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3. Kapitel

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Viele Jahre nach Studienrat C. Blommes Tod auf der Uferpromenade trafen sich einige Herren in einem Restaurant. An einem schönen, warmen Juniabend, an dem genau wie damals Flieder und Goldregen blühten.

Die Herren kamen die mit roten Läufern belegten Treppen herauf und gaben Mantel, Schal und Regenschirm an der Garderobe ab. Einige sogar Überschuhe – trotz des schönen Wetters. Es waren Menschen, die sehr auf ihre Gesundheit achteten.

Die meisten fuhren mit dem Auto vor, einige kamen mit der Straßenbahn. Nur einer kam zu Fuß.

Aus dem ganzen Land waren sie angereist, um sich an diesem Sommerabend zu treffen, auch wenn sie sich im Grunde genommen nicht mehr kannten. Sie hatten sich seit vielen Jahren nicht gesehen und sich inzwischen sehr verändert. Sie hatten Brillen, Bäuche und Bärte bekommen. Sie waren glatzköpfig geworden, und ihre Haarfarbe hatte gewechselt. Sie waren hager und runzlig oder dick und rund geworden. Sie hatten sich geradezu bis zur Unkenntlichkeit verändert.

Sie schüttelten einander so herzlich die Hände, daß die Manschettenknöpfe rasselten. Und sie duzten sich leicht geniert, weil sie nicht immer wußten, mit wem sie eigentlich sprachen, und sich deshalb erst vorstellen und sich zu erkennen geben mußten.

Alle waren dreiundvierzig Jahre alt. Männer im besten Alter. Reife, erfahrene Männer auf der Höhe ihrer Schaffenskraft. Und sie waren Männer, die ihren Mitmenschen gegenüber mit Verantwortung, Befugnissen und Macht ausgestattet waren. Vielbeschäftigte Männer, deren Zeit kostbar war. Sie hatten vieles zurückstellen müssen, um diesen Abend gemeinsam verleben zu können.

Die Herren waren festlich gekleidet. Geschniegelt und gebügelt, mit Frack und weißer Hemdbrust. Einige trugen Miniaturorden im Knopfloch.

Nur einer hatte einen gewöhnlichen Anzug an. Einen blankgewetzten Anzug, dessen Ärmel und Hosenbeine viel zu kurz waren. Er trug einen sonderbaren, dünnen, langgezogenen roten Binder und merkwürdige, ausgetretene, absatzlose Stiefel. Er hatte ungeschnittenes Haar und einen schwarzen Vollbart. Mürrisch begrüßte er die anderen und betrachtete sie kurzsichtig durch eine sehr kleine, altmodische Brille. Er glich keinem der anderen, und doch gehörte er zu ihnen. Man hatte auf sein Kommen Wert gelegt. Und man behandelte ihn freundlich und mit Herzlichkeit und schützte ihn fürsorglich vor eventuellen Beleidigungen von seiten des Bedienungspersonals.

Das in Hellrot gehaltene Restaurant mit seiner Seidentapete, den vergoldeten Wandleuchten und der bronzefarbenen Beleuchtung war eine Stätte, die die häusliche Ungemütlichkeit mit der Eleganz des Gesellschaftslebens vereinte.

In einem Nebenraum war die Tafel gedeckt, mit Kerzen, Blumen, dänischen Fähnchen und sinnreich aufgestellten Servietten. Der Oberkellner umkreiste den Tisch, um sich einen Überblick zu verschaffen und sich davon zu überzeugen, daß auch alles seine Richtigkeit hatte.

Die Herren boten sich gegenseitig Zigarren an und streiften dann die Asche an künstlerisch geformten Porzellanaschenbechern und keramischen Gebilden mit biblischen Motiven ab. Sie lachten und redeten lautstark über vergangene Tage, frischten alte Erinnerungen auf. Und sie unterhielten sich in einer seltsamen Freimaurersprache, die für Uneingeweihte nicht zu verstehen gewesen wäre.

Einige Herren bildeten ein Komitee, sie eilten geschäftig mit Listen hin und her und kreuzten jeden Ankommenden darauf ab.

Endlich war man vollzählig. Neunzehn Herren. Anwälte, Ärzte, Wissenschaftler,Geschäftsleute, Lehrer, Richter sowie ein Geistlicher und ein Offizier.

Unter ihnen war auch ein Mörder. Ein Mann, der viele Jahre zuvor Studienrat C. Blommes Malzbonbon vergiftet hatte.

Der versäumte Frühling

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