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2. Einziger Romand im Bundesrat
ОглавлениеAm Abend jenes schicksalsschweren Sonntags, 3. September, setzt sich Bundesrat Pilet in seiner Berner Wohnung am Scheuerrain 7 an den Schreibtisch, um seinem Waadtländer Landsmann General Guisan einen warmen Glückwunschbrief zu schreiben.
Obwohl erst 49-jährig, ist Marcel Pilet-Golaz nach dem schon 1911 gewählten Doyen, dem Tessiner Giuseppe Motta, der amtsälteste Bundesrat. Er gehört seit 1929 der obersten Landesbehörde an, zuerst als Vorsteher des Departements des Innern und dann, während eines vollen Jahrzehnts als derjenige des Post- und Eisenbahndepartements. Die Kollegen respektieren ihn wegen seines Allgemeinwissens, seiner raschen Auffassungsgabe, seiner juristischen Kenntnisse, seiner sprachlichen Fertigkeit. Auch wegen seines Waadtländer bon sens. Diejenigen, die ihn näher kennen – und das sind nicht viele – schätzen seine Loyalität und seine menschliche Wärme, die er allerdings gut verbirgt. Zu den Personen, denen er vertraut und die ihm vertrauen, gehören vor allem alte Kollegen aus der Studentenverbindung Belles-Lettres oder dem Advokatenstand, politische Kampfgefährten aus der Waadt oder ehemalige Dienstkameraden. Die Bundesratskollegen Rudolf Minger und Philipp Etter, wohl auch Hermann Obrecht, schätzen ihn als Freund. Mit ihnen und mit Ernst Wetter ist Pilet per Du, mit den älteren Motta und Baumann per Sie.
Pilets selbstsicheres, gelegentlich überhebliches Wesen, seine Ungeduld mit schwerfälligeren Geistern und seine oft lose Zunge haben ihm in Verlaufe seiner langen politischen Karriere das Misstrauen von diversen Politikern, Verbandsvertretern und Journalisten eingetragen. Seine bissige, manchmal auch gegen sich selbst gerichtete Ironie kommt bei Deutschschweizern und auch einigen Romands schlecht an. Pilet ist ein eindrücklicher Redner, der ein welsches Publikum überzeugen und begeistern kann. Für den Durchschnittsdeutschschweizer allerdings sind sein kultiviertes Französisch und seine literarischen Anspielungen nicht leicht verständlich.
Wie es sich für einen nonkonformistischen Lausanner gehört, kleidet sich Pilet unkonventionell. An Militärmanövern erscheint er mit Béret, Pullover und Knickerbockers, was in der Deutschschweiz als frivol gilt. Wenn an einem offiziellen Ausflug andere Bundesräte sich schwarz kleiden, zieht er statt Nadelstreifen- helle Hosen an und trägt manchmal – horribile dictu – weisse Gamaschen. Nicht zu vergessen die Nelke oder Rose, die er sich ins Knopfloch steckt, wenn er eine Rede hält. Der Doppelname Pilet-Golaz, den er sich 1915 bei seiner Heirat zugelegt hat, halten viele für angeberisch. Man kann ja nicht wissen, was er damit zeigen will: Für ihn sind Mann und Frau in der Ehe gleichwertig. Auch wenn er selbst private Briefe beharrlich mit Pilet-Golaz oder P.-G. signiert, nennen ihn die meisten Leute und Zeitungen einfach Pilet.
Wie seine freisinnigen Waadtländer Parteifreunde ist Pilet überzeugter Föderalist, Liberaler und Patriot. Liberté et Patrie ist das stolze Motto des grössten und einflussreichsten Kantons der welschen Schweiz. Pilet verabscheut wie fast alle welschen Bürgerlichen den Bolschewismus und sieht in ihm eine ständige Gefahr für Freiheit und Unabhängigkeit. Den Faschismus lehnt er ab, fürchtet ihn aber nicht. Hingegen ist ihm als Liberaler, Christ und Schweizer der Nationalsozialismus zutiefst zuwider. Von Haus und Erziehung aus ist er frankophil. Politisch allerdings hat er seine Vorbehalte gegenüber der grossen Nachbarrepublik mit ihren unablässigen Regierungswechseln, ihrer wirtschaftlichen und sozialen Instabilität, der Korruption ihrer Elite.
Pilet fühlt sich dem «lateinischen» Kulturkreis zugehörig und hat nur bedingte Sympathien für deutsches Wesen. Ein Studienhalbjahr in Leipzig 1910, kurz vor Ausbruch des Weltkriegs, hat seine Abneigung gegen deutschen Kollektivismus und Militarismus nicht mildern können. Mit teutonischen Sitten und Gebräuchen wird er sich nie anfreunden. Hingegen bewundert er deutsche Musik, deutsche Wissenschaft, deutsche technische Errungenschaften, deutsches Organisationstalent. Die Deutschen sind arbeitsam, methodisch, diszipliniert, mutig. Wenn sie sich nur nicht als «Herrenvolk» aufführten!
Als pragmatischer Traditionalist hängt er an der gewachsenen, spezifisch schweizerischen Form der Demokratie – Föderalismus, Exekutive in der Form eines kollegialen Direktoriums, Volksabstimmungen. Wenn der Bundesrat eine Volksabstimmung verliert, akzeptiert er das Verdikt des Souveräns. Gleichzeitig ist der der Meinung, dass es jedem Volk freistehe, die ihm passende Regierungsform zu wählen. Schon als Student in Leipzig konnte er verstehen, wenn die Sachsen ihrem König zujubelten. Er hält es nicht für die Aufgabe der Eidgenossenschaft, anderen Ländern Lehren in Demokratie zu erteilen. Aber was die Schweiz selber anbelangt, kann er sich keine andere Regierungsform vorstellen als die direkte Demokratie.
Mit der Bürde ständiger SBB-Defizite beladen, hat Pilet als Eisenbahnminister in den Dreissigerjahren manchen Strauss mit Gewerkschaftern und Sozialdemokraten ausgefochten. Viele im linken Lager haben ihm seinen ersten grossen Auftritt als Nationalrat im Jahr 1926 nicht verziehen, als er, juristisch gewandt, den Bundesbeamten das Streikrecht absprach. Mittlerweile hat sich Pilet mit dem mächtigen Gewerkschaftsführer Robert Bratschi und dem bedeutendsten aller Schweizer Sozialisten, Robert Grimm, versöhnt. Mit beiden hat er ein gutes politisches, wohl auch menschliches Einvernehmen gefunden.
Unter den sieben Bundesräten – vier Freisinnigen (die in der Westschweiz radicaux heissen), zwei Katholisch-Konservativen (wie die Vertreter der Konservativen Volkspartei genannt werden) und einem Mitglied der BGB (Bauern- Gewerbe-, und Bürgerpartei) – herrscht ungewöhnliche Harmonie. Keine persönlichen Rivalitäten wie seinerzeit die zwischen Wirtschaftsminister Schulthess und Finanzminister Musy vergiften die Atmosphäre. In wichtigen Fragen ist man sich einig. Seit dem Anschluss Österreichs im März 1938, erst recht seit der Zerschlagung der Tschechoslowakei ein Jahr später, bereitet sich die Regierung gewissenhaft auf den von fast allen für unvermeidlich gehaltenen Kriegsausbruch vor. Die Unabhängigkeit der Schweiz muss unter allen Umständen verteidigt werden. Die Bundesräte wissen, dass ein neuer europäischer Krieg noch verheerender sein wird als der letzte. Fünf der sieben Bundesräte – Baumann, Obrecht, Minger, Etter und Pilet – haben zwischen 1914 und 1918 während Hunderten von Tagen als Bataillons- oder Kompaniekommandanten Dienst geleistet. Als höhere Offiziere a. D. bleiben sie an militärischen Fragen interessiert. Pilet hat die Revue militaire suisse abonniert. Er erhält in Bern den Kontakt mit ehemaligen Offizierskameraden und Vorgesetzten aufrecht. Im Bundesrat setzt er sich für die Anliegen des vornehmlich französischsprachigen 1. Armeekorps und seiner Chefs ein.
Nicht alle Landesväter haben bei der Kriegsvorbereitung gleich schwere Aufgaben. Die grösste Verantwortung lastet auf dem für die wirtschaftliche Kriegsvorsorge verantwortlichen Hermann Obrecht. Der tatkräftige Solothurner hat sich als erfolgreicher Unternehmer ein umfassendes Wirtschaftswissen angeeignet hat und verfügt in allen Kreisen über erstrangige Beziehungen. Ihm ist es gelungen, für den Kriegs- oder Mobilisationsfall eine Notverwaltung ins Leben zu rufen. Ausgewiesene Fachleute, die nicht im Bundesdienst stehen, stellen sich teilzeitlich als Führungskräfte für besondere Aufgaben zur Verfügung. Zu ihnen gehören nicht nur einflussreiche Wirtschaftsführer und Universitätsprofessoren, sondern auch Politiker, die sich in Stadt oder Kanton als tüchtige Verwalter bewährt haben. Zu den Letzteren gehört auch der Sozialistenführer Robert Grimm. Er ist Chef der Sektion «Kraft und Wärme», welche die Versorgung des Landes mit flüssigen und festen Brennstoffen sichern soll.
Am 16. März 1939, zwei Tage nachdem der nach Berlin beorderte, kranke tschechoslowakische Präsident Hácha eingeknickt war und den Einmarsch deutscher Truppen nach Prag gebilligt hatte, sprach Oprecht in einer Rede in Basel berühmt gewordene Sätze:
Das Ausland muss es wissen: Wer uns ehrt und in Ruhe lässt, ist unser Freund. Wer dagegen unsere Unabhängigkeit und unsere politische Unversehrtheit angreifen sollte, dem wartet der Krieg! Wir Schweizer werden nicht zuerst ins Ausland wallfahrten gehen.
Die Worte haben Obrecht zum Symbol des schweizerischen Widerstandswillens gemacht.
Aussenminister Giuseppe Motta und seinem gut eingespielten Team im Politischen Departement kommt es zu, die Beziehungen zu allen Kriegsparteien korrekt und wenn möglich freundschaftlich aufrechtzuerhalten und zu erreichen, dass sie unsere Neutralität respektieren. Schon sofort nach Kriegsausbruch 1914 baten die verfeindeten Staaten die Schweiz um die Wahrnehmung ihrer Interessen bei der Gegenseite. Das Politische Departement übernahm die schwierige Aufgabe, die unserem Land hüben und drüben viel guten Willen brachte. Der kluge, umgängliche Motta spielte während Jahren im Völkerbund eine wichtige Rolle und ist europaweit anerkannt und geschätzt wie kein anderer Schweizer Bundesrat.
Mit der Ernennung des Generals muss Militärminister Rudolf Minger viele seiner Kompetenzen an die Armeeführung abgeben, bleibt aber Bindeglied zwischen Bundesrat und Armee. Der Berner Bauernbundesrat aus dem Seeland ist wegen seiner kernigen Sprüche und seines unermüdlichen Eintretens für Armee und Landwirtschaft beim Volk beliebt. Er ist der einzige Bundesrat ohne den damals für einen hohen Magistraten fast obligatorischen Doktorhut. Witze über den bauernschlauen, ungebildeten «Rüedu», meist frei erfunden, tun seiner Popularität keinen Abbruch, im Gegenteil.
Innenminister Philipp Etter, wie Minger auf einem Bauernhof (in Menzingen, Kanton Zug) aufgewachsen, kümmert sich um «die schweizerische Kulturwahrung und Kulturwerbung». Angesichts der intensiven Propagandatätigkeit aller Grossmächte und insbesondere der vom Reich inszenierten raffinierten psychologischen Kriegsführung hat die sogenannte geistige Landesverteidigung eine Bedeutung erhalten wie nie zuvor in der Geschichte der Schweiz. Der strikte Katholik Etter galt einst als eifernder Kulturkämpfer, hat sich als Bundesrat gemässigt und wird wegen seiner umfassenden Bildung und seiner tiefen Heimatliebe geschätzt. Nicht zuletzt von Pilet, mit dem ihn die Liebe zur Literatur verbindet. Beide sind eingefleischte Föderalisten und gläubige Christen. Gerne unterhalten sich Pilet und Etter über philosophische und theologische Fragen und empfehlen sich gegenseitig Werke aus diesen Fachgebieten.
Der für die Finanzen zuständige Zürcher Ernst Wetter muss die durch die Mobilisation und die Zerrüttung des Welthandels entstandenen Mehrausgaben, das Bundesdefizit und die Inflation in erträglichen Grenzen halten. Er denkt sich Sparmassnahmen und neue Steuern aus, von denen er annehmen kann, dass sie sowohl von der Rechten wie von der Linken geschluckt werden. Als ehemaliger Handelslehrer kann er rechnen, als langjähriger Delegierter des «Vororts», wie der Schweizerische Handels- und Industrieverein gemeinhin genannt wird, hat er beste Beziehungen zu Zürcher Finanz- und Wirtschaftskreisen.
Für Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung im Lande, für die Sicherung der Rechte und Freiheiten des Bürgers ist theoretisch Justiz- und Polizeiminister Johannes Baumann verantwortlich, doch in der Praxis tut dies jetzt die Armee. Der brave frühere Landammann von Appenzell-Ausserrhoden hat nicht die Statur seines Vorgängers Heinrich Häberlin, des «Gewissens des Bundesrats». Baumann hat die undankbare Aufgabe, sich in Zensurfragen mit der vielgestaltigen, unabhängigen und oft kritiksüchtigen Presse herumzuschlagen. Die wichtige Flüchtlings- und Fremdenpolitik fällt in seinen Bereich, wird allerdings faktisch vom Leiter der Polizeiabteilung, dem dominanten Heinrich Rothmund, gemacht. In Fragen des Staatsschutzes vertraut er auf seine Chefbeamten, Bundesanwalt Stämpfli und Bundespolizeichef Balsiger.
Und Pilet, der Vorsteher des PED, des Post- und Eisenbahndepartements? Er hat seine Abteilungen minuziös auf den Krieg vorbereitet. Die Pläne für den Mobilisationsfall sind ausgearbeitet und können sofort in Kraft treten. Die Verwaltung von Post, Telefon und Telegraf, die in der Schweiz ohnehin besser funktionieren als anderswo, ist für den Ernstfall gewappnet. Massnahmen für eine vorsichtige Überwachung von Postsendungen und Telefongesprächen sind – mehr oder weniger heimlich und ohne solide Verfassungsgrundlage – bereits in Kraft. Die verschiedenen Ämter im Departement Pilet können auch mit einem wegen der Generalmobilmachung beschränkten Personalbestand ihre Aufgabe erfüllen. Auf den 2. September tritt provisorisch ein Kriegsfahrplan in Kraft. Pilet übernimmt die im Mobilmachungsfall vorgesehene Kontrolle des Radios, das in den letzten zehn Jahren als Unterhaltungs-, Informations- und vor allem auch Propagandamedium eine ungeahnte Bedeutung erlangt hat.
Der Schweizer Bundesrat ist eine Kollegialbehörde, und jedes Mitglied trägt für alle von ihm getroffenen Entscheide die Mitverantwortung. Mehr als seine Kollegen Bundesräte kümmert sich Pilet um die juristische und sprachliche Sauberkeit von Bundesratsbeschlüssen. Er misstraut allzu eifriger Betriebsamkeit und wird nicht müde, vor überstürztem Handeln zu warnen. Als Waadtländer Pragmatiker sucht er gangbare Lösungen, als eingefleischter Liberaler wehrt er sich gegen eine überflüssige Einmischung des Staats in das Privatleben des Bürgers.
In Pilets Notizen vom 3. September zu seinem persönlichen Gebrauch ärgert er sich über das «Fieber und den Totalitarismus des Generalstabs der Armee», die ihm schon am ersten Tag des deutschen Angriffs auf Polen aufgefallen sind. So wollte der Telegrafenchef der Armee «zweifellos im Auftrag des Unterchefs des Generalstabs Frick», dass die Verwaltung das wichtige Transitkabel Deutschland – Italien durch den Gotthard durchschneide. Haben die unbedarften Militärs denn keine Ahnung, was eine derartig drastische Massnahme wirtschaftlich und politisch bedeuten würde? Pilet befiehlt seinen Beamten, nichts ohne seine Zustimmung zu tun. Er telefoniert Minger, um Einwand zu erheben. Minger muss ihn enttäuschen: Die Armee befiehlt jetzt. Der Militärminister hat «nichts mehr zu sagen». Wenigstens kann Minger Pilet seinen Verbindungsoffizier Major Bracher schicken. Pilet erklärt Bracher, wieso die Durchschneidung des Kabels ein Fehler wäre, und sendet diesen zu Oberst Hans Frick. Mit Erfolg. Wenig später teilt Frick Pilet mit, dass er auf die Massnahme verzichte und «dass das Kabel wiederhergestellt sei». Wiederhergestellt? Pilet notiert spöttisch: «Der Arme: er glaubt, man hätte es durchschnitten!»
In den ersten Tagen nach der Mobilmachung widersetzt sich Pilet anderen unverständlichen Anordnungen oder Wünschen der Armeeleitung. So verlangt das Militär in Basel vierzig Eisenbahnwagen, um Schützengräben zu blockieren. Wissen die nicht, dass alles Rollmaterial gebraucht wird, um die aufgebotenen Truppen zu transportieren! Als Pilet tags darauf an der Bundesratssitzung die Geschichte den Kollegen erzählt, «heben sie die Hände zum Himmel».
Eine militärische Massnahme, die PTT-Generaldirektor Hans Hunziker und Pilet für unsinnig halten, ist das am 3. September verhängte Verbot aller privaten Telefongespräche mit dem Ausland. Schon am nächsten Morgen, einem Montag, klagen Gemüse-, Kohlen- und Getreideimporteure ebenso wie die Betreiber der Rheinschifffahrt, dass sie sich nicht telefonisch im Ausland über den Stand ihrer Transporte erkundigen können. Darauf hebt Hunziker auf eigenes Risiko das Verbot in vielen Fällen auf. Brieflich berichtet er am 6. September seinem Chef Pilet über die Schwierigkeiten, die das hastige Vorgehen der Armeestellen verursacht hat:
Man kann einem Korrespondenzmittel wie dem Telephon nicht ohne nachteilige Folgen Hindernisse in den Weg legen, wenn auf dem ganzen Netz in normalen Zeiten täglich 800 000 und in den Krisentagen, die wir durchleben, 1200 000 Kommunikationen ausgetauscht werden. Da wo militärische Interessen auf dem Spiel stehen, versteht jeder vernünftige Abonnent die auferlegten Einschränkungen – und billigt sie sogar –, aber wenn dies nicht der Fall ist, muss man extrem vorsichtig sein.
Hunziker fügt hinzu, man wundere sich in Mailand darüber, dass der Telefonverkehr zwischen dem nichtkriegführenden Italien und der neutralen Schweiz unterbunden sei, während man aus Italien problemlos via die Schweiz mit den Neutralen Belgien, Holland und sogar mit Grossbritannien, das im Krieg steht, telefonieren könne.
Dank dem Verständnis von Oberst Hasler, dem Chef der «Abteilung Presse und Funkspruch», werden die vom Armeekommando verhängten schädlichen Massnahmen bald wieder aufgehoben. Pilet wird den Militärs und ihrem oft voreiligen Vorgehen gegenüber misstrauisch bleiben.
Die Bundesräte sehen während des im Blitztempo ablaufenden Polenfeldzugs keine direkte Gefahr für die Schweiz. Am 11. September schreibt Bundespräsident Etter seinem mit Schmerzen im Bett liegenden Freund, dem mächtigen Luzerner Nationalrat Heinrich («Heiri») Walther, er solle sich schonen und der Septembersession fernbleiben:
Die Räte werden wahrscheinlich keine weltbewegenden Probleme wälzen. Aussenpolitische Fragen stehen kaum auf der Tagesordnung. Im übrigen gibt es für uns jetzt nichts anderes als ruhig abzuwarten, wie die Dinge auf den Kriegsschauplätzen sich weiter entwickeln. Dauert der Krieg lange, was wahrscheinlich ist, so werden wir erhebliche Schwierigkeiten in Kauf nehmen müssen, und unser Volk wird inbezug auf die Tragkraft seiner Opferbereitschaft auf eine harte Probe gestellt. Wir wollen hoffen, dass es sich bewähren wird. Psychologisch war es noch nie so gut vorbereitet wie heute. Aber wir werden dafür sorgen müssen, dass die Spannkraft erhalten bleibt.