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Wenn wir hier, an dieser Stelle, einen Rückblick ins Abgeordnetenbüro von Burkhard Börns wagten, so könnten wir feststellen, dass zu exakt dem Zeitpunkt dieses Ereignisses, dieses Eierschleim-Unglücks, die aufgestauten, privaten Gefühle des Abgeordneten von seiner Praktikantin bitter enttäuscht worden waren. Das aber nur nebenbei. Oder vielleicht doch nicht. Vielleicht lag nämlich in dieser, oberflächlich betrachtet, Nebensächlichkeit bei näherem Hinsehen eine der Hauptursachen, vielleicht sogar die Quelle dieser tragischen Entwicklung, die die Welt in den Abgrund reißen sollte. Vielleicht ließ sich hier aus dem Knäuel des Ursachengewirrs der entscheidende Faden herausziehen. Denn eigentlich hätte alles gar nicht so schlimm kommen müssen und hätte nicht alle Dimensionen des menschlichen Vorstellungsvermögens und der menschlichen Vernunft, an die sogar die Pessimisten ihren Optimismus verschwendeten, sprengen müssen, wäre die Mundhygiene von Burkhard Börns auf höherem Niveau gewesen.

So unspektakulär und langweilig es auch klingen mochte, er verbreitete von Zeit zu Zeit einen unangenehmen, schwer zu ertragenden Mundgeruch, den man natürlich hier noch genauer und facettenreicher beschreiben könnte, aber, wenn man daran dachte, auch nicht wirklich musste. Wichtig zu wissen, war, dass heute diese Zeit war, die von Zeit zu Zeit eintrat. Die Praktikantin, die grundsätzlich den Avancen eines Mannes von solcher Tatkraft und solch maskuliner, fast heißblütiger Ausstrahlung, für die sie eine Schwäche hatte, nicht abgeneigt war, reagierte angewidert. Ihr aus der Distanz existierendes Gefühl der Bewunderung für ihn schlug bei seiner Annäherung in eine direkt und echohaft antwortende Abstoßungsenergie um, und im gleichen Maße schroff fiel ihre Ablehnung aus.

Hinterher, nachdem Burkhard Börns schon weg war, hatte sie sich Vorwürfe gemacht und sich gefragt, ob sie nicht besser das peinliche Thema angesprochen hätte. Aber jetzt war es natürlich zu spät. Doch sie tröstete sich damit, dass morgen ja auch noch ein Tag wäre. Das war eine absolut berechtigte Hoffnung weil es immer schon so gewesen war. Doch tatsächlich wissen konnte man es natürlich erst, wenn es wieder hell wurde. Sie nahm sich also fest vor, mit ihm darüber zu sprechen, gleich wenn er ins Büro kam. Und schon ging es ihr wieder besser. Um dann aber keinen dummen Fehler zu machen, wollte sie sich vorher mit ihrer besten Freundin vertraulich darüber beraten, wie sie es psychologisch am geschicktesten anstellen konnte, ohne ihn zu verletzen. Sie mochte ihn ja eigentlich, und wenn sie an seine private Situation dachte, konnte sie ihn und seine Absichten gut verstehen, ob romantisch oder nicht.

Es war ja so, dass seine Frau 500 km entfernt wohnte. Sie hatten keine Kinder, und seit gut einem Jahr folgte sie einem dubiosen Guru, der sie von der Wiedergeburt überzeugt hatte. Vielleicht war es aber auch so, dass der Guru seiner Frau folgte, weil sie ihn von irgendetwas anderem überzeugt hatte, wovon diese aber wahrscheinlich gar nichts wusste. Möglicherweise folgten sie sich aber auch einfach nur gegenseitig. Aber das alles waren nur Spekulationen, an denen man sich beteiligen konnte, wenn man Muße dazu fand.

Jedenfalls war die Sache mit der Wiedergeburt nicht alles. Er hatte sie außerdem davon überzeugt, bis dahin nur noch Gemüse zu essen und auf Alkohol ganz zu verzichten. Ein weiterer Punkt, der ein harmonisches Familienleben stark störte, wie er seiner Praktikantin einmal erzählt hatte in einem Anfall wehmütiger Erinnerungen an spaßigere Zeiten, war, dass seine Frau auf Anraten ihres Gurus, mit den Hühnern zu Bett ging, dafür aber auch mit ihnen aufstand, um zu meditieren. Und was ihn fast wahnsinnig machte, so hatte er geklagt, war dieses ewige Lächeln, dieses ewige, milde, verständnisvolle, erleuchtete Lächeln.

Zu genau dieser Zeit begab es sich, dass ihm die Arbeit in Berlin zu seiner großen Erleichterung über den Kopf zu wachsen begann, so dass er dort mehr und mehr Wochenenden verbringen musste und nur noch wenig Zeit für seine Frau erübrigen konnte oder vielmehr wollte.

Die Praktikantin erging sich, in Anbetracht dieser Umstände, in vollstem Verständnis für ihn, so wie jede gute Praktikantin es täte und dachte daran, dass sein Mundgeruch zur falschen Zeit sehr bedauerlich gewesen war. Und das nicht nur für ihn. Ein verständnisvoller Rückblick in die Vergangenheit war manchmal besser für das eigene Wohlbefinden als ein verständnisloser Vorblick in die Zukunft, besonders wenn sie schon voll im Gange war.

Wie aus einem totalen Kollateralschaden ein kollateraler Totalschaden wurde

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