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4.3.1Verdichtungsräume

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Die beiden Extreme räumlicher Disparitäten sind Ballung und Entleerung. In räumlichen Ballungen kommt es zu einer Konzentration von Menschen und damit zu einer Ballung sozialer und ökonomischer Aktivitäten. Dies trifft insbesondere auf große Metropolen und sogenannte Verdichtungsräume zu. Nach Gaebe (1987, Kap. 7) lassen sich unterschiedliche Merkmale zur Abgrenzung von Verdichtungsräumen verwenden:

 städtebaulich-morphologische Merkmale wie die Wohndichte und Geschosshöhe,

 demographische Merkmale, z. B. Mindestbevölkerung und Bevölkerungsdichte,

 ökonomische Merkmale der Arbeitsplatz-, Einkommens- und Berufsstruktur,

 ökologische Merkmale, wie etwa Immissionen, Frei- und Erholungsflächen,

 Verflechtungsmerkmale mit dem Umland, z. B. in Form von Berufspendlerverflechtungen.

Erste Abgrenzungsversuche von Verdichtungsräumen waren vorwiegend technischer Art. Sie erfolgten anhand weniger, oft subjektiv ausgewählter Merkmale und waren stark simplifiziert. Beispielsweise legte Scott (1912) einen 10-km-Radius um den Verkehrsmittelpunkt einer Großstadt fest und bezeichnete diesen als Agglomeration. Als Großstädte galten dabei Städte mit mehr als 100 000 Einwohnern. Es ist klar, dass sich derartige Abgrenzungen nicht beliebig auf andere Länder übertragen lassen und nicht im Zeitablauf unverändert erhalten bleiben. Inhaltlich hatte Scott (1912) eigentlich etwas anderes abbilden wollen: Als Agglomeration wollte er eine Großstadtgemeinde und die durch ihre Sozial- und Bevölkerungsstruktur beeinflusste Umgebung zusammenfassen, die z. B. in ihrer Wohnweise, Verkehrsinfrastruktur und Pendlerstruktur spezifische Ausprägungen aufweist (Gaebe 1987, Kap. 7).

In der Nachkriegszeit erkannte man, dass Verdichtungsräume keineswegs homogene Einheiten sind, sondern dass sie eine innere Gliederung besitzen. Für diese Sichtweise war die Abgrenzung von Boustedt (1975, Kap. 8) besonders charakteristisch (→ Abb. 4.4). Boustedt (1975, Kap. 8.4) definierte eine Stadtregion anhand von Strukturmerkmalen (Agrarquote, Einwohner-Arbeitsplatzdichte) und Verflechtungsmerkmalen (Auspendler). Er unterschied vier Zonen der Stadtregion: Das Kerngebiet umfasste die Kernstadt und ihr Ergänzungsgebiet, welches aus angrenzenden Gemeinden mit ähnlicher Struktur besteht. Nach außen folgte darauf eine verstädterte Zone mit stärker aufgelockerter Siedlungsweise und einer hohen Zahl von Auspendlern in das Kerngebiet. Hiervon unterschied Boustedt (1975) noch eine Randzone mit zunehmendem Anteil landwirtschaftlicher Erwerbspersonen (Heineberg 1989, Kap. 2). Auch dieser Gliederung fehlt jedoch letztlich eine theoretische Begründung. Zudem wurde eine kreisförmige Struktur der Städte um ihren Mittelpunkt unterstellt. Die Ministerkonferenz für Raumordnung definierte Verdichtungsräume im Jahr 1970 in der Bundesrepublik Deutschland nach nur einem einzigen Merkmal, der Einwohner-Arbeitsplatzdichte (d. h. der Anzahl der Einwohner plus Beschäftigten je km2).


Abb. 4.4 Abgrenzung einer Stadtregion in Deutschland (nach Boustedt 1975, S. 344)

Daneben gibt es eine Vielzahl alternativer Abgrenzungsversuche von Verdichtungsräumen und Stadtregionen (Lichtenberger 1986, Kap. 2.1; Gaebe 1987, Kap. 7; Tönnis 1995). Außerdem bestehen in verschiedenen Ländern voneinander abweichende Festsetzungen von Verdichtungsräumen, die nur schwer miteinander vergleichbar sind. In den USA werden beispielsweise sogenannte metropolitan statistical areas abgegrenzt. Die Grenzziehung erfolgt auf der Ebene von counties und basiert auf den Merkmalen Mindestgröße, Mindestdichte und Mindestpendleranteil in die zentralen counties der Agglomeration.

Insgesamt sind Abgrenzungen von Verdichtungs- und Ballungsgebieten problematisch. So ist die Wahl der Abgrenzungsmerkmale und der Abschneidegrenzen selten zwingend. In der Regel wird eine pragmatische Vorgehensweise bevorzugt, weil eine theoretisch begründete Methodik nicht existiert. Vielfach wird die Bedeutung von Verflechtungsmerkmalen für solche Abgrenzungen hervorgehoben, jedoch in der Praxis zu selten tatsächlich verwendet. Ein weiteres Problem besteht darin, dass die Abgrenzungen in der Regel von der Existenz eines Verdichtungskerns ausgehen, zu dem hin Verflechtungen von außen bestehen. Das hierbei unterstellte ringförmige Städtemodell trifft aber auf nordamerikanische Städte nur noch bedingt zu.

Die Raumentwicklung in der Bundesrepublik Deutschland war in der Nachkriegszeit durch drei Prozesse geprägt (Gaebe 1987):

(1) Urbanisierung (Verdichtung der Kerngebiete),

(2) Suburbanisierung (städtische Expansion ins Umland),

(3) Entleerung (Abwanderungen aus strukturschwachen, dünn besiedelten Regionen, die oft auch als ländliche Räume (Maier und Weber 1995) bezeichnet werden).

Das Raumordnungsgesetz aus dem Jahr 1965 bejahte Konzentrationen und strebte explizit sogar eine weitere Verdichtung von Wohn- und Arbeitsstätten an. Die Grenze des Verdichtungsprozesses wurde darin über gesunde Strukturen und ausgewogene Lebensverhältnisse allerdings eher verschwommen formuliert. Wann und unter welchen Bedingungen Verdichtungen als unausgewogen zu betrachten waren, wurde nicht operationalisiert. Bei der Abgrenzung von Verdichtungsräumen als Regionen mit einer Bevölkerungsdichte von mehr als 1250 Einwohnern pro km2 – einer Abgrenzung, die häufig Verwendung fand – entfielen auf diese Raumkategorie im Jahr 1970 etwa 7 % der Fläche der Bundesrepublik Deutschland, 45 % der Wohnbevölkerung und 55 % der Beschäftigten.

In den 1970er-Jahren erkannte man aber auch, dass es Gebiete mit negativen Verdichtungsfolgen gab. Ausdruck hiervon waren eine zu starke bauliche Nutzung in Relation zu den bestehenden Freiflächen, ein zu hoher Zeitaufwand beim Zurücklegen der Entfernungen zwischen Wohn- und Arbeitsstätte sowie eine Überlastung der Infrastruktur. Bei der Novellierung des Raumordnungsgesetzes Ende der 1980er-­Jahre wurden derartige Verdichtungsnachteile berücksichtigt und der Vorrang der Verdichtung aufgegeben (Tönnis 1995). Ziel der Raumordnung ist demnach einerseits die Vermeidung zu starker Verdichtung, andererseits aber auch die Verhinderung von Zersiedlungserscheinungen. Unter dem Prinzip der dezentralen Konzentration wird eine begrenzte Konzentration der Funktionen Wohnen und Arbeiten auf Verdichtungskerne, eine Entlastung dieser Verdichtungen durch kleine Konzentrationen am Verdichtungsrand und außerhalb der Verdichtungen sowie eine Konzentration der Infrastruktur auf bestimmte Achsen angestrebt (Stiens 2004). Grundlage dieser räumlichen Steuerung ist die Klassifikation siedlungsstruktureller Regionstypen die von der Ministerkonferenz für Raumordnung (MKRO) 1993 beschlossen und auf Ebene der Gemeinden abgegrenzt wurde (BBSR 2009). Die Abgrenzung basiert auf den beiden Kriterien der Siedlungsdichte (Einwohner je km² Siedlungsfläche) und des Anteils der Siedlungs- und Verkehrsfläche an der Gesamtfläche. Aus der Kombination dieser Kriterien werden insgesamt sieben Regionstypen differenziert, die von hoch verdichteten Agglomerationsräumen bis hin zu ländlichen Räumen geringer Dichte reichen (→ Abb. 4.5). Zu den Verdichtungsräumen gehören Gemeinden, deren Fläche im Vergleich zum Bundesdurchschnitt überdurchschnittlich als Siedlungs- und Verkehrsfläche genutzt wird und die gleichzeitig eine über dem Bundesdurchschnitt liegende Siedlungsdichte aufweisen. Wesentliches Kriterium eines Verdichtungsraums ist ferner, dass dort mehr als 150 000 Einwohner leben. Insgesamt ist über die Hälfte der bundesdeutschen Bevölkerung in Verdichtungsregionen konzentriert.


Abb. 4.5 Verdichtungsräume in Deutschland (nach BBSR 2009)

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