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4.5.3Regionalisiertes Wachstum internationalen Handels
ОглавлениеDas durchschnittliche Außenhandelsvolumen der OECD-Staaten (Organisation for Economic Cooperation and Development) betrug 2007 etwa 70 % ihres Bruttoinlandsprodukts, wobei kleinere Staaten wie Irland, Belgien, die Tschechische Republik und die Niederlande sogar Handelsvolumina erreichten, die über dem eigenen Bruttoinlandsprodukt lagen (OECD 2010). Die wachsende Bedeutung des internationalen Handels zeigt sich für die Bundesrepublik Deutschland im enormen Anstieg der Einfuhr- und Ausfuhrwerte zwischen 1990 und 2010 (→ Abb. 4.14). Im Jahr 2010 betrug der Wert der Einfuhr von Gütern und Dienstleistungen 806,2 Milliarden Euro bei einer Ausfuhr von 959,5 Milliarden Euro und einem Ausfuhrüberschuss von 153,3 Milliarden Euro (Statistisches Bundesamt 2011). In den Jahren 2003 bis 2008 war Deutschland innerhalb der OECD noch vor den USA die größte Exportnation für Waren (OECD 2010).
Abb. 4.14 Einfuhr und Ausfuhr in der Bundesrepublik Deutschland 1950 bis 2016 in tatsächlichen Werten (nach Statistisches Bundesamt (Destatis), Außenhandel, 2017)
Gemäß der Globalisierungshypothese ist das ungebrochene Wachstum des Handels ein Indiz für zunehmende globale Verflechtungen. Seit 1970 wächst der Export kontinuierlich stärker an als die Produktion von Gütern (Hirst und Thompson 1996, Kap. 3; Schamp 1996), d. h. Produkte werden immer weniger dort konsumiert, wo sie hergestellt werden. Am Beispiel der Staaten der Europäischen Union (EU) demonstrieren Kleinknecht und Wengel (1998) allerdings, dass das Maß an globaler Handelsverflechtung außerhalb Europas seit den 1960er-Jahren eher stagniert, während sich der innereuropäische Binnenhandel intensiviert hat (→ Abb. 4.15). Sowohl der Anteil der Importe als auch der der Exporte am Bruttoinlandsprodukt hat sich zwischen 1960 und 1995 im Binnenhandel der EU verdoppelt, während der Anteil der Importe und Exporte im Außenhandel nahezu unverändert geblieben ist.
Abb. 4.15 Entwicklung von europäischem Binnen- und Außenhandel der EU-12-Staaten gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) 1960 bis 1995 (nach Kleinknecht und Wengel 1998, S. 641)
Damit ist die quantitative Bedeutung der Globalisierung durchaus kritisch zu beurteilen. Entgegen der Globalisierungshypothese tritt die EU letztlich in erster Linie als ein regionaler Wirtschaftsblock in Erscheinung, der 1995 keineswegs stärker in die globale Weltwirtschaft eingebunden war als noch im Jahr 1960. Internationalisierung vollzieht sich aus europäischer Perspektive somit weniger als Prozess der Globalisierung, sondern vielmehr als wirtschaftliche Integration der EU-Staaten. Zwei Drittel des Außenhandelsvolumens der europäischen Mitgliedsstaaten konzentrierten sich im Jahr 2007 auf die Europäische Region, nur ein Drittel auf den Handel mit anderen Weltregionen (OECD 2010).
Ähnliches lässt sich für Nordamerika und Japan feststellen. Im Zeitraum von 1963 bis 1996 hat sich in beiden Fällen das Handelsgewicht auf den eigenen Wirtschaftsblock verstärkt und der Anteil des Gesamthandelsaufkommens mit weniger entwickelten Weltregionen wie Südamerika und Afrika verringert. Nordamerika, Japan und Europa bilden somit zu Recht die drei Zentren oder die Triade der internationalen Ökonomie (Ohmae 1985; Hirst und Thompson 1996; Dicken 1998, Kap. 2 und 3). Auch der größte Teil der transnationalen Unternehmen ist nach wie vor in der Triade ansässig: Im Jahr 2008 stammten 72 % aller transnationalen Unternehmen aus den betreffenden Industrienationen (UNCTAD 2010).
Die Verflechtung der Handelsbeziehungen entwickelt sich zusammengefasst keineswegs global in dem Sinne, dass alle Regionen der Welt gleichermaßen oder überhaupt stärker mit anderen Teilen der Welt vernetzt werden (z. B. Sternberg 1997). Vielmehr erfolgt die Internationalisierung des Handels als Prozess der Integration der industrialisierten kontinentalen Wirtschaftsblöcke (Nuhn 1997; 1998). Mit der Institutionalisierung der regionalen Wirtschaftsabkommen MERCOSUR (Mercado Común del Sur), dem gemeinsamen Markt Südamerikas, und ASEAN (Association of Southeast Asian Nations), dem asiatischen Äquivalent, nimmt auch der intraregionale Handel in Südamerika und Südostasien stetig zu (OECD 2010). Doch das Wachstum des weltweiten Handels ist nicht nur in räumlicher Perspektive stark konzentriert. Auch hat sich die Struktur des Handels verändert. Eine strukturelle Verschiebung zeigt sich in unterschiedlichen Aspekten des Handels, wobei verschiedene Handelstypen jeweils unterschiedliche Aspekte des Welthandels beleuchten.
(1) Intrasektoraler Außenhandel. Innerhalb der EU verringert sich der Anteil des intersektoralen Außenhandels immer stärker zugunsten des intrasektoralen Handels. Der intersektorale Handel repräsentiert die traditionelle Form des Außenhandels auf der Grundlage komparativer Kostenvorteile. So besagt das Theorem der komparativen Kostenvorteile nach Ricardo, dass es für Länder vorteilhaft ist, sich auf die Produktion derjenigen Produkte zu spezialisieren, die sie im Vergleich mit anderen Ländern am produktivsten herstellen können (Hesse 1988; Schumann 1988). Es müsste sich demnach eine internationale Arbeitsteilung mit entsprechendem intersektoralem Außenhandel entwickeln. Import und Export von Gütern und Dienstleistungen würden dabei wenige Überlappungen aufweisen. Diese klassische Form der internationalen Arbeitsteilung wird jedoch sukzessive durch überlappende Produktionstätigkeiten und einen entsprechenden intrasektoralen Handel abgelöst, bei dem gleiche oder ähnliche Produkte desselben Sektors gehandelt werden. Zwischen 1980 und 1996 erhöhte sich beispielsweise der Anteil des intrasektoralen Handels innerhalb der EU-12-Staaten um etwa 8 % auf über 60 % (OECD 1999 a), bis 2008 in den meisten OECD-Staaten sogar auf über 70 % (OECD 2010). Der wechselseitige Außenhandel vergleichbarer Güter, wie z. B. der deutsche Import ausländischer Autos bei gleichzeitigem Export deutscher Autos, deutet auf eine zunehmende Produktdifferenzierung und Pluralisierung der Märkte hin. Deutschlands Außenhandel bestand im Jahr 2008 zu 78 % aus dem Tausch brancheninterner Güter (OECD 2010).
(2) Außenhandel von Zwischenprodukten. Eine wachsende Bedeutung hat auch der internationale Handel mit Zwischenprodukten. Während in früheren Phasen Handelsbeziehungen mit Rohstoffen und Endprodukten vorherrschten, hat sich inzwischen eine internationale Arbeitsteilung in der Produktion etabliert, bei der immer mehr Zwischenprodukte einzelner Wertschöpfungsstufen in andere Länder exportiert und dort weiterverarbeitet werden. Das Wachstum des Handelsvolumens für Zwischenprodukte ist ein Indiz für die zunehmende internationale Organisation von Wertschöpfungsketten. Zwischen 1995 und 2006 wuchs der Anteil des Handels intermediärer Güter in den OECD-Staaten jährlich um 6 % für Waren und 7 % für Dienstleistungen. Der Handel mit intermediären Gütern machte 56 % des gesamten Warenhandels und 73 % des Handels mit Dienstleistungen aus (OECD 2010). Exportierte und importierte Güter sind folglich seltener für den Konsum und immer häufiger zur Weiterverarbeitung in einer sich fortwährend vertiefenden internationalen Arbeitsteilung bestimmt. Sinn (2005) befürchtet vor diesem Hintergrund, dass sich Deutschland zunehmend in eine Basar-Ökonomie, d.h. in einen Umschlagplatz der Veredelung ausländischer Vorprodukte in finale Exportwaren, wandelt (Handke 2014). Eine geographische Differenzierung der Handelsströme bestätigt die zuvor beschriebene Struktur des regionalisierten Welthandels. 85 % des gesamten Welthandels von Zwischengütern konzentrieren sich auf Handelsbeziehungen zwischen den 34 OECD-Mitgliedsstaaten sowie den Beitrittskandidaten und den Partnern mit verstärkter Zusammenarbeit, darunter Indien, China und Brasilien (OECD 2010). Hierbei sind intraregionale Ströme der Triade jeweils größer als interregionale (→ Abb. 4.16).
Abb. 4.16 Räumliche Struktur der Importe von Zwischengütern (Waren) nach Weltregionen (nach OECD 2010, S. 215)
(3) Unternehmensinterner Außenhandel. Durch die internationale Organisation der Produktion großer multinationaler Unternehmen gewinnt auch der grenzüberschreitende Handel zwischen Unternehmenseinheiten an Bedeutung. Nach einer Schätzung der Vereinten Nationen beträgt der Anteil des unternehmensinternen Handels weltweit etwa ein Drittel des gesamten Handelsaufkommens (UNCTAD 1995). Aufgrund der schwierigen Erfassung der tatsächlichen Ströme liegen bislang hierzu allerdings nur wenige Studien vor. In einer schwedischen Untersuchung wurde für 300 Industriebetriebe in ausländischem Besitz ermittelt, dass durchschnittlich über 40 % der betrieblichen Exporte an ausländische Einheiten des gleichen Unternehmens gerichtet waren und umgekehrt etwa 30 % der Importe von anderen Unternehmensteilen aus dem Ausland bezogen wurden (Ivarsson und Johnsson 2000). Statistiken der OECD zeigen seit den 1990er-Jahren eine leichte Zunahme des unternehmensinternen Handels für eine Reihe von Ländern, die diesen Handel statistisch erfassen. So nahm der Anteil interner Exporte in den USA, Kanada und den Niederlanden leicht auf 50 % zu, während er in Schweden von 35 auf 75 % stark anstieg (OECD 2005 a). Insgesamt tauschen ausländische Tochtergesellschaften mehr Sach- und Dienstleistungen mit unternehmenseigenen Schwesterbetrieben im Ausland als mit anderen Unternehmen. Die Anteile unternehmensinterner Importe und Exporte schwanken erheblich zwischen Unternehmen, Sektoren und Ländern. So tendieren vor allem Unternehmen in technologie- und forschungsintensiven Sektoren zu einem ausgeprägten unternehmensinternen Außenhandel. In räumlicher Perspektive scheint der unternehmensinterne Außenhandel wiederum auf regionale Wirtschaftsblöcke sowie auf die Triade konzentriert zu sein. Umfang und Struktur des unternehmensinternen Außenhandels hängen letztlich maßgeblich von der gewählten länder- bzw. marktspezifischen Strategie der betreffenden multinationalen Unternehmen und somit von deren spezifischer internationaler Produktionsorganisation ab.