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Lamu

Die kleine Propellermaschine steht auf der holprigen Piste und wartet auf die Starterlaubnis. Harriette hat Glück: sie darf ins Cockpit! Math, der Pilot, ist Brite und fliegt schon viele Jahre nach Lamu. Harriette schätzt ihn auf Anfang Vierzig. Er erzählt ihr, wie er nach Malindi gekommen ist, dort seine Frau kennengelernt hat und geblieben ist.

“Malindi liebt man oder hasst man. Ich liebe es, aber auch nur, weil ich nicht immer hier bin. Ich fliege auch andere Routen. Die Italiener hier können einem schon ganz schön auf den Geist gehen”, lacht er und zwinkert ihr zu. Dann verändert sich sein Gesichtsausdruck von Gelassenheit in Konzentration. “Ready for take-off!”

Hoch über dem Indische Ozean, der in der Sonne glitzert, erstreckt sich nach Westen eine endlose, atemberaubende Landschaft: die große Bucht der Flussmündung des Galana Rivers. Dieser majestätische Fluss, diese Hauptschlagader, schlängelt sich viele hundert Kilometer Richtung Osten und mündet in den Indischen Ozean. Entlang der Ufer schmiegen sich breite, saftig grüne Streifen, die je weiter das Auge reicht, allmählich in braun-grünen Schattierungen verlaufen. Auch das ist Kenia, denkt Harriette und empfindet in diesem Augenblick ein starkes Glücksgefühl.

Die Landebahn von Lamu, ein Feldweg auf Manda Island, verschafft eine holprige Landung. Die Maschine kommt zum Stehen und die Tür wird geöffnet. Leichter Wind weht ihr ins Gesicht. Harriette krempelt ihr khakifarbenes langes Kleid hoch und steigt aus. Sie läuft quer über die Rollbahn, auf der auch andere kleine Flugzeuge stehen, bis zum Terminal, einer winzigen Holzbaracke, versehen mit einem handbemalten Holzschild ‘Lamu Airport’. In der so genannten ‘Lounge’, unter einem Baum, sitzen ein paar Rucksacktouristen auf einfachen Holzbänken und warten auf ihren Rückflug nach Malindi. Harriettes Blick fällt auf zwei kleine, schief hängende Holzschilder, worauf geschrieben steht: ‘Duty Free Shop’ und ‘Welcome to Lamu’.

Die Passagiere, die von Malindi gekommen sind, werden von jungen Männern zum Steg begleitet. Dort wartet ein großes altes Fischerboot, eine Dhow. Eine schmale nasse, mit Algen bedeckte, rutschige Treppe führt hinunter. Unten an der Treppe helfen andere junge Männer beim Einsteigen. Die gesamte Innenseite der Dhow ist mit geflochtenen Bastmatten ausgelegt. Harriette setzt sich auf eine der kargen Holzbänke. Die Einfachheit der Dinge in diesem Land ist es, wonach sie so lange gesucht hat. Sie bindet sich ein pinkfarbenes Tuch um den Kopf und schiebt ihre Sonnenbrille darüber. Sie schließt kurz ihre Augen, mit dem Gesicht zur Sonne gerichtet und atmet die salzige Seeluft ein. Was braucht der Mensch mehr?, denkt sie glücklich und fühlt sich wie eine Prinzessin aus 1001 Nacht. Die Dhow legt ab und langsam, entlang der Mangroven, durchquert sie schwarz-blaues Gewässer in Richtung Lamu-Town, wovon die Umrisse in der Ferne schon deutlich zu erkennen sind.

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Lamu-Town, älteste und besterhaltendste Swahili-Siedlung in Ost Afrika, gebaut aus Korallgestein und Mangrovenholz. Stadt auf der Liste des UNESCO Weltkulturerbes, Touristenattraktion, gelegen auf der gleichnamigen Insel Lamu, direkt vor der Ostküste des Landes. Hinter ihren reichverzierten Holztüren verbergen sich die schönsten Innenhöfe, die Kühlung gegen die glühende Hitze bieten.

Lamu, Stadt der Swahili-Frauen in Buibuis – diese mantelartigen, schwarzen Gewänder, die nichts freigeben außer hennabemalte Hände und Füsse und manchmal ein schönes Gesicht, wenn nicht verborgen hinter einem Gesichtsschleier. Lamu, Stadt der streunenden Katzen und Stadt der Esel, denn Straßen und Autos gibt es nicht. Esel auf Lamu haben ein hartes Leben: gnadenlos überladen, oftmals mit Zementsäcken, die sie unter stetigen Peitschenhieben kilometerweit durch einsinkenden Sand zur Baustelle schleppen müssen.

Lamu, auch Stadt unzähliger Möbelbauer, die fast alle dasselbe produzieren: Möbel im Swahili-Stil, reichgeschnitzte Tische, Stühle und Betten mit gewebten Sitz- und Liegeflächen. Möbel mit Knochen- oder Perlmuttintarsien. Lamu, ein Mekka für exotischen Lebensstil.

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Harriette nimmt ein Zimmer im ‘Bahari Hotel’, einer kleinen, sehr einfach ausgestatteten Lodge mitten in Lamu. Sie stellt die kleine Reisetasche in ihr Zimmer und verlässt die Lodge, um Lamu zu entdecken.

Sie läuft durch enge Gassen, die so schmal sind, dass das Sonnenlicht kaum eine Chance hat, sich durch alle Ecken und Windungen hindurchzuzwängen. Und das ist angenehm, denn es ist schattig und kühl. Sie hat einen günstigen Zeitpunkt erwischt, da um die Mittagszeit nur wenige Menschen unterwegs sind. Ab und zu ein Esel mit vollgepackten Körben oder ein paar spielende Kinder. Die Geschäfte sind zum Teil geschlossen, es wird Siesta gehalten.

Lamus Gassen mit ihren unzähligen Winkeln kommen ihr wie ein großer Irrgarten vor. Sie lässt sich treiben. Wie schön diese alten schweren Türen hier sind - denkt sie, als sie vor einer reich verzierten Holztür steht. Sie berührt das Schnitzwerk und merkt, dass sich die Tür durch den Druck leicht öffnet. Harriette ist neugierig, sie schaut sich um. Sie sieht niemanden. Vorsichtig öffnet sie die Tür soweit, dass sie hineingehen kann. Sie steigt über einen Querbalken und tritt hinein. Sie befindet sich in einem Innenhof, umgeben von hohen, grauen Mauern, die zum Teil mit Kletterpflanzen bewachsen sind. Es ist schummrig hier. Eine türkisfarbene Echse mit orangefarbenem Kopf, die sich im Kegel des einfallenden Sonnenlichts aufwärmt, huscht verschreckt hinter einen großen Pflanzenkübel. Harriette würde gerne weiter hineingehen, aber sie traut sich nicht. Ist dies ein Privathaus? Es ist so still hier, so friedlich. Sie fühlt sich als Eindringling und kehrt schnell um.

Sie schlendert weiter, und nach einiger Zeit erreicht sie eine breitere Gasse, in die mittlerweile rege Betriebsamkeit zurückgekehrt ist, denn die umliegenden Geschäfte sind geöffnet. Das scheint wohl die große Einkaufsmall von Lamu zu sein! Sie entdeckt ein AirKenya Ticketbüro, gleich daneben ein hübsches Geschäft ‘Gallery Sanamu’ mit sehr teuren Produkten wie Schmuck, Kleidung, Leder- und Korbwaren, Perlensandalen und anderen sehr geschmackvollen Dingen, die auf Harriette eine magische Anziehungskraft haben. Gleich daneben gibt es einen Coffee-Shop. Wie sie später erfährt, ist dieser Coffee-Shop in ganz Kenia berühmt für seine köstlichen Milchshakes und seinen Karottenkuchen. Harriette ist nie ein Freund von Karottenkuchen gewesen, bis zu diesem Tag, an dem sie carot-cake bei ‘Whissip’ bestellt. Sie kommt mit der Bedienung von ‘Whissip’ ins Gespräch, einem freundlichen jungen Mann in schneeweißem T-Shirt mit ‘Whissip’-Aufdruck.

“Darf ich Sie fragen, wem dieser Coffee-Shop gehört? Der Cappuccino und der Karottenkuchen sind einfach köstlich - und wie geschmackvoll alles eingerichtet ist hier!”, sagt Harriette.

“Madam, ‘Whissip’ gehört bwana Farrah und mama Alice. Das Geschäft hier nebenan - ‘Gallery Sanamu’ – gehört ihnen auch. Und hinter ‘Gallery Sanamu’ hat bwana Farrah auch noch eine Möbelwerkstatt. Bwana Farrah und mama Alice sind zurzeit nicht da, sie sind in Indonesien - Einkäufe tätigen”. Das sind sicherlich Mzungus, denkt sich Harriette, so perfekt, wie hier alles gestylt ist, da hat jemand einen ganz erlesenen Geschmack. Sie tippt auf Alice.

Am Abend sitzt sie in ‘Hapa na Sasa’ - im ‘Hier und Jetzt’ - einem kleinen Restaurant direkt am Wasser, mit lang aneinandergereihten Tischen, an denen man sich einfach dazusetzt. Dieses Restaurant scheint ein beliebter Treffpunkt für Touristen zu sein. Sie bestellt gegrillten Fisch in Kokosreis. Noch kurz eine Unterhaltung mit einem französischen Rucksackpärchen und dann zurück zum ‘Bahari Hotel’. Harriette ist hundemüde.

Auch den nächsten Tag verbringt sie als Tourist: mit einer Dhow nach ‘Shela Beach’, eine Bootsfahrt über glitzerndes Wasser, entlang des Ufers von Lamu. Shela, ein winziger Ort einige Kilometer von Lamu entfernt, ist bekannt um zwei Dinge: das mondäne Peponi-Hotel und den unendlich langen Strand. Harriette bleibt den ganzen Tag in Shela. Schwimmen, in der Sonne relaxen, herrliche Fruchtsäfte trinken und sich weiter in Kuki Gallmanns Geschichte ‘Ich träumte von Afrika’ vertiefen. Kuki Gallmanns Autobiografie fasziniert Harriette: gebürtige Italienerin, kenianische Autorin und Naturschützerin, die in Kenia Mann und Sohn verliert. Eine dramatische Geschichte, die nach ihrem großen Durchbruch auch verfilmt wurde.

Harriette hat nur noch wenige Tage in Kenia, dann wird sie zurück nach Europa fliegen.

Schwarzer Honig

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