Читать книгу Nur reich, reicht nicht - Harald J. Krueger - Страница 8

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Am Freitag verließ Baldur ungewöhnlich früh die Firma Jetterer am Harvestehuder Weg. Auf dem Heimweg zum Mühlenkamp setzte er sich auf eine Uferbank bei der Bellevue, um sich abzuregen und bei Sonnenschein die Aussicht zu genießen. Mit zu heftigem Groll wollte er zuhause das Wochenende nicht beginnen. Lars, sein neuer Chef, hatte ihm mal wieder die Stimmung verdorben. Erst schnappte ihm der Speichellecker den Job weg. Den, am 1. April durch Pensionierung freigewordene, Abteilungsleiterposten hätte Baldur seiner Meinung nach selbst mehr verdient. Jetzt schüttete der faule Chefschleimer ihn mit subalterner Arbeit zu. Nur weil Baldur vor dem Studium der Kunstgeschichte Gemälderestaurierung gelernt hatte, sollte er Bilder entstauben, die für die nächste Auktion eingetroffen waren. Das oblag bislang dem jeweiligen Akquisiteur. Eine besondere Qualifikation erforderte das nicht. Wütend murrte Baldur. Sein Blick schweifte über die blaue Alster. Der warme, böige Wind drückte die Segelboote schräg und schob sie pfeilschnell vorwärts. Hinter Baldur joggten bunt Verkleidete. Hundehalter trugen Kotbeutel. Die Parkbänke waren fast vollständig besetzt. Lange würde der leere Platz neben ihm nicht mehr freibleiben. ›Hoffentlich setzt sich eine holde Maid zu mir!‹

Seine Freundin hatte ihn unlängst verlassen. Er hatte ungerechterweise seine Wut über die Fehlbesetzung in der Firma an ihr ausgelassen. Bedrückt über sein schlechtes Benehmen senkte er den Blick. Dabei entdeckte er ein rotes Täschchen fast unter der Bank. Er hob es auf und zog den Reißverschluss auf. In dem Wildledersäckchen war ein Schlüssel an einem Bändsel geknotet. Beim Zurückstecken sah er eine handschriftlich in die Innenwand geschrieben Zahl. Die ersten Ziffern und die Anzahl, immerhin elfstellig, erinnerten ihn an Handytelefonnummern. ›gute Idee, so kann sich ein Finder beim Verlierer melden.‹ Baldur nahm sich vor, seine Telefonnummer ebenfalls in sein Etui zu notieren. Schlüssel zu verlieren, ist höchst ärgerlich.

Er rief die Nummer an. Das lange Klingeln bestätigte seine Vermutung. Wenn es keine Handynummer gewesen wäre, hätte längst eine ›kein Anschluss unter dieser Nummer‹-Ansagerin seinen Irrtum moniert.

Endlich meldete sich eine weibliche Stimme: »Hallo, mit wem spreche ich?«

»Das würde ich auch gerne wissen. Ich heiße Baldur und halte ein Schlüsseltäschchen mit deiner Nummer in der Hand.«

»Oh, du hast meinen Schlüssel gefunden, ein Glück! Wo bist du? Ich heiße Wilma.«

»Auf der Bellevue-Bank mit schönster Aussicht über die Alster.«

»Kennst du das Café Le Parisien? Ich könnte in fünf Minuten dort sein und dich zum Kaffee einladen, wenn du mir meinen Schlüssel zurückgibst.«

»Dort wollte ich schon immer Mal einkehren.«

»Dann bis gleich Baldur.«

Auf dem Weg zum Eckcafé versuchte er, sich ein Gesicht vorzustellen, das zu der jungen, frischen Stimme passte. Zickig oder schüchtern klang sie nicht, eher forsch und zielstrebig. Also kein Teenager, hoffte er.

Auf dem Bürgersteig vor den Fenstern des neuen Cafés waren alle sonnigen Plätze belegt. Drinnen saß niemand. Baldur wählte den Tisch in der Ecke mit dem Rücken zur Wand. Von hier waren Neuankömmlinge am besten zu beobachten. Das rote Schlüsseletui legte er vor sich auf den Bistrotisch. Bei dem algerisch anmutenden Servierer bestellte er ein Bol Milchkaffee. Beim zweiten Schluck betrat eine Frau das Lokal und schaute sich suchend um. Baldur schätzte sie auf Anfang dreißig. Ihre glatten braunen Haare lagen auf den Schultern. Sie trug ein tailliertes, beiges Jäckchen, das zum knielangen Bleistiftrock passte. Offensichtlich hatte sie ihr Schlüsselbund auf dem Tisch entdeckt: »Hallo Baldur, ich bin Wilma, die Verliererin.«

Baldur stand zur Begrüßung auf: »Hallo Wilma, setz dich. Nimmst du auch einen Café au Lait? Kann ich empfehlen.«

Wilma nickte. Baldur signalisierte das dem Algerier mit Zeichensprache.

»Ich bin ja so froh, dass der Schlüssel wieder da ist. Vielen Dank.«

»So viel Glück möchte ich auch einmal haben.«

Wilma schmollte: »Ich habe zwar Glück gehabt, bin aber nicht glücklich. Daran arbeite ich noch.«

»Was arbeitest du?«

»Ich bin Rechtsanwältin. Welchen Beruf übst du aus?«

»Ich bin Kunsthändler bei Jetterer, dem Auktionator. Mein Spezialgebiet sind Gemälde des 19. Jahrhunderts.«

»Das stelle ich mir faszinierend vor.« Ihre grünen Augen strahlten.

Baldur lehnte sich zurück: »Du sagtest, du habest zwar Glück gehabt, seiest aber nicht glücklich. Daran arbeitest du noch. Was meinst du damit?«

»Warum fragst du?«

»Weil ich kein Glück gehabt habe und deshalb unglücklich bin. Ich aber nicht weiß, wie ich daran arbeiten sollte, wie du dich ausdrücktest.«

»Das habe ich nur so daher geplappert. Ich kenne jemanden, der mir hilft und eventuell dir auch. Wenn du willst, frage ich ihn.«

»Wenn er bezahlbar ist.«

»Das denke ich schon. Ich spreche mit ihm und rufe dich an.«

Sie zögerte: »Nur falls er das wissen will, frage ich. Wobei hattest du kein Glück gehabt?«

Baldur holte tief Luft: »Ein unqualifizierter Kollege hat mir meinen Traumjob weggeschnappt. Aus Wut vergraulte ich meine Freundin. Nun nervt mich das Doppelpech.«

»Wer weiß, wofür es gut war. In jedem Unglück steckt der Keim des nächsten Glücks.«

Baldur schloss die traurigen Augen und atmete tief aus: »Das ist das Glaubensbekenntnis der Optimisten. Allein, mir fehlt der Glaube. Wenn du mit deinem Helfer geklärt hast, ob er mir helfen will, rufe mich an, bitte auch im negativen Fall.«

Nur reich, reicht nicht

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