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2.5. Rituelles Lachen

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Bachtins Studien haben die Frage nach dem lächerlichen Körper in einen rituellen Rahmen gesetzt. Sein ‚grotesker Körper‘ ist die metaphorische Umschreibung für eine spezifisch vormoderne Volkskultur, die durch ‚rituelles Lachen‘ gekennzeichnet ist. Dieses Lachen hat wenig vom modernen Verständnis des Lachens als Auflachen über komische Inkongruenzen oder die Pointe eines Witzes, denn es ist nicht in erster Linie über mediale Instanzen vermittelt. Es ist vielmehr ein direktes, lautes, gemeinschaftliches, körperbetontes und dauerhaftes Lachen, das bestimmte populare Rituale und Aufführungen des Mittelalters begleitet und sie konstituiert, in einigen Fällen sogar regiert. Es wird über rituelle Zusammenhänge gestiftet und bestimmt ihre Dynamik in hohem Maße mit.

Welche Rituale sind hier aber gemeint? Aufgrund der dichotomischen Struktur, die Bachtin der mittelalterlichen Welt zuweist, zieht er eine scharfe Grenze zwischen weltlichen und religiösen Ritualen, wobei das rituelle Lachen nur ersteren zugerechnet werden könne:

Lachen begleitete gewöhnlich die profanen und häuslichen Zeremonien und Riten: Possenreißer und Narren waren ständige Teilnehmer, die auf parodistische Art die verschiedenen Momente des seriösen Zeremoniells (z.B. Siegerehrungen auf Turnieren, Zeremonien zur Übergabe der Lehnsrechte, Erhebungen in den Ritterstand) nachahmten.1

Zu den profanen Ritualen zählt Bachtin sowohl häusliche Feste, bei denen Narrenkönige und -königinnen gewählt wurden, als auch alle Feste mit Karnevalscharakter, wie etwa Kirchweihfeste mit ihrem „reichhaltigen Repertoire an Belustigungen“, Mysterienspiele oder Sottien, bei denen „Karnevalsatmosphäre“ herrschte.2 Auch wenn es sich hier um allgemeine und pauschale Angaben handelt, so hat die historische Forschung in den letzten Jahren doch die Thesen Bachtins im Ansatz präzisieren können, indem sie die in der mittelalterlichen Kultur weit verbreitete Praxis von (parodistisch-mimetischen) Spott- und Rügeritualen näher untersucht hat.3 Vor allem die Arbeiten zu Status und Funktion brauchtümlicher Charivaris haben hier wichtige Ergebnisse zutage gefördert, die die soziale Kontrolle und Wirksamkeit des gemeinsamen Gelächters bei solchen rituellen Rügebrüchen betreffen.4 Die bessere Erforschung ritueller Fastnachtspiele wie den Nürnberger Schembartlauf (wie des Narrenlaufens überhaupt), das fastnächtliche Blochziehen, die Inszenierung von Weibermühlen und Jungbrunnen oder das Tragen und Zeigen von Spott-Insignien gehören ebenfalls in diesen Zusammenhang. Wird das Lachen in der historischen Forschung als ein Nebeneffekt der populären Bestrafung gewertet, so zeigen literatur- und kulturwissenschaftliche Ansätze seine wichtige Rolle bei der Umsetzung und beim Gelingen dieser Rügemaßnahmen, sowie als wirksames Mittel zur Konstitution von Gemeinschaft qua sozialer Zugehörigkeit und Ausgrenzung.5

Allerdings ist Bachtins strikte und folgenschwere Differenzierung zwischen profanen Ritualen der ‚Volkskultur‘ einerseits und der ‚offiziellen Kultur‘ zugehörigen religiösen Ritualen andererseits nicht haltbar. Nicht nur, dass zahlreiche der von ihm genannten profanen Rituale in religiöse Feste eingebunden sind, sondern auch die Tatsache, dass sich gerade im Rahmen religiöser Rituale wie z.B. dem Osterlachen, dem risus paschalis, den Jahresendfesten des niederen Klerus (festa stultorum) oder den komischen Szenen im Osterspiel rituelles Lachen entfalten kann, spricht gegen eine Trennung von sakral und profan. Gerade die Präsenz des Sakralen macht durch Inversionen und Parodien von Lachen bestimmte Gegenrituale erst möglich, und diese stehen zu jenen nicht im Widerspruch.6 Das Grotesk-Komische ist im Mittelalter dem Sakralen nicht entgegengesetzt; im Gegenteil, es repräsentiert vielleicht eine derjenigen Formen, die den Zugang zum Sakralen ermöglichen, indem es das Sakrale zugleich profaniert und affirmiert, wie eine Grenzüberschreitung die Norm bestätigt.7

Die Formen und Funktionen des rituellen Lachens sind unserer kulturellen Erfahrung heute nur noch schattenhaft zugänglich, wenn wir nicht auf den methodisch nie ganz operationalisierbaren Vergleich mit außereuropäischen Kulturen rekurrieren wollen.8 Sie gehören jedoch zu einer spezifischen Kultur der europäischen Vormoderne, da sie in der Moderne in dieser Form nur noch atavistisch auftreten. Ihre Existenz in den vergangenen Epochen der europäischen Kulturen bedeutet nicht, dass das Lachen schlechthin rituell gewesen sei, wie das Händeklatschen oder Kniebeugen nicht schlechthin rituell sind. Es nimmt nur eine rituelle Signifikanz in vormodernen Kulturen ein, die wir vom heutigen Standpunkt nicht voraussetzen können. Es ist deshalb nötig, dem zu Beginn dieser Arbeit formulierten methodischen Weg zu folgen, das Lachen nicht nur paradigmatisch und als universales Merkmal des Menschlichen, sondern zunächst einmal von der Kultur und ihrer Zeit her zu bestimmen, in der es auftritt. Nur auf diese Weise lassen sich Lachen und Komik auch in den Schriftzeugnissen der älteren Epochen in ihrem historischen Kontext verorten. Lachen sollte auch nicht einfach als zeichenhafter Ausdruck für bestimmte Kommunikationsverhältnisse gewertet, sondern muss vor allem in Bezug auf die Bedingungen seiner historischen Vollzugsmöglichkeiten, auf seine rituellen und sozialen Voraussetzungen untersucht werden. Gerade das Lachen als Körperreaktion, und der Körper als Lachanlass müssen stärker von der Warte ihrer performativen Bezüge her gesehen werden.

Abgesehen von anthropologischen und mythologischen Forschungen zum rituellen Lachen im Rahmen griechischer mythischer Erzählungen von Fruchtbarkeitskulten9 war es für die Literatur- und Theaterwissenschaft Rainer Warning, der diesem Aspekt der mittelalterlichen Kultur m. W. zum ersten Mal ernsthaft nachgegangen ist, indem er das rituelle Lachen der komischen Szenen im geistlichen Spiel untersuchte (s.o.). Warning bezeichnet die Höllenfahrt (mit Seelenfangspielen), das Krämerspiel, die hortulanus-Erscheinung und den Jüngerlauf als „Lach-Rituale“, die sich durch magische und reinigende Kraft auszeichneten und die wiederkehrende Lebenskraft und Fruchtbarkeit feierten.10 Die von Teufelskomik bestimmten Lachrituale stützten sich auf die Tatsache, dass der Teufel in der gespielten Aufführung als lächerlich wahrgenommen werden und somit im Lachen gebannt werden könne: „Denn diese Komik kristallisiert sich um ein (...) gespieltes Ritual, sie ist Modellen und Theorien literarischer Komik wesentlich nicht zugänglich, sie ist eine rituelle und in diesem Sinn archaische Komik.“11 Warning entwickelt hier den Begriff der „rituellen Komik“ in Abgrenzung zu Modellen der literarischen Komik als Komik der Aufführung, der als-ob-Situation, in der das Dämonische mit theatralen Mitteln verfremdet werden kann.

Die rituelle Komik entspricht dem rituellen Lachen als strukturelles Pendant, sie wird von diesem modal eingebunden. Diese rituelle Komik kann als modale Komik im Sinne der in Kap. 1.3. theoretisch beschriebenen Relation verstanden werden, insofern als sie vom rituellen Lachen bestimmt und eingerahmt wird. Sie ist auch auf den lächerlichen Körper (der Teufel) beziehbar, indem sie weniger auf das kognitive Verstehen (wie das bei literarischer, textuell fixierter Komik meist vorausgesetzt wird) als auf die sinnliche Wahrnehmung der Körperlichkeit und den gemeinschaftlichen Vollzug des Lachens abhebt. Denn Verstehbarkeit im Sinne hodogetischer Sinnhaftigkeit ist dem Ritual eine eher fremde Kategorie. Als festliches Ereignis setzt es von vornherein die Kontingenzen des Alltags mit den ihnen notwendig zugehörigen Elementen der Körperdisziplin und Selbstbeherrschung außer Kraft und bietet Freiraum für die Inszenierung gegenweltlicher Provokation und Ambivalenz. Diese Ambivalenz wird auch durch die Widersprüchlichkeit und Referenzlosigkeit von Rede und Körperinszenierung gestaltet, sodass solche uneindeutigen, krisenhaften Situationen nur mit rituellem Lachen gelöst werden können. Die heilende bzw. erlösende Wirkung des rituellen Lachens wird hier deutlich: Das Lachen erreicht eine Versöhnung von Gegensätzen nach der Krise, der vom Wissen verdrängte Körper gerät zum Fokus der rituellen Präsenz.12

Somit kann der komische Körper der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Kulturen gerade auch über die Einbindung in rituelle Dimensionen, und hier vor allem das rituelle Lachen greifbar werden. Wenn wir unter Ritualen Aufführungen verstehen, in denen Gemeinschaft gestiftet wird und die zu einer Transformation der Teilnehmer führen, können wir für das rituelle Lachen vier Bedingungen festlegen:

 (1) Rituelles Lachen ist ein gemeinschaftliches Lachen der Teilnehmer und Zuschauer in einem Ritual, es ist in hohem Maße gemeinschaftsbildend.

 (2) Rituelles Lachen folgt performativen Aspekten, es ist ein an die Aufführung/das Ritual gebundenes Lachen, ein für andere aufgeführtes Lachen.

 (3) Rituelles Lachen erfüllt soziale, magische, heilende oder soteriologische Funktionen, indem es die inszenierten Provokationen des Tabuisierten und Bösen bzw. Fremden abwehrt, seine Figurationen ridikülisiert und somit überwinden kann.

 (4) Die durch rituelles Lachen hervorgerufene Transformation ist nicht mit progressivem Wandel gleichzusetzen. Der lächerliche, und ebenso wenig der lachende Körper ist ein Agent des Wandels, sondern er schafft einen liminalen (Zeit-)Raum, in dem soziale Kontrolle aufgehoben ist. Die innerhalb dieses Raumes sozusagen probeweise durchgespielten Veränderungen können auch nach Rückkehr in die Alltäglichkeit wirksam bleiben, doch können sie ebenso gut auch die bestehenden Muster und Normen bestätigen. Dies ist von den jeweiligen Bedingungen des Rituals abhängig. Bedeutsam ist deshalb beim rituellen Lachen die Tatsache, dass es stattgefunden hat, das Ereignis des Lachens selbst ist vorrangig. Der belgische Humorforscher Johan Verberckmoes drückt dies folgendermaßen aus: „The fact that laughing bodies physically fill space with their spasms and implicate the eyes and the ears of the laughers and beholders alike, is therefore a social event of the first importance.“13

Diese vier Aspekte des rituellen Lachens in der Vormoderne können im Übrigen auch aus ethnologischer Perspektive gegengelesen werden. Wie in Kap. 1.3 beschrieben, vertritt Mary Douglas die These, dass in afrikanischen Gemeinschaften das Lachen auch über Witze als rituell und diese selbst als ritualisierte symbolische Handlungen angesehen werden können. Ausgehend von der Beobachtung des „ritual joking“ stellte sie fest, dass es familien- und clanbezogene institutionelle Scherzverhältnisse (joking relations) gibt, die bestimmte soziale Funktionen haben und häufig mit anderen sozialen Ausdrucksformen verbunden sind. Diese Scherzverhältnisse weisen ähnliche Elemente wie die europäischen Lachrituale der Vormoderne auf: bestimmte rituelle Anlässe und bestimmte soziale und symbolische Beziehungen, eine krude Skatologie, sowie das Element der spielerisch-provokativen Herausforderung.14

Douglas stellt ihre anthropologische Witz- und Lachtheorie in den Rahmen von Victor Turners Konzept der communitas, der sich in liminalen Perioden (Ritual, Fest) konstitutierenden Gemeinschaft.15 Hier sind die Rollen und Beziehungen der Mitglieder einer Gemeinschaft temporär offen und frei für Statusveränderungen, da soziale Strukturen (Hierarchien, Herrschaft und Autorität) ausgesetzt sind. „Laughter and jokes, since they attack classification and hierarchy, are obviously apt symbols for expressing community in this sense of unhierarchised, undifferentiated social relations“.16 Mit Douglas hätte das rituelle Lachen seine feste soziale Funktion, auch außerhalb der von Turner beschriebenen, an bestimmte Zeiten und Räume gebundenen communitas. Allerdings ist es, wie das rituelle Lachen in Mittelalter und Früher Neuzeit auch, an einen liminalen Rahmen gebunden, in dem es sich entfalten kann und dessen Kennzeichen es quasi ist. Es wäre interessant zu zeigen, wie sich diese theoretischen Überlegungen im Einzelnen für die Analyse ritueller Aufführungen des Mittelalters und der Frühen Neuzeit nutzbar machen lassen, bei denen menschliche Körper auf verschiedenste Weise als komische Körper inszeniert werden. Prinzipiell gibt es hier zwei Möglichkeiten: den im rituellen Vollzug lächerlich gemachten passiven Körper (etwa bei den Teufelsfiguren im geistlichen Spiel oder den Bauern im Neidhartspiel), und den aktiven, sich als komisch inszenierenden Körper der rituellen Lachfigur bzw. des rituellen Spaßmachers (ritual clown, Possenreißer, komischer Mime, Narr). Häufig sind auch beide Formen des lächerlichen Körpers miteinander verbunden. Beide werden über das rituelle Lachen und die hierbei entstehenden Lachgemeinschaften definiert.17

Was den aktiven Körper der rituellen Lachfigur angeht, gibt es in der Ethnologie verschiedene Beispiele des ritual clowning, welche von Nordamerika bis Ozeanien reichen. Rituelle Clowns haben die Aufgabe, innerhalb bzw. am Rand von rituellen Vollzügen Tabu- und Normgrenzen zu verletzen, das Heilige zu profanieren, Groteskes und Obszönes aufzuführen (Phallus-Symbolik) und den Ablauf der rituellen Handlungen zu verkehren und lächerlich zu machen. Dazu gehören etwa derbe Späße, körperliche Exaltationen, Verstellungen, das Werfen mit Unrat, die Imitation sakraler Figuren und sakraler Sprache. Wie der Trickster kann der rituelle Clown als widersprüchliche und inkonsistente Figur mit exzessiver und proteischer Körperlichkeit bestimmt werden. Beide sind „Gegenteiler“ zu den Stammesheiligen und Schamanen, sie sind als Ausgegrenzte dennoch Teil des Geltenden. Das Handeln der Clowns ist jedoch nicht allein von Ambiguität gekennzeichnet, sondern auch von einem „mechanism of reflexivity“ (Handelman), welcher Grenzüberschreitungen als Verwandlungen seiner Person sichtbar macht.18 Somit erfüllt der rituelle Clown eine metakommunikative Funktion und trägt dazu bei, die Reflexivität eines Rituals zu erhöhen. Gegenüber älteren Deutungen der Funktionen von rituellen Clowns, welche in ihnen Ausgleichsfiguren sozialer Spannungen durch komische Entlastung sahen, unterstreicht Handelman ihre wichtige Rolle für das Gelingen des rituellen Prozesses: ihr symbolisches Handeln evoziere eine Anti-Struktur, die durch Lachen bewältigt werden kann und somit dazu beiträgt, das Ritual performativ zu vollziehen.19 Dieser letzte Aspekt zeigt klar, wie wichtig die Komik des Clowns für seine symbolische und rituelle Funktion war. Diese Komik ist grundsätzlich metakommunikativ und geht von Körper, Stimme, Bewegungen und Körperfunktionen aus, weniger von sprachlichen Ambivalenzen. Sie ist mit der Komik der historischen und literarischen Possenreißer, welche ich im folgenden Kapitel behandeln will, durchaus vergleichbar.

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