Читать книгу Der versäumte Frühling - Hans Scherfig - Страница 13
10. Kapitel
Оглавление„Ja, du hattest dich nach meiner Frau erkundigt“, sagte Rold. „Ihr geht es insofern auch ganz gut. Im Grunde genommen ist sie eine prächtige Frau. Und die Leute in Skjern glauben natürlich, daß mit ihr alles zum besten steht. Aber ganz so rosig sieht es nun doch nicht aus. Sie ist krank. Sogar sehr krank. Es ist einfach schlimm.“
„Was fehlt ihr denn?“
„Es muß etwas mit den Nerven sein oder sonst irgendwas. Weiß der Teufel. Unter uns: Sie ist total verrückt. Es ist einfach furchtbar. Nicht zum Aushalten.
Es fing damit an, daß sie fromm wurde. Weißt du, gegen Frömmigkeit habe ich natürlich nichts. Ganz und gar nicht. Im Gegenteil. Ich bin immer der Auffassung gewesen, daß keine Gesellschaft ohne Religion existieren kann. Denn nur auf der Grundlage des Christentums läßt sich eine Moral aufbauen. Aber meine Frau übertrieb es mit der Frömmigkeit. Sie ging abends ins Missionshaus ,Bethel‘ und verfiel noch auf etliche Sachen. Sie konnte plötzlich auf die Idee kommen, zu beten, laut zu schreien und ihre Sünden zu bekennen. Weiß der Kuckuck, es war richtig unheimlich. So etwas ist doch nichts für den Hausgebrauch! Und dann ging sie mit einemmal in sich und wollte nur noch in Reinheit und Keuchheit leben und all dies Gewäsch. Sie weigerte sich, mit mir zu schlafen, und verriegelte ihre Tür. Und das geht doch nun wirklich zu weit.
Mit der Zeit wurde es immer schlimmer. Sie verlegte sich auf Geisterbeschwörung und wurde Spiritist. Dann gewöhnte sie sich auch noch das Likörtrinken an. Man konnte es zu Hause einfach nicht mehr aushalten. Die Möbel machten sich schon selbständig.“
„Die Möbel?“
„Ja, wirklich. Sie ließen die Tische tanzen und veranstalteten noch mehr solchen Zirkus. Die Tische wanderten durch die Wohnung. Es war unerträglich!
Da sprach ich mit Robert Riege, du kennst ihn ja, dieser Arzt, mit dem wir zur Schule gegangen sind.“
„Aber der ist doch gar kein Arzt. Er hat es nie bis zum Doktor gebracht. Er fiel schon gleich zu Anfang durch.“
„Ja, ich weiß, ich weiß. Doch er hat dann später irgendwo in Deutschland seinen Doktor gemacht. Zuerst war er Masseur. Dann wurde er Chiropraktiker. Und als das mit der Psychoanalyse aufkam, verlegte er sich darauf.“
„Uff!“
„Ja, uff, das kannst du laut sagen. Bist du über die Psychoanalyse einigermaßen im Bilde?“
„Ich habe ein paar Zeitschriften gesehen, die diese Leute herausgeben. Wir hatten welche in der Gerichtskanzlei. Sie wurden am Kiosk beschlagnahmt. Wirklich starker Tobak. Sehr starker Tobak. Das läßt sich schlecht wiedergeben.“
„Aber Riege meinte, das würde helfen. Sie habe Komplexe, sagte er, und sei gehemmt. Und dann begann er sie zu analysieren. Das mußte hinter verschlossenen Türen vor sich gehen. Selbst mir durfte sie nicht erzählen, was sie dort trieben und worüber sie sprachen. Es mußte alles äußerst geheimnisvoll ablaufen. Aber dafür bezahlen, das durfte ich. Und, verdammt noch mal, es war nicht gerade billig!“
„Ja, so etwas ist bestimmt sehr teuer.“
„Darauf kannst du dich verlassen. Riege ist ein ganz Gerissener. Der hat keine Hemmungen.“
„Hast du nie in Erfahrung bringen können, was sie denn so anstellten, wenn er sie analysierte?“
„Nein, niemals. Und das wäre mir auch verflucht egal, wenn es wenigstens geholfen hätte.“
„Hat es denn nicht geholfen?“
„Nicht die Spur. Es wurde eher noch schlimmer.“
„Vielleicht liegt es daran, daß Ihr keine Kinder habt. Möglicherweise fehlt ihr ein Kind. Vielen Frauen bekommt ein Kind sehr gut.“
„Das habe ich Riege auch gesagt. Aber er erklärte mir, daß sie kein Kind wolle. Und damit habe sie ganz recht, behauptet er. Ein Kind würde sie nur in ihrer individuellen Entwicklung hemmen.“
„Seltsam.“
„Ja, das ist sehr seltsam.“
„Hat Riege sie zumindest dazu bringen können, daß sie mit dem Likörtrinken aufhört?“
„Aufhört? Riege sagt, solange man auf etwas Lust hat, darf man nie aufhören. Sie darf also ganz einfach nicht damit aufhören. Im Gegenteil, sie muß weitermachen. Sie muß ihren Trieben völlig freien Lauf lassen. Um gar keinen Preis darf sie gehemmt werden! Und deshalb bleibt sie bis in den hellen Vormittag hinein im Bett liegen und trinkt lila Bols.“
„Das ist ja entsetzlich! Hast du diesen Riege nicht rausgeworfen?“
„Nein, nein. Das geht nicht. Wenn die Behandlung abgebrochen wird, würde sie den Verstand verlieren, sagt er. O ja, er ist gerissen.
Und dann redet er ihr alles mögliche ein. Er hat ihr bewiesen, daß ich ein Sadist bin. Und nun rennt sie in der Stadt herum und erzählt allen: ,Mein Mann ist ein Sadist. Sie können vielleicht verstehen, daß es nicht gerade ein Spaß ist, mit ihm verheiratet zu sein.‘“
„Mein Gott! Wäre es da nicht besser, ihr würdet euch scheiden lassen?“
„Nein. Das ist völlig ausgeschlossen. Eine Scheidung ist in Skjern ein unerhörter Skandal. Denk an meine Stellung. Ich muß auf meinen Ruf achten. Wir würden ins Gerede kommen. Ein Polizeidirektor kann nicht geschieden sein. Ich wäre dann in meiner Position unmöglich. Und übrigens bin ich ein prinzipieller Gegner von Scheidungen. Das führt nur zu Verantwortungslosigkeit und moralischer Zügellosigkeit. Nein, Hyänen muß man ertragen können!“
„Aber das wird doch einmal ein Ende haben? Wie lange mag denn so eine Analyse dauern?“
„Analyse? Davon ist jetzt überhaupt nicht mehr die Rede. Nun sind sie auf etwas ganz Neues verfallen, auf die sogenannte vegetative Therapie. Das hat etwas damit zu tun, daß man sich entspannt und niemals etwas tut, wozu man keine Lust hat. Man bekommt Hemmungen, wenn man sich selbst Zwang antut. Schon die geringste Selbstbeherrschung richtet einen nicht wiedergutzumachenden Schaden an. Und das ist natürlich für meine Frau gerade das richtige! Sich nicht beherrschen müssen! Wenn man zum Beispiel Mayonnaise mag, dann soll man auch Mayonnaise essen. Denn man soll sich ja seinen Trieben völlig hingeben, predigt Riege. Sich bloß nicht beherrschen!
Unser Hausarzt hat festgestellt, daß meine Frau zu dick wird. Er hat ihr geraten, sich beim Essen etwas zu mäßigen. ,Sich mäßigen?‘ sagt Riege, ,das ist ja das allerschlimmste. Man darf sich niemals Zurückhaltung auferlegen.‘ Und deshalb schickt sie nun, wenn sie auf Mayonnaise Appetit hat, das Mädchen los und läßt sich ein halbes Pfund holen, und dann liegt sie im Bett und stopft das Zeug in sich hinein, futtert es direkt aus dem Papier und wird dabei mit jedem Tag fetter. Sie zum Aufstehen zu bewegen ist fast ein Ding der Unmöglichkeit. Sie liegt im Bett und entspannt sich. Sie war schon immer ziemlich träge, aber jetzt ist sie völlig unbeweglich und ungehemmt. Wir müssen zwei Mädchen haben, die sie bedienen. Und die beiden haben, weiß Gott, keine Zeit zum Entspannen. Die haben den ganzen Tag über stramm zu tun. Ein teures Vergnügen. Ein sehr teures.“
„Furchtbar! Und Riege läßt sich seine Behandlung wohl auch gut bezahlen?“
„Ja, das kannst du mir glauben! Ich mag gar nicht sagen, was er bekommt. Und obendrein noch die Reisekosten …“
„Kommt er denn von Kopenhagen zu euch?“
„Nein, er wohnt in Århus. Da hat er eine vegetative Klinik. Und von dort aus unternimmt er seine Reisen. Also muß man auch noch die Kosten für Benzin und so weiter bezahlen.“
„Das ist ja ein starkes Stück!“
„Mich wollte er auch von meinen Hemmungen befreien. Wenn wir uns beide behandeln ließen, sagt er, bekämen wir Rabatt. Aber davor soll mich der Himmel bewahren! Ich kann meine Hemmungen einfach nicht entbehren. Uff, ich hab direkt Angst vor ihm. Was er sich auch vornimmt, er findet bei allem die merkwürdigsten Sachen heraus. Und alles sei nur pure Liederlichkeit. Die normalsten Dinge haben für ihn eine liederliche Bedeutung.“
„Ich halte das alles für Unsinn.“
„Das mag ja sein. Aber es ist schlimm genug. Denn es ist nicht gerade ein Vergnügen, wenn die Frau den ganzen Tag über im Bett liegt. Und sich mit Mayonnaise vollstopft und dazu Likör trinkt.“
„Trinkt sie denn richtiggehend?“
„Ja, sie trinkt lila Bols – und ißt Mayonnaise dazu. Für die ist Likör bloß süßes Zeug. Daß er auch Prozente hat, will sie nicht wahrhaben. Und man dürfe ihr nicht widersprechen, sagt Riege. Sie braucht den Likör als Ersatz für Erotik.“
„Wirklich sonderbar.“
„Für mich ist das zumindest sehr unangenehm. – Und dann die Schlafzimmertür, die sie immer und ewig verschlossen hält. Das ist für mich sehr schwer. In Skjern gibt es ja nicht so gewisse Damen. Deshalb muß ich ab und zu bis nach Aalborg fahren. Aber das geht auch ins Geld. Und wenn man eine Frau hat, ist das schließlich ja nicht der Sinn der Sache. Wie kommst du denn damit so in Holstebro zurecht?“
Der Amtsrichter bekam einen roten Kopf.
„Ich, hm – in dieser Beziehung ist mein Bedarf nicht gerade übermäßig groß. Ich bin ja Junggeselle. Und das ist wohl mehr eine Sache der Gewohnheit.“
„Es ist eine wahre Wohltat, darüber mal zu reden“, sagte der Polizeidirektor. „Gut, daß man sich bei einem alten Freund aussprechen kann. Zum Wohl, Alter! Du mußt uns mal in Skjern besuchen. Das ist wirklich ein hübsches Städtchen. Die neue Anlage ist recht schmuck geworden. Und meine Frau würde sich bestimmt freuen, dich kennenzulernen.“
„Vielen Dank für die Einladung.“
Die Fähre näherte sich Korsør. Man nahm vor der Gangway Aufstellung. Denn nun galt es, im Zug einen guten Platz zu erwischen.
„He! He! Sie dahinten! Drängeln Sie nicht so! Das ist doch die Höhe! Ein Skandal!“ ereiferte sich der Polizeidirektor.