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2. Kapitel

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Der Tote hatte Papiere bei sich, die ihn als den dreiundsechzigjährigen Studienrat C. Blomme, wohnhaft Classensgade 44, auswiesen. Seine Frau wurde benachrichtigt, und alles, was in solchen Situationen getan werden muß, wurde getan.

Die Ärzte erklärten, der Tod sei durch ein alkalisches Gift hervorgerufen worden, das eine Lähmung des motorischen Nervensystems herbeigeführt habe, wodurch es zu einer Art Starrkrampf gekommen sei. Infolge der Lähmung der Brustmuskulatur sei dann der Tod durch Ersticken eingetreten.

Bei der später vorgenommenen Obduktion stellte man im Mageninhalt Strychnin fest. Auf Grund der merkwürdigen Umstände dieses Todesfalles wurde die Mordkommission benachrichtigt. Die Polizei leitete die Untersuchung ein. Was der Sterbende über den Malzbonbon gesagt hatte, war nicht in Vergessenheit geraten. Im Mantel des Toten fand man die kleine ovale Blechschachtel mit den weiter oben beschriebenen Malzbonbons. Die Schachtel wurde mit sterilen Geräten geöffnet. Hände in Gummihandschuhen nahmen vorsichtig die Bonbons heraus. Die Blechschachtel samt Deckel und jeder einzelne Bonbon wurden gründlich analysiert, mikroskopiert und durchleuchtet. Aber in keinem Bonbon ließ sich auch nur eine Andeutung von Gift feststellen. Nicht einmal mit Hilfe der Spektralanalyse gelang es, in der Schachtel oder in den Bonbons irgendein Gift nachzuweisen.

Man konnte in Erfahrung bringen, wo Studienrat Blomme die verhängnisvollen Malzbonbons oder den Malzextrakt-Brustzucker, wie die offizielle Bezeichnung dafür lautete, gekauft hatte. Das ganze Geschäft wurde auf den Kopf gestellt und der Besitzer und die Verkäuferin beinahe chemisch untersucht. Es fand sich jedoch nicht einmal die Spur von Strychnin. Die Nachforschungen wurden sowohl in der Bonbonfabrik als auch in dem Betrieb, der die Blechschachteln herstellte, fortgesetzt und in den unwahrscheinlichsten Verästelungen weitergeführt. Nirgendwo entdeckte man Strychnin.

In Studienrat Blommes Wohnung gab es ebenfalls kein Strychnin. Und er schien sich auch niemals für Gifte interessiert zu haben, wenn man von jenen absieht, von denen in der Geschichte der römischen Kaiser berichtet wird. Suetonius, Tacitus, juvenal und Petronius füllten seinen Bücherschrank, und der friedfertige Studienrat hatte an den grausigen Schilderungen, die in einer für seine Familie unverständlichen Sprache geschrieben waren, seine Freude.

Ein kleiner, stiller Mann mit Goldrandbrille und Spitzbart. Ein Mann mit bescheidenen Gewohnheiten und einer maßvollen Lebensführung. Ein Mann mit klassischer Bildung, dessen Wohnung braune Reproduktionen antiker Statuen schmückten. Sonntags besuchte er oft die Abgußsammlungen des Kunstmuseums und erklärte seiner Familie die weißen Gipsfiguren. Abends ging er gern auf Langelinie spazieren. Seinen Schülern brachte er gewissenhaft die lateinische Grammatik bei. Mit ängstlicher Sorgfalt pflegte er seine schwächliche Gesundheit. Sein einziges Laster war die Schwäche für Malzextrakt-Brustzucker. Am Abend saß er in seiner kleinen Stube in der Classensgade und las die römischen Historiker im Original. Und die lateinische Sprache erschloß ihm eine andere Welt. Die Welt Tiberius‘, Caligulas, Neros und Messalinas. Mit ihren Intrigen und Giftmorden und absonderlichen Perversitäten.

Doch Strychnin gab es in seiner Wohnung nicht. Niemand hatte Grund zu der Annahme, daß er einen seiner eigenen Malzbonbons vergiftet hatte oder auf andere Weise Selbstmord begehen wollte. Und niemand stand im Verdacht, ihm nach dem Leben getrachtet zu haben.

Seine Frau betrauerte den Verlust ihres Mannes, und die drei erwachsenen Töchter trauerten ebenfalls. Seine Kollegen und Bekannten zeigten aufrichtige Teilnahme. Er hatte keine Schulden, keine heimlichen Geliebten, keine kostspieligen Laster. Er litt auch nicht unter enttäuschtem Ehrgeiz. Er war weder finanziell erpreßt noch bedroht worden, noch war er Wucherern in die Hände gefallen.

Sein Tod auf der Uferpromenade war in mystisches Dunkel gehüllt und blieb rätselhaft. Keine noch so gründliche polizeiliche Untersuchung konnte irgendeine Erklärung erbringen. Und so wurde Studienrat C. Blomme begraben.

Der versäumte Frühling

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