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3.2. Scurra und scurrilitas

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Scurra, ein etymologisch nicht restlos geklärter Begriff,1 bezeichnete im römischen Altertum einerseits einen feinen, witzigen Mann, einen urban-galanten Herren (hier ist noch die Wurzel des vir urbanus atque facetus der Renaissance-Humanisten zu erkennen); die zweite und wichtigere Bedeutung des Begriffs ist jedoch, vor allem seit augusteischer Zeit, die des professionellen Possenreißers oder städtischen Lustigmachers, gewöhnlich ein parasitus im Gefolge der Wohlhabenden.2 In diesem Sinn erscheint der Begriff auch bei Plautus in verschiedenen Stücken (Mostellaria, Epidicus, Poenulus und im Trinummus),3 sowie bei Cicero in De oratore.4 Ein scurra ist somit vornehmlich ein Unterhalter, der sich auf mimisch-gestische und sprachliche Aufführungen, Gesang und Tanz versteht, gleichzeitig aber auch ein gefährlicher Spötter und Imitator.5 Dass der Begriff dabei eher negativ besetzt war, zeigt Zenos sarkastische Bezeichnung des Sokrates als scurra atticus.

In der Spätantike und in den frühchristlichen Schriften erscheint scurra noch in einer weiteren Bedeutung, nämlich als Mitglied der kaiserlichen Garde, als Diener und Wächter, aber auch, gerade in den Märtyrerakten, als Henker (Martyrol. S. Victor: „amputatum est caput ejus ab scurrone“). Daneben aber auch noch im antiken Sinn als Parasit, Possenreißer, oder Schauspieler (Athanasius nennt die Histrionen scurrones). Häufig wird der scurra als irrisor und parasitus vorgestellt, vermutlich auch aufgrund seiner Rolle in der römischen Komödie. Du Cange resümiert: „scurrae (...) sunt parasiti. Denique cum non dictis tantum, sed et gestu risum divitibus movere satagerent, scurrae nomen ad mimos transiit“.6

Die Vulgata verstärkt den negativen Gebrauch des Begriffs noch, wenn der nackt vor der Bundeslade tanzende David in 2 Sam. 6,20 in den Worten Michals, der Tochter Sauls, spöttisch mit einem Possenreißer verglichen wird: „et egressa Michol filia Saul in occursum David ait quam gloriosus fuit hodie rex Israhel discoperiens se ante ancillas servorum suorum et nudatus est quasi si nudetur unus de scurris.“7 Die Bezeichnung unus de scurris bezieht sich einerseits auf die soziale Entgleisung (nackt vor Dienerinnen zu tanzen), andererseits aber auch auf die Unangemessenheit und Lächerlichkeit des Tanzes selbst. Scurrae sind in dieser Lesart dem König in Status, Auftreten und Verhalten diametral entgegenstehende Personen, die die Würde des Königtums herabsetzen. Interessant ist dabei die Übersetzungsgeschichte der Stelle: in der Septuaguinta heiß es: εἷς τῶν ὀρχουμένων (einer der Tänzer), was in der Vetus Latina wörtlich mit „unus de saltatoribus“ wiedergegeben, jedoch von Hieronymus durch „unus de scurris“ ersetzt worden war. Hier wird der enge Zusammenhang zwischen saltatores und scurrae als Schausteller des Körpers besonders deutlich.8

Bis ins Spätmittelalter bleibt der scurra dann ein häufig gebrauchter pejorativ belegter Begriff; auch wenn seine präzise Bedeutung im Dunkeln bleibt,9 scheinen die Zeitgenossen damit jeweils unterschiedlich betonte Typen des Possenreißers verbunden zu haben. Dass scurra mit dem Begriff mimi häufig gemeinsam auftaucht, läßt auf vagierende Schauspieler schließen, die durch körperliche und sprachliche Provokationen eine Gefahr für Sitten und Moral darstellten. Dabei unterscheidet sich der Scurra vom Mimus immer durch seine Possen und Späße, die iocularia. Er ist also bis zur frühen Neuzeit ein komischer Darsteller mit breitem Repertoire, dessen Aufgabe es ist, Lachen zu erregen. Zu seinen Techniken gehören die umfassende Beherrschung der Mimik, der Gestik und der Stimme, dazu gesellt sich eine hohe Improvisationsfähigkeit, Schlagfertigkeit und Wortwitz. Dass die christliche Kirche den Begriff auch für undisziplinierte Kleriker gebrauchte, die sich der Disziplin und Ernsthaftigkeit des Dienstes für Gott nicht beugen wollten oder konnten, ist weit in die Canones-Sammlungen hinein vielfach belegt (clerici scurriles).10

Ab dem 9. Jh. kommt es zu einer Überlagerung mit dem Begriff des ioculator, der ebenso wie scurra im Verein mit mimus auftritt und aufgrund seiner direkten semantischen Verbindung mit den mittelalterlichen Spielleuten schließlich den älteren Begriff langsam ersetzt.11 Scurra wird dann nur noch sehr negativ für vagierende Schmarotzer und Begleiter von Prostituierten (meretrices) verwendet.12

Das zugehörige Substantiv scurrilitas wird im Altertum für das Handeln und Sprechen in der Art und Weise eines scurra verwendet und ist im Deutschen folglich mit Possenreißerei wiedergegeben worden (deutlicher noch weist das Adjektiv scurrilis auf Possen und Witze hin; allgemein wird es für „spaßhaft“ bzw. „scherzhaft“ gebraucht, im Besonderen aber ist es dem Tun des Possenreißers gewidmet – possenreißerartig, possenhaft.) Vor allem Ciceros Gebrauch ist hier sehr aufschlussreich: „Visum est totum scurrile ridiculum“, wie es im dritten Buch von De Oratore heißt.13

Während der Begriff scurrilitas meist in Beziehung zum Theaterleben gebraucht wird – so erwähnt C. Sollius Apollinaris Sidonius in einem Brief an Herenius die scurrilitates histrionicas des Stadt- und Straßenleben Roms14 – überwiegt in den rhetorischen Werken der mimisch-gestische und sprachliche Spott – Quintilian spricht von der „adfectata scurrilitas, in rebus ac verbis parum modestis ac pudicis vilis pudor“.15 Interessant ist dann die Übernahme des Substantivs als Pejorativum in den kirchlich-theologischen Bereich und seine Prägung als Zungensünde, wovon weiter unten ausführlich die Rede sein wird. Hier sei nur soviel gesagt, dass der Begriff im Mittelalter für die lasterhaften Reden und Possen der Spielleute und derer, die sich wie Spielleute verhalten, gebraucht wird.

In den Volkssprachen der Frühen Neuzeit bleibt die Verbindung der Bedeutung von körperlich-gestischer Semantik und unverschämter und loser, aber auch witzig-unterhaltender Rede des Skurrilen erhalten, ja sie verstärkt sich zugunsten der ersteren; der Begriff ist im Übrigen eng an die Tätigkeit des „buffone“, des höfischen Possenreißers geknüpft. So wird im neuzeitlichen Italienisch „scurrilità“ als „atteggiamento, comportamento, gesto o espressione volgare“ bezeichnet.16 Auch im Französischen der Frühen Neuzeit steht die actio im Vordergrund: in Edmond Huguets Dictionnaire de la Langue Française du 16e siècle wird unter dem Lemma „scurrile“ ein Zitat von J. Bouchet angeführt: „Vous les verrez en nopces et banquetz Danser, saulter et porter les bouquetz, Baiser, taster, et faire actes scurriles Oultrepassans follies puerilles.“17 Im Verlauf des 16. Jahrhunderts wird der Begriff „scurrilité“ dann wieder stärker im Bezug auf sprachliche Vulgarismen, Übertreibungen und Witze bezogen. Insofern ist es konsequent, wenn im Trésor de la langue française des CNRS zwei Bedeutungensvarianten von scurrilité angegeben werden: der schlüpfrige, obszöne Witz, etwas, das von schlechtem Geschmack, vulgär ist, und zweitens die grotesken Gesten in der Art der „bouffons bavards (...) amusant les passants par leur gestes scurriles“.18 Im Englischen erscheint der Begriff eng an die „jester“ gebunden, sowohl sprachlich als auch körperlich. In Shakespeares Troilus and Cressida ist die Rede von „scurril jests“. Während viele Belege im 17. Jh. die „scurrility“ mit „bad language“ im Sinne von Beschimpfungen, Verleumdungen und übler Nachrede („scurillous language“) verbinden,19 ist auch die Bedeutung von „buffoon-like behaviour“ durchaus verbreitet.

Im Deutschen scheint mit dem Aufkommen des Adjektivs „scurril“ im späten 16. Jahrhundert das Körperlich-Burleske zu dominieren, wie der Eintrag in Zedlers Universalwörterbuch zeigt:

Scurrilität, Scurrilitas, heist man denjenigen Fehler, wenn ein Mensch in solchen Dingen, die ein Vernünfftiger im Ernst zu tractieren hat, mit lächerlichen Possen aufgezogen kommt, dahin z.B. sonderlich gehöret, wenn man mit geistlichen und andern ernsthafften Dingen ein Gespötte treibet, welches ein sehr grosser und närrischer Fehler ist, der im gleichen Grad mit demjenigen stehet, wenn einer auf der Gasse gehet, und an statt daß er gehen solte, einher tantzet, auch sich wohl dazu pfeiffet. Und wenn man dergleichen lächerlicher Possen in allen Gesellschafften zu viel macht, mithin seinen Respect auf die Seite setzet, so heist man dergleichen Leute Pickelheringe, oder wenn man es gelinder geben will, artige, poßirliche Köpffe, lustige Räthe.20

Die Beschreibung des Spotts über Geistliche wird im ‚Zedler‘ nicht genauer, doch können wir annehmen, dass hier Sprachliches und Mimisches eine Verbindung eingehen; das Tanzen und Pfeifen des zweiten Beispiels ist vollständig der gestisch-körperlichen Komponente zuzuschlagen, wie auch der spätere hochdeutsche Gebrauch von „skurril“ als „absonderlich“ und „befremdlich-grotesk“ bestätigt.21 Dass sich die ältere, Zedlersche Auffassung heute vor der romantischen durchgesetzt hat, zeigt die heutige Dominanz des gestisch-mimischen Sinnes von skurril (eine skurrile Person, skurrile Handlungen). Für eine genauere Bestimmung der semantischen Wertigkeit des Begriffes, seiner historischen Wandlung in Mittelalter und früher Neuzeit sowie seiner Relation zum Lachen ist es notwendig, die wichtigsten Differenzierungen, auch in der früheren Bedeutungsgeschichte etwas näher zu betrachten.

Plautus und Cicero sind im Altertum die wichtigsten Gewährsleute für die Anwendung des Begriffs in verschiedenen Kontexten, Paulus (bzw. der Verfasser des Epheserbriefes) wird diese Rolle für das christliche Mittelalter übernehmen.

Scurrilitas

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