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Orator und scurra bei Cicero

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Im zweiten Buch seines De oratore führt Cicero bei der Behandlung des Lächerlichen in der Rede die Figur des Possenreißers (den er mit dem Begriff scurra, teils auch mit mimus und sannio belegt) ein. Er gebraucht diese Figur als eine Art Anti-Orator, um mit ihrer Hilfe als Negativ-Folie das ideale Verhalten des Redners herauszustellen. Denn die Frage, wann und inwieweit der Redner das Lächerliche und den Spott als rhetorische Mittel einsetzen soll, ist durchaus prekär: Wer darf überhaupt verspottet werden und warum?

(Die) Berücksichtigung der Zeit also, Mäßigung und Beschränkung des Spottes und seltene Anwendung witziger Einfälle wird den Redner vom Possenreißer unterscheiden und dann der Umstand, dass wir uns des Spottes nur zu einem Zweck bedienen, nicht um für Witzlinge zu gelten, sondern um dadurch einen Vorteil zu gewinnen; das tun jene den ganzen Tag und ohne Zweck.31

Im Unterschied zum Witz des Redners agiert der Possenreißer offensiv und verletzend: seine Witze sind nicht moderat, sie wollen treffen. Ein Grund dafür ist, dass der professionelle Spaßmacher aus seinen Possen einen pekuniären Vorteil zieht. Doch diese moralische Kategorie ist für Cicero nicht die entscheidende: er fragt, wie später dann wieder (in dem im Mittelalter bekannteren Werk) De officiis, nach den Grenzen des Erlaubten und Angemessenen beim rhetorischen Witz und Spott. Beide müssen sich, um gesellschaftlich akzeptiert zu werden, innerhalb bestimmter Grenzen der Sittlichkeit und Ehrbarkeit bewegen.32 Wie werden diese Grenzen aber definiert?

Wenn wir die Vergleiche zum Possenreißer genauer betrachten, fallen zwei Dinge sofort ins Auge: erstens überschreitet der Possenreißer in allen behandelten Kategorien die Grenzen des Erlaubten, ist also schlechthin eine negativ codierte transgressive Figur. Zweitens ist diese Figur nicht mit dem Hinweis auf ihre dicacitas, die scharfzüngige Bosheit, erledigt,33 sondern sie ist im Gegenteil stark auf (redebegleitende) Gestik, Mimik und Körperlichkeit, im Gegensatz zum Sprachlich-Rhetorischen zugeschnitten.34 So heißt es, dass der Redner in jedem Fall die Ähnlichkeit mit den nachäffenden Gebärdenspielern vermeiden solle, auch wenn die gestische und mimische Nachahmung effektvoller zum Lachen und somit zur Einnahme des Publikums führt als die bloße Rede.35

Der Possenreißer wird also mit Hilfe von Theatermetaphern als Schauspieler vorgestellt: der die Grenzen des Anstands überschreitende Scherz wird als „scurrilis“ oder „mimicus“ bezeichnet, er gehört also den Mimen und Scurrae an: „ne aut scurrilis iocus sit aut mimicus“.36 Der Begriff „scurrilis“ wird noch an anderer Stelle gebraucht: „… omnis est risus in iudicem conversus; visum est totum scurrile ridiculum. „Also das, was eine Person treffen kann, die wir nicht getroffen wissen wollen, gehört, mag es auch noch so hübsch sein, seinem Wesen nach in das Gebiet des Possenhaften.“37 Cicero spricht hier über einen die körperlichen Gebrechen eines Menschen, die Kleinwüchsigkeit des Richters, verspottenden Witz – und wieder ist das Possenhafte Ausdruck des unerlaubten Spottes über körperliche Mängel. Das Ganze kulminiert in der Diskussion, welche Lachanlässe witzig und geistreich sind; auch hier wird der Witz des Rhetors den Possen des Schauspielers gegenübergestellt:

Was kann zum Beispiel so lächerlich sein wie ein Hanswurst (sannio)? Aber man lacht nur über sein Gesicht, über seine Mienen, über sein Nachäffen der Eigenheiten anderer Menschen, über seine Stimme, kurz über seine ganze Figur (denique corpore ridetur ipse). Einen solchen Menschen kann ich allerdings einen Spaßmacher nennen; doch ich kann nur wünschen, dass ein Possenreißer so beschaffen sei, aber nicht ein Redner.38

Die römische Komödie und die Meister professioneller Unterhaltung geben die Folie für Ciceros Anti-Orator ab. Freilich konnte diese Methode auf eine gewisse Tradition zurückgreifen: Platon hatte in der Politeia den Possenreißer in ähnlicher Weise verurteilt wie das homerische Gelächter der Götter, Aristoteles stellte ihn in der Rhetorik dem „freien Mann“ gegenüber, der Ironie und Komik zu seinem eigenen Vergnügen benutze statt für das Vergnügen anderer. In der Nikomachischen Ethik wird dem angemessenen, richtigen Verhalten jenes des Possenreißers entgegengestellt, der die von Aristoteles propagierte Mitte nicht einhält.39 In der Rhetorica ac Herreniam schließlich werden die Späße des scurra als paradigmatisch für ehrverletzenden Spott dargestellt.40

Wenn es darum geht, genau zu beschreiben, mit welchen Techniken Schauspieler und Unterhalter Lachen hervorrufen, so kann Cicero deutliche Grenzen ziehen: komische Rollen, die spöttische Nachahmung von Gestalt und Stimme, die Verzerrung des Gesichts, sowie jede Form von Obszönität sind daher vom Orator zu meiden:

Demnach geziemt sich diese erste Art, die ganz besonders Lachen erregt, für uns nicht, ich meine das Mürrische, Abergläubische, Argwöhnische, Prahlsüchtige, Alberne. Solche Charaktere sind an und für sich lächerlich, und Persönlichkeiten dieser Art pflegen wir durchzuziehen, aber nicht darzustellen. Die zweite Art ist durch die Nachahmung recht sehr geeignet, Lachen zu erregen; aber, wenn wir einmal von ihr Gebrauch machen wollen, so dürfen wir sie nur verstohlen und flüchtig anwenden, denn sonst ist sie keineswegs anständig; die dritte aber, die Verzerrung des Gesichtes, ist unser nicht würdig; die vierte, der zotige Scherz, ist nicht allein des Forums unwürdig, sondern kaum bei einem Gastmahl freier Männer zulässig.41

Alle diese Arten Lachen zu erregen gehen vom Körper aus oder beziehen sich auf Körperliches in der actio, woraus sich ihre moralische Anstößigkeit ergibt.42 Was übrig bleibt, das facete dictum und das facete factum, letzteres freilich als rhetorisch geübte Erzählung, steht dem orator in gemäßigter Form zur Verfügung. Durch die Abgrenzung von Maßlosigkeit und moralischer Zweideutigkeit erreicht die Kunst des Spaßens bei Cicero den Stand einer Tugend, die sich rein diskursiv äußert und auf der Ausschließung des Körpers beruht. Doch die von Cicero für den orator abzulehnenden Techniken der Albernheit, der gespielten Dummheit, der spöttischen Nachahmung und der Obszönität werden mehreren Akteuren zugewiesen, wie oben angeführt. Auch die von Cicero verwandten Begriffe sind nicht einheitlich, sondern deuten einmal auf das Theater als Schauplatz hin, andererseits auf den Spötter als „Schmarotzer“, der für Geld die Gesellschaft in Privathäusern unterhält. Deshalb scheint es, dass die Figur des Possenreißers vor allem ihre Berechtigung als imaginäres Gegenbild des Orators erhält: dieses Gegenbild vereint alle denkbaren transgressiven Akte des Redners in sich und trägt so exempelhafte Züge einer Negativfigur.

Cicero legt so nicht nur einen Grundstein für die pejorative Bedeutung der Theater-Begriffe bei den Kirchenvätern, sondern gibt auch die Ausschließung des Körpers als Lachanlass vor. Schon bei Cicero ist der Körperwitz unsittlich, normverletzend und ‚theatralisch‘, sein Gegenbild ist der Sprachwitz des Redners, der mit seiner Ehrbarkeit, seiner raffinierten urbanitas und seiner Beherrschung sprachlicher und gesellschaftlicher Regeln der einzig legitime ist.43 Ironischerweise wurde Cicero in den Saturnalia des Macrobius selbst mit dem Spitznamen „scurra“ belegt: „Eum scurram ab inimicis appellari solitum“.44

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