gibt. Dabei spielt er den agent provocateur, der Konflikte zur Sprache bringt und sie so im Gelächter lösen kann.14 Hier zeigt sich ein besonderer Zug des Lachens im Mittelalter, das stärker als in der Neuzeit ein gesellschaftliches Korrektiv und Mittel zur Normerhaltung gegen Abweichungen war. In einer Gesellschaft, in der soziale Positionen durch Ehre zugewiesen werden, kommt dem Auslachen als Verkörperung des Ehrverlustes eine eminent wichtige Bedeutung zu.15 Dieses negative Lachen folgt häufig auf Spott, welcher rituellen, aber auch rhetorischen Charakter haben kann und daher kulturell und sozial sehr unterschiedlich ausfällt.16

In diesen fünf Themenkomplexen steht der Körper niemals am Rande, häufig sogar im Zentrum, entweder in seiner Gestik, Mimik und komplexen Inszenierungen, oder auch als Objekt für Züchtigung und Schläge, über die gelacht werden kann. Diese Rollen des Körpers bei Lachen und Komik sind in der höfischen Epik noch kaum untersucht worden; wenn Körper in den Blick kommen, bleiben sie meist in andere Fragestellungen eingebunden und unterliegen semantischen oder diskursiven Ausdeutungen von Situationen, Figuren, schriftlichen Inszenierungen usw.17 Gerade auch bei offensichtlichen Körperinszenierungen wie Stürzen, kläglichen Niederlagen im Kampf, unangemessenem Prahlen, Verkleidungen, wo der Körper selbst der Anlass zum Lachen ist, steht meist der zugehörige Wortwechsel im Mittelpunkt der Betrachtung. Dabei zeigt sich an vielen Stellen, dass Wort, Körper und Bild untrennbar miteinander in ihrer Funktion verbunden sind, Lachen auszulösen.

Etwas anders liegt der Fall bei der Mären-, Schwank- und Fazetienliteratur. Im 13. Jahrhundert kommt es offensichtlich zu einer deutlichen Erweiterung der Textfunktionen des Lachens, was sich nicht nur in neuartigen und unterschiedlichen Texttypen wie dem Frauendienst Ulrichs von Lichtenstein und etwa dem Mauricius von Craûn bemerkbar macht, sondern vor allem in der nun anwachsenden Märenliteratur.18 In den schwankhaften Mären, welche die ernsthaften zahlenmäßig bei weitem übertreffen,19 ist das Lachen nicht allein vieldeutiges Zeichen, Merkmal von Rollendistanz oder innertextueller Katalysator, sondern es wird nun auch zum Rezeptionssignal, zum Verbindungsglied zwischen Text und Rezipienten, indem es schlechterdings als Motto oder paratextueller Rahmen über vielen Texten steht. Denn viele von ihnen dienen dem Zweck, bei ihrem Publikum Lachen auszulösen und es dadurch zu unterhalten und Modelle falschen, lächerlichen Handelns aufzuzeigen.20 Dadurch, dass die Zirkulation von Lachen im Text und vom Text zum Publikum ästhetische Distanz auslöst und somit selbstreflexiven Charakter besitzt, ermöglicht sie auch, die Komplexität und Unterschiedlichkeit von Lachanlässen und Lachen im Text nachzuvollziehen – den verschiedenen Anlässen können verschiedene Arten des Lachens folgen.21 Spöttisches Verlachen und bewunderndes Lachen über gelungene List und Schlagfertigkeit ist nun keine Angelegenheit mehr zwischen höfischen oder nicht-höfischen Figuren auf der Textebene, sondern zwischen literarischen Figuren und Publikum. Die ‚harten‘ Effekte des Lachens – Ehrverlust, Degradierung, Scham und Züchtigung – werden durch die Erzählschwelle und die Zentralfunktion der List gemindert und können so vom Publikum mit Vergnügen aufgenommen werden. Es gibt dabei jedoch große Unterschiede bei den Modi des Lachens: Humorvolles und gutmütiges Lachen stehen dem bösen und sogar zynischen und schwarzen Lachen gegenüber. Deshalb erscheint der Körper in einer Fülle von Inszenierungsvarianten: als Mittel der List in Verkleidungen und Verstellungen, als Objekt der Bloßstellung und der Beschämung (Nacktheit, Schlagen, Zerstückeln) oder als Zeuge von Machtverhältnissen (Einschreibungen, Narben). Dabei hängen Körperdarstellung und Lachen aufs engste miteinander zusammen, gerade wenn es um tabuisierte Körperzonen wie Geschlechtsteile geht.22

Das Lachen auf der Textebene vermag eine große Bandbreite an Bedeutungen einzunehmen und verschiedene Zwecksetzungen zu erfüllen. So kontrastiert das schwarze, aggressive Lachen beim Geschlechterwitz der Mären mit dem pädagogischen Kultivierungskonzept, das etwa in Boccaccios Decameron mit dem Lachen verfolgt wird. Elisabeth Arend hat den hohen Stellenwert des Lachens in seiner therapeutischen und diätetischen Funktion bei Boccaccio herausgearbeitet;23 im Decameron wird hier eine Entwicklung angelegt, die dann im 14. und 15. Jahrhundert noch wesentlich an Bedeutung gewinnt, wie die zahlreichen Hinweise auf die kultivierende und gesundheitsfördernde Wirkung von gemeinsamem Lachen (und Scherzen) zeigt. Gerade im letzteren Fall wird der enge Zusammenhang von Textualität und performativer Wirkung ersichtlich: Wenn Texte Lachen erzeugen sollen, damit dieses Lachen gesundheits- und gemeinschaftsstiftend wirkt, dann muss von einem direkten Bezug zwischen Text und Rezeptionsgruppe ausgegangen werden; mit anderen Worten, Lachen kann durch innertextuelle Strategien für die Rezipienten modelliert werden.24

Allerdings machen sich in Mären auch die Lachverbote mit Macht bemerkbar, denkt man etwa an die moralischen und das Lachen geradezu reglementierenden frühen Texte des Strickers. Lachen wird hier häufig negativ codiert und markiert symbolisch sündhaftes, unchristliches Verhalten, in den meisten Fällen Torheit, Geilheit und Habgier.25 Physische und moralische Grausamkeiten, Zynismus und ein destruktiver Zug in den Strickerschen Mären folgen eher der Logik des Ordnungsverstoßes und seiner körperlichen Bestrafung, sodass es fraglich erscheint, dass sie in ihrer Härte Gelächter ausgelöst haben.26 Andererseits werden einige von Strickers Mären durchaus vom Lachen „regiert“, und es sind immer diejenigen, die den Übergangsbereich von Norm und Normlosigkeit, von Ordnung und Unordnung betreffen. Im Nackten Boten etwa betritt ein nackter Mann, da er sich im Bade wähnt, rückwärts eine Wohnstube, in der gerade eine ganze (bekleidete) Hausgemeinschaft versammelt ist. Es folgen turbulente Szenen mit zahlreichen komischen Effekten um den nackten Körper des Fremden, in denen dieser nur mit Mühe die Kontrolle behalten kann und knapp dem Tod entgeht. Körperliche Merkmale verbinden sich mit sozialer, geschlechtsspezifischer und moralischer Symbolik, ihre szenische Darstellung im Zeichen des Lachens erlaubt die Entlarvung falscher Sicht- und Verhaltensweisen.27

Hier werden textuelle Strategien erprobt, die bei den potentiellen Hörern Lachen ausgelöst haben. Aufforderungen zum Lachen sind nicht selten, wie etwa in dem Märe Drei buhlerische Frauen, wo es heißt: „nu will ich beginnen/ sagen seltsaeniu maere. nu si iu niht swaere, wan wir mugen ir wol lachen.“28 Der Erzähler bildet mit den Hörern eine ‚Lachgemeinschaft‘, die in gewisser Weise als ideale Rezeptionsgemeinschaft fungiert.29 Doch das Lachen im Märe und im Schwank ist keineswegs immer affirmativ. Vielmehr ist es gnadenlos in seiner Bloßstellung menschlicher Schwächen und gesellschaftlicher Missstände, es kann als distanzierende Replik auf eine erstarrte, leblose Ordnung verstanden werden, wie Haug unterstreicht.30 Er erkennt das der Kurzerzählung eigene Lachen als Ausdruck der Vitalität und Erneuerung des Lebens, als Anlachen gegen den Tod.

Vor diesem Hintergrund überrascht an der jüngeren Mären- und Schwankforschung, wie wenig sie das Lachen, seine Anlässe und Funktionen in ihre Analysen einbezieht; List, narrative Komplexität, Gattungs- und Genderfragen, mediale Implikationen, narratologische Fragen etwa nach rhetorischer Ausgestaltung, Serialität und Kombinatorik, Realitätsbezüge und soziale Symbolik, selbst Körperlichkeit und Sexualität scheinen weitgehend unabhängig vom Lachen beschreibbar und lösbar zu sein.31 Dabei hatte sich gerade die Fabliaux-Forschung schon sehr früh dem Lachen innerhalb und außerhalb der Texte gewidmet. Bédiers berühmte Definition der Fabliaux als contes à rire hatte bereits in den 1960er Jahren eine lebhafte Diskussion über den Status des Lachens ausgelöst, die heute jedoch weitgehend abgeschlossen ist.32 Die Fabliaux sind nicht nur bezüglich ihres Rezeptionskontextes (Jongleure und Goliarden als Autoren, höfisches und städtisches Publikum), sondern auch auf Grund ihrer zahlreichen Texthinweise zum Lachen als Wirkungsintention sowie durch ihre spezifischen provokatorischen Mischungen und Kontrastbildungen deutlich auf das Hervorrufen von Lachen ausgerichtet.33 Jean-Claude Aubailly hat darüber hinaus in seinen psychohistorischen Untersuchungen der sexuellen und skatologischen Elemente der Fabliaux die rituellen und symbolischen Funktionen des Lachens herausgearbeitet, indem er sich vor allem auf die Lächerlichmachung des menschlichen Körpers bezieht: „Le principal objet comique du fabliau reste donc le corps, ce corps vis-à-vis duquel on se distancie par le rire“.34

Der Körper erscheint hier als das verdrängte Andere, das im magisch-rituellen Akt des Lachens gelöst und befreit werden kann, um die Furcht zu bezwingen. Das Lachen ist Therapie für existentielle Ängste, es hat die Funktion eines wiederkehrenden Rituals der Initiation. Die zahlreichen sexuellen Handlungen und Metaphern in den Kurzerzählungen legen nach Aubailly Zeugnis für die magische Kraft der Worte und ihren immanten Körper- und Ritualbezug ab; das Lachen über die desakralisierten (nackten, unbeholfenen, unkontrollierten, zerstückelten) Körper triumphiert über die Furcht des Todes, die Furcht vor dem Teufel und vor dem anderen Geschlecht.35 Aubailly geht bei seinem Befund eines rituellen Lachens bei den Fabliaux wie selbstverständlich von dessen Performanz aus: gelacht wird zwar auch im Text, doch vor allem außerhalb des Textes, in der Situation seines Gebrauchs. Erst hier kann das ausgesprochene Wort seine magische Kraft entfalten, kann die gestisch unterstützte Dramatisierung der narrativen Re-Inszenierung von Körperhandlungen als Distanz schaffende Therapie gegen die Angst wirken. Verdrängte Leiblichkeit kommt im Modus des Vortrags zum Vorschein und löst in seiner stimmlich-gestischen Präsenz entlastendes Lachen aus. Aubaillys ritualistisch anmutende Überlegungen in der Nachfolge Bachtins verlagern die Wirkung von Literatur in ihren soziokulturellen Kontext, in ihre Performanz. Ihre wichtige Rolle bei der Analyse des Lachens haben Werner Röcke und Hans-Jürgen Bachorski in ihren Studien zu einer anderen schwankhaften Kurzform des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit, der neulateinischen Fazetienliteratur unterstrichen.36 Die seit Poggio Bracciolinis Liber facetiarium bekannte Gattung des frühen intellektuell-rhetorischen Witzes ist ein Paradebeispiel für die situative und kontextuelle Einbettung des Schrifttextes in die Praktiken seiner ‚Aufführung‘ im Gespräch. Witze werden zunächst mündlich erzählt – Poggio nennt sie confabulationes – und nach mehrfachem Erfolg schriftlich fixiert. Auch bei der Aufzeichnung von einmal Gehörtem bleibt die grundlegende Dialogizität der Witzstruktur im Bereich der (wie auch immer fingierten) mündlichen Kommunikation angesiedelt. An sie will das in den Text hineingeholte Lachen der Zuhörer erinnern, selbst wenn es Umbesetzungen und Verschiebungen unterliegt, die der Rezeptionssituation des Schrifttextes geschuldet sind.37 Lachen zirkuliert in den Fazetien somit zwischen drei Ebenen: der ursprünglichen Gesprächssituation, sodann in dem sie fingierenden Schrifttext und schließlich in seiner Rezeption im Hören oder (Vor-)Lesen. Jede Ebene hat ihren eigenen situativen Kontext, was die Umarbeitung des Lachanlasses und folglich die Art und Weise des Lachens variant erscheinen lässt. Lachen kann so als instabile Größe beschrieben werden, die je anderen Repräsentationen und Stilisierungen unterliegen kann. Der Fazetientext selbst ist nicht nur Anstoß zur Reflexion,38 sondern auch Anlass zum Weitererzählen und zum produktiven Weitergebrauch.

Obzwar die Aufarbeitung der lateinischen Fazetiencorpora des 15. und 16. Jahrhunderts (Bebels, Frischlins, Mulings, Nachtigals, Tüngers, Melanders usw.) mit den Arbeiten von Klaus Kipf und Stephanie Altrock große Fortschritte gemacht hat,39 ist die Rolle des Körpers bzw. von Verkörperungen in diesen vor allem vom rhetorisch-pointierten Sprachwitz getragenen Texten noch wenig erforscht. Ähnliches gilt für die zahlreichen Schwanksammlungen des 16. Jahrhunderts, angefangen von Johannes Paulis noch stark an mittelalterliche Exempla-Sammlungen angelegtem Schimpf und Ernst (1519), über Jörg Wickrams Rollwagenbüchlein (1555), Jacob Freys Gartengesellschaft (1556), Martin Montanus’ Wegkürtzer (1557) und Der ander theil der Gartengesellschaft (1560), Michael Lindeners Rastbüchlein und Katzipori (1558), Valentin Schumanns Nachtbüchlein bis zum Wendunmuth (1563) des Bebel-Übersetzers Hans Wilhelm Kirchhof.40

Ungleich besser erschlossen sind aus der Perspektive des Lachens die Schwankromane des 15. und 16. Jahrhunderts. In seiner Studie Die Freude am Bösen hat Werner Röcke wichtige Aspekte dieser Gattung aufgezeigt: die „widersprüchliche Einheit von Bedrohung und Affirmation, Angriff und Versöhnung“, wie sie im aggressiven Lachen zum Ausdruck kommt, die narrative Engführung von ästhetischen und sozialen Aspekten in den ‚hässlichen‘ Schwankhelden, sowie die „Abschwächung des Gemeinen und Niedrigen“ durch das Lachen, das somit eine Gewalt vermeidende und gesellschaftlich entlastende Funktion erhält.41 Mit der Ostentation des Leiblichen, des obszönen Körpers im Sexuellen und Skatologischen wird im Schwankroman jedoch eine rituelle Tiefenschicht des Lachens abgerufen, die Röcke sozialhistorisch als Ausdruck von Negativität und bedrohlichem Außenseitertum interpretiert.42 Ich werde auf dieses Thema in Kap. 6 auch anhand der einzelnen Schwankromane ausführlich zurückkommen; ebenso auf die zugehörige Literatur.

Eng verwandt mit den Schwankhelden sind die spätmittelalterlichen Narrenfiguren aus Novellen, Prosaerzählungen, Schwänken und dem komisch-ernsten Epos Der Ring von Heinrich Wittenwiler. Gerade sie zeigen über pointierte und ausgefeilte Körperinszenierungen (der eigenen wie der fremden lächerlichen Körper), wie Performativität im schriftlichen Text inszeniert werden kann. Ihr die Ordnungsverhältnisse destruierendes und zersetzendes Potential, das in Gesten, Haltungen und vor allem in Sprechweisen des Alltags und des Familiären zum Ausdruck kommt, ist kaum je augenfälliger und szenischer gestaltet worden als in Wittenwilers Ring.43 Hier geht es – weit über das ständesatirische Potential des Werks hinaus – um Inversionen von symbolischer Ordnung durch Differenzierung, Dialogisierung und sprachliche Zersetzung, die zunächst in ein befreiendes, schließlich aber in ein schwarzes Lachen mündet.44 Im Ring nimmt die Kommunikationsform des Spottes eine Zentralstellung ein. Bereits in der Narrenparade des Turniers wird ein Rahmen für das gegenseitige Verspotten in den Scherzreden Neitharts und der Bauern geschaffen. Sie sind in ihrer Sprechweise eng gebunden an andere Formen der körperlichen Komik, der Komik des Stürzens und Stolperns, des Stotterns, des gegenseitigen Prügelns und Schlagens und der daraus folgenden Schäden am Körper, welche das Turnier mit sich bringt. Der im komischen Modus geäußerte Spott freilich markiert die Fiktionalität des Geschehens, sodass zwar körperliche und sprachliche Gewalt erzählt werden, sie jedoch keine sozialen Wirkungen zeitigen.

Der Zusammenhang des Ring mit theatralen Gattungen wie Fastnachtspiel und Schwank ist schon früh gesehen worden.45 Karnevaleske Profanierungen und Dekonstruktionen konnten in der Selbstreferentialität der Sprache, aber auch in der grotesken Körperlichkeit (sprechende Namen, Obszönität) der Protagonisten nachgewiesen werden.46 Hier wie in den weltlichen Schauspielen des 15. und 16. Jahrhunderts folgt das Lachen nicht nur der Herstellung eines ‚Gegensinns‘ durch semantische Inversionen und Störungen (wie etwa bei den Fazetien), sondern die sprachlichen Äußerungen zersetzen Sinn, was zur Folge hat, dass Lachen durch die Wahrnehmung von Performativa – der Materialität des Sprechens, Gebärden, Lärm und Bewegung – ausgelöst wird.47 Daher sind die jüngeren Untersuchungen zur Ritualität des weltlichen Spiels wichtige Vorarbeiten für eine genauere Analyse der verschiedenen Funktionen des Lachens. Denn in den vielen Spielen zugrunde liegenden rituellen Praktiken – Einjahresrituale der Fastnacht wie die Wahl zum Jugend- bzw. Festkönig oder die Maibuhlenschaft, das Hahnenschlagen usw., rituelle Tänze wie Schwert- und Moriskentänze, rituelle Rügebräuche wie Blochziehen und Charivari48 – sind nicht nur gruppenspezifische Exklusions- und Identifikationsmechanismen durch aggressives Verlachen zu erkennen, sondern das Lachen markiert auch ambivalente Situationen und Handlungen, die im Übergangsbereich von Ritual und Spiel angesiedelt sind. Dass diese Praktiken vor allem der Fastnachtskultur zuzurechnen sind, und dass diese Fastnachtskultur als eine über die engere Bestimmung der Tage vor Aschermittwoch bzw. Invocavit hinausgehende liminale Schwellenzeit anzusehen ist, zeigt sich inzwischen immer deutlicher.49 Es geht bei solchen Praktiken meist um geschlechtliche, soziale und ethnische Codierungen des Körpers, die ganz unterschiedlich in den Texten verhandelt werden. So wird das aggressive Lachen in einem dem Heiratsmarkt dienenden Ritual wie dem Blochziehen im Fastnachtspiel(text) deutlich verschoben und entschärft, wenn statt der Verhöhnung der Frauen das cross-dressing und das mit ihm zusammenhängende theatrale Rollenspiel zum komischen Lachanlass wird.50 Die in diesem Rollenspiel auftretenden Transformationen von körperlicher Gewalt in sprachliche Gewalt, und von gezüchtigten Körpern zu lächerlich-grotesken Körpern sind entscheidende Fragen zum Funktionswandel des Lachens zwischen Ritual, theatraler Aufführung und Text. Die Inszenierungen und die Formen lächerlicher Körperlichkeit im weltlichen Schauspiel werden eine wichtige Voraussetzung für die Performativität des Körpers in literarischen Texten überhaupt sein (vgl. Kap. 6).

Die Ausarbeitung einer Funktionsgeschichte des Lachens im Beziehungsfeld zwischen Ritualität und Textualität hat auch für die Erforschung des geistlichen Spiels Gestalt angenommen. Hier hatte Rainer Warning bereits 1974 leitende und bis heute noch aktuelle Erkenntnisse formuliert, die das Lachen über die burlesken Szenen im volkssprachigen Osterspiel als Überwindung der Teufelsfurcht und als rituelle Entlastungsfunktion erklären, eine Funktion, welche die kerygmatische Heilsvermittlung nicht leisten konnte.51 Seit dem 13. Jahrhundert gehören ‚komische‘ Szenen (Mercator- und Grabwächterszenen, die Höllenfahrt Jesu mit den dazugehörigen Teufelsdarstellungen sowie die Hortulanusszenen) zum festen Bestandteil geistlicher Osterspiele. Warning hatte diese von der Liturgie (noch in den Osterfeiern) ausgegrenzten Szenen als Wiedereinholung des Mythos (und damit ist das heidnisch-rituelle Substrat des vorchristlichen ostârûns gemeint) und somit eines agonalen Kampfes zwischen Gott und Dämon gesehen. Interessant für unseren Zusammenhang ist die Frage des Gelächters des Publikums über die Teufel. Warning geht von einem Lachen aus, das von der Spannung zwischen „ritueller Performanz“ und „theatralischer repraesentatio“ geprägt ist, also zwischen einer rahmenden rituellen Situation und einem von der theatralen Darstellung ausgehenden Anlass. Während erstere die überwundene Furcht vor dem Bösen rituell wiederholt, ist der in die Situation eingebettete, konkrete Lachanlass auf die Lächerlichkeit der mimetisch aufgeführten Teufelsfiguren bezogen. Diese hochinteressante These wird von Warning zwar des Öfteren formuliert, eine Beweisführung – gerade was den Lachanlass angeht – jedoch kaum je in Angriff genommen, sodass der Eindruck entsteht, die Funktionsmechanismen von grotesker Körperlichkeit lägen auf der Hand und müssten nicht mehr nachgewiesen werden.52 Jan-Dirk Müller hat unlängst darauf aufmerksam gemacht, dass dem nicht so ist, indem er die Körperlichkeit der Teufel als Kontrapunkt der heilsgeschichtlichen Botschaft verstanden wissen will: „In solchen Szenen drängt sich eine jede höhere Bedeutung abweisende, in der schieren Präsenz sich erschöpfende Körperhaftigkeit in den Vordergrund und blockiert und erschwert das heilsgeschichtliche Verständnis“.53

Diese im Anschluss an Warning formulierte Funktion des Körperlichen in den komischen Szenen ist kaum hinreichend mit der christlich-apokryphen Herkunft der Szenen erklärbar. Die Vermutung Ridders, man verlache nicht mehr den Teufel, „sondern über die Unzulänglichkeit der Sünder“ ist kaum stichhaltig, da hier zwei verschiedene Lachanlässe gemeint sind.54 Überhaupt sind Versuche, das Lachen im Kontext des Sakralen erlösungstheologisch zu fassen, mit Bedacht zu lesen, denn sie führen sämtlich von dem von Warning ausgearbeiteten Körperlichen weg; auch verwischen sie in ihrem integrativen und essentialistischen Impetus vorsätzlich Grenzen zwischen Sakralem und Gelächter und nehmen dem Verhältnis so seine wichtige Spannung.55 Schlüssigere Antworten auf die Frage, wie das Lachen zum Sakralen des geistlichen Spiels steht, haben etwa Gerhard Wolf, Bruno Quast und Hildegard Keller gegeben.56 Sie greifen den Gedanken Warnings wieder auf, dass das Lachen im geistlichen Spiel ambivalent oszillierend ist: Es gilt dem überwundenen Bösen, das trotzdem noch furchtbar ist und als ein Teil der Wirklichkeit seine Anerkennung fordert.

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