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Malindi

Harriette sitzt im Bus und wartet auf die Abfahrt. Es ist Anfang Mai, Regenzeit in Kenia. Schweißtreibende Schwüle. Sie ist froh durch ihren Fensterplatz jeden noch so winzigen Windhauch erhaschen zu können. Der Bus füllt sich. Alte Männer und dicke Frauen in Kangas schieben sich mit Kindern und großen Plastiktaschen durch den Gang. Junge Männer in bunten Nylon-Fußballtrikots, junge Frauen mit abgeblättertem Nagellack an den Fingernägeln, engen Jeans und dekolletierten T-Shirts - jeder versucht einen Platz zu ergattern.

In diesem Land fährt kein Bus los, wenn nicht alle Plätze mindestens doppelt belegt sind. Feste Abfahrtszeiten kennt man nicht. Neben Harriette sitzt eine junge Frau mit einem kleinen Jungen auf dem Schoß. Ich bin die einzige Weiße in diesem Bus, stellt sie fest. Zwei dunkle Kinderaugen schauen sie mit großer Skepsis an. Was mag dieser kleine Kerl wohl denken über dieses außerirdische Wesen neben sich mit heller Haut und kurzen, braunen Haaren? Sie lacht ihn an, aber ihr Lächeln überzeugt den Kleinen nicht. Der Blick bleibt nachdenklich und verwundert.

Endlich startet der Motor und der schäbige Fernstreckenbus setzt sich ächzend in Bewegung. In zwei Stunden könnte ich in Malindi sein, denkt Harriette hoffnungsvoll, aber schon recht schnell wird diese Hoffnung zerschlagen. Alle paar Kilometer wird angehalten, um Leute aus- und einsteigen zu lassen. Dann fällt dem Busfahrer noch ein, eine Kiste Bananen für seine Familie kaufen zu müssen, also wird wieder angehalten. In diesem Land ist alles möglich und niemand regt sich darüber auf.

Der Himmel ist grau, dunkle Wolken ziehen über Mombasa. Regen kündigt sich an. Die Reise führt in Richtung Norden, nach Kilifi, ein Ort genau auf halber Strecke zwischen Mombasa und Malindi. Der Bus erreicht Vipingo, eine endlos weite Sisalplantage mit Baobabs. Diese hohen, knorrigen Affenbrotbäume, die in der Regenzeit Feuchtigkeit im Stamm speichern, um die lange Trockenzeit überleben zu können, sind weit verbreitet in Kenia. Sie bestimmen auch die Landschaft von Vipingo - eine Landschaft, von der Harriette noch nicht weiß, dass sie sie in den kommenden Jahren noch sehr oft sehen und lieben lernen wird.

Die Freude über den Fensterplatz schwindet, als sich herausstellt, dass das Fenster klemmt und sich nicht schließen lässt. Durch den Fahrtwind fröstelt sie. Erste Regentropfen im Gesicht. Und plötzlich ein wahrer tropischer Regen - tosend, peitschend, direkt durchs offene Fenster. Harriette wird klatschnass, kann aber nicht aufstehen, weil der Bus zu voll ist. Der kleine Junge neben ihr dreht ihr den Rücken zu. Auch er wird nass. Was soll’s. Du kannst es nicht ändern, also durchhalten! ermutigt sie sich. Harriettes Rucksack, der vorne neben dem Busfahrer auf dem Boden liegt, bleibt trocken.

Stunden später erreicht der Bus den Marktplatz von Malindi, ein typischer Platz, umringt von kleinen Kiosken, die Gemüse, Obst, Plastik- und Korbwaren anbieten - alle mit großen Planen überdeckt, um den Regengüssen Stand zu halten. Der Platz ist nicht gepflastert und liegt in einer kleinen Senke, die sich durch die starken Regenfälle in kürzester Zeit in einen großen Schlammpool verwandelt hat.

“Mwisha hapa! Tayari! Enda haraka tafadhali!2”, ruft der Busfahrer. Die Männer krempeln sich die Hosenbeine hoch, steigen aus und waten mit ihren Gummischlappen durch das braune Schlammwasser. Die Frauen binden sich ihre Kinder und Habseligkeiten auf den Rücken und steigen auch aus. Harriette wartet bis zum Schluss und verlässt den Bus als Letzte.

“Mama, Malindi hapa!3”, ruft der Busfahrer und wirft ihren Rucksack mit Schwung hinaus, der dann mit aller Wucht im Schlamm landet. Voller Entrüstung schaut sie den Busfahrer an, der sich scheinbar keiner Schuld bewusst ist. Ein alter Mann mit schneeweißen Afrolocken und weißem Bärtchen steht an der Bustür und zieht Harriettes Rucksack aus dem Schlamm.

“Mama, taxi?”. Seine fröhlichen Augen lassen Harriettes Entrüstung schnell vergessen.

“Yes!”, antwortet sie und schaut zu, wie dieser Mann ganz gelassen ihren völlig verdreckten Rucksack in den Kofferraum seines verrosteten, klapprigen Subarus legt. Sie steigt ein. Der Rücksitz ist vollkommen durchgesessen und Harriette sackt tief in den Sitz.

“Mama, Watamu?”, fragt der Alte. Ja, Watamu - darüber hat Harriette in ihrem Reiseführer gelesen, diese kleine Küstenstadt südlich von Malindi, in der auch Ernest Hemingway sich zu seiner Zeit mit Freuden aufhielt. Ein paradisisches Fleckchen Erde mit schneeweißen Stränden, Meeresvögeln und Wasserschildkröten in einem türkiesblauen Meer. Ein Ort mit großer Anziehungskraft. Ja, Watamu will Harriette sicherlich sehen, aber nicht jetzt.

Harriette zeigt ihm die Adresse eines kleinen Hotels in ihrem Reiseführer.

“Mama, kufungu: closed - low season now!”, antwortet der Alte in gebrochenem Englisch.

“Okay”. Sie sucht eine Alternative und zeigt auf ein anderes Hotel im Reiseführer.

“Ah, no, mama, closed … finished!”. Sie wundert sich, denn der Reiseführer ist eine neue Ausgabe - so schnell kann’s also gehen hier!

“Okay. Kennen Sie ein Hotel?”, fragt sie den Mzee4. Ja, das wüsste er wohl, sie solle sich einfach überraschen lassen.

Die Fahrt führt quer durch Malindi in Richtung Norden. Kurz vor Ende der Ortschaft biegt das Taxi nach links in eine kleine Auffahrt und hält vor einem rostigen Gittertor. Schon kommt ein junger Mann in verschlissenen Bermudas und schmutzigem T-Shirt und öffnet das Tor. Na, wenn das Hotel genauso gepflegt ist wie dieser Mann…

Mzee fährt hinein und schon befindet sich Harriette vor einem dieser im typischen Baustil der Region gebauten Häuser: weiß gekalkte Wände mit hohen, sogenannten Makuti-Dächern aus Palmblatt. Davor ein kleines, nierenförmiges, vergammeltes Schwimmbad, das einst mit blauer Ölfarbe angestrichen war, jetzt aber große Stellen abgeblätterter Farbe vorzeigt. Das alles inmitten eines ungepflegten Gartens mit wildwuchernden Bougainvilla-Sträuchern und hohem Gras. Harriette stört es nicht. Sie nimmt den Geruch von nassem Gras in sich auf und erspürt eine Vertrautheit, die sie sich nicht erklären kann. Sie mag diesen Ort: hier will sie vorläufig bleiben.

Harriette steigt aus und Mzee nimmt ihren Rucksack aus seinem Kofferraum. Ein dralles, junges Mädchen in einem verblichenen Kittelkleid kommt ihr entgegen, führt sie hinauf in das Obergeschoss und zeigt ihr das Zimmer. Harriette stellt ihren Rucksack ins winzige Badezimmer, um ihn später dort vom Schlamm zu befreien. Sie geht wieder hinunter und bezahlt den Mzee. “Watamu tomorrow?”, fragt er nochmals. Und ihre Antwort erstaunt sie selbst:

”Nein, aber gibt es hier in Malindi Makler?”. Was ist das denn? Ich frage nach einem Makler?

“Was suchen Sie denn?”, fragt der Mzee interessiert. “Ach, nichts Spezifisches. Ich will mich einfach nur mal umschauen hier”, antwortet sie.

“Ich glaube, ich habe da was für Sie”, grinst er; “ich komme Sie morgen früh um 9:00 Uhr abholen, okay? Und übrigens, ich heiße Achmed!”. Sie willigt ein, verwundert über ihre Frage nach dem Makler. Ach, warum auch nicht? Ich kann mich doch mal umschauen hier.

Sie hat eine unruhige Nacht und fragt sich, warum in aller Welt sie nach einem Makler gefragt hat. Ja, es stimmt - schon viele Jahre hegt sie den stillen Wunsch einmal im Leben in den Tropen zu leben. In den Tropen fühlt sie sich zu Hause. Aber warum dann gleich ein eigenes Haus dort erwerben? Sie erinnert sich an den langen Eßtisch im elterlichen Haus ihrer Kindheit, an dem tagtäglich Freunde von ihr und ihren Geschwistern mitaßen, und ihr Vater schon lange den Überblick verloren hatte, welches Kind zu wem gehörte. Freunde waren immer willkommen und gingen täglich ein und aus. Sie erinnert sich an die vielen Familienurlaube in Frankreich, Reisen mit Freunden nach Italien, Spanien und in die USA, nach Süd-Afrika und nach Asien. Ja, sie wuchs auf in einem liebevollen, gastfreundlichen, weltoffenen Zuhause, umringt von vielen Freunden. Harriette, lebensfroh und neugierig auf das Leben.

Seit einigen Monaten solitär und wieder vollkommen unabhängig - warum also warten? Harriette spricht verschiedene Sprachen und kann sich überall verständlich machen und erden! Sie wird auch hier neue Freunde gewinnen. Was würde sie denn verlieren, wenn sie hier ein neues Leben aufbaut? Ihre Freunde waren immer schon geografisch weit verstreut. Und ihre Familie wird sie weniger oft sehen, aber verlieren wird sie sie nie!

In der Nacht hört sie aus den Nebenzimmern Geräusche, die ihr vermitteln in einem bestimmten Etablissement gelandet zu sein. Es ist nicht nur ein kleines schäbiges Hotel denkt sie, und muss darüber innerlich lachen.

2 Swahili (“Ende hier! Fertig! Macht schon voran!”).

3 Swahili (Mama = Frau [Anrede], Malindi hapa! = “hier ist Malindi!”).

4 Swahili (Mzee = höfliche, respektvolle Anrede für einen alten Mann).

Schwarzer Honig

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