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Seine Wagenkolonne beschleunigte sofort die Fahrt und raste zum Kanzleramt. Er selbst telefonierte mit seinen Leuten in der Botschaft, um sie über dieses Attentat auf ihn zu informieren. Währenddessen hatten im Kanzleramt schon die Alarmglocken geklingelt, und eine unverzüglich eingeleitete Untersuchung hatte eine unangenehme, radioaktive Belastung des Gebäudes festgestellt. Die Sicherheitsleute reagierten wie Sicherheitsleute und machten augenblicklich, aber eigentlich noch schneller, den blankgeputzten Kanzlerhubschrauber startklar, der schräg hinter der gerade noch übenden Ehrengarde geparkt war, um die Regierungsspitze, die sich schon am Eingang zur Begrüßung des Staatsgastes eingefunden hatte, zu evakuieren.

Da Sicherheitsleute, die wegen ihres jahrelangen, harten Trainings dazu in der Lage waren, jede Lage, auch diese Lage, schneller als jeder andere zu erfassen, zu beurteilen und die richtigen Entscheidungen zu treffen, packten den schreckensbleichen, gerade eingetroffenen ausländischen Präsidenten am Kragen und den Beinen und warfen ihn, in einem Akt beschützender Fürsorge, noch soeben in den abhebenden Kanzlerhubschrauber, dessen Tür schon dabei war, sich zu schließen. Ihr ausgeprägter Sinn für Sicherheit hatte Priorität vor allen langwierigen Diskussionen, denn der sicherste Platz war der geheime Atombunker in Bayern, zu dem der Hubschrauber unterwegs war.

Der Kanzler sah das auch so und begrüßte den Staatsgast förmlich, nachdem der wieder auf den Füßen stand und bot ihm einen Sitzplatz an. Auf dem Flug telefonierte dieser wieder mit seiner Botschaft und erzählte weiter, nicht wissend dass es sich um ein Unglück handelte, von dem Anschlag auf ihn. Die deutschen Regierungsmitglieder im Hubschrauber, die bereits wussten, dass es kein Anschlag sondern ein Unfall gewesen war, und sie alle womöglich radioaktiv verseucht waren, verstanden nicht die Sprache des ausländischen Präsidenten, und welche Darstellung er gab. In der Aufregung war kein Dolmetscher mit in den Hubschrauber gelangt, und der Präsident gab vor, auch keine andere Sprache zu sprechen als seine eigene. Was die deutschen Politiker aber nicht wussten, genau so wie der Staatsgast, war, dass dieser wegen des todbringenden Klumpens in seiner Limousine nun selbst verstrahlt war und auf diese Weise seine Umgebung weiter verstrahlte.

Endlich erreichten sie den geheimen Atombunker und fühlten sich erst einmal gerettet in diesem nach allen Künsten der Technik von der Außenwelt isolierten Gebäude, bei dessen Bau man aus Sicherheitsgründen mit einer Sache überhaupt nicht gespart hatte, mit Geld. Doch nach kurzer Zeit stellte sich überraschenderweise heraus, dass trotz des vielen Geldes ein ärgerlicher, unerklärlicher technischer Defekt eingetreten war und sie deshalb von der Außenwelt noch mehr abgeschnitten waren, als sie eigentlich wollten. Weder konnten sie den Bunker verlassen, noch konnten sie in irgendeiner Form mit jemandem von außerhalb kommunizieren. Außerdem stimmte es mit der Sauerstoffversorgung nicht, so dass nicht klar war, ob der Sauerstoff knapp werden würde. Belastend war dieser Umstand auch deswegen, weil es nur wenig Hoffnung gab, das Problem lösen zu können, weil keine Techniker mit im Bunker waren sondern nur Politiker. Jetzt erwies sich die sich seit langem von ihnen selbst geübte Praxis, Spitzenpolitiker fast nur aus der Kaste der Beamten und Juristen zu rekrutieren, als verhängnisvoll. Menschen ohne Bezug zum praktischen Leben mit zwei linken Händen standen in diesem Bunker einer Technik hilflos gegenüber, deren Entwicklung sie selbst durch ihre Entscheidungen maßgeblich voran getrieben hatten. Der Geist war aus der Flasche und sie saßen drin. So war es überhaupt nicht gedacht. Aber wenn man genauer hinsah, stellte man fest, dass dieser Zustand der Isolation von ihrem Volk gar nicht ein so ungewöhnlicher war, vielleicht sogar eher der Normalfall. Warum sich also aufregen, hätten sie nun sagen können. Doch das wäre der Situation nicht gerecht geworden. Denn es fehlte ihnen im Gegensatz zu sonst die Möglichkeit, Kontakt aufzunehmen mit dem Volk. Nicht, dass sie unbedingt so etwas tun wollten, doch wären sie trotzdem gerne im Besitz der Möglichkeit gewesen, es jederzeit nach Gutdünken tun zu können. Zudem waren sie sehr an die Anwesenheit des Volks gewöhnt und sie spürten mit Unbehagen sein Fehlen, so wie ein altes Ehepaar, das schon lange nur noch nebeneinander her lebte, sich nichts mehr zu sagen hatte und nur noch aus Angst vor der singulären Einsamkeit in einsamer Zweisamkeit lebte, was möglicherweise aber die schlechtere Variante darstellte.

Es war also nicht nur aus diesen Überlegungen heraus kein Wunder, dass sich trotz des geballt versammelten Expertenwissens im Bereich Krisenmanagement Nervosität im Inneren des Bunkers breit machte. Aber es hätte sich nicht um erfahrene Politiker gehandelt, wären sie nicht in der Lage gewesen, diese Situation als Chance zu begreifen, wenn schon nicht der Welt so doch wenigstens sich selbst zu beweisen, der Herausforderung gewachsen zu sein und die aufkommende Nervosität in den Griff zu bekommen. Man beschloss einstimmig, denn auch der ausländische Staatsgast war plötzlich dazu in der Lage, sich auf englisch zu äußern, und zwar akzentfrei, zunächst einmal etwas zu essen und zu trinken, um zur Ruhe zu kommen. Also teilte man sich in mehrere kleine Gruppen auf und suchte nach Vorräten.

Wie aus einem totalen Kollateralschaden ein kollateraler Totalschaden wurde

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