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Lachen zwischen ‚Widerfahrnis‘ und ‚Einleibung‘

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Wir haben zu Beginn des Kapitels festgestellt, dass die zentrierte Aufmerksamkeit eine wichtige Voraussetzung für die Wahrnehmung des komischen Körper ist, damit sie zum Lachen führt. Die eben skizzierten phänomenologischen und anthropologischen Körper- bzw. Leibtheorien erlauben uns, die spezifischen Bedingungen und Funktionsweisen der ‚leiblichen‘ Wahrnehmung als apperzeptive Übertragung, als Zwischenleiblichkeit oder Einleibung des anderen Körpers als Voraussetzung für das Lachen über Körperliches genauer zu bestimmen, ohne zunächst auf semiotische und Verstehensprozesse zu rekurrieren. Wenn wir lachen, so lacht unser Körper. Wenn wir das Lachen anderer wahrnehmen und mitlachen, dann überträgt sich dieses Lachen als ein wahrgenommener Ausdruck vom anderen Körper in unseren Körper (die Problematik der Ansteckung sei zunächst bei Seite gelassen). Ebenso verhält es sich mit den anderen Ausdrucksgesten des wahrgenommenen fremden Körpers: Wir lachen dann über Körperliches, wenn wir den anderen Körper mittels einer von der Aufmerksamkeit ermöglichten leiblichen Übertragung in unseren Körper einleiben. So werden durch den gespannten Blick auf ein lächerliches Objekt (den Körper des Clowns etwa), dessen Gang, Körperhaltung, Bewegungen, Gesten usw. in unserem Körperleib, als einem Feld des Zwischen, spürbar und nachvollziehbar, wir werden von diesen Bewegungen berührt, ergriffen, angesteckt (was die medizinische Forschung zur Innervation auch neurologisch belegt hat). Das bedeutet, dass dem Lachen über komische Körperlichkeit keine Bewusstseinsstufe oder kognitive Schranke vorgeschaltet sein muss: Es kann sich – den Spielrahmen und die komische Ambivalenz vorausgesetzt – aus der Einleibung selbst ergeben.

Wie geht das aber? Die Kernthese von Waldenfels ist, dass unser körperliches Selbst Teile des Anderen enthält.43 Wir werden durch das, was uns widerfährt, berührt, noch bevor wir darauf handelnd reagieren können. Dies geht über die psychologischen Reiz-Reaktions-Modelle oder die für viele Lachtheorien grundlegende Annahme der kognitiven Erkenntnis des Komischen weit hinaus. Folgt man Merleau-Ponty und Waldenfels, wird das Lachen dagegen zunächst von einer Art körperlichen Empfindung, einer körperlichen Teilhabe am Lächerlichen, also am wahrgenommenen Vorgang oder Modus, bestimmt.

Dies lässt sich nach Waldenfels mit dem Begriff der „Widerfahrnis“ beschreiben: Das, was uns widerfährt, was uns als Fremdes begegnet, hängt weder von unserem Wissen noch von unserem Willen bzw. unserem Bewusstsein ab, es hat zuallererst mit unserem Körper zu tun.44 Widerfahrnis bezeichnet demnach eine Form des körperlichen Erlebens, der körperlichen Wahrnehmung. Die Widerfahrnis von etwas nimmt den Körper in Beschlag, involviert ihn, ohne dass dieses Etwas einen Sinn erhält; es löst Sinn aus, ohne selbst bedeutungsvoll zu sein.45 Waldenfels betont dabei die Vorgängigkeit der Widerfahrnis: Etwas widerfährt uns, bevor wir noch reagieren, geschweige denn handeln können. Unser praktisches Verhalten beginnt wie alle Formen des Verhaltens damit, affiziert zu werden und setzt sich fort damit, darauf zu antworten. Auf das Lachen übertragen bedeutet dies: Damit wir antwortend lachen, muss uns etwas widerfahren, wir werden in etwas hineingezogen, ohne es gleich schon mit Sinn belegen zu können. So erscheint Plessners Antwort-These in einem veränderten Licht: Das Lachen als eine elementare Reaktion gegen das Bedrängende des komischen Konflikts muss nicht das Resultat einer kognitiven Operation sein, sondern ist zunächst als eine Kapitulation der Autonomie des Körpers zu bezeichnen. Wir lachen nicht, weil wir als Menschen mit einer Situation nicht fertig werden, sondern weil die Situation unseren Körper überfordert, nachdem sie ihn affiziert und involviert hat.

Der Nach- und Mitvollzug komischer Bewegungen wird auch von Schmitz’ Theorie der leiblichen Kommunikation gestützt. Die spezifische Kommunikation zwischen Körpern (Einleibung) kann am Beispiel von Blick und Gegenblick veranschaulicht werden: Der Blick als leibliche Regung gehört dem motorischen Körperschema an. Er eröffnet Hypothesen über die Bewegungen der anderen Körper im Raum, um etwa ein Zusammenstoßen zu vermeiden. Dies geschieht, indem der Blick die durch den anderen Körper ausgelöste Bewegungssuggestion in das motorische Körperschema überträgt. Schmitz spricht in diesem Fall vom „motorischen Sehen“, wozu er das Ausweichen rechnet, aber auch das Greifen, Gehen, Springen und Ausüben aller anderen optisch gesteuerten motorischen Kompetenzen. Dieses motorische Sehen ist eine „Einleibung mit dem Blick, der über das motorische Körperschema die Glieder führt.“46

Schmitz macht dies am Beispiel des Seiltänzers in der Zirkuskuppel deutlich. Anschließend an Lipps’ Theorie der sympathetischen Einfühlung bestimmt er die leibliche Relation zwischen Zuschauer und Artist als Nachahmung. Doch während bei Lipps der Zuschauer im Zirkus sich in den Seiltänzer hineinversetzt und somit körperlich „bei ihm“ in der Kuppel ist, wird er in Schmitz’ Theorie durch Aufmerksamkeit und Faszination in Bann gezogen und ahmt die faszinierenden Bewegungen des Seiltänzers körperlich nach.

Zur Nachahmung gehört die Verdopplung des Vorbildes durch ein Nachbild. Wenn der Betrachter im Zirkus gebannt an den Bewegungen des Seiltänzers hängt, ist aber keine Rede davon, dass da oben, wohin der Betrachter sich versetzt fühlen soll, auch nur in dessen Phantasie zwei Akrobaten herumtanzten, nämlich der echte und der ihn nachahmende, durch Einfühlung dorthin versetzte Zuschauer. Vielmehr werden die faszinierenden Bewegungen des Akrobaten auch dann, wenn niemand sie nachahmt, aufgrund der Faszination vom Beobachter übernommen, in dem Sinn, dass er sie nicht mehr als Bewegungen eines fremden Wesens von seinem eigenen Verhalten unterscheiden kann.47

Faszination ist eine Form der gesteigerten Aufmerksamkeit, ein visuelles Gebanntsein am faszinierenden Objekt, die ihr körperliches Ausdrucksmuster in geweiteten Augen und dem geöffneten Mund findet. In Schmitz’ Perspektive wird sie zum Ausgangspunkt der leiblichen Nachahmung, der Einleibung: „Gleichwohl ist für sie eine Distanzlosigkeit charakteristisch, die (...) so weit geht, dass der Faszinierte, indem er gebannt an seinem Objekt hängt, dessen Schicksal und Verhalten nicht mehr als etwas Fremdes von seinem eigenen unterscheiden kann.“48

Vergleichen wir diese Konstellation nun mit einer anderen „theatralen“ Blickrelation im Zirkus, der zwischen Zuschauer und Clown, kommen wir zu überraschenden Parallelen: Es liegt zunächst eine ähnlich gesteigerte Aufmerksamkeit vor, doch hier ist es nicht die Faszination, die uns an die wahrgenommenen Bewegungen bannt, sondern die Erwartung des Komischen als Anomales und Unbestimmtes, die Erwartung des Unvorhersehbaren und nicht Kontrollierbaren. Dabei heben wir die Distanz zwischen dem Körper des Clowns und unserem eigenen auf, indem die Körper kommunizieren: Wir „leiben“ uns den Clown „ein“, unser Körperleib wird zur Umschlagstelle zwischen uns und dem Anderen. Gleichzeitig wissen wir aber körperlich von der anomalen und spielerischen Art der Einleibung und stehen ihr ratlos und hilflos gegenüber: wir lachen.

Lachen hat übrigens nicht wenig mit dem faszinierten Staunen zu tun: Beide Reaktionsweisen sind gegenüberliegende Pole der Körperwahrnehmung. Das Staunen bezieht sich auf den herausragenden, vollkommen beherrschten Körper, das Lachen auf den herausragenden, vollkommen unbeherrschten Körper des Spielrahmens.49 Beide Körper widerfahren uns zunächst in einem Zustand der Spannung und Aufmerksamkeit; über den Blick wird die wahrgenommene, außergewöhnliche Motorik in den eigenen Körper übertragen und von ihm nachempfunden bzw. nachgeahmt. Diese Einleibung des fremden Körpers in unseren hat in dem Moment, wenn sie über unsere Fähigkeiten hinausgeht, wenn sie also wie beim Akrobaten einen perfekt kontrollierten Körper vor sich hat, fasziniertes Staunen zum Resultat. Wenn sie es allerdings mit einem sich im spielerischen Rahmen präsentierenden, scheinbar unkontrollierbaren Körper zu tun hat, bricht unser Körper in Lachen aus, weil er diese ambivalente Situation zwischen Spiel und Ungenügen im Eigenen nicht ertragen kann, denn sie stellt unser körperliches Selbstverhältnis in Frage. Das Lachen befreit unseren Körper von der gespannten Nachahmung des anderen Körpers, diesem spielerischen Zwang zur komischen Anomalität in ihm, und stellt den Ausgangszustand wieder her.

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