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Olli putzte sich in seinem komfortablen Wohnmobilbad unter der Dusche die Zähne. Ihm ging es endlich etwas besser. Er hatte die ganze Nacht durchgeschlafen. Seine Hände zitterten nicht mehr und der latente Kopfschmerz war verschwunden. Er durfte nur nicht an Sarah denken. Jede Erinnerung schmerzte zu sehr. Es war gut, dass er arbeiten musste. Wenn er abgelenkt war, konnte er nicht durchdrehen. Olli wickelte sich in ein Handtuch und machte sich in der kleinen Küche einen Kaffee. Dann zog er sich eine Badeshorts und ein T-Shirt an, setzte sich in seine gemütliche Sitzecke und sah sich um. Alles war wieder sauber und ordentlich, fast so, als wäre überhaupt nichts passiert. Olli liebte sein Motorhome. Hier hatte er alles, was er brauchte. Vom Bett aus konnte er sogar den Strand sehen. Das Wohnmobil war sein Refugium und er musste es mit nichts und niemandem teilen. Er war gerne mit Menschen zusammen, doch er brauchte gleichzeitig seine Unabhängigkeit.

»Unabhängigkeit!«, murmelte Olli vor sich hin. Wenn er etwas nicht war, dann unabhängig. Er machte sich doch nur was vor. Irgendwann würde auch dieser Sommer zu Ende sein und dann musste er wieder auf dem Hof seiner Eltern leben, in seinem alten Kinderzimmer. Er würde sich wie jeden Winter um die Kühe kümmern. Seine Eltern hofften noch immer, dass er eines Tages den Hof übernehmen würde. Er hatte ihnen oft gesagt, dass er sich ein anderes Leben vorstellte. Das Problem war nur, dass er nicht wirklich wusste, was er eigentlich wollte. Er hatte es mit einem Studium versucht und sich für ein Wintersemester BWL eingeschrieben, doch das Studieren war auch nicht sein Ding. Seine Eltern versüßten sein Leben mit großzügigen Schecks und vor zwei Jahren hatten sie ihn an seinem Geburtstag mit dem Wohnmobil überrascht. Sie ließen ihm wirklich seine Freiheit. Er genoss es, ohne Druck die Sommermonate genießen zu können und auf einem Parkplatz am Strand zu leben. Mittlerweile fragte er sich aber selbst, wie seine Zukunft aussehen würde. Das Leben war schließlich kein ewiges Ferienlager. Durch Sarah war ihm klar geworden, dass er nicht für immer ein Surfboy bleiben konnte. Er hatte das erste Mal daran gedacht, dass ein erwachsenes Leben zu zweit, zu dem auch ein solider Job gehörte, vielleicht doch nicht so spießig sein musste, wie er immer befürchtet hatte. Er hatte ernsthaft überlegt ein Surferhotel zu eröffnen und Verantwortung zu übernehmen. Sarah! Nach so vielen Jahren hatte er sich tatsächlich wieder verliebt. Vorher hatte es mit keiner anderen wirklich gefunkt. Am Anfang hatte er sich fast schuldig gefühlt, so, als hätte er seine wahre Liebe verraten. Aber er war damals erst 15 gewesen. Kein Mensch würde erwarten, dass er für alle Ewigkeit allein blieb. Und seine Kleine hätte das am wenigsten gewollt. Trotzdem war er eines Nachts ans Wasser gegangen und hatte sie gebeten, ihm zu verzeihen. Er wollte frei sein für Sarah. Und nun war Sarah tot. Alles war umsonst gewesen. Er war wieder allein und stand vor demselben Problem. Wenn er nur sein Leben so aufräumen könnte wie sein Wohnmobil! Er sollte endlich damit anfangen. Er hatte sich damals geschworen, die Insel nie zu verlassen. Sie sollte immer wissen, wo er war. Aber nun? Er musste endlich aufhören, sich an Erinnerungen zu klammern. Warum konnte er nicht sein wie Ben? Einfach mal abhauen! Der schien nie zu zweifeln. Ben handelte einfach und fürchtete nie die Konsequenzen. Er wurde anscheinend mit allem fertig. Olli ärgerte sich über seine eigene Feigheit. Wenn er doch nur den Mut aufbringen könnte, endlich mal etwas zu ändern. Es würden noch andere Frauen in sein Leben treten und dann würde er alles richtig machen. Seine große Liebe würde nie zurückkehren, das war ihm nach 15 Jahren klar. Es würde kein Wunder geben. Er musste aufhören, sich schuldig zu fühlen. Er musste aufhören, eine Tote zu lieben.

Sophie versuchte, zumindest ein Brötchen zu essen. Eigentlich war sie viel zu aufgeregt. Dass auch die erste Frau nachts ertrunken war, war beunruhigend. Zwei tote Frauen in drei Tagen, das konnte doch kein Zufall sein! Antonia und Paul tobten schon durch das Esszimmer. Sophie trank den letzten Schluck Kaffee und stand auf. »Ich sollte jetzt abzischen! Ich will Pelle am Strand noch etwas müde toben, damit er keinen Mist baut, wenn ich auf dem Wasser bin.« Im selben Moment knallte es. Tina zuckte zusammen.

»Nichts passiert, Mami!«, krähte Antonia. »Pelle braucht eine Brille! Der hat den Stuhl umgerannt.«

Sophie lachte. »Das nützt auch nichts, fürchte ich. Aber es würde toll aussehen.«

»Es vergeht eigentlich kein Tag mehr, an dem nichts zu Bruch geht«, seufzte Tina. Die Kinder waren schon wieder dabei, Pelle um den Tisch zu jagen. »Sophie? Bevor du gehst …«, Tina suchte nach den richtigen Worten. »Über eins musste ich die ganze Nacht nachdenken.Wenn ihr euch nicht mehr gesehen habt, Felix und du, dann muss er doch davon ausgehen, dass du noch schwanger bist.«

»Ja, theoretisch schon. Aber er wird sich erkundigt haben. Mach dir um ihn keine Sorgen. Er ist doch immer über alles im Bilde.«

»Ich werde seine dumme Show jedenfalls nie wieder einschalten!«

»Da sind wir ja schon zwei! Wenn das so weitergeht, wird die wegen schlechter Quote noch eingestellt.«

Tina grinste. »Was ich an dir immer bewundert habe, ist dein rabenschwarzer Humor. Ich hab dich vermisst. Versprich mir, dass wir uns in Zukunft häufiger sehen, ja?«

»Ganz bestimmt!«

»Wir fahren heute Nachmittag an den Strand. Stefan versucht, rechtzeitig zu Hause zu sein. Und heute Abend grillen wir. Sei pünktlich zurück, sonst gehst du leer aus.«

»Natürlich bin ich rechtzeitig da! Ich mach den Salat. Ich werde bestimmt Hunger haben wie ein Wolf! Außerdem habe ich Antonia und Paul doch was versprochen.«

»Ach ja, der Geheimdeal!«, erinnerte Tina sich. »Tu mir doch den Gefallen und denk dir wieder einen aus.«

»Ich werde es versuchen! Bis heute Abend!« Sie rief Pelle und verließ mit ihm das Haus. Die Sonne brannte bereits vom Himmel. Sophie öffnete das Verdeck ihres Cabriolets und stieg ein. Eigentlich sollten sie nach Gold laufen, doch sie hatte Angst, dass sie am Abend zu kaputt sein würde, um den Weg noch einmal zu gehen. Sophie gab Gas und brauste los. Sie parkte ihren Wagen auf der Wiese neben dem freien Campingplatz und lief an den Strand. Die ersten Surfer und Kiter waren bereits auf dem Wasser. Bunte Schirme zogen über den blauen Himmel und weiter draußen rasten Surfer durch die Bucht. Sophie nahm Pelles Lieblingsball aus der Jackentasche und schleuderte ihn in die See. Begeistert stürmte der braune Labrador los. Kraftvoll schwamm er dem Ball hinterher, schnappte ihn und brachte ihn stolz zu ihr zurück. Sophie bekam ein schlechtes Gewissen. Eigentlich müsste sie mit ihm jeden Tag in den Stadtpark zum See gehen. »Wenn wir wieder in Hamburg sind, gehen wir öfter schwimmen. Versprochen!« Pelle bellte ungeduldig. »Ja, ich weiß! Ich soll hier keine Rede halten, sondern den Ball werfen.« Die Sonne kitzelte ihr Gesicht. Sie würde über Felix hinwegkommen. Vielleicht ja sogar schneller, als sie es sich je hätte vorstellen können. Und das Baby? Der Arzt hatte ihr gesagt, dass mehr als 15 Prozent der Embryonen in den ersten Schwangerschaftswochen abgingen – aus verschiedenen Gründen. Sie sollte sich keine Schuld geben. Sie hatte sich aber schuldig gefühlt, weil sie darüber nachgedacht hatte, das Baby erst gar nicht zu bekommen. Ihr war es wie eine Strafe Gottes vorgekommen. Wieder und wieder feuerte sie den Ball ins Wasser. Mit jedem Wurf fühlte sie sich etwas besser, als ob sie die trüben Gedanken mit ins Meer werfen würde. Felix war der Falsche gewesen. Wie hatte sie sich überhaupt jemals in den Mistkerl verlieben können? Sie würde sich zwingen, nicht mehr daran zu denken, was gewesen wäre, wenn … Und irgendwann würde sie bestimmt eine Familie haben. »Komm jetzt! Ich muss zum Kurs!« Pelle kam angerannt und sie umarmte den nassen Hund. »Na, Dicker, es ist wirklich toll hier, oder? Kaum zu glauben, dass hier gestern noch eine Leiche gelegen hat.«

Hanjo hantierte in der Küche herum. Die Gäste in der Gaststube waren dabei, das Buffet zu plündern. Bei diesem Wetter würden die Leute in Scharen kommen und gerade heute hatte sich seine Aushilfe krankgemeldet. Sie hatte sich den Knöchel gebrochen und würde diese Saison mit Sicherheit nicht mehr arbeiten können. Es nützte nichts, er würde für die Sommermonate eine andere Servicekraft finden müssen. Ohne Freya würde sonst alles im Chaos versinken. Sie musste für drei gearbeitet haben. Ihm war das nie aufgefallen. Bei ihr hatte alles immer so leicht ausgesehen. Hanjo seufzte und riss sich zusammen. Die Gäste hatten Hunger. Seine Stimmung besserte sich. Er hatte auch keinen Grund zu jammern, wenn er das Schicksal außer Acht ließ. Es war Sommer und er war tagtäglich von jungen, gut gelaunten Menschen umgeben. In dem ganzen Trubel war er manchmal fast glücklich. »Hanjo?«, Ben steckte seinen Kopf in die Küche. »Der Käse ist alle. Ach, und der Orangensaft auch. Warte, ich helfe dir!« Ben öffnete den Kühlschrank und legte neue Scheiben auf die leere Platte. »Wir brauchen noch Gläser.«

Hanjo deutete auf die Spülmaschine. »Da sind frische drin. Der Kaffee ist auch gleich durch. Hast du alles im Griff?«

»Ich bin die geborene Oberkellnerin! Mach dir keine Sorgen. Unsere Gäste erwarten keine Fünf-Sterne-Behandlung. Sie sind alle gut gelaunt.«

»Danke, mein Junge! Ich verspreche dir, gleich morgen such ich jemanden für die Saison.«

»Mir macht das Spaß! Alles ist ein bisschen improvisiert und lustig. Mich erinnert das an Thailand.«

Hanjo nickte lächelnd. »Wo ist Olli? Hat er sich wieder im Griff?«

Ben sah ihm direkt ins Gesicht. »Er bemüht sich. Zumindest hat er aufgehört, sich volllaufen zu lassen. Er wird damit fertig, Hanjo. Bestimmt ist er gleich hier.«

Ben schnappte die Käseplatte und verschwand. Hanjo atmete tief durch und räumte das saubere Geschirr aus der Maschine. Das benutzte stapelte sich bereits. Ohne Ben hätte er heute Morgen die Nerven verloren. Der Junge war in Ordnung. Beide Jungs. Sie kümmerten sich gewissenhaft um die Surfschule, leiteten die Kurse und pflegten die Ausrüstung. Als Freya krank wurde, kümmerten sich die beiden auch um das Bistro. Während er bei seiner Frau war, hatten sie Lebensmittel bestellt und ihr Bestes gegeben. Sie hatten improvisiert, die Speisekarte umgeschrieben und mit ihrer guten Laune die Gäste davon abgelenkt, dass längst nicht alles so perfekt lief. Ohne die Jungs hätte er sicher aufgegeben. Hanjo lächelte. Gut, dass ihm eingefallen war, den beiden alles zu vererben. So fühlte er sich nicht schuldig und sie hätten nicht umsonst so hart gearbeitet. Schade, dass er nicht miterleben würde, wenn sie es erführen. Es wäre auch in Freyas Sinn gewesen, da war er sich hundertprozentig sicher. Aber jetzt war es erst mal wichtig, dass die hungrigen Mäuler gestopft wurden. Er musste an die hübsche Frau mit dem netten Hund denken. Ob sie schon da war? Hanjo brachte das Rührei in die Gaststube, grüßte ein paar bekannte Gesichter und sah sich um. Tatsächlich, alles lief wie am Schnürchen. Ben stand hinter dem Tresen und bongte die Rechnungen für die verschiedenen Tische ein. Nebenbei flirtete er mit zwei jungen Mädchen. Olli war nun auch da. Er räumte das benutzte Geschirr von den Tischen. Hanjo fiel ein Stein vom Herzen. Er hatte sich Sorgen gemacht, dass das Verhältnis zu dieser Sarah tiefer gegangen war. Der Verlust eines geliebten Menschen war die Hölle und er wusste das. Olli war fast wie sein eigener Sohn. Er kannte den Bengel schon so lange. Damals war er fast noch ein Kind gewesen. Die Surfschule hatte es noch gar nicht gegeben, nur sein kleines Café und ein paar Bretter und Segel, die für ein paar Stunden gemietet werden konnten. Olli war schon damals besessen gewesen von der Surferei. Er hatte sich fast täglich Surfbrett und Segel geliehen. Statt mit Geld hatte er mit kleinen Dienstleistungen bezahlt. Wasser und Wind waren schon damals seine Leidenschaft gewesen – und Fee. Er hatte Fee viel zu sehr geliebt.

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