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3. Scurra und scurrilitas: Begriffs- und diskursgeschichtliche Aspekte 3.1. Das Lachen und der Körper in der theologischen Literatur

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Während die griechischen Götter Homers herzhaft lachen können, stand der strenge Monotheismus des Christentums dem Lachen skeptisch gegenüber. Gott lacht im Alten Testament mit wenigen Ausnahmen nicht – und wenn er es tut, dann hat sein Lachen einen hoch symbolischen Wert: die Antizipation des Spotts über die Gottlosen und das frohe Lachen über die irdischen Leiden der Unschuldigen, beides gerecht und angemessen.1 Im Neuen Testament gibt es dann kein Lachen Gottes mehr. Der Mensch gewordene Gottessohn könnte zwar lachen, hat es als Mensch wohl auch getan, doch seit dem berühmten Diktum des Johannes Chrysostomos (344–407) wird das Nicht-Lachen Jesus zu einem locus communis der klassischen Theologie.2

Denn die Menschwerdung Christi wird mit der Ausbreitung des Christentums immer stärker in eine Logik von Leiden und Erlösung gestellt. Die in den Apokryphen noch vorhandenen Tendenzen, Jesus auch als Lachenden zu beschreiben,3 werden nun im Rahmen einer Sakralisierung des Christuskörpers getilgt. Dieser sakralisierte Christuskörper hat kein Geschlecht, er hat keinen Stoffwechsel und die damit verbundenen Bedürfnisse, er wird nicht krank, er tanzt nicht, er hustet nicht, ja man könnte sogar sagen, er atmet nicht.4 Das Nicht-Lachen gehört also zu einer ganzen Reihe von Auslassungen der Körperlichkeit des Mensch Gewordenen, der zwar einen menschlichen Körper besitzt, von dessen Emotionen und Bedürfnissen wir jedoch nur wenig erfahren. Diese werden auch deshalb unterdrückt, damit der gemarterte, der leidende Körper Christi in den Vordergrund treten kann.

Jesus lacht auch nicht, weil er selbst Opferlamm und Sündenbock ist, der vom Teufel und seinen Bundesgenossen verlacht wird: zur körperlicher Züchtigung und zum Spott gehört das Lachen der Folterknechte. Unterliegt im Vergleich zur Mehrdeutigkeit und Rätselhaftigkeit des Lachens im Alten Testament das Lachen im Neuen Testament einer Entdifferenzierung, dergestalt dass es fast ausschließlich den Feinden Jesus zugeschrieben wird, so verschärft sich diese Entdifferenzierung nochmals mit den Regeln des heiligen Basilius und mit Johannes Chrysostomos, der das Lachen in toto der societas diaboli zurechnet.5 Zwar dämonisieren die anderen frühchristlichen Texte das Lachen nicht in dieser radikalen Form, es wird aber überwiegend abgelehnt und in der großen Mehrzahl der Texte als deviantes Verhalten denunziert,6 in seiner Phänomenalität dem sündhaften Verhalten zugeordnet und so theologisch als nicht zu rechtfertigen bestimmt.7 Die Sanktionierung, Verurteilung oder Verdammung des Lachens – entsprechend dem jeweiligen Autor – hat allerdings zahlreiche Facetten, unterliegt Differenzierungen und ist nicht selten funktional in gezielte moralisch-theologische Argumentationen eingebunden. Dabei genügt es nicht – wie Suchomski es tut – das Lachen allein auf die schriftliche Auseinandersetzung mit den Themen Scherz und Witz zu beschränken.8 Der erste frühchristliche Autor, der sich dem Lachen widmet, Clemens von Alexandrien erwähnt in seinem kurzen Überblick im Paidagogos9 sechs verschiedene Formen und Anlässe des Lachens:

 (1) das maßvolle Lachen des vernünftigen Menschen, das Lächeln,10

 (2) das maßlose Gekicher der Frauen als das Lachen der Dirnen,

 (3) analog dazu das Gelächter der Männer als Zeichen des Übermuts und der Zuchtlosigkeit,

 (4) das laute Lachen der Toren, mit Hinweis auf Eccl. XXI, 23: „Fatuus in risu exaltat vocem suam, vir autem sapiens vix tacite ridebit“,

 (5) unangemessenes (übermäßiges, respektloses, ungebührliches) Lachen,11

 (6) das Lachen über den Spott der Possenreißer bzw. durch Possenreißerei Lachen zu erregen oder sich selbst lächerlich zu machen.

Lachen bei Clemens ist somit nicht in erster Linie an Lachanlässe wie Scherz und Witz gebunden, sondern es ist eine im aristotelischen Sinn dem Menschen eigene körperliche Ausdrucksweise (homo risibilis), die seine innere Verfasstheit anzeigt, welche von feinem Anstand bis zur Zuchtlosigkeit bzw. Torheit reicht (46.1). Interessant sind an Clemens’ auf antike Auffassungen beruhender Argumentation drei Aspekte:

 a. das Lachen wird bis auf ein Normverhalten, das das rechte Maß (im Sinne des Modus) und die rechte Zeit berücksichtigt (1), und fast ein Lächeln ist, als dem Christen nicht angemessen abgelehnt (2–6). Die Ablehnung erfolgt auf Grund von moralischen, ethischen und theologischen Einwänden, und ihre didaktische Konsequenz ist die Disziplinierung des Lachens als ein modus, der nicht gegen das ethische Ideal der metriotis (μετριότης) verstößt.

 b. es gibt eine klare Hierarchie, das Maß der Verwerflichkeit des Lachens betreffend: Weit schlimmer als das sexuell konnotierte Gekicher der Frauen12 und übermütige Gelächter der Männer, weit negativer als das biblische Lachen der Toren und das situativ falsche Lachen ist das Gelächter über die Possenreißer, die professionellen Meister des Spotts: „Leute, die darin geschickt sind, lächerliche oder vielmehr zu verlachende Stimmungen nachzuahmen, müssen wir aus unserem Staat ausweisen.“13

 c. das schlechte, normferne Lachen und seine Anlässe sind in vielfältiger Weise mit Deformationen des Körpers verbunden: wenn bei lachenden Frauen sich „die Haltung des Gesichts in maßloser Weise völlig auflöst“ und das sexuell anstößige Lachen zweideutige Gesten einschließt,14 wenn beim Toren die Lautstärke hervorstechendes Kennzeichen seines Lachens ist, wenn das „weichliche Lachen“ mit dem Tanz, und mithin mit unsittlicher Bewegung gleichgesetzt wird.

Damit ist Clemens für die christliche Haltung dem Lachen gegenüber bis ins hohe Mittelalter hinein wegweisend: Körper und Stimme sind die eigentlichen Objekte einer christlichen Disziplinierung des Lachens, wie sie bei Clemens in Umrissen bereits erkennbar ist.15 Seine Mahnungen an einen vernünftigen, maßvollen Gebrauch können zwar bei seinen Adressaten auf fruchtbaren Boden fallen, doch die „Possenreißer“, denen hier die schärfsten Sanktionen drohen, werden von solchen Ermahnungen wohl kaum erreicht, womit ihre Verbannung schließlich erklärt sein dürfte.

Der heilige Hieronymus folgt Clemens in den Grundlinien: er unterscheidet zwischen zwei Formen des Lachens: das exzessive, laute, den ganzen Körper erfassende Lachen, erkennbar im Lachen der Juden, der Schüler (bei denen es wohl mit Nachsicht zu behandeln ist), der Betrunkenen, der Barbaren und der Zuschauer von Komödien; all dieses Lachen ist verdammenswert. Dagegen kann das maßvolle Lachen um der Erziehung der Jugend willen toleriert werden.16 Ähnlich argumentiert auch Augustinus in den Drei Büchern für Marcellinus über die Mühe und die Vergebung der Sünden: er verurteilt im Besonderen das Lachen der Spaßmacher (moriones), weil es die Schadenfreude der Lachenden erwecke. Sie seien die teuersten Sklaven, doch sie verspotten die vernünftigen Leute.17 Auch hier wird wiederum deutlich, dass das Engagement gegen das Lachen viel mit den (professionellen) Lachpraktiken der Spätantike zu tun hat.

Die negative Bewertung des Lachens im frühen Christentum erschöpft sich somit nicht nur mit dem Hinweis darauf, dass es ein symbolisches, äußerliches Zeichen für Gottferne, Dummheit oder Überheblichkeit sei. Als sozialer und ethisch bestimmter Vorgang ist es vielfach mit dem Körper verbunden: einerseits erscheint es als eine Funktion des Körpers, der seinen Wirkungen ausgesetzt ist und durch Lachen erschüttert wird; hierzu zählt der cachinnus oder risus immoderatus der Toren und Narren, aber auch die Deformationen von Gestalt und Gesicht beim Lachen. Andererseits wird das Lachen von Körperlichem ausgelöst, es ist eine Konsequenz der devianten Körperlichkeit und des Sprechens von professionellen Possenreißern und Schauspielern. Chrysostomos identifiziert das Lachen mit den Aufführungen der Mimen, die um des Lachens willen ihren Leib aufs schändlichste entstellten, ihren Kopf kahl rasierten und ihre Wangen den Ohrfeigen preisgäben.18

An der radikalen Verurteilung der obszönen Körperdarstellung in Mimus und Pantomimus lässt sich erkennen, dass die Feindschaft zum Lachen bei den Kirchenvätern theologisch aus der Nähe des Lachens zu sündhaftem, exzessivem Verhalten, letztendlich aus dem Sündenfall des Menschen und dem Verlust der Gottesebenbildlichkeit ergibt. Lachen ist hier ein Epiphänomen der Erbsünde, wie Minois darlegt. Ideologisch ist diese Feindschaft jedoch viel stärker durch den Kampf gegen die römische Religion und ihre kultischen Spiele, und somit aus der Auseinandersetzung mit religiösen Gegnern und Häretikern motiviert. Minois schreibt die Gegnerschaft zum Lachen den psychosozialen Konsequenzen der eigenen Verfolgung zu: Selbst tausendfach verlacht und verspottet, sahen sie das Lachen als Form der Demütigung und fürchteten sich vor ihm. Sie wähnten jedoch nicht allein den Satan hinter den römischen Aufführungen19, sondern vor allem auch die Gefahr der Apostasie, die durch die Verspottung der christlichen Symbole und Rituale sowie das Lachen über sie befördert würde.

Wenn körperliches Gebaren als Anlass für Gelächter so gefährlich werden konnte, dann wird offenkundig, warum die christlichen Autoren in ihren Lehren so viel Wert auf die Disziplinierung des Körpers und die damit verbundene Mäßigung des Lachens legten.20 Doch ist dies nichts genuin Christliches: die Kirchenväter knüpften, wie bei Clemens zu sehen war, in vielfältiger Weise an die Körperzucht bei den antiken Schriftstellern an. Es ist erstaunlich, in welch hohem Maße die christlichen Lachverbote antike Verhaltensvorschriften tradieren: Wie in Ciceros durch das gesamte Mittelalter hindurch rezipierten Schrift De officiis Ordnung und Mäßigung als oberste Maxime für den jungen Erwachsenen festgelegt wird, wird in De oratore dem Redner temperantia in den Körperbewegungen, Gesten und mimischen Ausdrucksformen zugeschrieben. Die Bewegungen und Haltungen des Körpers, „die Haltung, der Gang, die Art, sich zu setzen, sich zu Tisch zu legen, das Gesicht, die Augen, die Bewegung der Hände, die Bewegung und die Gesten“, zeigen vor der römischen Öffentlichkeit die Tugenden und die Trefflichkeit des einzelnen.21 Gesten und Gang dürfen dabei weder zu heftig noch zu weich oder „weibisch“ sein. Es sind gerade die “weibischen Bewegungen“, die auch die Kirchenväter verurteilen. So verbindet Clemens Gelächter mit Schwäche und Weiblichkeit. Später wird das Thema der Weiblichkeit noch stärker mit weiblicher Verführung und Laszivität assoziiert werden; so kommt es auch dazu, dass Petrus Cantor die Gaukler als „weibisch“ bezeichnet.22

Ich will das an dieser Stelle nicht weiter vertiefen und stattdessen danach fragen, wie sich die Kritik (aus der christlichen Wahrnehmung) am lauten, unanständigen Lachen sowie an seinen Anlässen, den nicht minder unanständigen Handlungen und Worten diskursgeschichtlich beschreiben lässt. Bevor diese Studie mit den Termini scurra und scurrilitas als historischen Begriffen arbeiten kann, muss ihre effektive Verwendung im Diskurs des Lachens der Spätantike und des Mittelalters untersucht und ihre Funktion in diesem Diskurs bestimmt werden. Auch wenn hier Widersprüche und Verwerfungen in den Zuordnungen aufscheinen mögen, wie ich in der Einleitung bereits erwähnt habe, möchte ich dennoch im Folgenden versuchen, die scurrilitas konsequent von der Aufführung und vom Körper her zu denken.

Scurrilitas

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