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4. Deliktische und vertragliche Schutzpflichten

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Menschen sind einander auch ohne Schuldverhältnis zur Rücksichtnahme verpflichtet. Das setzen die §§ 823 ff voraus, die unser Integritätsinteresse gegen Verletzungen schützen, auch ohne dass ein Schuldverhältnis besteht. Daher bestehen auch deliktische Schutzpflichten gegenüber jedermann, die im Deliktsrecht auch als Verkehrspflichten bezeichnet werden.[35] So muss jede Person Rücksicht auf mein Eigentum nehmen – auch, wenn kein Schuldverhältnis mit mir besteht. Deshalb ist beispielsweise eine Malermeisterin mir gegenüber schon aus § 823 Abs. 1 schadensersatzpflichtig – also auf deliktischer Grundlage –, wenn sie das Klavier in meinem Wohnzimmer während des Streichens der Wände fahrlässig beschädigt. Das Deliktsrecht ist aber weniger großzügig beim Schadensersatz: Im Deliktsrecht setzen Schadensersatzansprüche nach § 823 Abs. 1 voraus, dass ein absolutes, also allen gegenüber wirkendes Recht (wie Eigentum) oder Rechtsgut (wie Gesundheit) verletzt ist.[36] Reine Vermögensschäden sind im Deliktsrecht nur in Ausnahmefällen (etwa im Fall des § 826) ersatzfähig. Und die Haftung für Verrichtungsgehilfen (§ 831) ist schwach, weil der Geschäftsherr sich aus ihr befreien kann, indem er nachweist, den Gehilfen ordnungsgemäß ausgewählt, angeleitet und überwacht zu haben. Die vertragliche Haftung ist großzügiger: Sie führt zur Anwendung des § 278, so dass dem Schädiger Drittverschulden ohne Exkulpationsmöglichkeit zugerechnet wird. Auch wird das Vertretenmüssen des Schuldners gem. § 280 Abs. 1 S. 2 vermutet.

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Deliktische und vertragliche Schutzpflichten und damit auch Ansprüche liegen oft zugleich vor. Zwischen Vertragsparteien führen Schutzpflichtverletzungen regelmäßig zu zwei Ansprüchen: erstens aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, zweitens aus § 823 Abs. 1. Beide Ansprüche sind auf das gleiche Ziel (Schadensersatz) gerichtet, haben aber verschiedene Tatbestandsvoraussetzungen. Daraus ergibt sich ein Konkurrenzproblem: Wie verhalten sich die beiden Ansprüche zueinander? Klar ist, dass der Gläubiger nicht doppelt befriedigt werden darf: Wenn er Schadensersatz erhalten hat, sind beide Ansprüche erloschen. Im Übrigen herrscht im deutschen Privatrecht das Prinzip freier „Anspruchskonkurrenz“[37]: Beide Ansprüche bestehen grundsätzlich unabhängig nebeneinander und sind allein nach den jeweils für sie geltenden Regeln zu beurteilen. Für den Anspruch aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 sind also nur die dort genannten Voraussetzungen entscheidend, nicht etwa die Tatbestandsvoraussetzungen des § 823 Abs. 1. Umgekehrt gilt dasselbe. Auch die Verjährung der Ansprüche richtet sich nach den jeweils geltenden Verjährungsnormen. Seit 2002 gilt für Ansprüche aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 und § 823 Abs. 1 allerdings gleichermaßen die regelmäßige Verjährungsfrist (§§ 195, 199). Im Besonderen Schuldrecht gibt es indes für bestimmte vertragliche Ansprüche Sonderregeln, beispielsweise § 438. Sie gelten nur für die dort genannten vertraglichen Ansprüche, nicht aber für konkurrierende deliktische Ansprüche.[38]

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Gelegentlich werden allerdings vertragsrechtliche Wertungen in das Deliktsrecht importiert.[39] Beispielsweise schlagen gesetzliche Haftungsmilderungen (wie etwa in § 680 oder 690) in der Regel auch auf deliktische Ansprüche durch.[40] Andernfalls würden sie sich in den meisten Fällen im Ergebnis nicht durchsetzen, weil in den relevanten Situationen regelmäßig zugleich deliktische Ansprüche bestehen. Manchmal ordnet das Gesetz auch ausdrücklich an, dass vertragliche Haftungsregeln auch für deliktische Ansprüche gelten sollen, so etwa in § 434 Abs. 1 HGB für die Haftung des Frachtführers. Ob vertraglich vereinbarte Haftungsmilderungen auch für deliktische Ansprüche gelten, ist eine Frage der Auslegung und der jeweiligen Einzelfallumstände. Es kann sein, dass eine Haftungsmilderung ihrem Zweck nach auch auf deliktische Ansprüche zu erstrecken ist, insbesondere wenn die jeweiligen Haftungstatbestände regelmäßig auch zu deliktischen Ansprüchen führen.[41] Vertragsrechtliche Verjährungsregeln (wie § 438) lassen sich grundsätzlich nicht auf deliktische Ansprüche übertragen. Das ergibt sich vor allem aus den Wertungsentscheidungen des Gesetzgebers, der 2002 das Verjährungsrecht umfassend reformiert hat. Allerdings gibt es auch hier Ausnahmen. So ist zu § 548 (kurze Verjährung bei Ansprüchen aus dem Mietverhältnis) weiterhin anerkannt, dass die Norm auch deliktsrechtliche Ersatzansprüche des Vermieters wegen Veränderungen oder Verschlechterungen der Mietsache erfasst. Das folgert die hM aus dem Regelungszweck der Norm, die der raschen Abwicklung von Mietverhältnissen dient.[42]

In Fall 8 scheitert ein Schadensersatzanspruch des T gegen S aus §§ 688, 280 Abs. 1 daran, dass dem S als unentgeltlichem Verwahrer das Haftungsprivileg des § 690 zugutekommt. Zwar hat er fahrlässig Rücksichtnahmepflichten aus der Verwahrung verletzt, indem er die Hunde an einer unübersichtlichen und stark befahrenen Stelle freilaufen ließ. Er hat diese Pflichtverletzung jedoch nicht zu vertreten (§ 280 Abs. 1 S. 2). Er muss gem. § 690 nur diejenige Sorgfalt beachten, die er in eigenen Angelegenheiten anzuwenden pflegt. Er muss – mit anderen Worten – auf Chuck nicht besser aufpassen als auf seinen eigenen Hund Trevor. Daran ändert auch die Regelung des § 277 nichts: Aus ihr ergibt sich, dass die Haftung für grobe Fahrlässigkeit bestehen bleibt. S hat zwar schusslig gehandelt, nicht jedoch grob fahrlässig.

Auch ein deliktischer Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 scheidet aus, da die Haftungsmilderung aus § 690 auf den deliktischen Anspruch durchschlägt. Ansonsten würde die Haftungsprivilegierung regelmäßig leerlaufen.[43]

Teil I Grundlagen§ 3 Schuldrechtliche Pflichten – Einteilung und Abgrenzungen › III. „Schulden“ und „Haften“

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