Читать книгу Tatort Ostsee - Harald Jacobsen, Anke Clausen - Страница 18

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Sophie saß mit den Kindern am Tisch, als Tina und Stefan ins Esszimmer kamen. Die beiden sahen glücklich aus. Nicht wie ein frisch verliebtes Paar, aber beneidenswert zufrieden.

»Hey, hast du die Bande im Griff?«, fragte Tina.

»Aber sicher! Wir kommen bestens klar.«

Die Kinder nickten ernst. »Die beiden haben übrigens versprochen, gleich einen Mittagsschlaf zu machen, wenn Pelle ihnen beim Einschlafen zusehen darf. Ich habe gesagt, dass ihr das letzte Wort habt.«

»Soll Pelle das doch entscheiden«, schlug Tina vor. »Schließlich hat er sie dann an der Backe.«

Pelle hatte sich anscheinend schon entschieden und wedelte begeistert mit dem Schwanz. »Na dann! Abmarsch!«

Die Kinder rannten johlend nach oben. Pelle polterte hinter ihnen her und stieß fast eine große Topfpflanze um.

»Ist er nicht geschmeidig wie eine Dschungelkatze?«, lachte Sophie.

»Ja, oder wie heißt das graue Tier mit dem Rüssel noch mal?«, konterte Stefan trocken.

Sophie lachte über seinen Witz. Immerhin war er gerade das erste Mal ein bisschen freundlich. »Er ist ein bisschen plump, aber er hat andere Qualitäten. Er ist gleichzeitig Biotonne und Bodyguard!«

Nachdem die Kinder im Bett verschwunden waren, setzten sie sich auf die Terrasse. Es gab diverse Antipasti und Ciabatta. Das Essen verlief überraschend harmonisch, bis Stefan nach Felix fragte.

»Und? Was macht denn dein Showmaster?«

»Schatz, das ist jetzt wirklich kein gutes Thema«, versuchte Tina ihren Mann zu bremsen.

Stefan riss die Augenbrauen hoch. »Ach nee! Ist Schluss?«

Sophie nickte langsam. »Aus und vorbei! Nach zwei Jahren Beziehung.«

Stefan zuckte mit den Schultern. »Aber Beziehung kann man das doch eigentlich nicht nennen, oder?«

»Wie soll ich es denn dann nennen? Wir waren zwei Jahre lang jede freie Minute zusammen. Wir haben gemeinsame Erlebnisse. Und fast …«

»Ich würde es Langzeitaffäre nennen!«, fiel Stefan ihr ins Wort. »Was guckst du mich so an? Zumindest habe ich nicht Vögelverhältnis gesagt.«

»Stefan!« Tina haute mit der Hand auf die Tischplatte. Die Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen.

»Ich hab doch recht! Sie war seine Geliebte. Mit ihr hat er mehr Zeit verbracht als mit seiner Frau und seinen Kindern.«

»Aha, der Herr Moralapostel! Wenn du dir über Dritte so viele Gedanken machst, dann denk doch mal an die Eltern des Unfallopfers! Bist du blöd oder einfach nur faul? Warum machst du deinen Job nicht?«

»Ihr hört jetzt sofort auf!«, ging Tina dazwischen.

»Ach, lass nur Schatz! Deine überspannte Freundin denkt sich eben Verbrechen aus! Ihr ist eben ein bisschen langweilig ohne ihren Lover!«

»Stefan!«

»Nein, lass ihn. Das hat nichts mit unserer Freundschaft zu tun. Stefan ist überfordert. Keine Ermittlung, keine Aktenberge! So kommt man auch voran bei der Polizei.«

»Was meinst du eigentlich?«

»Die Frau kann nicht angeschwemmt worden sein, das hast du doch gesehen! Und was macht ihr? Nichts! Statt der Spurensicherung kommt ein greiser Inseldoktor. Und dieses Superhirn zählt eins und eins zusammen, anstatt sie zu untersuchen. Neoprenanzug, Ostsee, muss ja ertrunken sein, das arme Ding. Und plötzlich ist er sich nicht mehr sicher? Uppsala! Ihr wisst doch nicht mal, wer sie überhaupt ist!«

»Mach dir keine Sorgen!«, zischte Stefan. »Die Kollegen haben das mittlerweile bestimmt rausgefunden.«

»Ach, wer denn? Diese Sheriffs aus Burg vielleicht?«

»Hör mal zu, du oberschlaue Kuh. Polizeihauptkommissar Larrson macht seinen Job schon lange genug, auch ohne deine Hilfe. Und dein Mordopfer liegt in der Gerichtsmedizin, okay? Such dir ein Hobby, anstatt polizeiliche Ermittlungen zu behindern. In diesem Land entscheidet immer noch der Staatsanwalt, ob die Rechtsmediziner eine Leiche in die Hände kriegen. Überlass den Job den Profis und kümmere du dich um die Magersucht von Prinzessin X oder das Baby von Model Y! Such dir doch einen neuen Kerl, wenn du dich langweilst. Van Hagen war ja schlau genug, lieber bei seiner Frau zu bleiben!« Stefan knallte sein Glas auf den Tisch und sprang auf. Sofort war das leise Wimmern vom kleinen Finn zu hören. Tina erhob sich bleich und ging nach oben. Sophie ließ ihr Gesicht in die Hände sinken. In ihren Ohren rauschte es. Sie hörte noch, wie Stefan seinen Wagen startete, dann brach sie in Tränen aus. Eine feuchte Hundenase stupste sie an. Tina musste Pelle aus dem Kinderzimmer gelassen haben. Sie wusste nicht, wie lange sie geweint hatte. Der Labrador winselte leise. »Ich bin wieder in Ordnung«, beruhigte sie ihn. »Komm, wir gehen ein paar Schritte.« Alles lief viel schlimmer, als sie es sich in den bösesten Fantasien hätte ausmalen können. Stefan und sie würden niemals Freunde werden. Sie schafften es ja nicht einmal, eine gemeinsame Mahlzeit ohne Streit hinter sich zu bringen. Aber von ihm würde sie sich nicht einschüchtern lassen. Im Gegenteil! Sie würde ihm jetzt erst recht auf die Finger schauen und in jede kleine Ecke, die er in seiner Selbstgefälligkeit übersah! Die junge Frau lag namenlos in einem Kühlschrank. Die wahre Ursache ihres Todes schien die Polizei überhaupt nicht zu interessieren. Es ging doch nur darum, herauszufinden, wer sie war, damit jemand die Leiche auf seine Kosten beerdigen ließ. Ihre armen Eltern wussten noch nicht einmal, dass sie tot war. Sophie fröstelte. Und dabei lag die geliebte Tochter in der Gerichtsmedizin in Lübeck, mausetot und kalt. Lübeck! Rechtsmedizinisches Institut! »Lutz!« Sophie zischte den Namen durch die Mittagshitze. Ja, er musste ihr helfen, ob er nun wollte oder nicht. Lutz würde immer ein bisschen Angst vor ihr haben.

Lutz Franck saß in seinem Büro und versuchte, sich auf seinen Bericht zu konzentrieren. Er hatte am Morgen die Babyleiche obduziert. Eigentlich liebte er seinen Beruf. Sein Job war sinnvoll und wichtig. Er war der Mensch, der sich mit den letzen Stunden, Minuten und Sekunden seiner toten Patienten auseinandersetzte. Oft erfuhren sie durch ihn posthum Gerechtigkeit. Aber einen winzigen Körper aufzuschneiden und einen Schädel aufzuklappen, der nicht größer war als eine Pampelmuse, das machte ihm zu schaffen. Das Baby hatte nicht nur ein sehr kurzes, es hatte auch ein grauenvolles Leben gehabt. All diese Frakturen! Lutz raffte sich auf. Er hatte einen Neuzugang und der Staatsanwalt wollte, dass er sich die Leiche mal anschaute. Als sein Handy klingelte und er auf das Display sah, war er wirklich erstaunt. Sophie? Nichts Gutes ahnend, nahm er das Gespräch an. »Lange nichts von dir gehört, nur gelesen!«

»Du liest die ›Stars & Style‹? Hallo Lutz! Freut mich zu hören, dass auch Intellektuelle Klatschblätter lesen.«

»Was gibts?«, fragte er vorsichtig.

»Ich brauch deine Hilfe!«

Nein, nicht das! Lutz knurrte leise. Wenn er einen Prominenten in der Kühlkammer hatte, wusste er davon nichts und er hatte auch keine Lust auf Stress. Auf der anderen Seite war ihm natürlich bewusst, dass er ihr nichts abschlagen konnte. Sophie wusste von seinem Betrug, außer dem Ghostwriter natürlich. Es war eben viel bequemer, sich seine Doktorarbeit schreiben zu lassen. Durch einen dummen Zufall hatte sie damals Wind von der Sache bekommen. Nicht, dass sie es je wieder erwähnt hätte, aber vergessen würde sie die Geschichte niemals. Sie hatte die Möglichkeit, ihn gründlich in Schwierigkeiten zu bringen.

»Lutz? Bist du noch dran?«

»Nein!«, knurrte er. »Was soll ich für dich tun?«

»Mach die Kühltruhe auf!«

»Vergiss es! Wir haben keinen Promi, keinen Royal, oder was dich sonst so interessieren könnte!«

»Ihr habt eine Wasserleiche!«

»Wir haben sogar drei! Welche darf es denn sein?«, fragte er ironisch.

»Lutz, es ist wichtig! Eine junge Frau, die auf Fehmarn angeblich angeschwemmt wurde. Groß, blond …«

»Ja?«

»Irgendetwas stimmt da nicht!«

Sophie schien es ernst zu sein. »Geht es um eine Story?«

»Was? Nein! Ich habe sie gefunden, na ja, eigentlich mein Hund. Die Sache ist irgendwie merkwürdig und ich habe da so ein mulmiges Gefühl.«

»Und was soll ich da machen?«

Sophie seufzte. »Guck sie dir doch mal an. Bitte! Ich glaube einfach nicht, dass sie ertrunken ist. Die Polizei geht von einem Unfall aus, aber … Sie sah irgendwie hingelegt aus. Wahrscheinlich ist da wirklich nichts, aber könntest du trotzdem mal nachsehen?«

»Nachsehen?« Lutz fragte sich, ob er sie richtig verstanden hatte.

Sophie schwieg ein paar Sekunden. »Ja. Hinter manchem steckt doch eine Lüge, oder?«

Lutz biss sich auf die Backenzähne. Drohte sie ihm gerade? »Deine Tote ist sowieso die Nächste. Ich soll eine Leichenschau durchführen. Danach entscheide ich, ob ich dem Staatsanwalt eine Obduktion empfehle. Und nun lass mich in Ruhe! Mein Tag verläuft schon beschissen genug!«

»Kannst du mich zwischendurch anrufen und mir sagen, ob sie überhaupt ertrunken ist?«

Sie ließ nicht locker. »Noch einen schönen Tag!« Lutz drückte das Gespräch einfach weg und fluchte. Das konnte ihn in Teufels Küche bringen. Er durfte keine Informationen an Dritte weitergeben und Sophie war Journalistin. Auf der anderen Seite wollte der Staatsanwalt dasselbe. Er sollte sich die Frau mal ansehen. Sophie war der Meinung, irgendetwas stimme da nicht und sie war keine hysterische Kuh. Neugierig geworden machte Lutz sich auf den Weg zur Kühlkammer. Er las die Angaben auf der Tafel durch. Da war sie. Unbekannt, weiblich, Fehmarn. Sie lag in der Fünf. »Also gut, Baby.« Lutz öffnete die Schublade. »Dann wollen wir mal einen Blick riskieren.« Der Reißverschluss des Leichensacks knarrte. Er sah in das Gesicht der blonden Frau. »Na, was war denn los?« Lutz schnalzte mit der Zunge. »Du warst richtig hübsch, was?« Sie hatte keine offensichtlichen Verletzungen, nur ein paar leichte blaue Flecke. Nichts Ungewöhnliches bei einer Wassersportlerin. Aber was hatte sie da unter den Fingernägeln?

Tina ging zurück auf die Terrasse. Keine Spur von ihrem Mann oder Sophie. Sie ging ums Haus, um nach den Autos zu sehen. Der Audi war weg. Stefan war wohl schon nach Lübeck aufgebrochen. Ohne sich zu verabschieden! Das hatte er noch nie gemacht. Sophies BMW war noch da. Abgereist war sie nicht. Was war das vorhin nur für ein furchtbarer Streit gewesen? Tina räumte die Schälchen mit den Antipasti und das inzwischen trockene Brot auf ein Tablett und brachte es in die Küche. Als das Telefon klingelte, griff sie schnell nach dem Hörer. »Sperber.«

»Ich bins. Schatz, tut mir leid, die Sache vorhin«, entschuldigte sich ihr Mann. »Ich weiß, ich hatte dir versprochen, mich nicht mehr mit ihr zu streiten, aber … Herrgott noch mal! Sophie tut so, als würden wir aus lauter Spaß Verbrechen vertuschen.«

»Weißt du, wo sie ist?«

»Ist sie denn nicht da?«

»Bevor du Hoffnung schöpfst, ihr Wagen steht noch hier.«

»Ich hab jedenfalls keine Ahnung! Ich bin auf dem Weg nach Lübeck, nur für den Fall, dass du dich auch um mein Verschwinden sorgst.«

»Ach! Willst du jetzt die beleidigte Leberwurst spielen? Du hast es ja nicht mal für nötig gehalten, dich zu verabschieden!«

»Liebling, lass uns bitte nicht streiten! Ich war stinksauer und ich wollte nicht reinplatzen, wenn du den Kleinen beruhigst. Außerdem habe ich einen Haufen Arbeit zu erledigen.«

»Kommst du heute noch zurück?«, fragte Tina versöhnlich.

»Ich versuche es. Ich ruf dich an und ich liebe dich.«

Er hatte aufgelegt. Armer Stefan! Er zerriss sich fast, um möglichst viel Zeit mit der Familie zu verbringen und sie hatte nichts Besseres zu tun, als ihn anzumaulen. Tina nahm sich fest vor, ihn mal wieder richtig zu verwöhnen. Ein schönes Abendessen bei Kerzenschein und eine gute Flasche Champagner im Bett waren längst überfällig. Damit sollte sie allerdings bis nach Sophies Abreise warten. Bei einem Candle-Light-Dinner zu dritt würde ihr Mann sicher nicht in Stimmung kommen. Sophie! Wo steckte sie nur? Stefan hatte ihr ganz schön zugesetzt. Sie musste schon genug unter der Trennung leiden. Wahrscheinlich war sie irgendwo am Wasser. Tina spazierte durch den alten Obstgarten und stieg den Deich hinauf. Keine 20 Meter weiter stand Sophie und warf für Pelle einen Ball ins Meer. Erleichtert lief Tina zu ihr hin. »Hier bist du!«

Sophies Augen waren rot und verweint. »Soll ich lieber nach Hause fahren?«

»Nein!«, Tina nahm ihre Hand. »Bitte bleib! Es ist wirklich schön, eine Freundin hier zu haben. Ich werde nur dafür sorgen müssen, dass du Stefan nicht mehr begegnest.«

Sophie lächelte ein bisschen. »Du musst mir glauben, dass ich fest vorhatte, nett und freundlich zu ihm zu sein. Ohne die Geschichte heute Morgen hätten wir vielleicht tatsächlich eine Chance gehabt.«

»Die habt ihr doch immer noch. Hör zu, Stefan hat in Lübeck zu tun und er weiß auch noch gar nicht, ob er es heute nach Hause schafft. Du solltest dich entspannen. Warum machst du mit Pelle nicht einen langen Spaziergang? Ihr seid doch hier, um Urlaub zu machen.«

Sophie seufzte. »Wahrscheinlich hast du recht. Wir könnten uns das Hünengrab ansehen oder den Kitern zuschauen. Oder noch besser, ich erkundige mich mal nach Kursen. Da ist doch diese Surfschule?«

Tina hatte plötzlich einen schlimmen Verdacht. »Sophie, wenn du da irgendwelche Fragen stellst oder die polizeilichen Ermittlungen behinderst, wirst du dir großen Ärger einhandeln. Das ist dir hoffentlich klar?«

Sophie sah sie erstaunt an. »Welche Ermittlungen denn? Sie ist ertrunken, sagt dein Mann. Und er ist der Profi. So, wie es aussieht, ist der Fall doch bereits abgeschlossen. Außerdem hat Stefan mich doch auf die Idee gebracht. Es war doch sein Vorschlag, dass ich mir einen Kerl oder ein Hobby suchen soll.«

Tinas Unbehagen wuchs. Sophie schien ihr neues Hobby bereits gefunden zu haben. Sie würde ein bisschen Detektiv spielen.

Tatort Ostsee

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