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3. Wie sich vor Spionage und Sabotage schützen?

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Im April 1939, wenige Wochen nach dem Einmarsch der Wehrmacht in die Tschechoslowakei, lag auf dem Tisch des Bundesrats ein Entwurf einer «Verordnung über die Wahrung der Sicherheit des Landes». Sie sollte in Kriegszeiten Spionage und Sabotage bekämpfen. Im Bundesrat erinnerte man sich an die Zeit zwischen 1914 und 1918, als die Schweiz zu einem europäischen Agentennest geworden war. Mit Beunruhigung hatte man beobachtet, welche perfiden Methoden die Nazis in Österreich und der Tschechoslowakei anwandten, um diese Staaten auszulöschen. Der Bundesrat kannte auch die von Moskau gesteuerten Wühlereien der Kommunisten in Frankreich und Spanien. An der Notwendigkeit einer gegen Extremisten von links und rechts gerichteten Staatsschutzverordnung bestand «kein Zweifel».

So bat denn Bundespräsident Etter seinen Kollege Pilet, den vorgelegten Gesetzesentwurf genau anzuschauen. Pilet, zweifellos der beste Jurist im Bundesrat, war entsetzt über das, was das Militärdepartement ausgebrütet hatte. Am 26. April teilte er Etter in einem vierseitigen Brief seine Bedenken gegenüber den geplanten Staatsschutzmassnahmen mit. Seiner Meinung nach ging die Vorlage in den «Verpflichtungen, die sie den Einwohnern des Landes im Interesse der nationalen Verteidigung auferlegt, sehr weit». Er verstehe dies, glaube aber, dass «gewisse Grenzen nicht überschritten, gewisse Prinzipien respektiert und gewisse Missbräuche vermieden werden müssten.»

Pilet strich im Entwurf mit dem von ihm gerne verwendeten blauen Farbstift vieles durch und formulierte einige Artikel neu. Er wollte die Befugnisse der Armee beschränken und sicherstellen, dass die letzte Verfügungsgewalt beim Bundesrat bleibt:

Es scheint mir gefährlich vorzusehen, dass allein das Armeekommando die notwenigen Massnahmen für die Sicherheit des Landes ergreift. Das Armeekommando ist hauptsächlich für den Krieg, für die militärischen Operationen da, es ist nicht da, um Ruhe und Ordnung im Land aufrechtzuerhalten, ausser es werde von den verantwortlichen zivilen Behörden dazu aufgefordert.

Zum Schluss seines Briefs an den Bundespräsidenten wünschte Pilet, dass der vom Militärdepartement vorgelegte Entwurf vom Justiz- und Polizeidepartement und vom Gesamtbundesrat einer genauen Prüfung unterzogen werde. In der gegenwärtigen Form wäre es für ihn «mehr als schwierig» ihm zuzustimmen. Da keine Eile geboten war, wurde das Projekt im April auf die Seite gelegt.

Vier Monate später, am 2. September, kommt der Verordnungsentwurf «Wahrnehmung der Sicherheit des Landes» erneut vor den Bundesrat. Jetzt soll alles schnell gehen. Schriftlich warnt Pilet Bundespräsident Etter:

Ich habe die Ehre, Ihnen zu bestätigen, dass ich dieses Projekt für unannehmbar halte. Es zu verabschieden, wäre eine politische Verirrung, die uns bald grosse Schwierigkeiten bereiten würde.

Er schickt Etter ein eigenes Projekt mit einer Liste von Abänderungsvorschlägen. Der Waadtländer meint, es bestehe keine Notwendigkeit, die Verordnung sofort zu erlassen. Das Justiz- und Polizeidepartement solle zuerst noch einmal «die Sache sehr aufmerksam prüfen».

Die Hauptarbeit an der endgültigen Abfassung der Staatsschutzverordnung übernimmt Professor Walther Burckhardt, ein eminenter Staats- und Völkerrechtler. Schon als Jus-Student hat Pilet den weisen Rechtsgelehrten bewundert. Er teilt Burckhardts Ansichten über das Völkerrecht, über das Wesen und die Rolle der Schweiz, und geht auch in Einzelfragen mit ihm einig. So etwa misstrauen beide dem Proporzwahlsystem und ziehen den Majorz vor.

Wenn der Bundesrat von seinem «Kronjuristen» Burckhardt etwas will, dann ist dieser zur Stelle. Wie er einmal sagte:

Welch traurige Figur macht der gelehrte Jurist, der über alle Verschnörkelungen eines vielleicht verfehlten Gesetzbaues Bescheid weiss, aber stumm bleibt, wenn man ihn fragt, was das Gesetz denn wert sei und wie es verbessert werden könne!

Am 5. September schreibt Burckhardt dem «hochgeachteten Herr Bundesrat» Pilet:

Darf ich Ihnen hier, mit einigen erläuternden Bemerkungen, den Entwurf einer Sicherheitsverordnung schicken, wie man sie am ehesten redigieren könnte. Dass ich nicht ganz überzeugt bin von der Notwendigkeit einer solchen Verordnung und von der Vortrefflichkeit aller ihrer Bestimmungen, habe ich in den beiliegenden Bemerkungen schon gesagt. Dass ich meine Vorschläge, mangels Zeit, nicht gründlich überlegen konnte, brauche ich nicht zu sagen.

Burckhardt hat seine «Bemerkungen» auf sechs maschinengeschriebenen A3-Seiten festgehalten und handschriftlich korrigiert. Das Dokument zeugt von der Gewissenhaftigkeit, mit welcher der 68-jährige Burckhardt seinen Gegenentwurf ausgearbeitet hat.

«Da ich dich telefonisch nicht erreichen konnte», schickt Pilet den Entwurf Burckhardts per Feldpost Oberst Logoz. Prof. Paul Logoz ist der juristische Berater des Armeekommandos, das eben nach Spiez übersiedelt ist. Er und Pilet kennen sich seit langem. 1928 hatten die Sozialdemokraten bei der Bundesratswahl den parteiunabhängigen Logoz als Gegenkandidat des Radikalen Pilet unterstützt. Nach der Wahl war Logoz spontan zu Pilet gegangen und hatte seinem siegreichen Gegner herzlich die Hand geschüttelt.

Logoz schlägt vor, den Entwurf Burckhardts noch einem pénaliste vorzulegen. Prof. Ernst Hafter, ein anerkannter Strafrechtler, arbeitet zusammen mit Logoz und Oberauditor Trüssel eine definitive Fassung aus. An einer Konferenz, an der Hafter, Logoz, Burckhardt, Oberauditor Trüssel und Bundesanwalt Stämpfli teilnehmen, wird der Text der Verordnung bereinigt. Bundeskanzler George Bovet gibt der französischen Fassung den sprachlichen Feinschliff. Pilets Vorstoss bei Bundespräsident Etter hat sich gelohnt. Die Vorlage ist nun «in Ordnung».

Am 22. September verabschiedet der Bundesrat den Entwurf und am gleichen Tag erhält die Presse ein erklärendes Communiqué. Erhaltene handschriftliche Notizen – mit Streichungen und Korrekturen – zeigen, dass Pilet die bundesrätliche Mitteilung verfasst hat. Gleich zu Beginn des Communiqués steht eine Bemerkung, die das Denken Pilets illustriert:

Angesichts der gegenwärtigen Lage wird jedermann die Notwendigkeit [der Verordnung] einsehen, selbst wenn er mit lebhaftem Bedauern feststellt, dass unsere freiheitlichen Gewohnheiten vorübergehend eingeschränkt werden. Das Wohl der Allgemeinheit fordert heute eine Begrenzung von Persönlichkeitsrechten, die nur unter normalen Verhältnissen gefahrlos ausgeübt werden können.

Pilet ist es auch – nicht Minger oder Baumann, in deren Departemente die Verordnung eigentlich gehört –, der an einer Pressekonferenz die erlassenen Massnahmen erläutert und die Journalisten beruhigt:

Die guten Bürger haben nichts zu befürchten. Die verdächtigen Elemente werden unter Kontrolle gehalten.

Die Presse begreift das Vorgehen des Bundesrats, allerdings mit Vorbehalten. Der Chefredaktor der Basler Nachrichten, Nationalrat Albert Oeri, stellt fest, dass keine «einzige Massnahme» während der letzten Weltkriegszeit so weit gegangen ist wie in dem neuen Erlass. Oeri misstraut den «zuständigen militärischen Stellen» und meint, Artikel 1 statuiere «die Diktatur der Militärgewalt».

In der Tribune de Genève beruhigt ihr Berner Korrespondent Léon Savary seine welschen Freunde, die in der Verordnung bereits die Inquisition wittern:

Die Verfügung sieht natürlich strenge Massnahmen vor, aber sie richten sich nur gegen die Spione, die Agenten der ausländischen Propaganda, die dubiosen Emissäre, die auf neutralem Gebiet zwischen den Pflastersteinen spriessen, sobald es Krieg gibt.

Savary hat das Gefühl, die Militärs erhielten «ein wenig allzu weite Kompetenzen». Um Überwachungen durchzuführen und Untersuchungen zu leiten, seien die zivilen Behörden mit ihrer darin geübten Polizei besser geeignet. Der vermutlich von Pilet selber eingeweihte Savary verrät seinen Lesern in diesem Zusammenhang noch ein Geheimnis:

Aber es scheint, dass ein Sonderdienst geschaffen werden wird, um generell die Aufgabe der Spionageabwehr zu übernehmen, und dass ein gut bekannter und unbestritten kompetenter Fachmann sie leiten wird. Tant mieux.

Ein geheimer Bundesratsbeschluss hat sofort nach der Mobilmachung den Spionageabwehrdienst, SPAB, wie man ihn nennen wird, ins Leben gerufen und seine Führung dem mit Pilet eng befreundeten Waadtländer Polizeikommandanten, Oberst Robert Jaquillard, übertragen. Jaquillard wird seine Aufgabe in Zusammenarbeit mit den andern kantonalen Polizeichefs derart diskret erfüllen, dass ausserhalb der Waadt kaum jemand seinen Namen kennt. (Jaquillard hat bis zum heutigen Tag nicht einmal Einzug ins Historische Lexikon der Schweiz gefunden.) Jaquillard und Pilet waren früher im selben Regiment Bataillonskommandanten und duzen sich. Jaquillard wird als Chef der Gegenspionage Dinge erfahren, die auch Bundesräten verborgen bleiben. In den folgenden vier Jahren wird er es nicht unterlassen, seinen Freund Pilet regelmässig über trübe Vorgänge auf dem Laufenden zu halten – nicht zuletzt über gegen ihn persönlich gerichtete Intrigen.

Die Staatsschutzverordnung, die Professor Walther Burckhardt verfasst hat, ist jetzt in Kraft. Der Berner Ordinarius hat der Eidgenossenschaft zum x-ten Mal einen wertvollen Dienst erwiesen. Es wird sein letzter sein. Nachdem er sein Leben lang für die Völkerverständigung gekämpft hat, lässt ihn der Zusammenbruch der europäischen Friedensordnung verzweifeln. Er, der sich der deutschen Kultur verbunden fühlt, verabscheut den Nationalsozialismus und muss jetzt ohnmächtig zusehen, wie Hitler die westliche Zivilisation in den Abgrund zu stürzen droht. Seine vor ein paar Monaten verstorbene Frau fehlt ihm. Er besucht seinen Sohn, der in den Bergen Militärdienst leistet. Anfang Oktober hält Prof. Burckhardt für einen vom Tod früh aus dem Leben gerissenen begabten Studenten die einfühlsame Grabesrede.

Zwei Wochen später holt der zunehmend Vereinsamte und Verzweifelte seine Armeepistole aus der Schublade, verzieht sich in das Putzkämmerlein und gibt sich den Tod.

Staatsmann im Sturm

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