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Techniken und Kontrolle des Körpers

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„Lachen überhaupt ist der Ausdruck

des Herausplatzens, das jedoch nicht

haltungslos bleiben darf, wenn nicht

das Ideal verloren gehen soll.“

Hegel: Vorlesungen über die Ästhetik.

Bd. 13, S. 210

Schmitz’ Begriffe des motorischen Sehens und der Einleibung können somit auch die Unverfügbarkeit, von der Waldenfels bei der Charakterisierung des Eigenleibs als interkorporelles Zwischen spricht, plausibel machen. Sie weisen auf einen Aspekt hin, der bereits bei Plessner angesprochen wurde und der für das Lachen über Körperliches zentral ist: den der Kontrolle. In ihm kommen phänomenologische, psychologische und soziale Aspekte zusammen.

Wenn das Lachen mit Plessner als Antwort auf eine Krise, eine Desorganisation der Person bezeichnet und als körperlicher Ausdruck dieser Desorganisation bezeichnet werden kann, insofern, als der Körper im Lachen seine Haltung und Contenance verliert, und wenn weiterhin die Wahrnehmung des Verlustes der Selbstkontrolle (als einem beherrschten Verhältnis zum eigenen Leib) im eben besprochenen Beispiel des Clowns zum Lachen führt, weil sie den Körper des Wahrnehmenden durch komische Anomalität in seinem Verhältnis zum Selbst gefährdet, dann muss der auch nur temporäre Verlust der Beherrschung des wahrgenommenen anderen Körpers zu den wichtigsten Lachanlässen überhaupt gerechnet werden. Daraus folgt wiederum, dass derjenige, der überzeugend seinen Körper aus der Rolle fallen lassen kann (also der Clown oder der Possenreißer), beste Chancen auf einen Lacherfolg bei seinem Publikum hat. Er benötigt dazu Techniken des Körpers, die nicht nur die eigene Körperbeherrschung betreffen, sondern auch kulturelle und soziale Codes (von Körperhaltungen und -bewegungen, von Gesten und Gebärden, von körperlichen Habitus der Anderen) genauestens kennen und nachahmen können.

Der erwachsene Mensch hat im Laufe seines Lebens einen ungeheuren Aufwand gebraucht, um seinen Körper zu beherrschen und ihn als Werkzeug zu gebrauchen. Dies gilt – mit großen Unterschieden in der Art und Weise der Körperkontrolle – für alle Kulturen. Dass Körperkontrolle ein Ausdruck sozialer Kontrolle sei, hat Douglas unterstrichen:

There can be no natural way of considering the body that does not involve at the same time a social dimension. (...) The relation of head to feet, of brain and sexual organs, of mouth and anus are commonly treated so that they express the relevant patterns of hierarchy. Consequently I now advance the hypothesis that bodily control is an expression of social control.50

Douglas knüpft hier an die These Foucaults an, Körper würden durch die Gesellschaft und die soziale Ordnung gestaltet und reguliert. Gegen diese repräsentationale Sichtweise hat Pierre Bourdieu sein an Norbert Elias anschließendes performatives Habitus-Konzept gesetzt. Die sozialen Verhältnisse schreiben zwar das Verhältnis des Menschen zum eigenen Leibe fest, doch kommt es nicht zu einer „Repräsentation“ sozialer Hierarchien, sondern der Habitus ergibt sich aus ganz bestimmten Weisen, seinen Körper zu halten und zu bewegen, ihn vorzuzeigen, ihm Platz zu schaffen, kurz: ihm soziales Profil zu verleihen. Als notwendige Anpassungsleistung an die soziale Umwelt wird die gesellschaftliche Ordnung inkorporiert und erst durch den körperlich bestimmten Habitus erzeugt.51 Als ein System inkorporierter Muster hat der Habitus einen besonderen Stellenwert für das Individuum: Er zeigt den anderen seine soziale Rolle und Zugehörigkeit nicht nur an, sondern er verkörpert sie in dem Maße, als seine körperliche Erscheinung und ihre Handlungen diese Zugehörigkeit erst glaubhaft machen.

Dieses Glaubhaft-Machen ist besonders wichtig in vormodernen Gesellschaften, in denen die soziale Position und Geltung des Individuums von seinem körperlichen Erscheinen abhängen. Und das Glaubhaft-Machen der sozialen Zugehörigkeit durch den Habitus ist hier vorrangig abhängig von den Techniken der Körperbeherrschung, die der Mensch im Laufe seines Lebens und seiner Erziehung innerhalb einer bestimmten Kultur erwirbt. Kann er diesen Anforderungen nicht folgen, kann er seinen Körper nicht nach habituellen Vorgaben und eigenen Zielen modellieren und deshalb, mit Bourdieu gesprochen, kein „soziales Kapital“ erwerben, dann wird er keinen sozialen Erfolg haben bzw. soziales Ansehen einbüßen. Dies kann vor allem durch zwei Faktoren geschehen: erstens durch körperliche Behinderungen und ästhetische Mängel, und zweitens durch geltungsschädigende Verhaltensweisen, die Verlachen, Verachtung, Missbilligung usw. zur Folge haben. Unter diesen Folgen ist das Verlachen die weitaus gefährlichste: Ein von einer Gruppe aufgrund des Verlusts der Körperbeherrschung Verlachter kann sich nur schwer davon erholen.52 Das Lachen ist somit der größte situative Feind des körperlichen Habitus: Die Körperkontrolle dient im Prinzip dazu, Verlachen zu verhindern, und jeder Einzelne ist darum bemüht, den Eindruck, den er vor anderen aufgebaut hat, eine Identität im Körperlichen zu sichern.

Die sozialen und kulturellen Codes der Körperkontrolle zu brechen bzw. zu überschreiten muss demnach als prioritäre Aufgabe eines Possenreißers gelten; wie bedeutsam das Ensemble von Körpertechniken für die soziale Position eines Menschen ist, so bedeutsam sind die Körpertechniken seiner Subversion. Der französische Soziologe und Durkheim-Schüler Marcel Mauss hatte in seinem Aufsatz über menschliche Körpertechniken (Les techniques du corps, 1935) Körperbewegungen und Bewegungsabläufe als der Erziehung geschuldete Nachahmungen gedeutet, die nicht zu den traditionellen Riten gehören, aber die die gleiche Funktion haben: „Ich bezeichne mit Technik eine traditionelle, wirksame Handlung (und Sie sehen, dass sich dies nicht von der magischen, religiösen, symbolischen Handlung unterscheidet). Es ist notwendig, dass sie traditionell und wirksam ist.“53 Mauss differenziert bei diesen wiederholten und performativ wirksamen Handlungen, die zu einem sozial anerkannten, körperlich bestimmten Habitus führen, zwischen zahlreichen unterschiedlichen Techniken des Körpers. Von diesen interessieren im Zusammenhang mit dem Lachen vor allem drei: (1) die Techniken der Aktivität, der Bewegung, (2) die Techniken des Verzehrs und (3) die Techniken der Körperpflege. Vor allem die ersten beiden Bereiche spielen sich öffentlich ab und können somit auch öffentlich nachgeahmt, parodiert und karikiert werden. Dazu gehört vor allem der „Habitus des aufrechten Körpers beim Gehen, Atmung, Schrittrhythmus, Hin- und Herbewegen der Fäuste, der Ellbogen, Vorbeugen des Oberkörpers oder abwechselndes Vorschieben jeweils einer Körperseite“.54 In fast gleich starkem Ausmaß auch das Sitzen, Stehen, Laufen, Tanzen, Springen, Klettern, Absteigen, Schwimmen, Stoßen, Ziehen, Heben, Werfen, Halten usw. Bei den Techniken des Verzehrs sind es vor allem das Essen, Trinken, der Gebrauch von Besteck, Serviette, Körper- und Handhaltung usw.; bei den Techniken der Körperpflege nennt Mauss das Waschen, Einseifen, Abreiben und weitere hygienische Techniken.

Das Erlernen und Beherrschen dieser Techniken macht in vielen Gesellschaften einen großen Teil der kulturellen Erziehung aus; in den europäischen Kulturen des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit sind sie auf Grund ihrer semi-oralen Organisation und der Zentralität ihres an den Körper gebundenen Ehrbegriffs sicherlich noch wichtiger als in den heutigen postmodernen Kulturen. In körperlichen Verhaltensweisen wurde der soziale Rang eines Individuums zur Anschauung gebracht. Dem Adligen, der seine soziale Herkunft und Zugehörigkeit durch entsprechendes Auftreten und Erscheinen auszudrücken vermag, ist sein Adel förmlich in den Körper eingeschrieben: Texte zur Hofkritik, Adels- und Fürstenspiegel unterstrichen seit dem 12. Jahrhundert die grundlegende Bedeutung standesgemäßer Bewegungs- und Verhaltensformen, um die dem gesellschaftlichen Rang zukommende Ehre zu erwirken.55 Herrschaftsträger sollten sich eines gemessenen Ganges befleißigen und sich beim Gehen nicht umdrehen. In Gesprächen mit anderen sollten sie sich weder an den Ohren kneifen noch in schallendes, undiszipliniertes Gelächter ausbrechen. Bei Tisch sollten sie den Körper ruhig halten und jegliche Körpergeräusche unterdrücken.56 Die Grundlage höfischen Verhaltens war die Disziplin und Kontrolle des Körpers, sein ethischer Zentralbegriff war die zuht. Dazu gehörten nicht nur die Kontrolle der Körperhaltung und der Körperbewegungen, sondern auch die Blickkontrolle, die Affekt- und die Sprachkontrolle.

Antike, Mittelalter und Frühe Neuzeit kannten das pädagogische Programm der Körperdisziplinierung und legten – mit Unterschieden – viel Wert darauf. Die Kontrolle des Lachens spielt dabei eine wichtige Rolle, doch nicht nur in der westlichen Zivilisation: Lévi-Strauss verkürzt es auf den bemerkenswerten Satz: „Zivilisation beginnt dort, wo Lachen kontrolliert wird.“57 Jede Gesellschaft unterhält demnach Lachverbote, und ich werde auf die für die der Arbeit zugrunde liegende Fragestellung bedeutsamen in Kapitel 2 ausführlich zu sprechen kommen.

Hier bleibt noch zu erwähnen, dass auch die kindliche Phase des Erlernens der Körpertechniken als Selbstbeherrschung von Lachen begleitet ist: In kinderpsychologischen Untersuchungen konnte festgestellt werden, dass Lachen mit dem Erlernen der Körperbewegung und Körperbeherrschung einsetzt. Übertriebene Bewegungen (in die Luft werfen, im Kreis herumwirbeln) wie die Beobachtung fremder übertriebener und ungewohnter Bewegung führen bei Kindern zum Lachen. Kinder, die gelernt haben, ihren Körper zu beherrschen, lachen über andere, die das noch nicht können. „Als Reaktion auf den Drill der Körperbeherrschung lebt Komik von der Darstellung all jener Situationen, die sich der Beherrschung entziehen.“58

Die Freude am Scheitern der Körperkontrolle, an peinlichen Situationen, in denen der Körper aus der Rolle fällt, setzt sich im sozialen Leben der Gruppe fort.59 Auch am bewussten Angriff auf das Körperschema (wie bei der Parodie des Ganges), an inszenierten Späßen, den gespielten Prügeleien und Raufereien, obszönen Handlungen, Entblößungen und gespielten Behinderungen (Hephaistos), sowie bei allen anderen Techniken, bei denen der Körper außer Fassung gerät, wird gelacht. Übrigens ebenso im umgekehrten Falle, wenn der Körper besonders kontrolliert erscheint, sodass seine Haltung als gespielt supererogatorisch erkannt wird; also auch ein Zuviel an Körperkontrolle löst Lachen aus. Das Spiel mit dem aus der Rolle fallenden Körper ist somit nicht nur ein Spiel mit den sozialen und kulturellen Codes und Regeln, die invertiert oder unterlaufen werden. Es ist vor allem ein Spiel mit den Formen der leiblichen Kommunikation, ein Wissen um das Auslösen von Gelächter, und es beruht auf der spielerischen, doch hochprofessionellen Nachahmung von Körpertechniken, die zugleich soziale Bedeutung und individuelle Referenz besitzen.

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