Читать книгу Tatort Ostsee - Harald Jacobsen, Anke Clausen - Страница 19

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Hanjo stellte das schmutzige Geschirr auf ein Tablett. Nur Clara und dieser unangenehme Kalle saßen noch beim letzten Schluck Kaffee in der Ecke. Die Stimmung bei den Gästen war heute Mittag sehr bedrückt gewesen. Wie sollte es auch anders sein? Schließlich hatten viele Sarah gekannt und waren geschockt, von ihrem Tod zu hören. Broder hatte ihn informiert und ein paar Fragen gestellt. Ben hatte richtig entschieden, die Kurse zu verlegen. Hanjo brachte das Tablett in die Küche. Er sollte lieber gleich die Tische abwischen. Freya hatte immer erst die Gaststube wieder hergerichtet, bevor sie sich um den Abwasch gekümmert hatte. Die Gäste müssen immer eine gemütliche und saubere Atmosphäre genießen können, hatte sie immer gesagt. Manchmal war sie ihm damit auf die Nerven gegangen, aber seit sie nicht mehr da war, befolgte er ihr Gebot liebevoll. Wie schön waren doch die vielen Jahre, die sie gemeinsam in dem kleinen Bistro gewerkelt hatten. Freya war die Seele des Bistros gewesen. Es ohne sie zu führen, kostete seine ganze Kraft. Zum Glück kümmerten sich die beiden Jungs um die Surfschule. Sonst würde wohl alles den Bach runter gehen. Die Glocke bimmelte. Ein Gast. Hanjo ging langsam in die Gaststube. Clara und Kalle saßen immer noch am Ecktisch. Sie waren in ihr Gespräch vertieft. Nein, sie stritten sich leise, wunderte sich Hanjo. Plötzlich stand ein brauner Labrador vor ihm. Der Hund leckte ihm kurz die Hand und kümmerte sich dann um die Krümel, die auf dem Boden lagen. Sein hübsches Frauchen setzte sich an einen Tisch. »Sie haben aber einen netten Hund. Er übernimmt das Staubsaugen für mich.« Hanjo lächelte und klopfte Pelles Rücken.

»Ja, das macht er sehr gern! Er säubert ruck, zuck den gesamten Boden und wenn er darf, macht er in der Küche weiter.«

Was für ein nettes Mädchen, dachte er. Warum kam sie ihm nur bekannt vor? Hanjo erinnerte sich plötzlich. Sie war am Morgen auch am Strand gewesen. Davor hatte er sie noch nie gesehen, da war er sich sicher. »Was darf ich Ihnen denn bringen?«

»Eine starke Tasse Kaffee wäre wundervoll!«

Sie hatte eine angenehme Stimme.

»Und da ist noch was.«

Hanjo sah sie erwartungsvoll an.

»Es ist mir ein bisschen peinlich. Ich weiß von der ertrunkenen Frau und da ist es wahrscheinlich nicht der passende Moment, aber ich habe nicht so lange Urlaub.«

»Worum geht es denn?«

»Ich würde gerne einen Kite-Schnupperkurs machen, falls das im Moment überhaupt möglich ist.«

Hanjo nickte und atmete tief durch. »Ja, ein furchtbarer Unfall. Natürlich sind wir alle sehr betroffen. Heute finden deshalb auch keine Kurse statt. Sarah war eine der Favoritinnen bei den Deutschen Meisterschaften. Olli, einer unserer Surflehrer, hat ihr beim Training geholfen. Ich glaube, er mochte sie sehr. Furchtbar, so was! Morgen wird aber alles wieder normal weitergehen. So schrecklich die Sache auch ist, wir sind trotzdem auf Schüler angewiesen. Der schnöde Mammon eben.« Sie nickte verständnisvoll. »Hinter dem Bistro steht so ein Gartenhäuschen. Es ist gewissermaßen das Büro der beiden Surflehrer. Ben müsste da sein. Er kann Ihnen sagen, ob noch ein Platz frei ist.«

»Vielleicht ist es doch besser, ich warte bis morgen!«

»Aber nein, das ist völlig in Ordnung! Und nun hole ich Ihren Kaffee.«

Hanjo ging in die Küche. Er war erleichtert, dass sich noch Gäste für die Schule interessierten. Er schenkte eine Tasse voll und legte einen Keks dazu. Es waren nicht mehr viele Kekse da. Freyas Vorräte neigten sich dem Ende zu. Bald würde er welche kaufen müssen. Er musste nach vorne blicken. Was geschehen war, war geschehen und wenn er jetzt aufgab, würde er nie wieder glücklich werden.

Sophie zahlte ihren Kaffee und verließ das Bistro. Pelle trottete zufrieden neben ihr her und leckte sich noch immer das Maul. »Du bist ein Fresssack!«, lachte sie. »Wie viel hat dein neuer Freund dir eigentlich ins Maul gestopft?« Sophie klopfte ihm den Rücken und steuerte das Gartenhaus an. Selbst wenn sie gar nicht vorgehabt hätte zu schnüffeln, wären ihr die Informationen nur so zugeflogen. Sie wusste jetzt, dass die Tote Sarah hieß und eine erfolgreiche Sportlerin gewesen war. Es konnte nicht schwer sein, auch den Nachnamen herauszubekommen. Noch interessanter war die Tatsache, dass dieser Olli sie angeblich sehr gemocht hatte. »Weißt du, Pelle, ich werde das Schicksal entscheiden lassen. Ich melde mich einfach nur zum Schnupperkurs an und halte Augen und Ohren offen. Wenn ich zufällig etwas erfahren sollte, dann ist es doch nur meine Pflicht, am Ball zu bleiben«, überlegte Sophie laut. Pelle hörte gar nicht mehr zu. Er rannte begeistert einem Kaninchen hinterher. Sophie erreichte die Hütte in dem Moment, als ein unverschämt gut aussehender Typ vor die Tür trat. Er trug ein Kiteboard unter dem Arm und erfüllte alle Klischees: braun gebrannt, blonde Locken, lässige Shorts. Ein Surfer wie aus einem Werbespot. Sophie konzentrierte sich auf ihren eigentlichen Plan. »Hey, bist du Ben?«

»Ja.« Ben warf ihr einen flüchtigen Blick zu. Seine Augen waren unbeschreiblich türkis und erinnerten sie an einen Swimmingpool.

»Hallo! Ich bin Sophie. Ich wollte mich für den Schnupperkurs anmelden. Ich hatte die Hoffnung, ich könnte heute noch durchstarten, aber der nette Herr aus dem Bistro meinte …«

»Morgen um 10!«, fiel Ben ihr schroff ins Wort und ging mit dem Board auf einen der Schuppen zu. Sophie schnappte nach Luft. Wie sollte sie jetzt weiter vorgehen? Pelle kam ihr zur Hilfe. Er rannte zu Ben und sprang an ihm hoch.

»Hey, wer bist denn du? Du wirfst mich ja noch um!«

»Das ist Pelle und er kann nicht sprechen«, konterte sie eine Spur zu zickig.

»Nicht?« Ben grinste verschmitzt. »Hat dein Frauchen einen schlechten Tag?«

»Nein, Frauchen ist total gut gelaunt! Bis morgen!«

»Hey, jetzt warte doch! Sorry, ich wollte nicht unhöflich sein, aber wir sind hier alle etwas daneben heute«, erklärte Ben und zögerte kurz. »Eine Bekannte von uns ist in der Nacht ertrunken.«

»Das tut mir leid.«

»Du willst einen Schnupperkurs machen?«

Sophie nickte.

»Surfen oder Kiten?«

»Kiten.«

Ben fuhr sich durch das Haar und nickte. »Kein Problem. Der Kurs beginnt morgen um 10. Wie war noch mal dein Name? Ach ja, Sophie.«

Sophie verabschiedete sich knapp und rief Pelle zu sich. Gemeinsam stiegen sie über die Holztreppe auf den Deich. Sie spürte, dass Ben ihr nachsah. Grinsend erinnerte sie sich, dass Stefan zwei Vorschläge gemacht hatte. Wenn es mit dem Kiten nicht klappen würde, könnte sie über den anderen nachdenken. Plötzlich piepte ihr Handy. Eine SMS. Felix? Wieso glaubte sie immer noch, dass Felix sich bei ihr melden würde? Nervös klappte sie ihr Telefon auf. Die Nachricht war von Lutz: ›Hämatome auf dem Oberkörper, Obduktion wurde angeordnet. Ruf mich nicht an.‹

Olli drehte das kalte Wasser auf und ließ die kleine Badewanne volllaufen. Er fühlte sich furchtbar. Der Cognac war keine gute Idee gewesen. Noch schlimmer war, dass er Ben rausgeschmissen hatte. Wenn er so weitermachte, war er bald auch seinen besten Kumpel los. Er hatte sich wie ein Arschloch benommen. Er musste endlich wieder klar denken können. Hoffentlich würde ein kaltes Bad ihn wieder auf die Beine bringen. Olli ließ sich in die Wanne plumpsen. Das kalte Wasser nahm ihm für ein paar Sekunden den Atem. Olli zählte langsam bis 100. Dann sprang er auf. Seine Haut kribbelte und er fühlte sich tatsächlich besser. Die Schocktherapie hatte gewirkt. Nur ein Gedanke quälte ihn. Hatte sie gefroren? Er konnte jetzt nicht weiter darüber nachdenken, sonst würde er verrückt werden. Er wickelte sich ein Handtuch um die Hüfte und sah sich in seinem Wohnmobil um. In nicht mal 24 Stunden hatte er sein Heim in eine Müllhalde verwandelt. Er zog sich schnell an und öffnete alle Fenster. Dann suchte er sich eine große Plastiktüte und sammelte die Flaschen und Kippen ein. Das Aufräumen tat ihm gut. Sich selbst würde er nicht so einfach wieder in Ordnung bringen können, das war ihm klar. Sarah hatte ihn fallen lassen wie eine heiße Kartoffel. Warum trauerte er ihr trotzdem nach? Er musste nach vorne blicken. Und dazu gehörte auch, dass er seinen Job machte. Jeder würde verstehen, dass er heute nicht unterrichten konnte, aber er musste zumindest anwesend sein. Es wäre nicht fair, Ben in dieser Situation hängen zu lassen. Entschlossen verließ Olli sein Wohnmobil und lief zur Hütte. Ben stand davor und sah einer hübschen Blondine nach. »Wer war das denn?«

Ben zuckte zusammen. »Ich hab dich gar nicht kommen hören.«

»Warst wohl anderweitig beschäftigt.«

»Ich habe heute gar nicht mit dir gerechnet.« Ben sah ihn besorgt an. »Geht es dir besser?«

»Nein, aber wenn ich noch länger in meinem Wohnmobil sitze, drehe ich durch.« Ben nickte. »Und wer war die Blondine da eben?«

»Nicht schlecht, oder?«, grinste Ben. »Tja, du Glücklicher! Die macht morgen bei dir einen Kitekurs.«

Olli zuckte zusammen. »Sarah ist erst ein paar Stunden tot.«

»Scheiße.« Ben biss sich auf die Unterlippe. »Das war dumm und gedankenlos. Ich bin ein Idiot.«

»Schon gut. Sorry, dass ich vorhin so ätzend war, aber ich bin von der Rolle.«

»Da kommt Clara!«, rief Ben erstaunt. »Die hat mir jetzt noch gefehlt.«

Olli versuchte zu erkennen, in welcher Verfassung sie war. War sie betroffen, dass eine Kollegin ertrunken war, oder erleichtert, dass es eine Konkurrentin getroffen hatte?

»Hallo, Jungs!«, grüßte sie ironisch. »Ist das Wetter nicht perfekt?« Clara trug einen Neoprenanzug und hatte ihr Trapez in der Hand.

»Du willst aufs Wasser?« Olli sah sie fragend an.

»Warum nicht?«, erwiderte sie gereizt. »Ich werde nicht vortäuschen, dass Sarahs Tod mich besonders betroffen macht. Schließlich waren wir alles andere als Freundinnen. Warum musste die dumme Kuh auch nachts raus?«

»Sag mal, kannst du nicht ein bisschen netter sein? Wir haben sie gemocht. Olli geht es beschissen.«

»War es denn was Ernstes? Ich dachte, du hast sie nur trainiert und ab und zu, na du weißt schon.«

»Warum verschwindest du nicht einfach? Und nimm deinen Kalle gleich mit«, schnauzte Olli. Am liebsten hätte er ihr ins Gesicht geschlagen.

»Nicht aggressiv werden!« Clara sah ihn unschuldig an. »Woher soll ich denn wissen, dass ihr eine Romanze hattet? Mir sagt doch keiner was. Ich bin doch immer die Böse! Mir ist schon klar, dass ihr lieber mich kalt gesehen hättet! Und hack nicht auf Kalle rum. Er tut sein Bestes! Du wolltest mich ja nicht trainieren, oder? Du brauchtest ja all deine Zeit für Sarah. Und dabei hatten wir einen Deal, aber den hast du ja schnell vergessen!«

Olli stöhnte genervt. Was sollte er auch sagen? Dass sie recht hatte? Er hatte ihr zwei Jahre beim Training geholfen, bis er in St. Peter-Ording zufällig Sarah kennengelernt hatte.

»Ich geh jedenfalls aufs Wasser. Warum kommt ihr nicht mit? Das Wetter ist großartig. Sarah hätte sich diesen Wind auch nicht entgehen lassen. Es wäre in ihrem Sinne.« Clara griff ihr Brett und ihren Schirm und ging an den Strand, um ihr Equipment aufzubauen. Olli sah ihr nach. Clara war zwar schon immer arrogant gewesen und hatte nie wirklich zur Clique gehört, doch seit sie mit Kalle abhing, war sie unausstehlich. Er atmete tief durch. In einem Punkt hatte sie allerdings recht. Sarah wäre jetzt auf dem Wasser. Entschlossen sprang er auf. »Dann los!« Er spürte Bens verwunderten Blick, doch das Leben musste weitergehen. »Ben? Du kommst doch mit?«

20 Minuten später brauste Olli auf seinem Brett durch die Wellen. Er konnte wieder klarer denken, als ihm der Wind ins Gesicht wehte. Sarah war tot. Vielleicht sollte er sich jetzt wirklich um Clara kümmern.

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