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9. Kapitel

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Ein Polizeidirektor fuhr von Skjern in Westjütland nach Kopenhagen, um an der Jubiläumsfeier teilzunehmen. Ein nervöser und aufbrausender Mann, der im Zug fortwährend Zusammenstöße und Streitigkeiten mit den Mitreisenden hatte.

Vielleicht hatte er in seinem abgelegenen Polizeibezirk vor Langeweile schon fast den Verstand verloren. Vielleicht war er aber auch tatsächlich Alkoholiker, wie man in Skjern von ihm behauptete. Jedenfalls wollte er bei dem Fest dabeisein. Er wollte seine Schulkameraden wiedersehen, die ihm in all den Jahren so sehr gefehlt hatten.

Dies war eine Feier für Männer. Eine Feier, an der seine Frau nicht teilnehmen konnte. Ach ja, seine Frau. Seine Ehe. Sie bot den Einwohnern von Skjern immer wieder Gesprächsstoff. Sie war eine Tragödie und eine Komödie zugleich.

„Hyänen muß man ertragen können!“ pflegte er zu sagen, wenn er in der „Harmonie“ saß und mit dem Stationsvorsteher, dem Postmeister und dem Arzt Karten spielte und Grog trank.

Auf der Fahrt über den Großen Belt wurde er in einen heftigen Streit verwickelt. Es ging um einen Platz an einem der Tische an Deck der Fähre.

„Dieser Stuhl ist besetzt“, sagte ein Handelsreisender. „Da liegt mein Mantel, und da steht auch meine Tasche.“

„Das interessiert mich nicht im geringsten“, entgegnete der Polizeidirektor. „Die Tasche steht auf dem Fußboden, und der Mantel ist durchaus kein überzeugender Beweis dafür, daß der Platz besetzt ist.“

„Aber ich sage Ihnen ja, daß der Platz besetzt ist“, ereiferte sich der Handelsreisende.

„So, das sagen Sie mir? Ach, seien Sie doch so freundlich, Ihre Erläuterungen für sich zu behalten! Was bilden Sie sich denn ein, guter Mann!“

„Ich bin nicht Ihr guter Mann!“ schrie der Handelsreisende. „Dies ist mein Platz. Stehen Sie augenblicklich auf!“

„Was, Sie drohen mit? Sie drohen mir? Sie drohen mir? Sie sollen mich gleich kennenlernen, Sie Lümmel!“

„Wen bezeichnen Sie hier als Lümmel? Sie Flegel! Verschwinden Sie!“

„Soso, Beleidigungen! Beschimpfungen! Gewaltandrohungen! Unverschämter Kerl, Sie!“

Der Polizeichef griff nach seinem Stock und schwang ihn wild durch die Luft. „Bürschchen, ich werde dich Mores lehren!“

„Manche Leute wissen einfach nicht, wie man sich auf einer Fähre zu benehmen hat!“ entrüstete sich eine Dame.

Um die Streithähne hatte sich ein Auflauf gebildet. Ein hochaufgeschossener, schlanker Herr rief dem Polizeidirektor beschwichtigend zu: „Aber Rold! Rold! Bist du denn von allen guten Geistern verlassen? Komm doch her!“ Und er drängte sich durch die Menschenmenge und ging auf den tobenden Mann zu. „Sei bloß mit dem Stock etwas vorsichtiger! Hör zu, Rold! Alter Freund, hör endlich zu! Erkennst du mich denn nicht?“

Schließlich gelang es ihm, den sich sträubenden und protestierenden Polizeidirektor vom Kampfplatz fortzuziehen.

„Großartig! Wirklich großartig! Und so etwas soll man sich nun bieten lassen!“ schrie ihnen der Handelsreisende erbost nach.

„Pack!“ zischte ihm der Polizeichef auf dem Rückzug zu.

„Komm, laß uns in den Rauchsalon gehen“, schlug der hochgewachsene Herr vor. „Nun beruhige dich endlich. Wie konntest du dich bloß so erregen?“

„Ich war überhaupt nicht erregt!“ widersprach Rold. „Ich war die ganze Zeit über völlig ruhig. Seelenruhig. Aber anpöbeln darf man mich nicht. Ich laß mir von diesem Gesindel doch nicht alles bieten!“

„Setz dich hierher auf das Sofa. Dieser Platz ist viel schöner. Und wie steht es sonst?“

„Pu ha – ja – zuerst einmal guten Tag. Guten Tag, Hernild. Es ist eine wahre Wohltat, auf dieser Pöbelfähre einen anständigen Menschen zu treffen. Ja, das sind die Segnungen der Demokratie! Man muß sich damit abfinden, belästigt zu werden und sich von allem möglichen Ausschuß anschnauzen zu lassen.“

„Wie geht es dir sonst? Wie sieht es in Skjern aus? Du bist doch bestimmt auch unterwegs zu unserem Fest?“ „Ja, ich will zum Fest. Natürlich. Ich freue mich darauf, wieder einmal gebildete Menschen zu sehen. Pu ha – ja – wie soll es schon in Skjern aussehen? Ja, dort geht alles seinen geregelten Gang.“

„Und deine Frau? Wie geht es ihr?“

„Meiner Frau geht es ausgezeichnet. Ganz ausgezeichnet. Sie ist immer zufrieden. Wirklich eine prächtige Frau, sage ich dir. Eine prächtige Frau … Und du bist noch immer Junggeselle?“

„Ja, ich bin noch Junggeselle. Mit dreiundvierzig Jahren. Ach ja, so ist das.“

„Immer noch in Holstebro?“

„Ja, ja. In Holstebro am Storå.“

„Amtsrichter, nicht wahr?“

„Ja.“

„Viel Arbeit?“

„Hin und wieder ein paar Pfändungen. Eine sehr gemütliche Arbeit. In Holstebro sind die Leute friedlich.“

Die beiden Schulkameraden bestellten Kaffee.

„Und dazu einen Kognak, nicht wahr?“ sagte der Polizeidirektor.

„Nein, danke, ich trinke nie Kognak“, wehrte der Amtsrichter ab. „Ich mag lieber Buttercremeschnitten. Hier an Bord sind die Buttercremeschnitten ganz vorzüglich.“

„Siehst du manchmal einen von der alten Garde, Hernild?“

„Sehr selten. Holstebro liegt ja etwas abseits, auch wenn wir dort mit der Zeit jetzt recht gut Schritt halten. Aber wenn ich in Kopenhagen bin, besuche ich oft Amsteds.“

„Amsted, wohin hat es den eigentlich verschlagen? Er war doch auch Jurist.“

„Ja, er ist Regierungsrat im Kriegsministerium. In der XIV. Abteilung. Ich bin mit seiner Frau weitläufig verwandt. Sie ist eine geborene Masen. Und ihr Onkel, General Masen, ist ein Halbvetter meines Onkels Brackberg – von Brackberg. Das ist der, dem das Rittergut Munkedal in Südjütland gehörte. Er war übrigens ein großartiger Mann. Sein Vater war Amtmann, und dessen Vater wiederum war Chef des holsteinischen Kürassierregiments. Der Großvater wurde von Friedrich V. geadelt.“

Hernild erzählte und aß dabei Buttercremeschnitten. Und Polizeidirektor Rold probierte den Kognak der Fähre. Allmählich verbesserte sich seine Laune, und schließlich fühlte er sich sogar recht wohl.

Der versäumte Frühling

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