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d) Kein Ausschluss des Zurückbehaltungsrechts

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Nicht in allen Situationen wird das Zurückbehaltungsrecht den Parteiinteressen oder den besonderen Umständen spezifischer Schuldverhältnisse und Situationen gerecht. Das Zurückbehaltungsrecht besteht daher nur, wenn es nicht vertraglich oder gesetzlich ausgeschlossen ist.

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Den Vertragsparteien steht es grundsätzlich im Rahmen ihrer Privatautonomie frei, das Zurückbehaltungsrecht gänzlich auszuschließen oder zu modifizieren. So liegt es immer dann, wenn eine der Parteien nach den vertraglichen Vereinbarungen vorleistungspflichtig ist. In AGB sind solche Vereinbarungen allerdings nur eingeschränkt möglich: Gem. § 309 Nr 2 lit. b kann der AGB-Verwender ein Zurückbehaltungsrecht seines Vertragspartners nicht wirksam ausschließen oder einschränken, soweit das Zurückbehaltungsrecht auf demselben Vertragsverhältnis beruht. Dabei liegt eine Einschränkung des Zurückbehaltungsrechts schon darin, dass seine Ausübung von der Anerkennung von Mängeln durch den Verwender abhängig gemacht wird. § 309 Nr 2 lit. b ist allerdings enger als § 273: Die Norm erfasst nur Vereinbarungen, bei denen sich Ansprüche aus demselben Vertragsverhältnis ergeben. Sie steht Vereinbarungen nicht entgegen, die sich auf Ansprüche aus unterschiedlichen Vertragsverhältnissen (oder Lebenssachverhalten) beziehen.

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Zurückbehaltungsrechte können auch gesetzlich ausgeschlossen sein. Ein Beispiel bietet § 570: Der Mieter von Wohnraum soll sich gegen den Herausgabeanspruch des Vermieters nicht auf ein Zurückbehaltungsrecht stützen dürfen. Dahinter steht der Gedanke, dass die Zurückbehaltung meist unverhältnismäßig wäre, weil die Gegenansprüche des Mieters meist geringere Beträge haben. Die Norm soll auch verhindern, dass der Mieter ein Zurückbehaltungsrecht missbräuchlich geltend macht, um den Vermieter zu Zahlungen zu nötigen, die gar keine Rechtsgrundlage haben.[25] Ein weiteres Beispiel findet sich in § 175: Der Bevollmächtigte hat kein Zurückbehaltungsrecht gegen den Anspruch des Vollmachtgebers auf Rückgabe der Vollmacht nach deren Erlöschen. Das dient dem Schutz des Vollmachtgebers, der sich aus der Rechtsscheinwirkung der Vollmacht ergibt: Denn die Geschäfte des Vertreters werden ihm weiter zugerechnet, bis ihm die Vollmachtsurkunde zurückgegeben wird (vgl § 172 Abs. 2).

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Das Zurückbehaltungsrecht ist nach § 273 Abs. 1 auch ausgeschlossen, wenn sich „aus dem Schuldverhältnis ein anderes ergibt“. Das verweist nicht nur auf vertragliche Ausschlüsse des Zurückbehaltungsrechts. Vielmehr kann sich auch aus Eigenheiten spezifischer Schuldverhältnisse ergeben, dass ein Zurückbehaltungsrecht unangemessen wäre. Beispielsweise lässt sich ein Zurückbehaltungsrecht oft nicht gegenüber Hilfsansprüchen (wie etwa Auskunfts- oder Rechenschaftsansprüchen) geltend machen.[26] Gleiches gilt, wenn die Hauptansprüche der Sicherung[27] des Gläubigers dienen. Ein einfaches Beispiel bietet die Konstellation, dass ein Zurückbehaltungsrecht auf einen Anspruch zur Herausgabe verderblicher Waren gestützt wird. Das Zurückbehalten und Verfallen dieser Waren würde eine unverhältnismäßige Härte für den Gläubiger darstellen. Daher besteht in solchen Fällen kein Zurückbehaltungsrecht.

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Das Zurückbehaltungsrecht kann auch ausgeschlossen sein, wenn es im Ergebnis auf eine unzulässige Aufrechnung hinauslaufen und dem Schutzzweck eines Aufrechnungsverbots zuwiderlaufen würde.[28] So ergibt sich aus § 393 nach dieser Wertung auch, dass ein Zurückbehaltungsrecht nicht gegen einen Anspruch eingesetzt werden kann, der sich auf die Herausgabe eines deliktisch erlangten Gegenstands bezieht.[29] Andernfalls ließe sich § 273 instrumentalisieren, um Privatrache auszuüben: Schuldet beispielsweise S dem G 1.000 Euro, zahlt aber nicht, könnte G auf den Gedanken kommen, einen wertvollen Gegenstand des S zu stehlen (etwa seinen goldenen Ring). Er könnte dann, wenn nicht schon die Konnexität fehlt, mit Hilfe von § 273 verhindern, dass S seinen Anspruch auf Herausgabe des Rings durchsetzen kann. Wenn es um gleichartige Ansprüche – und damit um die Aufrechnung – geht, verhindert § 393 ebendies. Der Gedanke dieser Norm passt aber auch auf § 273. Dogmatisch lässt sich der Ausschluss der Aufrechnung in solchen Situationen am besten über eine Analogie zu § 393 begründen: Eine planwidrige Regelungslücke lässt sich bejahen; zumindest müsste man den Wortlaut „aus dem Schuldverhältnis etwas Anderes ergibt“ arg strapazieren, um die Lösung schon bei diesen Worten zu verorten. Die Interessenlage ist vergleichbar, denn die von § 393 besorgte Situation liegt ebenso vor wie im unmittelbaren Anwendungsbereich der Norm.

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Auch der Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242) kann der Geltendmachung des Zurückbehaltungsrechts entgegenstehen.[30] Das kann beispielsweise der Fall sein, wenn der Schuldner wegen einer unverhältnismäßig geringen Forderung die gesamte Leistung zurückbehalten will. Dafür kommt es auf die Einzelfallumstände an.[31] Treuwidrig ist es aber – von besonderen Ausnahmefällen abgesehen – nicht, wenn der Käufer eine Sache wegen geringfügiger Mängel „zurückweist“: § 273 gibt ihm grundsätzlich das Recht, die Sache auch bei geringfügigen Mängeln zurückzuweisen – also seiner Abnahmepflicht aus § 433 Abs. 2 den Anspruch aus § 433 Abs. 1 S. 2 auf sachmangelfreie Lieferung entgegenzuhalten.[32]

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