Читать книгу Tatort Ostsee - Harald Jacobsen, Anke Clausen - Страница 20

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Stefan saß an seinem Schreibtisch und kämpfte gegen den Brechreiz an. Der Obduktionsbericht war entsetzlich und die Fotos des kleinen Körpers konnte er nur mit Mühe ansehen. Sein Kollege Ingo Schölzel war bei der Obduktion dabei gewesen und setzte ihn über weitere Einzelheiten ins Bild.

»Ich hab ja schon viel gesehen, Stefan, aber diese Scheiße hat mich umgehauen«, schloss Schölzel seinen Bericht. Dann verließ er ohne ein weiteres Wort das Büro. Stefan warf einen letzten Blick auf die Fotos und legte dann alles zurück in den Ordner. Die Bilder in seinem Kopf ließen sich nicht so einfach zur Seite packen. Das kleine Mädchen musste entsetzlich gelitten haben. Es war unterernährt und völlig ausgetrocknet gewesen. Einige kleine Knochen waren gebrochen. Es handelte sich zum Teil um ältere Frakturen, wenn man bei einem Leben, das nur vier Monate gedauert hatte, überhaupt von älter sprechen konnte. Ingo hatte ihm erzählt, dass Lutz Franck Probleme gehabt hätte, die verkrustete Windel von der Haut zu lösen, ohne diese mit abzureißen. Ein Leben voller Qualen und ohne Liebe. Stefan rieb sich die Schläfen. Auf seinem Schreibtisch stand ein Bild von Tina und den Kindern. Warum konnten nicht alle Kinder eine Mutter wie Tina haben? Als ihm der Streit wieder einfiel, schämte er sich. Dass seine Frau mal eine Freundin um sich haben wollte, war wirklich verständlich. Und er machte ihr das Leben schwer, indem er immer wieder mit Sophie stritt. Er kannte Sophie doch nun wirklich lange genug. Anstatt ihr ein bisschen den Bauch zu pinseln und sie für ihr waches Auge zu loben, hatte er sich direkt auf Kollisionskurs begeben. Stefan stand auf und verließ sein Büro, um sich einen Kaffee zu holen. Robert Feller machte sich gerade an der Kanne zu schaffen. Als Robert ihn sah, reichte er ihm den vollen Becher.

»Hier, Chef, du brauchst ihn dringender als ich. Mann, du siehst schlimm aus! Ich dachte, du wolltest endlich mal zum Friseur? Das ist ja ein Mopp da auf deinem Kopf.«

Sein jüngerer Kollege war wie immer sonnengebräunt und sportlich gekleidet.

»Danke für die Blumen. Schaff dir drei Kinder an und dann reden wir noch mal über Freizeitgestaltung. Gockel!«

Robert hob abwehrend die Hände und Stefan verschwand wieder in sein Büro. Er hatte sich gerade gesetzt und sich eine Zigarette angezündet, als das Telefon klingelte. Auf dem Display erkannte er die Nummer des Staatsanwalts.

»Hallo, Ingmar!«, grüßte er knapp. »Ich habe es gerade gelesen. Sperr sie für immer ein!«

»Ja, der blanke Horror«, stimmte Ingmar Harder zu. »Hab mein Mittagessen ausfallen lassen. Und glaube mir, ich werde alles versuchen! Ich ruf aber wegen der anderen Sache an. Doktor Franck hat einen Blick auf die Tote aus Fehmarn geworfen. Sie hat leichte Hämatome am Oberkörper. Er kann nicht ausschließen, dass sie unter Wasser gehalten wurde. Er ist der Meinung, wir sollten sie obduzieren lassen. Wisst ihr endlich, wer sie ist?«

Stefan war einen Moment lang sprachlos. Hätte er da wirklich was übersehen, wenn Sophie nicht so penetrant gewesen wäre?

»Stefan?«

»Ja, ich bin noch da. Ihr Name ist wahrscheinlich Sarah Müller. Einer der Surflehrer glaubt, die Leiche auf der Trage erkannt zu haben. Offiziell ist das aber noch nicht. Wann ist die Obduktion?«

»Franck macht das gleich morgen früh. Fährst du selbst hin?«

Stefan hatte Mühe, sich zu konzentrieren. »Was? Ja! Ja, ich werde mir das selbst antun. Schölzel ist nach der Babyleiche von der Rolle.«

»Verständlich! Wir telefonieren!«

Stefan legte den Hörer langsam auf die Gabel. Was hatte das zu bedeuten? War die Frau doch ertränkt worden? Hatten sie es tatsächlich mit einem Mord zu tun?

Sophie saß an dem kleinen Strand und beobachtete die Kiter. Sie überboten sich gegenseitig mit immer waghalsigeren Sprüngen. Ihr wurde fast ein bisschen mulmig, wenn sie daran dachte, dass sie es morgen selbst mal ausprobieren würde. Pelle spielte im Wasser. Ihr großer tollpatschiger Hund wollte sogar tauchen. Sie ließ sich auf den Rücken fallen und sah in den fast wolkenlosen Himmel. Wenn sie die Augen schloss, fühlte sie sich fast, als sei sie auf Phuket oder den Seychellen. Nur, dass Felix nicht neben ihr lag. Felix! Vor zweieinhalb Jahren war sie auf dieser Fernsehpreisverleihung gewesen, um über die Stars und Sternchen, Abendroben und Flirts zu berichten. An dem Abend hatte alles angefangen. Es war ihre erste große Story für die ›Stars & Style‹ gewesen und sie war so aufgeregt gewesen, als ob sie zu den Nominierten gehören würde. Fünf Schauspielerinnen hatten ihr bereits ein kurzes Interview gegeben und Rick hatte die Fotos der Damen in ihren Roben im Kasten. Als die eigentliche Preisverleihung lief, hatte sie Pause. Vor der After Show Party musste sie noch die Gewinner interviewen. Alles lief bestens und sie hatte sich ein Gläschen verdient. Der Barkeeper hatte ihr einen Champagner gereicht und sie hatte sich schwungvoll umgedreht. Dabei war es passiert. Sie war mit Felix van Hagen zusammengestoßen und der Inhalt ihres Glases hatte sich über seinen Smoking verteilt. »Hoppla!«, hatte Felix gelacht. »Da bin ich aber froh, dass Sie keinen Rotwein bestellt haben.« Felix hatte zwei neue Drinks geordert. »Zum Wohl, und der hier wird getrunken!«, hatte er geschäkert und ihren Namen wissen wollen. Ein paar Tage später hatten traumhafte weiße Rosen auf ihrem Schreibtisch in der Redaktion gestanden. Irritiert hatte sie die Karte gelesen: Meine Rechnung für die Reinigung. Sie müssen mit mir essen gehen, um 22 Uhr im ›Doc Cheng‹. Schon damals hatte sie gewusst, dass sie in Schwierigkeiten geraten würde, wenn sie die Einladung annehmen würde. Doch sie konnte nicht anders. Seit der Preisverleihung musste sie ständig an ihn denken. Sogar seine furchtbare Samstagabendshow hatte sie sich im Fernsehen angesehen. Was solls, hatte sie sich gesagt, es ist doch nur ein Essen. Der Abend war traumhaft. Felix hatte sie später gefragt, ob sie noch auf einen Schlummertrunk mit in seine Suite kommen wolle. Natürlich hätte sie nein sagen müssen. Sie würde ihren Ruf ruinieren und außerdem war Felix van Hagen ein verheirateter Mann. Doch als er ihr tief in die Augen gesehen hatte, war sie wie hypnotisiert. Als Felix die Tür der Suite geschlossen hatte, war es, als habe er die ganze Welt ausgesperrt. Sie waren allein und nichts und niemand zählte mehr. Schluss damit! Diese Bilder gehörten zu einem anderen Leben. Entschlossen setzte Sophie sich auf und sah sich um. Pelle stürmte zu ihr. »Igitt! Aus! Du bist ja klatschnass und voller Sand. Jetzt guck mal, wie ich aussehe! Wie ein Wiener Schnitzel!« Sophie sah auf die Bucht. Die drei jagten noch immer über die Wellen. Ihre Sprünge wurden noch waghalsiger. Der rote Schirm gehörte diesem Ben. Er schien der Wildeste zu sein. Ein paarmal flog er kopfüber meterhoch über das Wasser. Das war wirklich ein rasanter Sport. Sophie merkte, dass sie sich auf den morgigen Tag freute. Ihr war klar, dass diese Verrückten jahrelang trainiert hatten, um so eins zu sein mit den Kräften der Natur, doch das war ihr egal. Sie wollte ja kein Profi werden. Allein den Kite in der Luft zu halten und an der frischen Luft ihre Kräfte zu messen, war genau die Therapie, die sie brauchte, eine Art Powerablenkung. Und dann gab es ja noch etwas, um das sie sich zu kümmern hatte. Das Geheimnis der Toten vom Strand.

Ben landete seinen Schirm sanft am Strand und ging schnell an Land, um ihn mit Sand zu beschweren, damit er vom Wind nicht fortgerissen werden konnte. Die Blondine war immer noch da, wunderte er sich. Olli und Clara waren jetzt ebenfalls dabei, ihre Kites zu fixieren.

»Was hab ich euch gesagt?«, fragte Clara grinsend. »War doch ne gute Idee aufs Wasser zu gehen, oder? Ihr solltet der armen Sarah für den freien Tag dankbar sein!«

Ben sah sie wütend an. »Es reicht!«, zischte er böse.

Clara zog sich eine Sweatshirtjacke über und fröstelte. »Habs nicht so gemeint! Ich halt jetzt meine Klappe.«

Er sah Clara tief in die Augen. Seine Lippen formten einen stummen Satz. »Ich warne dich!«

Clara hatte ihn verstanden. Jedes Fünkchen Sarkasmus wich aus ihrem Gesicht. Sie packte ihren Kram zusammen und ging, ohne sich zu verabschieden. Clara würde Olli nicht auch noch wehtun. Darauf konnte er sich verlassen.

»Sie hat tatsächlich nichts mehr gesagt«, stellte Olli verwundert fest. »Bist du soweit?«

Ben nickte. Zusammen brachten sie ihre Ausrüstung zurück in die Schuppen. »Noch ein Bierchen am Strand?«

Olli schüttelte den Kopf. »Ich hatte wirklich genug! Ich hau mich hin, guck noch ein bisschen Fernsehen oder so. Ich … ich muss ein bisschen allein sein. Wir sehen uns morgen.«

Ben nickte und öffnete den Kühlschrank. Dann würde er sich eben allein noch ein Bier gönnen. Plötzlich hatte er eine Idee. Er griff ein zweites Bier und ging an den Strand. Der braune Labrador kaute an einem Stück angeschwemmtem Holz. Als er Ben sah, sprang er begeistert auf ihn zu. »Kümmert sich dein Frauchen nicht um dich?«, fragte Ben übertrieben besorgt. Der Hund bellte zustimmend. Ben lachte und ging zu Sophie. Sie schlief. Er sah sie eine Weile an. Sie war wirklich verdammt sexy. Ben räusperte sich. Sophie rieb sich müde die Augen und sah ihn verwirrt an. »Ich dachte, du könntest ein Bier vertragen! So ganz allein«, sagte Ben grinsend.

Sie setzte sich auf und gähnte. »Ich bin nicht allein. Ich habe Pelle.«

»Der sich um dieses Stück Holz da kümmert, anstatt auf Frauchen aufzupassen!« Er reichte ihr die Flasche und ließ sich in den warmen Sand fallen. Sie tranken schweigend ein paar Schlucke.

»Ich habe euch zugesehen«, erklärte sie, als müsste sie sich rechtfertigen. »Beeindruckend!«

»So beeindruckend, dass du gleich weggepennt bist?«

»Es ist doch mein erster Urlaubstag. Und ich bin ein gestresstes Mädchen.«

»Gestresstes Mädchen?« Ben grinste. »Und wovon ist das arme Mädchen so gestresst?«

»Von der Arbeit, Beachboy!«

»Beachboy? Drollig! Aber mal im Ernst, was machst du? Wo kommst du her? Oder wie wir hier sagen, wo bist du denn wech?«

Sophie lachte und kraulte ihrem Hund das Ohr. »Aus Hamburg. Ich bin Journalistin.«

»Und du schreibst mit großer Begeisterung über die Schönheit der Ostsee. Oder über Krabben? Schafe?« Plötzlich zuckte er zusammen. Sie war gestern auch am Strand gewesen, zusammen mit der Polizei. »Nicht über Wasserleichen, oder?«

»Wasserleichen? Nein, ich schreibe hier gar nichts. Ich mache Urlaub bei einer Freundin. Und ich habe mir vorgenommen, mal richtig sportlich zu sein.«

»Klar! Schlafen am Strand ist immer noch die effektivste Methode, Kondition und Muskeln zu trainieren.« Sie lächelte zustimmend. »Und deine Freundin?«, fragte Ben weiter. »Macht die auch mit bei dem Kurs?«

Sophie lachte gurrend. Ihm gefiel dieses Lachen. Es war warm und kam von Herzen. »Sie hat drei kleine Kinder. Ihr jüngster Sohn ist gerade vier Monate alt.«

»Dann hat sie wohl keine Zeit!«

»Nein!« Sophie lachte noch immer. »Außerdem ist sie fit wie ein Turnschuh. Sie kann gleichzeitig Essen kochen, Streit schlichten, das Haus renovieren, Windeln wechseln, eine tolle Freundin sein und noch so sieben Dinge mehr.«

»Warum hat sie keine eigene Show in Las Vegas?«

»Gute Frage! Ich glaube, die Konkurrenz ist ziemlich groß. Und du? Bist du von hier?«

»Ursprünglich ja.« Er wurde wieder ernst. »Ich war zwischendurch vier Jahre weg. Bin erst seit ein paar Monaten zurück.«

»Und wo warst du?«

Eigentlich sprach er nicht über seine Vergangenheit. »Ich habe auf Phuket in einer Surfschule gearbeitet. Na ja, und nun bin ich wieder hier.«

»Phuket! Wie bist du denn da gelandet? Und, viel interessanter, wieso verlässt man einen so schönen Fleck wieder und zieht zurück in den kalten Norden Deutschlands?«

Ben leerte sein Bier in einem Zug. Sophie war nicht nur schön, sondern auch ziemlich schlau. Sie hatte ihm die wesentliche Frage gestellt. Aber er würde sie nicht beantworten. »Ich hatte meine Gründe.«

Tina stand am Küchentresen und bestrich Brote mit Leberwurst. Das Genörgel der Kinder machte sie langsam wahnsinnig.

»Jetzt ist Pelle mal bei uns zu Besuch, aber er ist nie da!«, klagte Antonia.

»Pelle hat eben Ferien. Da muss er doch auch mal am Strand spielen dürfen, oder? So, und nun setzt euch!«

Während die Kinder aßen, bereitete Tina das Abendessen vor. Es würde frische Schollen geben. Der Kartoffelsalat war so gut wie fertig. Noch ein bisschen Salz fehlte. Sie wollte gerade nach dem Streuer greifen, als die Tür aufflog. Pelle stürmte in die Küche.

»Pelle!« Die Kinder sprangen von den Stühlen und stürzten sich auf den Hund.

»Sorry, wir sind ein bisschen spät dran«, entschuldigte sich Sophie. »Ich wollte dir doch helfen!«

Tina winkte ab. »Kein Problem! Der Kartoffelsalat ist fertig. Hast Farbe gekriegt.«

»Pelle und ich waren den ganzen Nachmittag am Strand und haben den Cracks beim Kiten zugesehen. Ist schon irre, was die mit einem Drachen und einem Brett so veranstalten. Und morgen früh mach ich einen Schnupperkurs. Um 10 geht es los! Erst ein bisschen Theorie und dann gehts aufs Wasser.«

»Theorie?« Tina schüttelte verständnislos den Kopf. »Du machst doch keinen Führerschein.« Finn begann zu krähen. Tina nahm ihr Baby aus dem Stubenwagen. »Du könntest die Schollen braten, während ich Finn stille.«

»Klar! Wo ist denn eigentlich dein Göttergatte?«

»Ich habe nicht die geringste Ahnung«, antwortete Tina gereizt. »Ich schätze, er ist noch in Lübeck und hat vergessen anzurufen. Na egal. Da liegen die Fische. Aber gönn dir erst noch ein Glas Wein. Behältst du die großen Hundeflüsterer im Auge?«

»Klar!«, antwortete Sophie und kramte nach dem Korkenzieher. Tina ging nach oben. Es kränkte sie, dass Stefan es nicht für nötig hielt, sie anzurufen. Als Finn zufrieden schmatzte, legte sie ihn behutsam in sein Bettchen. Dann griff sie das Babyfon und ging wieder nach unten. Sophie räumte gerade die Teller der Kinder ab.

»Wo ist denn die Bande?«, fragte Tina verwirrt.

Sophie grinste. »Sie gehen mit Pelle einmal durch den Garten. Das gehört zu unserem Deal.«

»Was für’n Deal?«

»Ihr Part ist es, anschließend ohne Gemurre ins Bett zu gehen.«

»Das funktioniert nie.«

In der Sekunde stürmten die beiden mit Pelle durch die Terrassentür. »Mama, wir wollen jetzt schnell Zähne putzen«, erklärte Antonia. Ihr Bruder nickte energisch. Tina sah ihre Freundin erstaunt an. Die Kinder waren bereits auf der Treppe. »Wenn du mir den Trick verrätst, zahl ich dir ein Vermögen!« Verwundert lief sie den beiden hinterher. Im Bad gab es tatsächlich keinen Protest. Tina legte Paul ins Bett und er wollte nicht mal mehr eine Geschichte hören. Irritiert ging sie in Antonias Zimmer. »Alles klar, kleine Maus?« Antonia nickte nur. »Was hat Sophie denn zu euch gesagt?«

Ihre Tochter kuschelte sich in ihre Decke und schüttelte verschwörerisch den Kopf. »Ist ein Geheimnis, Mami.« Antonia wischte mit ihren Fingern über ihren Mund.

Tina schloss gerade die Zimmertür, als das Telefon klingelte. Schnell lief sie nach unten ins Wohnzimmer, um abzunehmen.

»Ich bins.«

»Stefan, wo bleibst du denn?« Sie nahm den Hörer mit auf die Terrasse. Sophie hatte den Tisch draußen gedeckt.

»Sei mir nicht böse, aber ich schaffe es nicht.«

Tina stöhnte genervt. »Na klar!«

»Es ist nicht wegen Sophie. Ich muss gleich morgen um neun in die Rechtsmedizin zu einer Obduktion. Aber ich kann mir morgen Nachmittag ein paar Stunden freischaufeln. Ich liebe dich!«

Tina wollte sich schon verabschieden, als ihr etwas auffiel.

»Hast du nicht gesagt, dass Schölzel die Obduktion mitmacht?« Stefans Schweigen sagte ihr alles. »Es ist eine andere! Ist es Sophies Leiche?«

»Sophies Leiche? Was soll das denn bedeuten?«

Stefan konnte vor ihr noch nie etwas geheim halten. »Also doch!«

»Tina! Ich darf dir nichts sagen und ich könnte dir auch noch nichts sagen. Bis jetzt haben wir noch keinen Fall. Und ich bezweifle, dass wir einen haben werden. Zumindest werden wir das eindeutig feststellen können.«

Tina nickte gedankenverloren. Sie war lange genug mit einem Polizisten verheiratet. Eine Obduktion wurde nicht aus Jux gemacht. Die Frau war vielleicht doch ermordet worden.

Sophie richtete zwei Teller an und stellte sie zusammen mit Weißwein und Wasser auf ein Tablett. Tina stand auf der Terrasse und starrte in den Himmel. Das Telefon hielt sie mit beiden Händen vor der Brust. »Alles in Ordnung?«

Tina zuckte zusammen. »Was? Ja, alles bestens! Es war Stefan. Er bleibt über Nacht in Lübeck.«

Sophie stellte die Teller auf den Tisch und goss den Wein ein. »Jetzt setz dich doch.«

»Nicht, bevor du mir verraten hast, was du meinen Kindern angedroht hast!«

»Angedroht?« Tina nickte. »Ich soll dir meinen Geheimdeal verraten?«, lachte Sophie. »Ich bin zu hungrig, um Spielchen zu spielen. Antonia darf Pelle morgen Abend mit dem Gartenschlauch duschen und Paul darf das Hundefutter in seinen Napf füllen.«

»Das ist alles? Du hast keinen Gameboy versprochen oder ein Sattessen bei McDonalds?« Sophie schüttelte den Kopf und zuckte mit den Schultern. »Jetzt komm, sonst wird alles kalt.«

Sie machten sich hungrig über das Essen her und vermieden es, über den Streit vom Mittag oder die Tote zu sprechen.

»Der Kartoffelsalat war der Hammer!«, schwärmte Sophie, nachdem sie alles aufgegessen hatten. Sie streckte ihre langen Beine unter den Tisch und zündete sich eine Zigarette an. »Wenn ich jemals heirate und Kinder habe, brauch ich das Rezept.«

Tina sah sie ernst an. »Vielleicht ist es ja ganz gut, dass wir heute allein sind«, sagte sie leise. »Sophie, ich muss immer daran denken. An den Artikel und an Felix. Was ist denn passiert? Willst du drüber reden.«

Sophie schloss einen Moment die Augen und nickte langsam.

»Wo soll ich denn anfangen? Wir waren auf Ibiza. Es war mal wieder so ein geklautes Wochenende. Ist ja auch egal. Da muss es passiert sein. Ich hatte vorher diese Erkältung und musste Antibiotika nehmen. Ich weiß auch, dass die Pille dann nicht mehr wirkt, aber wer denkt denn daran?« Sie atmete tief durch. »Na ja, nach zwei Monaten fiel mir auf, dass ich meine Tage nicht bekommen hatte. Ich schob es auf den Redaktionsstress. Dann musste ich plötzlich morgens kotzen und ich konnte keinen Zigarettenrauch mehr ab.«

Tina sprang fast aus dem Stuhl. »Schwanger?«

Sophie nickte traurig. »Ich habe es erst wirklich kapiert, als mein Frauenarzt mir bei einer Routineuntersuchung gratuliert hat.«

»Du hast es doch nicht etwa wegmachen lassen?«

Sophie sah sie empört an. »Natürlich nicht! Ich war nicht gerade sofort begeistert, um die Wahrheit zu sagen. Nach ein paar Tagen habe ich gemerkt, dass ich mich freue. Ich hatte Angst mit Felix zu sprechen, aber ich wusste, dass ich es tun muss.« Sophie schwieg kurz, um sich zu sammeln. »Ach Tina, ich weiß auch nicht, was ich erwartet habe. Sicher nicht, dass er vor Glück ausflippt und seine Familie verlässt, aber … ich habe nicht erwartet, dass er so ein Arschloch ist.« Sie konnte die Tränen nicht länger zurückhalten. Tina sprang vom Stuhl und nahm sie in den Arm. Sophie schluchzte auf. »Er wollte, dass ich es abtreiben lasse! Wir haben uns schrecklich gestritten. Ich habe ihm gesagt, dass er mich kreuzweise kann, und dass ich das Baby auch ohne ihn bekomme. Er ist aufgesprungen und hat seine Jacke genommen. An der Tür hat er sich umgedreht und mich wissen lassen, dass ich erst wieder mit ihm rechnen könne, wenn ich nicht mehr schwanger wäre, ohne Nachwuchs natürlich. Ich hab ihm hinterhergebrüllt, dass er sich nie wieder blicken lassen soll. Und das wars.« Tina sah sie fassungslos an. »Ich hab die ganze Nacht geheult und gehofft, dass er anruft und sich entschuldigt. Dass er einfach durchgedreht ist, weil er einen Schock hatte oder so.« Sophie zündete sich mit zitternden Händen noch eine Zigarette an. »Als mir klar wurde, dass alles aus ist, habe ich mich zusammengerissen, für das Baby.« Sie schluchzte laut auf. »Aber dann waren da diese Blutungen. Im Krankenhaus dachte ich, ich will sterben. Als im Fernsehen dann ein Beitrag über Felix und sein perfektes Familienglück gesendet wurde, habe ich beschlossen, dass ich nicht die Einzige sein sollte, die leidet. Ich wollte mich rächen!«

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