Читать книгу Tatort Ostsee - Harald Jacobsen, Anke Clausen - Страница 35

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Stefan saß in seinem Büro und starrte die Wand an. Wie sollte er jetzt weiter vorgehen? Sollte er nach Olli fahnden lassen? Die berühmte Nadel im Heuhaufen suchen? Warum war ihnen diese Geschichte mit Oliver Konrad erst so spät aufgefallen? Durch diesen Fehler hatten sie ihm genug Zeit gelassen zu verschwinden. Ingmar würde ausflippen. Das Telefon klingelte. Stefan schnauzte seinen Namen in den Hörer.

»Wie ich deiner Laune entnehme, weißt du bereits, welche Schlagzeile uns morgen erwartet.«

Was kam denn jetzt noch? »Nein, Herr Staatsanwalt.«

»Nein? Dann hör mal gut zu. ›Serienkiller auf Fehmarn‹.

Finde den verdammten Mörder! Von mir aus kannst du auch diesen Schreiberling verhaften. Der hat einen Haufen Ärger angerichtet. Wegen nichts!« Ingmar Harder korrigierte sich schnell. »Wegen zwei toten Frauen auf Fehmarn. Die Medien machen einen Serienmörder aus unserem Mann! Die suchen einen zweiten Blaubart für ihre Verkaufszahlen.«

Stefan zündete sich die nächste Zigarette an. Der Blaubart von Fehmarn hatte in den 70er-Jahren vier Frauen ermordet und zersägt. Stefan hoffte wirklich, dass er es nicht mit so einem Irren zu tun hatte. »Ingmar, was soll ich denn machen? Wir arbeiten wie die Tiere und vielleicht haben wir auch eine heiße Spur. Dieser Typ, Oliver Konrad, der hat sich in Widersprüche verstrickt.«

»Dann nehmt ihn in die Mangel!«

Stefan zog noch einmal tief an seiner Zigarette, bevor er die Bombe platzen ließ. »Er ist weg.«

Am anderen Ende der Leitung wurde es für eine Sekunde still. Stefan hielt den Hörer etwas von seinem Ohr entfernt. Er wusste, dass der Staatsanwalt gleich toben würde.

»Er ist was?«

»Keine Sorge! Wir kriegen ihn!« Stefan fragte sich, woher er seine Zuversicht nahm.

»Das will ich schwer hoffen! Gib eine Fahndung raus! Verdammt! Was wollen wir denn der Presse sagen? Wir müssen uns jetzt mal äußern, sonst schreiben die weiter diese Horrormeldungen. Verdammte Scheiße! Ruf mich an, wenn ihr irgendwas in der Hand habt oder diesen Surflehrer findet.«

Ingmar hatte aufgelegt. Stefan atmete tief durch. Er öffnete den Ordner und sah sich die Autopsieberichte noch einmal genauer an. Die Bilder der jungen Frauen auf dem Sektionstisch ließen ihn frösteln. Er zog seine Schreibtischschublade auf und kramte die unscheinbare Flasche Apfelsaft hervor. Chivas Regal. Zwölf Jahre alt. Er kippte den kalten Rest Kaffee in den Topf des längst eingegangenen Gummibaums und schenkte die Tasse halb voll. Nach einem kräftigen Schluck ging es ihm besser. Er konnte wieder denken. Es gab nur zwei Möglichkeiten. Entweder, Oliver Konrad hatte seine Freundin umgebracht und vorher schon mal geübt, oder ein Irrer hatte die beiden Frauen zufällig ausgewählt, weil sie sich ähnlich sahen. Stefan pfiff durch die Zähne. Oder sahen sie einer unbekannten Dritten ähnlich, von der sie noch nichts wussten?

Ben ließ das letzte Lammfilet unauffällig unter den Tisch fallen.

»Das hab ich gesehen!«, schimpfte Sophie. »Morgen macht Pelle Diät!«

»Wenn sein herzloses Frauchen ihm nichts übrig lässt!«

»Ich hab hier einfach Hunger, das ist alles!«, rechtfertigte sich Sophie. »In Hamburg bin ich so eine Salat- und Sushizicke.«

»Sushizicke?«

»Ja, Sushi! Ich esse mit großer Begeisterung rohen Fisch.«

»Ach, darum bist du ständig unter Wasser!« Er nickte verständnisvoll. »Du naschst ein bisschen!« Sophie lachte laut. Er stimmte mit ein. Ihr Lachen war einfach ansteckend. »Wie wäre es noch mit einem Bierchen am Strand?«

»Gute Idee!«

Sie zahlten und fuhren zurück nach Gold. Sophie parkte ihren BMW auf der Wiese. »Und wo kriegen wir nun Bier her? Hanjo scheint die Bude schon geschlossen zu haben.«

Ben klimperte mit dem Wohnmobilschlüssel. »Ollis Kühlschrank ist voll mit dem Zeug und ich habe seine Erlaubnis, weil ich morgen seinen Kurs übernehme.«

»Wow!«

Sie gingen zum Wohnmobil. Ben schloss auf und holte ein Sixpack aus dem Kühlschrank. Schweigend spazierten sie an den kleinen Sandstrand, setzten sich in den Sand und öffneten die ersten Flaschen.

»Was für eine warme Nacht!«, schwärmte Sophie und fummelte eine Zigarette aus der Schachtel.

Ben gab ihr Feuer. »Ja! Bei so einem Wetter kann ich mich wunderbar an Phuket erinnern, an den Strand von Bang Tao. Das abendliche Bier war Pflicht. Na ja, dafür fiel das Frühstück meistens aus.«

Sie lächelte. »Ich war mal da und habe im Banyan Tree Resort gewohnt. Kennst du das?«

Ben pfiff durch die Zähne. »Ob ich das kenne? Ja klar, von außen. So einen wie mich lassen die da nicht rein. Das Hotel hat doch mindestens 17 Sterne, oder so.«

Sophie lachte. »Sechs, um genau zu sein.«

»Aber du warst doch nicht nur im Hotel? Du warst doch bestimmt auch mal am Strand, ein Stück weg von den großen Hotels?« Sie schüttelte den Kopf. »Wie jetzt? Willst du mir erzählen, du warst auf Phuket und hast außer dem Hotel nichts von der Insel gesehen? Du warst nicht einmal in einem der Strandrestaurants Fisch essen, die Füße im warmen Sand?«

»Ich war dort nicht allein und damals erschien mir das Bett in einem Hotelzimmer schöner als alles, was die Insel mir hätte bieten können. Wir hatten uns ein paar gemeinsame Tage gestohlen und …« Sie überlegte kurz und zog an ihrer Zigarette. »Das war alles in einem anderen Leben. Und mittlerweile auch uninteressant. Erzähl mir lieber, wie du da gelebt hast.«

Alles war in dieser Sekunde wieder da. Ben atmete tief durch. »Ich war dort sehr glücklich und ich habe dort eine Katastrophe erlebt.« Sophie sah ihn fragend an. Ben beschloss, ihr alles zu erzählen. Am Ende liefen ihm Tränen über die Wangen, ohne dass er es bemerkte. »Und dann wollte ich nicht mehr dort sein ohne sie. Ich wollte …« Sophie nahm sein Gesicht in die Hände und küsste ihn. Er hatte nicht erwartet, dass es sich so gut anfühlen würde. Er zögerte noch kurz, dann erwiderte er ihren Kuss. Sie lagen im Sand und küssten sich. Sie schien genauso verzweifelt nach Nähe zu suchen wie er. »Sophie?«

Sie schnurrte leise. Ben griff in seine Hosentasche und zog den Wohnmobilschlüssel raus. Er zeigte ihn ihr schweigend. Sie suchte seine Hand. Er ergriff sie. Sein Körper kribbelte. Nein, so was würde ihm nicht wieder passieren. Er würde aufpassen.

Tina genoss die Ruhe und die warme Nacht auf der Terrasse. Die Kinder schliefen und Sophie war noch nicht zurück. Sie überlegte gerade, ob sie sich ein Buch holen sollte, als das Telefon klingelte.

»Ich bins. Hallo Schatz«, meldete sich Stefan. »Na, was machst du gerade?«

Tina lachte leise. »Ich sitze im Garten und habe gerade überlegt, ob ich einen Krimi lesen will. Ich hab das erste Mal seit Monaten einen entspannten Abend allein. Die Bande pennt. Wir waren zusammen am Strand und …«

»Wo ist denn Sophie?«

»Sie ist nicht da. Sie ist essen gegangen, mit ihrem Surflehrer.«

»Mein Gott! Doch nicht mit diesem Olli?«

»Nein, mit Ben«, antwortete sie gereizt. »Was zum Teufel ist denn los mit dir? Sophie ist erwachsen!«

»Entschuldige! Ich hatte einen beschissenen Tag und ausgerechnet du bekommst jetzt meine miese Laune zu spüren. Wir waren heute Morgen schon auf Fehmarn …«

»Du warst hier?« Tina fragte sich, ob sie ihn richtig verstanden hatte. »Und du sagst nicht mal deinen Kindern ›Hallo‹?«

»Ich war nicht zu meinem Vergnügen da. Wir haben einen Verdächtigen.«

»Was? Wen?«

»Du weißt genau, dass ich dir das nicht sagen darf!«

Tina zählte schnell ein und eins zusammen. »Das ist doch Quatsch! Olli würde keiner Fliege was antun.«

»Wie kommst du denn auf Olli? Ich habe ihn nicht erwähnt.«

Ihr eigener Mann schien sie für blöd zu halten. »Verdammt, Stefan! Du bist ganz verrückt geworden, als du dachtest, Sophie sei mit Olli aus.«

Stefan schwieg ein paar Sekunden. »An dir ist ja eine echte Detektivin verloren gegangen«, seufzte er dann. »Tina, du darfst niemandem was davon sagen, aber Olli hat sich tatsächlich verdächtig gemacht. In seiner Zeugenaussage hat er angegeben, dass er Sarah Müller nur flüchtig kannte. Soviel ich weiß, hatten sie aber eine Affäre.«

»Das ist alles?«, fragte sie erleichtert. »Was beweist das schon? Olli wird einfach Angst bekommen haben. Und eine Affäre ist doch auch keine Beziehung. Wahrscheinlich wusste er selbst nicht, woran er bei ihr war.«

»Er ist weg!«, fügte Stefan trotzig dazu.

Tina trank einen Schluck Schorle. »Dann frag doch Ben. Der weiß bestimmt, wo Olli steckt.«

»Der Vogel, der jetzt in seinem Wohnmobil haust? Der sagt, er weiß nichts. Schatz, ich muss Schluss machen. Auf meinem Tisch stapeln sich die Akten und der Staatsanwalt geht mir auch auf die Nüsse. Lies morgen die Zeitung und du verstehst, warum Ingmar nicht besonders entspannt ist. Ich liebe dich.«

Tina ließ sich wieder in den Liegestuhl sinken. Wozu brauchte sie einen Krimi, fragte sie sich zynisch. Sie hatten doch selbst einen Mörder. Aber doch nicht Olli? Der war doch ein harmloses Schaf. Schon in der Schule war er immer das arme Schwein gewesen, das man beim Mogeln erwischt hatte. Tina grinste, als sie sich an die alten Zeiten zurückerinnerte. Olli hatte nur Augen für Fenja gehabt. Er hatte sie angebetet und in seiner Schwärmerei nicht mal mitgekriegt, dass sie einem anderen heimlich Kekse zusteckte. Tina schüttelte kichernd den Kopf. Gott, wie lange war das alles her! Ob man heute noch mit Keksen beeindrucken konnte? Jedenfalls hatte sich dieser dünne Junge immer sehr über die Plätzchen gefreut. Wie hieß er denn noch gleich? Ach ja, der dünne Benny. Tina rutschte das Glas aus der Hand und zersplitterte auf dem Boden.

Ben!

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